Seien wir ambitiös!

Winterthur, 16.09.2014 - Rede von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Internationaler Berufsbildungskongress 15.-18.9.2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren

Das Publikum, an das ich mich heute wenden darf, sucht gleich in mehrfacher Hinsicht seinesgleichen: Ihm gehören rund 400 Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedensten Ländern aus Afrika, Amerika, Asien und Europa an. Es ehrt mein Land und seine Regierung, dass Sie in so grosser Zahl aus der ganzen Welt zu uns in die Schweiz gekommen sind. Eine ganz besondere Ehre ist es mir, the Educator and Wife of the Vice President oft the United States of America bei uns zu begrüssen.

Herzlich willkommen, Frau Dr. Jill Biden.

Dass die amerikanische Präsidentschaft mein Land und unseren Kongress mit Ihrer persönlichen Anwesenheit beehrt, Frau Dr. Biden, ist ein Ereignis, auf das ich stolz bin. Und es ist ein Ereignis, das als Highlight in die Geschichte der Schweizer Berufsbildung eingehen wird. Ihr grosses Engagement als Promotorin von Bildung und Berufsbildung, aber auch als lifelong educator, wie Sie sich selbst bezeichnen, soll uns allen Vorbild sein.

Gerne zitiere ich eine Aussage von Ihnen, die sie kürzlich gemacht haben: The students at my school often overcome obstacles to be there: working multiple jobs, raising a family, caring for loved ones. They've made sacrifices in order to go to school, but they're doing it because they want to improve their lives and be able to contribute more to their community. This isn't just happening at my school in Virginia, but all around the world.

Dieser Satz, sehr geehrter Frau Biden, soll uns gleichsam als Motto für unseren Anlass dienen. Als weitere prominente Exponenten der Wirtschaft und der Politik, die uns hier in Winterthur die Ehre erweisen, willkommen heisse ich

  • Guy Ryder, den Generaldirektor der ILO, und
  • Subramaniam Ramadorai, Chairman of National Skill Development Agency, Chairman of National Skill Development Corporation and Vice Chairman Tata Consultancy Services.

Herzlich begrüsse ich auch Simon Bartley, Präsident World Skills International und Leiter einer Delegation, die über 150 Delegierte aus 70 Ländern von World Skills International umfasst, welche uns heute hier in Winterthur besuchen. Schliesslich geht mein Willkommensgruss auch an alle Vertreterinnen und Vertreter unserer Nachbarstaaten und der Länder der Europäischen Union. Ich freue mich sehr, dass wir den Austausch über die Berufsbildung vertiefen können. Natürlich würde ich die Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der Berufsbildung persönlich und namentlich begrüssen. Allein, Sie sind zu zahlreich hier, als dass mir dies möglich wäre. Ich danke Ihnen allen herzlich, dass Sie sich Zeit genommen haben, an unserem Anlass mitzuwirken.

Das Jahr 2014 hat für die Schweizer Berufsbildung eine besondere Bedeutung: Vor zehn Jahren haben wir unser Berufsbildungsgesetz revidiert: Wir haben dabei die Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und den Sozialpartnern gleich in Artikel 1 zum Programm der Berufsbildung erklärt. Weiter haben wir die Durchlässigkeit im Bildungssystem erhöht und neue Angebote geschaffen. Und wir haben klare Verantwortlichkeiten bei der Finanzierung festgelegt. Damit haben wir einen eigentlichen Modernisierungsprozess ausgelöst.

Ich will den Blick aber nicht nur auf mein Land richten. Unser Kongress soll vielmehr dazu beitragen, dass die Berufsbildung weltweit vermehrt diejenige Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. Das ist ein ambitiöses Ziel, ich weiss. Umso mehr setze ich mich dafür ein, es mit Ihrer Unterstützung zu erreichen. Die Förderung und Stärkung der Berufsbildung ist ein Hauptschwerpunkt meiner Politik. National und international.

