Schweizerischer Bankiertag 2014

Bern, 16.09.2014 - Ansprache von Bundesrätin Doris Leuthard, 16. September 2014, Luzern

Sehr geehrter Herr Präsident

Sehr geehrter Herr Direktor

Sehr geehrte Damen und Herren

Die Finanzbranche, allen voran die Bankenbranche, befindet sich im Wandel. Und diesen Wandel braucht es. Weltweit. Eine Immobilienkrise 2007 in den USA hat es geschafft, eine globale Banken- und Finanzkrise, eine Staatsschulden- und Weltwirtschaftskrise auszulösen. Spätestens seit dieser Krise ist klar, welch wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung, aber auch welche Verantwortung die Bankenbranche hat. Heute noch sind die Auswirkungen der Finanzkrise deutlich spürbar. So nimmt die Zahl der Arbeitslosen, v.a. der jungen Arbeitslosen, weltweit zu. Die Zeitungen berichten immer wieder von neuen, teuren Bankenrettungen - v.a. im europäischen Ausland, hoffentlich nie wieder in unserem Land. Und die Staatsschulden der EU-Mitgliedstaaten haben sich von 2007 bis heute um die Hälfte erhöht.

Die Schweiz hat die Finanz- und Wirtschaftskrise vergleichsweise sehr gut überstanden. Die Arbeitslosenquote stieg nur geringfügig an, unsere Schulden konnten wir in den Krisenjahren gar weiter abbauen. Nichtsdestotrotz hat die Finanzkrise auch in der Schweiz und in der Schweizer Bankenbranche ihre Spuren hinterlassen: 

  • Staatliche Bankenrettung: Auch wir mussten eine unserer Vorzeige-Grossbanken im Herbst 2008 durch Stützungsmassnahmen des Bundes und der SNB retten. Unfassbar, damals wie heute - auch wenn der Staat letztlich keinen Schaden erlitten hat.

  • Stagnation statt Wachstum: In den vergangenen 10 Jahren haben die Versicherungen ihren Beitrag zur Wertschöpfung des Schweizer Finanzplatzes mehr als verdoppelt. Derjenige der Banken stagnierte.

  • Strukturwandel: Es gibt in der Schweiz immer weniger Regionalbanken und Sparkassen. Auch immer weniger Börsenbanken.

  • Regulierung: Statt Selbstregulierung gibt es immer mehr nationalstaatliche und internationale Regeln; nationale Regeln z.T. mit extraterritorialer Wirkung (z.B. FATCA).

  • Aufsicht: Die Aufgaben und die hoheitlichen Befugnisse der Finanzmarktaufsicht haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Finanzinstitute werden an einer immer kürzeren Leine gehalten.
  • Reputation: Staatliche Rettungsaktionen, hohe Unternehmensverluste und schwer nachvollziehbare Entschädigungssysteme haben der Reputation der Banken massiv und nachhaltig geschadet.

Es ist mir sehr wichtig, heute hier in Luzern zu sein. Nicht um Vorwürfe zu machen. Nicht um - einmal mehr - die Fehler der Vergangenheit zu diskutieren. Nein, es geht mir um die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz, um die zentralen Leistungen, für welche die Banken zuständig sind, die Arbeitsplätze, welche sie schaffen und ihren Beitrag zum nationalen Bruttoinlandprodukt.

Wandel eröffnet immer auch Chancen. Und diese zu nutzen ist in der aktuellen Situation zwingend. Um den Finanzplatz Schweiz für die Zukunft fit zu machen, müssen die Bankenbranche und die Politik an verschiedenen Fronten arbeiten und insbesondere eine klare Vorstellung entwickeln, wie wir den Schweizer Finanzplatz neu positionieren und wettbewerbsfähig ausgestalten. Lassen Sie mich auf einige zentrale Elemente näher eingehen:

1. Das Vertrauen ist meiner Meinung nach am Wichtigsten. Dieses kann nur wieder hergestellt werden, wenn es den Banken gelingt, ein Wertesystem und eine Unternehmenskultur zu entwickeln, die auf Integrität und nachhaltigem Erfolg basieren. Die Schweizerische Bankiervereinigung hält auf ihrer Homepage fest: „Die Schweizer Banken legen hohe Massstäbe an ihr eigenes Verhalten gegenüber ihren Kunden, der Gesellschaft, ihren Mitarbeitenden und ihrer Umwelt an. Sie geben sich verbindliche Regeln, mit denen sie ihr tägliches Handeln laufend bewerten, überprüfen und verbessern." Ja, das scheint mir der richtige Weg zu sein. Manipulationsskandale, Spekulationsskandale und immer wieder fragwürdige Boni-Ausschüttungen sind Gift in diesem Prozess. Zwischenzeitliche Erfolge können auf einen Schlag wieder zunichte gemacht werden.

