«Zeit verantwortungsvoll und kreativ geniessen ist die wahre Kunst»

Basel, 19.03.2015 - Rede von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF zur Eröffnung der «Baselworld 2015»

Meine Damen und Herren,
Geschätztes Publikum,
Liebe Uhrenfreunde,
Liebe Zeitgenossen,     

« Die Zeit ist die grosse Kunst des Menschen ». Dies schrieb kein anderer als Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen 1807 an seinem Bruder Joseph, König von Neapel.

Tatsächlich, Zeitbewusstsein ist eine sehr menschliche Eigenschaft. Natürlich: auch Tiere wissen wann es Tag oder Nacht ist, oder wenn es wieder Frühling wird, und es Zeit ist die Winterquartiere zu verlassen.

Aber nur der Mensch zählt die Zeit zusammen. Er zählte zuerst die Tage, die Wochen, die Jahre. Immer im Bewusstsein der Regelmässigkeiten die ihn umgaben und seiner eigenen Endlichkeit. Er lernte Zeit am Himmel zu erkennen. Er eignete sich die Kunst an, die Positionen von Himmelskörpern voraus zu kalkulieren. Er machte sich die Zeit zu Eigen.

Der Drang, die Zeit immer enger Einzuschnüren und zu berechnen, zu zähmen und zu domestizieren, wurde immer grösser. Die Sonnenuhr war noch eng mit der Natur verbunden. Mit der Wasseruhr wurde die Zeit aus dem Naturgeschehen herausgelöst. Zeit bekam zum ersten Mal ihren eigenen Rhythmus. Das Tropfen wurde dann viele Jahrhunderte später zum mechanischen Ticken. Und damit bekam auch die Wirtschaft und die Industrialisierung ihren eigenen Herzschlag.

Und dann war es auch bis Baselworld nicht mehr sehr weit. Denn Dank der Uhr wussten wir ja alle wann wir hier zu sein hatten.

Mit der Erfindung der mechanischen Uhren wurde Zeit,  im wahrsten Sinne des Wortes zur Kunst des Menschen. Eine Kunst die auf immer höhere Spitzen getrieben wird. In der Präzision, im technologischen Erfindergeist und in immer neuen ästhetischen Formen. In der Schweiz entwickelte sich eine einzigartig starke Industrie,  die heute über 500 Unternehmen zählt und in der mehr als 50‘000 Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen. Das ist genau das, wofür ich Politik mache.

Als Wirtschafts-, Forschungs-, Innovations- und Arbeitsminister bin ich natürlich stolz, dass die Schweiz eines der wichtigsten Zentren dieser Kunst ist und dass Baselworld dies, - jedes Jahr- , mit gebührender Feierlichkeit zelebriert. An alle die dies möglich machen: danke und bravo!

Zurück zu Napoleon. Wenn man sein Zitat im Original liest, ist es sehr ernüchternd festzustellen, dass er nicht die besondere Beziehung zwischen Zeit und menschlichem Geist ins Auge fasst. Wörtlich heisst es:

„Mais de quoi parle M. Roederer, -  de caisse d'amortissement ? Il est bien question de ces babioles ! il est question de payer l'armée. (...) Ne faites point d'Ordres ; ne fondez aucun établissement de crédit : tout cela sont des opérations de paix, tout cela doit venir avec elle, et cette paix arrivera. Le moyen de faire entendre à des hommes de l'imagination de M. Roederer (est) que le temps est le grand art de l'homme, que ce qui doit être fait en 1810 ne peut être fait en 1807 ! »

Schroff befiehlt also Napoleon seinem Bruder und seinem Finanzminister Roederer, sich nicht um die wirtschaftliche und finanzielle Gesundheit seines Königreiches zu kümmern, sondern dafür zu sorgen, dass seine Soldaten bezahlt werden! Nur dann dürfen sie Banken gründen. Napoleon ging es also nicht darum, Kreativ mit der Zeit umzugehen! Seine grosse Kunst war es, auf Pump und Risiko zu leben! Denn er schreibt weiter:

„La fibre gauloise ne s'accoutume pas à ce grand calcul du temps; c'est cependant par cette seule considération que j'ai réussi tout ce que j'ai fait. »

 

Wenn man bedenkt wohin dieses Kalkül Napoleon noch führen wird: - nach Moskau, zur Berezina, nach Waterloo - dann sieht unser schönes Zitat plötzlich weniger erleuchtend aus.

Meine Damen und Herren,

Jeder der in der Wirtschaft tätig ist, weiss, dass das Risiko zum Geschäft gehört. Risiko berechnen ist eigentlich das A und O des Unternehmers.

Heute steigen die Risiken für die Wirtschaft wieder. Abwiegen ist schwieriger geworden. Die Stichworte lauten: Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung zur Zuwanderung, Frankenstärke, ein unsicheres internationales Wirtschaftsumfeld, Ukrainekrise.

Gerade deshalb müssen sich Politik und Wirtschaft verantwortungsvoll verhalten. Das schulden wir unseren Mittarbeiterinnen und Mitarbeitern, Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

Wir können die Lage meistern. Aber nur wenn wir uns auf unsere Tugenden besinnen. Den grossen Wurf gibt es nicht. Wir müssen mit vielen Projekten und Massnahmen die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft verbessern. Nur beharrliches Arbeiten erlaubt uns, dies auch zu erreichen. Wie man so schön auf Französisch sagt: „Ce sont les petits ruisseaux qui font les grandes rivières."

Der starke Franken ist nicht von heute. Er hat uns schon in der Vergangenheit gezwungen, besser zu sein als die Konkurrenz. Nur so konnten Schweizer Preise gerechtfertigt werden. Der Forschungs- und Werkplatz Schweiz bietet immer noch die besten Voraussetzungen um dies zu erreichen.

  • Dank des dualen Bildungssystems, - mit seinen Hochschulen uns seiner Berufsbildung -, haben sie die besten Mitarbeiter und die beste Forschung.
  • Dank dem liberalen Arbeitsmarkt bleibt unsere Wirtschaft agil und flexibel.
  • Dank der Sozialpartnerschaft wird dafür gesorgt, dass Probleme einvernehmlich geregelt werden und niemand auf der Strecke bleibt.

In der Uhrenindustrie, - die in den siebziger und achtziger Jahre eine der schlimmsten Krisen der modernen Schweiz durchgemacht hat -, weiss man das besser als anderswo. Viele dachten damals dass sie sich nie wieder erholen würde.

Heute, über 30 Jahre danach, präsentiert sie sich wieder einmal voller Stolz, hier in Baselworld, Und dafür sage ich nochmals: Bravo!

Zum Schluss, ein letzter Bogen zu Napoleon und seiner Äusserung. „Le temps est le grand art de l'homme - Die Zeit ist die grosse Kunst des Menschen". Auch wenn diese Rede es ein wenig entzaubert hat, bleibt dieses Zitat, gerade wegen Napoleons Schicksal, sehr lehrreich. Denn Zeit verantwortungsvoll und kreativ zu nutzen und zu geniessen ist wirklich eine grosse Kunst. Jeder der sich dies zum Vorsatz macht erreicht etwas Grösse. Ganz ohne napoleonischen Wahn. In diesen unruhigen Zeiten, wünsche ich also allen noch mehr Kunstfertigkeit im Umgang mit der Uhr und der Zeit.

Ich danke ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Es gilt das gesprochene Wort - Le texte prononcé fait foi.


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