Diesem Ziel galt und gilt seit jeher mein volles Engagement: In meinen langen Jahren als Unternehmer habe ich mich stets dafür eingesetzt, junge Menschen auszubilden und ihnen damit eine berufliche Perspektive zu geben. Das gleiche Ziel verfolge ich heute auch als Wirtschafts und Bildungsminister der Schweiz.Auch für die Zukunft schreibe ich mir die Sicherstellung des Fachkräftenachwuchses auf diesem Weg ganz oben in mein Pflichtenheft. Sicher haben wir diesbezüglich in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt. Denken Sie, um nur ein Beispiel zu nennen, an die OECD: Vor noch nicht allzu langer Zeit erschien unser Land regelmässig auf den letzten Plätzen ihrer Ranglisten, weil bei uns die gymnasiale Maturitätsabschlussquote nur knapp 20% beträgt. Mittlerweile setzt sich langsam aber sicher die Erkenntnis durch, dass es eine Stärke ist und den Jugendlichen eines Landes zum Vorteil gereicht, wenn die grosse Mehrzahl der jungen Leute eine berufliche Grundbildung absolviert. Das hat in der Schweiz eine lange Tradition, und darauf sind wir stolz.

Das Schweizerische Berufsbildungssystem zeichnet sich durch eine Besonderheit aus, nämlich durch die ausserordentlich enge Verbindung von Arbeitswelt und Schule. Berufsbildung findet also im realen WerkAlltag statt. Drei von vier Firmen in unserem Land bieten Ausbildungsplätze in ihren Unternehmen an.

  • Das ist beispielhaft
  • Das offeriert den jungen Menschen eine Beschäftigung
  • Das hält die Arbeitslosenquote tief

Und:

  • Diese praxisnahe Ausbildung, die sich sehr an den konkreten Bedürfnisse der sich wandelnden Wirtschaft ausrichtet, trägt wesentlich zur Vitalität unseres Landes als Industriestandort bei.

 

Trotzdem müssen wir immer wieder feststellen, dass man die Berufsbildung nach wie vor nur ungenügend oder oberflächlich kennt. Auch in unserem eigenen Land.Kästchendenken und fehlende Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, sind auch in der Welt der Bildung anzutreffen.

Das war mit ein Grund, warum wir uns entschieden haben, die Zuständigkeiten für die Bildung nicht nur in einem einzigen Departement so heissen bei uns die Ministerien zu konzentrieren, sondern sie zusammen mit der Wirtschaft unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen. Erfolg kann die Bildungspolitik nur dann haben, wenn alle Beteiligten auf Augenhöhe miteinander sprechen und kooperieren.

Es sind dies

  • die Kantone
  • die Berufsschulen und Hochschulen,
  • die Organisationen der Arbeitswelt,
  • die Sozialpartner und Unternehmen
  • sowie die Zivilgesellschaft.

Sie alle bestimmen gemeinsam und im Dialog, wie sich unser Schul und Bildungssystem zu entwickeln hat:

  • die allgemeine Bildung,
  • die berufliche Grundbildung,
  • die universitäre Bildung,
  • die höhere Berufsbildung
  • und die Weiterbildung.

Die gemeinsame Devise lautet: Im Innern durchlässig und gegen aussen offen und anschlussfähig. Ein System also von gleichwertigen Komponenten und gleichwertigen Akteuren. Lassen Sie mich dies wie folgt verdeutlichen: Es stimmt, dass Bildung berufliche Fähigkeiten zu vermitteln hat. Es stimmt aber auch, dass Bildung Wissen generieren muss, das nicht unmittelbar beruflich anwendbar ist.Wissen, das es uns erlaubt, neue Fragen zu stellen und neue Zusammenhänge zu erschliessen, die uns weiterbringen. Bildung ist in meinem Verständnis die wache und kenntnisreiche Aneignung von Kultur im weitesten Sinne.

Menschen müssen vermehrt lernen, sich kompetent auszutauschen. Menschen müssen lernen, über die Kulturen miteinander zu leben. Vor allem müssen sie auch lernen, sich in fremden Ländern sicher, eigenverantwortlich und verlässlich bewegen zu können. Dabei werden Kommunikation und interkultureller Dialog immer mehr zu Kernkompetenzen. Bildung soll auch die Fähigkeit vermitteln, Verantwortung zu tragen, und so einen Beitrag zur Gestaltung unserer Gesellschaft leisten.

Industrie und Dienstleistungsgesellschaften brauchen alle diese Fähigkeiten. Das zu anerkennen bedeutet unter anderem, Vorurteile abzubauen, Klischees zu überwinden und nicht einen Bildungsweg gegen den andern auszuspielen: Wer sich als Jugendlicher für den Weg der Berufsbildung entscheidet, verdient dafür genau so unsere Hochachtung wie derjenige, der studieren will. Exzellenz gibt es sehr wohl auch in der Berufsbildung.

