Bundesrat verabschiedet Botschaft zu den Atominitiativen und zum Kernenergiegesetz

Bern, 16.03.2001 - Der Bundesrat hat die Botschaft zu den Atominitiativen und zum Kernenergiegesetz zuhanden des Parlaments verabschiedet. Wichtige Vorentscheide dazu hatte er bereits früher gefällt.

Der Entwurf für das Kernenergiegesetz (KEG) hält an der Option Kernenergie fest. Auf eine Befristung des Betriebs der Kernkraftwerke wird verzichtet. Der Entwurf enthält ein Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und Vorschriften zur Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie deren Finanzierung. Er sieht für neue Kernkraftwerke das fakultative Referendum vor. Damit kommt der Bundesrat in mehreren Punkten den Initiativen entgegen. Die Volksinitiativen MoratoriumPlus und Strom ohne Atom lehnt er ab, vor allem wegen der zu erwartenden volkswirtschaftlichen Kosten und der Erschwerung der CO2-Politik.

Ausgangslage

Im Atomgesetz von 1959 und im Bundesbeschluss zum Atomgesetz von 1978 sind viele heute aktuelle Fragen nicht geregelt. Der Bundesbeschluss ist befristet. Er wurde anfangs Oktober 2000 nochmals um 10 Jahre verlängert. Im September 2000 ist zudem das Kernenergie-Moratorium in der Bundesverfassung ausgelaufen. Seit September 1999 sind die beiden neuen Volksinitiativen MoratoriumPlus und Strom ohne Atom hängig.

Die Revisionsarbeiten am Atomgesetz dauern seit Mitte der 70er Jahre. Sie wurden mehrmals zurückgestellt, insbesondere wegen Volksinitiativen und wegen Tschernobyl. Von 1996 bis 1999 fanden verschiedene Energiedialoge statt. Während in anderen Bereichen bedeutende Fortschritte der energiepolitischen Zusammenarbeit erzielt werden konnten, blieb die Kernenergienutzung in wesentlichen Punkten nicht konsensfähig. Anfangs Februar 2000 machte schliesslich eine Expertengruppe Empfehlungen zur Konzeption der Entsorgung radioaktiver Abfälle.

Der Bundesrat hat sich mehrfach mit dem Entwurf zum Kernenergiegesetz und den beiden Volksinitiativen befasst und die Grundsatzentscheide bereits früher gefällt. Diese betrafen im Wesentlichen das fakultative Referendum für neue Kernkraftwerke, den Verzicht auf eine Befristung der Betriebsbewilligungen für bestehende Kernkraftwerke, das Verbot der Wiederaufarbeitung, das Konzept der Entsorgung radioaktiver Abfälle und die Ausgestaltung des KEG als indirekten Gegenvorschlag. Aus diesem Grund sind die beiden Vorlagen in einer einzigen Botschaft enthalten. Mit dem heutigen Entscheid hat er auch den kontroversen Resultaten der Vernehmlassung vom Sommer 2000 Rechnung getragen.

Kernenergiegesetz

Der Gesetzesentwurf enthält Vorschläge zu den wichtigsten Fragen um die Kernenergie:
Der Weiterbetrieb der bestehenden und der Bau neuer Kernkraftwerke sind grundsätzlich möglich. Die Betriebsbewilligungen der Kernkraftwerke werden gesetzlich nicht befristet. Neue Kernkraftwerke sind nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik zu bauen. Der Entscheid über neue Kernanlagen soll mit Ausnahme der geologischen Tiefenlager dem fakultativen Referendum unterstehen.

Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente bzw. die damit zusammenhängenden Ausfuhren sollen nicht mehr erlaubt sein. Die bestehenden Verträge können innerhalb eines gesetzlich definierten Rahmens noch erfüllt werden. Der Bundesrat kann für Forschungszwecke Ausnahmen vorsehen.

Lufttransporte plutoniumhaltiger Kernmaterialien sollen in Zukunft verboten sein.