2. Nachhaltiger Erfolg setzt Exzellenz bei der Dienstleistungserbringung voraus. Qualitätsbewusstsein, Kundenorientierung, Professionalität und Innovation haben die Schweizer Banken in der Vergangenheit ausgezeichnet. Das heisst Produkte transparent platzieren, Beratung seriös betreiben, Anlagen gemäss Versprechen tätigen. In Zukunft wird dies noch wichtiger sein. Dazu gehören auch solide Risiko-Kontrollsysteme. Horst Köhler, der ehemalige Präsident der Bundesrepublik Deutschland, hat einmal gesagt: „Kapitalismus heisst nicht nur Rendite einfahren, sondern vor allem mit Risiko umgehen können." Er hat Recht!

3. Exzellente Dienstleistungen können nur gut ausgebildete Mitarbeitende erbringen. Die Schweiz profitiert hier von ihrer hohen Bildungsqualität. Die Banken im Speziellen haben den Vorteil, dass sie interessante Jobs und Karrieren zu guten Löhnen anbieten können, was gerade auch für Naturwissenschaftler attraktiv ist. Gleichwohl gilt für die Banken dasselbe wie für viele andere Branchen auch: Nicht alle Mitarbeitenden können im Inland rekrutiert werden. Klammerbemerkung: Versuchen Sie es wenigstens! Die Schweiz ist und bleibt auch in Zukunft auf den Zugang zu qualifizierten ausländischen Arbeitskräften angewiesen. Der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative kommt vor diesem Hintergrund eine ganz besondere Bedeutung zu.

4. Für die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft mit bedeutendem, internationalem Finanzsektor sind offene Märkte und ein möglichst ungehinderter Marktzugang unabdingbar. Aus Sicht des Bundesrates stehen derzeit v.a. die Nachbarstaaten und die EU im Vordergrund, in denen klar protektionistische Tendenzen festzustellen sind. Diese sind bedauerlich, halten den Bundesrat aber nicht davon ab, Lösungen zu suchen. Wir tun, was wir können.

5. Die Steuern bzw. der Informationsaustausch stehen derzeit im Fokus der politischen Aufmerksamkeit sowie der internationalen Entwicklungen. Aus Sicht des Bundesrates ist klar, dass der automatische Informationsaustausch (AIA) in naher Zukunft der internationale Standard werden wird. Deshalb werden momentan Mandatsentwürfe zur Verhandlung des AIA mit Partnerstaaten, v.a. EU-Staaten und den USA, bei den zuständigen Parlamentskommissionen sowie den Kantonen konsultiert. Die Verabschiedung der definitiven Mandate ist im Oktober dieses Jahres geplant. Die Schweiz läge damit gut im internationalen Fahrplan, ohne allerdings vorzupreschen. Sie können sicher sein: Der Bundesrat ist sich der beträchtlichen Implementierungskosten für die Banken bewusst. Umso wichtiger erscheint mir, dass die Behörden und der Finanzsektor bei der Einführung des AIA eng zusammenarbeiten - sowohl untereinander, als auch mit den Partnerstaaten.

6. Mit den wichtigsten Partnerländern müssen die Probleme der Vergangenheit mit unversteuerten Geldern so schnell wie möglich bereinigt werden. Der Finanzsektor und die Behörden müssen auch hier am gleichen Strick ziehen und ihren Beitrag leisten.

7. Regulierung mag aus Sicht der Wirtschaft ein Unwort sein. Gewisse Gesetzesprojekte allerdings sind zentral, um die Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. So fördern die „Too Big To Fail"-Vorlage sowie die Umsetzung von Basel III die Stabilität und damit die Krisenresistenz der Banken. Das Finanzdienstleistungsgesetz wiederum nimmt berechtigte Konsumentenschutzinteressen auf und sorgt für mehr Transparenz beim Produktangebot. Die Umsetzung der revidierten GAFI-Empfehlungen schliesslich ist zentral, damit die Schweiz bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität nicht ins Hintertreffen und damit erneut ins Visier der OECD gerät.