Niemand wird Ihnen das besser bestätigen können als Mr. Simon Bartley, der unter uns weilende Präsident von World Skills International. Und genau so fehl am Platze ist es, Studierende generell dem Vorwurf auszusetzen, weltfremd zu sein und sich nicht an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes auszurichten. Wichtig ist, dass es uns gelingt, den richtigen Mix zu finden. Das wiederum bedeutet, dass wir Talente nicht in falsche Bahnen leiten, und dass wir sicherstellen müssen, dass wir sie erkennen.

Das Talent muss vielfältige Möglichkeiten haben, sich ungehindert von sozial, wirtschaftlich, kulturell, geschlechtsspezifisch und politisch bedingten Schwellen zu entfalten. Gefragt sind hier Innovation und Kreativität. Ich meine damit das, was der ManagementTheoretiker John Adair mit den Worten „Thinking outside the box" umschrieb. Dazu zählt unter anderem, dass wir uns vergegenwärtigen, welchen Stellenwert die Arbeit in der heutigen Gesellschaft hat, wie sie auf andere Bereiche unseres Lebens einwirkt und umgekehrt.

Und dazu zählt vor allem auch, dass wir uns der Tatsache bewusst sind und uns konsequent dafür engagieren, dass „alle Menschen die Würde geniessen, die sich aus der Arbeit herleitet", wie dies Präsident Barack Obama vor rund einem Jahr in seiner viel beachteten Rede in Berlin sagte. Damit sind nicht nur die Leistungsstarken gemeint, jeder Mensch bezieht seine Würde aus Arbeit. Oder anders gesagt, wir brauchen nicht nur den hochinnovativen Fachmann oder die hochinnovative Fachfrau. Wir brauchen auch die Leute, die kompetent und engagiert Tätigkeiten ausüben, die nicht nur hohes gesellschaftliches Prestige geniessen. Ich denke da an die zahlreichen Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich, in der Pflege und in der Altenbetreuung. Aufgabe der Leistungsstarken ist es deshalb, sich nicht nur auf Ihre berufliche Performance zu konzentrieren.

Aufgabe ist es auch, sich gesellschaftlich zu engagieren und beispielsweise leistungsschwachen und bildungsfernen Kreisen Perspektiven zu vermitteln, die es ihnen erlauben, sich ins Arbeitsleben einzubringen und die Entwicklung der Gesellschaft aktiv mitzutragen. Dadurch wiederum stärken wir das Vertrauen des Individuums, sein Leben selbst zu gestalten, und wir stärken sein Vertrauen gegenüber Staat und Wirtschaft.

Angesprochen ist dabei vor allem auch die Berufsbildung. Wir müssen zeigen, dass sie sich gleich mehrfach lohnt:

  • Berufsbildung lohnt sich sowohl für die Lernenden als auch für das Unternehmen, das sie ausbildet;
  • Berufsbildung lohnt sich für die Gesellschaft;
  • Sie trägt dazu bei, eine der grössten Gefahren des 21. Jahrhunderts, die massenhafte Jugendarbeitslosigkeit, zu reduzieren und der Jugend Perspektiven zu verschaffen;
  • Berufsbildung lohnt sich für die Volkswirtschaft: Sie orientiert sich an den Bedürfnissen des Marktes und befähigt Unternehmen, flexibel auf den immer schneller und zusehends unvorhersehbar werdenden wirtschaftlichen Wandel zu reagieren.
  • Berufsbildung lohnt sich für die internationale Gemeinschaft.
  • Wenn es uns gelingt, weltweit dafür zu sorgen, die Potenziale der Berufsbildung vermehrt zu aktivieren, dann tragen wir dazu bei, neue transnationale Gemeinsamkeiten zu schaffen und den konstruktiven Austausch von Wissen und praktischer Erfahrung grenzüberschreitend zu vertiefen.

Seien wir ambitiös!

Bekennen wir uns zur Berufsbildung und stärken wir sie: National und international, als zentraler Bestandteil unserer Bildungssysteme, als Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie mein Land, die Schweiz, dabei unterstützen, und dass die Schweiz Ihr Land, Ihr Unternehmen, Ihre Vereinigung und Sie alle bei der Erreichung dieses Zieles unterstützen darf.

Es gilt das gesprochene Wort!


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