Das Konzept der Entsorgung basiert auf den Empfehlungen der Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA). Um den Forderungen nach Überwachung und erleichterter Rückholbarkeit der Abfälle zu entsprechen, wird das Konzept der geologischen Tiefenlagerung vorgeschlagen. Falls die Abfälle nicht zurückgeholt werden, kann das Tiefenlager nach einer längeren Beobachtungsphase in ein geologisches Endlager überführt werden. Nach dem Verschluss des Lagers bleibt der Bund für die Überwachung verantwortlich. Er haftet auch für allfällige Schäden.

Für die Finanzierung der Stilllegungs- und der Entsorgungskosten lehnt sich der Entwurf an die Stilllegungsfondsverordnung und an die Verordnung über den Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke an. Zusätzlich soll auch beim Entsorgungsfonds eine solidarhaftungsähnliche Nachschusspflicht der anderen Betreibergesellschaften eingeführt werden, wie sie beim Stilllegungsfonds gilt. Diese Nachschusspflicht wird auf die wirtschaftliche Tragbarkeit beschränkt; nötigenfalls beschliesst die Bundesversammlung über eine Bundesbeteiligung an den nicht gedeckten Kosten.

Die Bewilligungsverfahren werden koordiniert. Gegen Verfügungen und Bewilligungsentscheide können Betroffene Beschwerde an eine verwaltungsunabhängige Gerichtsbehörde erheben.
Zur Stilllegung von Kernanlagen legt der Gesetzesentwurf Grundsätze fest und regelt die einzelnen Stilllegungsschritte.

Atominitiativen

Die Initiativen wurden am 28. September 1999 mit 120‘628 (MoratoriumPlus) bzw. 117'675 (Strom ohne Atom) Unterschriften eingereicht.

Die MoratoriumPlus-Initiative verlangt im Wesentlichen folgendes:
  • für die Dauer von zehn Jahren dürfen keine Bewilligungen für neue Kernanlagen und Forschungs-Reaktoren sowie für Leistungserhöhungen bei bestehenden Kernkraftwerken erteilt werden;
  • für die Verlängerung des Betriebs bestehender Kernkraftwerke über 40 Jahre hinaus ist das fakultative Referendum notwendig;
  • Deklaration der Herkunft und der Art der Produktion von Strom.

Die Strom ohne Atom-Initiative fordert im Wesentlichen folgendes:
  • die Ausserbetriebnahme von Beznau I und II sowie Mühleberg innerhalb von zwei Jahren nach Annahme der Initiative und von Gösgen und Leibstadt spätestens nach 30 Betriebsjahren, also 2008 bzw. 2014;
  • ein Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus schweizerischen Kernkraftwerken;
  • Übernahme aller Betriebs- und Stilllegungskosten der Kernkraftwerke durch die Betreiber, ihre Anteilseigner und Partnerwerke;
  • Regelung betreffend die dauerhafte Lagerung der in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle und Mindestumfang der Mitentscheidungsrechte der betroffenen Gemeinwesen;
  • die Umstellung der Stromversorgung auf nicht-nukleare Energiequellen.
Der Bundesrat lehnt die Initiativen insbesondere aus folgenden Gründen ab:
  • die Annahme der MoratoriumPlus-Initiative würde die Offenhaltung der Kernenergieoption erschweren; die Strom ohne Atom-Initiative hätte spürbare negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft;
  • beide Initiativen würden die Erreichung der CO2-Ziele erschweren;
  • im Falle von Strom ohne Atom liesse sich ein striktes Importverbot für Nuklearstrom oder fossil-thermischen Strom aus handelspolitischen Gründen nicht durchsetzen;
  • falls sie politisch überhaupt realisierbar sind, wären die Massnahmen zur Neutralisierung der CO2-Emissionen (im Vergleich mit dem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke) oder zur Reduktion der CO2-Emissionen um 10 % gemäss CO2-Gesetz eine erhebliche wirtschaftliche Belastung.

Der KEG-Entwurf kommt mehreren Anliegen der beiden Initiativen entgegen. Andere von den Initianten verlangte Massnahmen können gestützt auf bestehende Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen bereits eingeführt werden (z.B. Deklarationspflicht für Strom).

Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, die Initiativen MoratoriumPlus und Strom ohne Atom Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen und dem Kernenergiegesetz zuzustimmen.


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
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