Regulierung wird nicht der Regulierung Willen vorangetrieben. Es ist deshalb wichtig, dass sich Bundesrat, Parlament und Verwaltung bei ihrer Tätigkeit an gewisse Grundprinzipien halten:

  • Die Kosten und Nutzen jeder Regulierung sind abzuwägen.
  • Selbstregulierung ist der staatlichen Regulierung vorzuziehen, wenn sie funktioniert. (aktueller Versuch: Hypothekarfinanzierung)
  • Ein „Swiss Finish" ist nur dann anzustreben, wenn dieser sinnvoll oder aus Sicht des Finanzplatzes notwendig ist.
  • Die Betroffenen sind in die Arbeiten einzubeziehen - wobei es nicht Aufgabe des Staates ist, Industriepolitik zu betreiben.

8. Um all diese Herausforderungen meistern zu können, benötigt die Schweiz, benötigt die Bankenbranche einen starken Verband. Die Schweizerische Bankiervereinigung hat die berechtigten Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Hartnäckigkeit gehört dabei genauso dazu wie Diskussions- und Kompromissbereitschaft sowie Transparenz beim gegenseitigen Austausch.

Aus meiner Sicht muss es der Bankiervereinigung in Zukunft wieder besser gelingen, die internen Grabenkämpfe intern zu bewältigen. Meinungsverschiedenheiten, die ausserhalb des Verbandes ausgetragen und entsprechend wahrgenommen werden (auch vom Bundesrat!), schwächen die Position ihres Verbandes. Ihr Präsident kann unter diesen Umständen kaum mehr nach aussen auftreten. Das hilft niemandem. Entsprechend wünsche ich mir von der Bankiervereinigung und der Schweizer Bankenbranche in Zukunft wieder mehr Verständnis für- und untereinander. Vergessen Sie nicht: Die Schweiz braucht alle Banken - die Grossbanken, die Kantonalbanken, die Privatbanken, die Raiffeisenbanken, die Auslandsbanken und die Regionalbanken. Heterogenität ist gut, denn sie bringt Stabilität.

Ich erwarte von Ihnen - in den grossen Linien, nicht in den Details:

  • eine gemeinsame, klare Vorstellung vom zukünftigen Bankenplatz Schweiz,
  • konkrete, taugliche Vorschläge und Konzepte zur Lösung bestehender und zukünftiger Probleme (wo bleibt beispielsweise das Nachfolgemodell der Abgeltungssteuer?),
  • dass Sie die Zukunft - die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz - aktiv mitgestalten.

Mit seinen derzeit 283 Banken, die rund 6% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in der Schweiz erwirtschaften, ist und bleibt der Bankenplatz sehr wichtig für unser Land.

Mit über 100‘000 Vollzeitstellen trägt er massgeblich zum Wohlstand der Schweiz bei.

Wir sind weltweit führend bei der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung - mit einem Marktanteil von etwa 25%.

Nachhaltige Finanzierung, grüne Kredite, usw. nehmen an Bedeutung zu. Ab 2020 soll etwa der Topf für die Klimafinanzierung von 100 Milliarden Dollar bereitgestellt werden. Eine Chance für die Schweiz, die hier schon gut positioniert ist (Genf).

Dem Bundesrat ist es ein wichtiges Anliegen, dass der Finanzplatz Schweiz auch in Zukunft zu den wichtigsten und besten Finanzplätzen der Welt gehört. Dies gelingt,

  • wenn die Banken ihre Hausaufgaben weiterhin machen,
  • wenn Politik und Behörden die richtigen Lehren aus der Finanzkrise ziehen und in der Umsetzung bei der Regulierung Mass halten,
  • wenn internationale Standards proaktiv mitgestaltet, nicht immer reaktiv übernommen werden,
  • wenn wir alle zusammen Sorge tragen zu den zentralen Standortfaktoren unseres Landes - der politischen und wirtschaftlichen Stabilität, der Rechtssicherheit, dem soliden Schweizer Franken.

Leicht wird das sicher nicht. Aber unsere Ausgangslage ist gut, denn wir verfügen über innovative, dynamische Firmen, über gut ausgebildete, engagierte Mitarbeitende und über vorteilhafte wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen. Deshalb bin ich überzeugt: Wir schaffen das. Mit etwas Mut und Zuversicht. Mit dem Willen zum Gestalten. Mit dem Blick nach vorne. Gemeinsam.       


Adresse für Rückfragen

Kommunikation UVEK, Tel. +41 58 462 55 11


Herausgeber

Generalsekretariat UVEK
https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home.html

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-54483.html