"Schweizer Aussenpolitik: Eigenständig und verantwortungsvoll"

Bern, 01.09.2014 - Zürich, 01.09.2014 - Ansprache von Bundespräsident Didier Burkhalter anlässlich des Wirtschaftsmeeting 2014 der FDP.Die Liberalen - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren

Wir haben es heute bereits gehört und ich kann es bestätigen: Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell. Es geht uns gut. Unser Land ist ein Hort des Friedens und der Stabilität und es ist so wettbewerbsfähig und innovativ wie kaum ein anderes Land auf der Welt. Zürich, wo wir uns heute treffen, steht regelmässig auf den vordersten Rängen, wenn es um die Lebensqualität in den Städten weltweit geht. Die britische Zeitschrift Economist hat die Schweiz zum wiederholten Mal als weltweit „best place to be born“, bezeichnet. Für mich ganz selbstverständlich. Und je mehr ich als Aussenminister von der Welt sehe, desto mehr werde ich mir bewusst, wie einzigartig die Schweiz ist.

Erfolg verpflichtet

Wichtiger als jede Rangliste ist aber folgendes: Die Schweiz bietet ihren Einwohnern Arbeit und sie bietet ihrer Jugend Zukunftsperspektiven. Ein Blick über die Landesgrenzen in Länder mit Jugendarbeitslosenraten über 50 Prozent zeigt: Das ist alles andere als selbstverständlich. Wir müssen darum alles daran setzen, unserer Jugend weiterhin gute Chancen und Perspektiven zu eröffnen.
Die von meinem Kollegen Hannes Schneider-Ammann initiierte und vom Bundesrat letzte Woche beschlossene Initiative zur Stärkung der Berufsbildung ist ein konkreter und wichtiger Beitrag, die Schweiz auf der Erfolgsspur zu halten.

Es reicht aber nicht, wenn wir uns nur auf uns konzentrieren. Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass möglichst überall auf der Welt ein guter Ort ist, auf die Welt zu kommen und zu leben. Das liegt einerseits in unserem Interesse. Denn die Schweiz ist keine Insel und es geht uns besser, wenn es unseren Nachbarn gut geht und die Welt friedlich ist.
Andererseits ist es eine Frage der Verantwortung. Unser Land hat hierbei mehr Gewicht als es ihre Grösse vermuten lässt. Ich stelle das bei meinen Kontakten mit Amtskollegen immer wieder. Unser Erfolg verpflichtet uns, Verantwortung zu übernehmen.

Was prädestiniert die Schweiz, einen Beitrag an eine friedlichere und stabilere Welt zu leisten?

Die Antwort ist einfach: Es ist unser einzigartiges politisches System und unsere politische Kultur. Das Herz dieses Systems ist die liberale Verfassung von 1848. Diese betont die Freiheit des Einzelnen und die Eigenverantwortung, begründet den Föderalismus und bestimmt, dass wichtige Entscheide durch Volk und Stände zu treffen sind. Eine freiheitliche Ordnung, Bürgernähe, eine funktionierende Sozialpartnerschaft, Kompromissbereitschaft und Dialog, Machtteilung und Konkordanz sowie der Respekt von Minderheiten sind die wichtigsten Bestandteile des liberalen Erfolgsmodells Schweiz.

Eigenständige, verantwortungsvolle und fokussierte Aussenpolitik

Die Schweiz hat dank ihrer politischen Kultur viel Erfahrung in Fragen der Machtteilung, der Vermittlung von Verhandlungslösungen und der Förderung des Friedens. Wir können unsere inneren Stärken in der Aussenpolitik anwenden. In vielen aktuellen Konflikten wie im Irak, Libyen oder in der Ukraine geht es um Fragen der Machtteilung. Hier verfügen wir dank unserer Erfahrung in Fragen der Machtteilung über viel Knowhow. Denn es liegt in unseren politischen Genen, den Ausgleich zu suchen. Das in gewissen anderen Ländern vorhandene Demokratieverständnis „the winner takes it all – the looser has to fall“ liegt uns fern.

Die Schweizer Diplomatie hat in Zeiten weltpolitischer Turbulenzen viel zu bieten, was für die internationale Gemeinschaft von Nutzen ist. Ein bisschen mehr Schweizer Tugenden täten der Welt gut. Das ist nicht Sendungsbewusstsein, sondern eine nüchterne Beobachtung des Weltgeschehens.

Schweizer Aussenpolitik ist aber nicht nur nützlich, sondern auch eigenständig. Diese Eigenständigkeit ist vor allem durch die Nichtmitgliedschaft in der EU und durch ihre Neutralität gekennzeichnet. Die eigenständige Positionierung ist anspruchsvoll und herausfordernd. Sie ist aber richtig und eine Chance – für die Schweiz und für die internationale Gemeinschaft.

Denn gerade in Krisenzeiten kann die Schweiz spezifische Beiträge für Konfliktlösungen leisten und kann Brücken zwischen Konfliktparteien bauen. Eigenständigkeit und Neutralität bedeutet darum Übernahme von Verantwortung und Engagement.

