Ein Jahr nach dem Blackout in Italien: das BFE zieht Bilanz

Bern, 23.09.2004 - Ein Jahr nach dem flächendeckenden Netzzusammenbruch in Italien zieht das Bundesamt für Energie (BFE) Bilanz. In der Schweiz und europaweit wurden die Lehren aus diesem Ereignis und anderen grossflächigen Strompannen gezogen und teilweise bereits umgesetzt. Mit den Entwürfen für ein Bundesgesetz über die Stromversorgung und die Änderung des Elektrizitätsgesetzes, welche den Hauptakzent auf die Versorgungssicherheit legen, können mittelfristig die Rechtssicherheit im schweizerischen Strommarkt und Verbesserungen im internationalen Stromhandel hergestellt werden.

In der Nacht zum 28. September 2003 löste kurz nach 03:00 Uhr ein Spannungsüberschlag auf einen Baum den Ausfall der hoch belasteten 380-kV Lukmanierleitung aus. Trotz sofort eingeleiteter Massnahmen fielen in der Folge sämtliche Leitungen nach Italien kaskadenartig aus und führten zu einem flächendeckenden Netzzusammenbruch in Italien und in Grenzregionen der Schweiz.

Erkenntnisse ein Jahr danach

Den Gründen für die Leitungsunterbrüche in der Schweiz und den daraus resultierenden Netzzusammenbruch wurde seit Oktober 2003 in mehreren Untersuchungen und technischen Analysen aller Beteiligten nachgegangen (UCTE, ETRANS, BFE, ESTI, AEEG, CRE. Abkürzungen und Links siehe unten). In den Untersuchungsberichten wurden einige unmittelbare Auslöser der Ereignisse vom 28. September 2003 identifiziert und entsprechende Empfehlungen abgeleitet. Dazu gehören unter anderem die hohe Belastung des Übertragungsnetzes bereits im Normalbetrieb, die vom vertraglich vereinbarten Fahrplan abweichenden Stromtransite, die unzureichende Kommunikation zwischen den beteiligten Netzgesellschaften nach Eintreten der ersten Störungen, sowie die ungenügenden Stabilitätsreserven des italienischen Verbundnetzes.

Bericht zu den Durchhängen der Höchstspannungsleitungen

Das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI) hat aufgrund der von den Betreibern eingereichten Daten rund 1'000 Spannweiten (Leiter zwischen zwei Masten) überprüft. In seinem heute publizierten Untersuchungsbericht stellt das ESTI fest, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Bodenabstände sowohl nach der Starkstromverordnung von 1933 als auch nach der Leitungsverordnung von 1994 überall eingehalten sind. Ein zu geringer Abstand zwischen Leiter und Boden, welcher Personen oder Sachen gefährden kann, wurde nirgends festgestellt.

Koordination der Stromtransite und Regulierung des Strommarkts

Als zentrale Erkenntnis aller Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Blackout in Italien geht jedoch hervor, dass der grenzüberschreitende Stromhandel seit Beginn der Liberalisierung des europäischen Strommarktes extrem zugenommen hat. Durch die stark gestiegenen Stromtransportmengen und die ungeplanten Stromflüsse wird das Übertragungssystem insbesondere in der Schweiz dauernd an seiner Kapazitätsgrenze betrieben. Um grossflächige Netzzusammenbrüche künftig zu verhindern, müssen die Konflikte zwischen den Interessen des internationalen Stromhandels und den technisch erforderlichen Voraussetzungen für eine sichere Stromversorgung gelöst werden. Konkret heisst dies, dass die Forderungen der Versorgungssicherheit und des Wettbewerbs im freien Strommarkt mit den physikalischen Charakteristiken der Stromübertragungsinfrastruktur in Einklang gebracht werden müssen. Dies ist nur zu bewerkstelligen durch eine verbesserte Koordination der „Fahrpläne" im Stromhandel und eine harmonisierte Regulierung auf nationaler und europäischer Ebene.

Stand der Umsetzung in der Schweiz

Die Betreiber des schweizerischen Übertragungsnetzes haben in den letzten 12 Monaten bereits einen Teil der aus den Untersuchungen abgeleiteten Empfehlungen umgesetzt. So wurden zusätzliche Kapazitäten für den Echtzeit-Informationsaustausch zwischen der Schweiz und Italien geschaffen, eine Aufstockung und Trainings des Betriebpersonals durchgeführt sowie zusätzliche Mess- und Schutzeinrichtungen installiert. Nach dem Blackout hatte die GRTN zudem die Netto-Übertragungskapazität der Schweiz für den Stromtransport nach Italien reduziert. Als weiteren Schritt kündigte swisselectric Mitte 2004 die Gründung einer eigenständigen nationalen Übertragungsgesellschaft namens Swissgrid an. Diese privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft  soll im Einklang mit der geplanten gesetzlichen Neuregelung des schweizerischen Strommarkts ab dem 1. Januar 2005 die Verantwortung für den Betrieb des Schweizer Übertragungsnetzes übernehmen.

Auch auf Seite der Behörden wurde intensiv an der Umsetzung der Erkenntnisse gearbeitet. So wurden die Ursachen des Blackouts von der Expertenkommission für eine Elektrizitätswirtschaftsordnung diskutiert. Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind in die Entwürfe zum Bundesgesetz über die Stromversorgung (StromVG) und zur Änderung des Elektrizitätsgesetzes (EleG) eingeflossen. Beide Gesetze setzen denn auch den Hauptakzent auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Da die Marktöffnung  in der Schweiz seit dem Bundesgerichtsentscheid im Fall EEF-Watt/Migros vom Juni 2003 per Kartellgesetz faktisch bereits existiert, geht es nun darum, die Spielregeln festzulegen, nach denen der Markt unter Gewährleistung der Versorgungssicherheit funktionieren soll.

Einbezug der Schweiz in den europäischen Strommarkt

Eine klare nationale Gesetzgebung für den Strommarkt ist insbesondere auch für den Einbezug der Schweiz in den europäischen Binnenmarkt und für die Positionierung der Schweiz als Stromdrehscheibe Europas wichtig. Der europäische Strommarkt wurde am 1. Juli 2004 für alle kommerziellen Endverbraucher geöffnet und wird per 1. Juli 2007 auch für die Haushalte offen sein. Zur Klärung der internationalen Beziehungen im Strommarkt führen die Schweizer Behörden und Übertragungsnetzbetreiber seit längerer Zeit Gespräche mit Behörden und Betreibern der Europäischen Union.

Die EU anerkennt die Anstrengungen der Schweiz, nun möglichst schnell gesetzliche Grundlagen für den schweizerischen Strommarkt und vor allem auch Regelungen für den grenzüberschreitenden Handel bereitzustellen und einzuführen. Die EU-Kommission hat der Schweiz bereits ein Angebot für gemeinsame Regelungen für die Stromtransite, den Marktzugang und Sicherheitsstandards unterbreitet. Dieses wird zurzeit geprüft und dann über das weitere Vorgehen und allfällige Verhandlungen entschieden.


Adresse für Rückfragen

Marianne Zünd, Leiterin Kommunikation BFE, Tel. 031 322 56 75 / 079 763 86 11

Michel Chatelain, Eidgenössisches Starkstrominspektorat, Tel. 076 365 15 47

Bericht über die Leitertemperatur- und Durchhangsberechnungen der Höchstspannungsleitungen in der Schweiz, Eidgenössisches Starkstrominspektorat, 17.09.2004

Der Bericht ist zugänglich unter: www.energie-schweiz.ch


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Bundesamt für Energie
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