Der Bundesrat verfolgt eine eigenständige und verantwortungsvolle Aussenpolitik. Er hat das in seiner aussenpolitischen Strategie 2012-2015 festgehalten und dort auch klare und vor allem richtige strategische Schwerpunkte gesetzt. Hier seien die zwei wichtigsten erwähnt:

- erstens: der Schwerpunkt Europa, der aus offensichtlichen Gründen von zentraler Bedeutung ist;
- zweitens wurde das Thema Sicherheit, Frieden und Stabilität stark gewichtet. Denn Sicherheit – im umfassenden Sinn verstanden – ist ein
zentraler Wert für die Schweiz und für die internationale Gemeinschaft. Ohne Sicherheit kein Wohlstand.

Erneuerung der Beziehungen mit der Europäischen Union

Eine der grössten Herausforderungen für unser Land ist sicherlich die zukünftige Gestaltung unserer Politik gegenüber der Europäischen Union.

Das Stimmvolk hat am 9. Februar dieses Jahres einen Entscheid gefällt, der Auswirkungen auf die Beziehungen mit der EU hat. Das Volk hat uns den Verfassungsauftrag erteilt, die Migration besser zu kontrollieren. Gleichzeitig hat dasselbe Stimmvolk den bilateralen Weg der Schweiz mehrmals bestätigt.

Daraus ergibt sich für den Bundesrat die doppelte strategische Zielsetzung: die Zuwanderung besser steuern und den bilateralen Weg erhalten und stärken.

Wie erreichen wir dieses doppelte Ziel?

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die gegenwärtige Situation von Unsicherheit geprägt ist. Gerade deshalb ist es aber zentral, die Ruhe zu bewahren, ausdauernd zu sein und geeint voranzuschreiten.

Das heisst: der Bundesrat wird schrittweise vorangehen und nichts überstürzen. Wir müssen verschiedene Optionen offen halten und in Szenarien denken.

Klar ist einerseits, dass der am 9. Februar neu eingefügte Verfassungsartikel nicht mit der Personenfreizügigkeit vereinbar ist.
Andererseits ist für den Bundesrat auch klar, dass in den Gesprächen mit der EU die Migrationsfrage ihren Platz hat. Das ist eine Voraussetzung für eine ausgewogene künftige Beziehung.
Die EU hat zwar abgelehnt – was niemanden überrascht –, über die Prinzipien der Freizügigkeit zu verhandeln, aber sie ist bereit über konkrete Umsetzungsprobleme zu diskutieren. Das eröffnet eine Möglichkeit für konstruktive Diskussionen. Wenn diese nichts bringen, dann müssen wir – gemäss dem Verfassungsauftrag – die Kündigung der Personenfreizügigkeit ins Auge fassen.

Soweit sind wir aber noch nicht. ich bin überzeugt, dass es im Interesse beider Parteien ist, nachhaltige Lösungen für die Festigung und Erneuerung des bilateralen Wegs zu finden. Die EU ist nicht nur für die Schweiz von existenzieller Bedeutung. Auch die EU profitiert von der Schweiz. Sie hat einen Handelsüberschuss mit unserem Land und die Schweiz ist ein wirtschaftlicher Stabilitätsanker, insbesondere bezüglich der Beschäftigung; 270‘000 Grenzgänger aus der Union sind ein gewichtiges Argument. Es gibt also auf beiden Seiten gewichtige Interessen, die Brücken in Form der bilateralen Verträge nicht abzubrechen, sondern vielmehr zu verstärken.

Zentral in diesem Dossier ist, dass wir geeint auftreten und verantwortungsvoll agieren. Die von-Wattenwyl-Gespräche von letzter Woche sind in dieser Hinsicht ermutigend. Grossmehrheitlich unterstützen nämlich alle Regierungsparteien den Kurs des Bundesrates. Im Namen des Bundesrates danke ich für das Vertrauen und die verantwortungsvolle Haltung.

Wichtig ist auch, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, dass die Wirtschaft Mitverantwortung übernimmt und dass Politik und Wirtschaft möglichst mit einer Stimme sprechen. Mit der Stimme der Vernunft, welche das liberale Erfolgsmodell Schweiz verteidigt. Die nächste Gelegenheit, bei welcher eine geeinte und starke Stimme von uns allen nötig sein wird, ist die Abstimmung über die Ecopop-Initiative. Die Annahme dieser Initiative würde eine Weiterführung des bilateralen Wegs wohl unmöglich machen und unseren Wohlstand damit akut gefährden.

Ukraine-Krise: Chance und Verantwortung

Unser Wohlstand ist wird nicht nur durch Initiativen wie die Ecopop-Initiative gefährdet. Auch Unsicherheiten in unserem Umfeld können negative wirtschaftliche Auswirkungen haben. Sicherheit und Stabilität sind die Basis für unseren Wohlstand. Darum kann es uns nicht egal sein, was in unserem näheren und weiteren Umfeld geschieht.

Konflikte wie in Syrien, Irak, Libyen oder in der Ukraine illustrieren, dass es richtig war, Sicherheit, Frieden und Stabilität einen zentralen Platz in der aussenpolitischen Strategie einzuräumen. Eine besondere Verantwortung kommt der Schweiz hierbei im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu. Hier haben wir dieses Jahr den Vorsitz inne. Dieser fällt in eine schwierige Zeit. Die Ukraine-Krise prägt seit Beginn des Jahres das Präsidialjahr.

Die Krise in der Ukraine ist eine Tragödie für das Land und die Menschen. Die Zahl der Opfer wächst und die humanitäre Not nimmt zu. Noch vor zwei Jahren war Donezk Austragungsort der Fussballeuropameisterschaft. Heute dominiert Not und Zerstörung die Stadt. Das illustriert: Sicherheit und Freiheit sind nie garantiert. Wir müssen dafür kämpfen.

Für die OSZE bedeutet die Krise eine Zerreisprobe. Der Vertrauensverlust zwischen Ost und West sowie die Erosion der europäischen Sicherheit treffen die OSZE hart. Dennoch ist es der Organisation gelungen, als wichtiger Bestandteil des Krisenmanagements zu etablieren. Dies ist zum einen den Prinzipien der Organisation zu verdanken: Die OSZE setzt auf Dialog, Kompromiss, Kooperation und Ausgleich – eigentlich auf Schweizer Prinzipien. Zum anderen ist die Schweizer Diplomatie darum bemüht, Brücken zu bauen und Vertrauen zu schaffen. Die eigenständige Positionierung der Schweiz ist hierfür eine Chance. Wir teilen die europäischen Werte, sind aber nicht Mitglied in EU und NATO.

Die eigenständige Positionierung erlaubt es uns, eine nützliche Rolle zu spielen und Verantwortung wahrzunehmen.

Grob gesagt verfolgen wir in der Ukrainekrise zwei Ziele:
- wir fördern den Dialog auf allen Ebenen
- wir setzen uns für die Präsenz auf dem Feld ein.

Seit Beginn der Krise fördern wir auf allen Ebenen den Dialog und bringen Ideen ein für die politische Konfliktlösung. Dazu gehören zahlreiche Kontakte mit allen Akteuren, sei es in Kiew, Moskau, Berlin, Washington oder anderswo. Dazu gehört beispielsweise auch die Ende Februar lancierte Idee einer Kontaktgruppe. Aus dieser Idee resultierte im Juni die von Botschafterin Heidi Tagliavini als Vertreterin des OSZE-Vorsitzes moderierte trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine und Russlands.

Das zweite Element des Engagements in der Ukraine ist die Feldpräsenz. Im Vordergrund steht hier die Special Monitoring Mission. Diese bemüht sich um eine objektive Berichterstattung und übernimmt auch Vermittlungsaufgaben war – etwa beim Absturz des Malaysischen Verkehrsflugzeugs im vergangenen Juli. Zudem wurde eine Grenzbeobachtungsmission an der russisch-ukrainischen Grenze errichtet. Diese beiden Feldmissionen – die einzigen neuen Missionen der OSZE seit einem Jahrzehnt – wurden im Konsens der 57 beschlossen. Das zeigt. Konsens ist selbst in dieser schwierigen Situation möglich.

Derzeit stellen wir aber leider eine Verschärfung des Konflikts auf militärischer und auch auf politischer Ebene fest. Die Dialog- und Kompromissbereitschaft nehmen ab.
Genau darum ist es wichtig, die Spielräume für den Dialog offen zu halten und die Chancen für kooperative Lösungen zu erhöhen.

Als Vorsitzland der OSZE werden wird weiterhin auf dieser eigenständigen Linie weiterfahren und uns für eine politische und friedliche Lösung des Konflikts einsetzen.

Wir werden uns aber auch nicht scheuen, Verletzungen von grundlegenden Prinzipien der internationalen Beziehungen beim Namen zu nennen. So hat der Bundesrat die Annexion der Krim durch Russland als völkerrechtswidrig verurteilt.

Wir erleben stürmische Zeiten. Wir sind wirtschaftlich herausgefordert und unsere Beziehungen zu unserem wichtigsten Handelspartner – die EU – stehen auf dem Spiel. Gleichzeitig wüten Kriege an den Rändern Europas, ja gar in Europa. Die Schweiz stellt sich den sich daraus ergebenden Herausforderungen mit einer eigenständigen, verantwortungsvollen und fokussierten Aussenpolitik. Diese Politik ist nützlich für die Welt und dient unseren Werten und Interessen. Das ist der Beitrag der Aussenpolitik zum Erfolgsmodell Schweiz. Damit wir auf der Erfolgsspur bleiben und Zukunftsperspektiven für die kommenden Generationen eröffnen.


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