Engagement mit Ausrufezeichen

Bern, 02.09.2015 - Rede von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Tag der Wirtschaft Basel „Unternehmer in die Politik“ St. Jakobshalle Münchenstein, 2. September 2015

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Einladung. Es ist mir eine grosse Freude, heute am „Tag der Wirtschaft" zu sprechen.
Erst recht vor einer solch beeindruckenden Kulisse.

Als Berner sollte ich bei Fussball-Vergleichen momentan zwar etwas zurückhaltend sein, aber einen Spruch kann ich mir nicht verkneifen:
Das ist Champions League!

Und jetzt wechsle ich besser schnell zum Manuskript...

Sehr geehrte Damen und Herren

Die St. Jakobshalle ist heute Abend das Zentrum der Schweizer Wirtschaft, und deshalb bin ich als Ihr Wirtschaftsminister auch genau am richtigen Ort. Auch das diesjährige Thema ist gut gewählt. Nicht nur für mich persönlich wohlverstanden, sondern für jeden, dem das Wohlergehen unseres Landes am Herzen liegt. „Unternehmer in die Politik" also. Sie setzen kein Fragezeichen hinter den Titel. Das gefällt mir gut... Sie setzen aber auch kein Ausrufezeichen. Nun, das tue ich gerne. Und ich rufe Ihnen zu: Unternehmer/innen, geht in die Politik!

Wieso? Sie kennen das berühmte französische Sprichwort: „Les absents ont toujours tort." Wer sich nicht einmischt, der wird nicht gehört. Es ist also ganz im Interesse der Wirtschaft, sich einzubringen. Über Verbands- und Interessensvertreter. Aber auch als persönliche Akteure. Als Unternehmerinnen und Unternehmer, die aus ihrer täglichen Arbeit wissen, was es braucht, um am Markt zu bestehen. Die wissen, was nötig ist, damit sie auch in schwierigen Zeiten die Arbeitsplätze erhalten können.  

Das ist es doch, was uns alle in diesem Saal antreibt. Weit über das Gewinnstreben hinaus. Sie und ich: Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz in unserem Land, jeder für sich - aber vor allem: wir gemeinsam. Ich bin überzeugt: Es profitieren alle, wenn sich die Wirtschaft wieder stärker politisch einbringt. Das wäre auf gut Deutsch eine „win-win-win-Situation". Gewinnen würde zuerst die Politik, die von Ihren Erfahrungen profitieren könnte. Sie würde zum Beispiel sehen können, welche unmittelbaren negativen Auswirkungen selbst gutgemeinte Interventionen auf den unternehmerischen Alltag haben.

Gut gemeint ist eben häufig das Gegenteil von gut gemacht. (Ihnen allen nützt diese Einsicht allein allerdings wenig, wenn Sie still über komplizierte Formulare fluchen.) Sich einzubringen, ist aber zweitens auch ein Gewinn für Sie, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft.

Weil Ihre legitimen Interessen besser gehört werden. Denn es nützt Ihnen auch nichts, wenn Sie sich über die Formulare beugen und still über die Politik fluchen... Gewinner wäre schliesslich drittens - und das ist entscheidend - unser ganzes Land, seine Bürgerinnen und Bürger. Wenn mehr Know-how aus der Praxis in die Politikgestaltung einfliesst; wenn das Vertrauen in Wirtschaft und Politik wieder erarbeitet werden kann und damit auch der reflexartige Griff zu Einschränkungen und Verboten nachlässt - dann werden bessere wirtschaftspolitische Entscheide gefällt.

Die Arbeitsplätze werden damit sicherer. Wohlstand und soziale Sicherheit in unserem Land wachsen. Und nicht zuletzt wird vielleicht endlich jeder Franken zweimal umgedreht, bevor er ausgegeben wird. Wie das in der Wirtschaft seit jeher der Fall ist. Wie mir zu Ohren gekommen ist, ist das Thema Sparen im Baselbiet ein heisses. Auch in Bundesbern ziehen wir die Bremse - endlich - an. Es ist mir natürlich klar, dass es für Sie nicht einfach ist, sich auch noch politisch zu engagieren. Ich machte diesen Spagat selber über Jahre mit. Das Engagement für Ihren Betrieb ist Ihre wichtigste Aufgabe, und das verdient allerhöchste Anerkennung. Danke!

Ihr Job ist seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses  noch herausfordernder geworden. Vor wenigen Tagen hat das SECO die Zahlen zur Konjunkturentwicklung im zweiten Quartal veröffentlich: Das Schweizer BIP wuchs von April bis Juni minim - um 0,2% - nachdem es im ersten Quartal um den gleichen Prozentsatz zurückgegangen war.

Die Frankenstärke hat die Schweizer Wirtschaft stark eingebremst. Es ist weiterhin nicht die Rede von einer schweren Rezession, und
die Situation hat sich in den letzten Monaten immerhin nicht verschlechtert. Aber die Wirtschaftsentwicklung stagnierte im ersten Halbjahr. Die Herausforderungen bleiben gewaltig. Nicht für alle Branchen, nicht für alle Firmen, nicht in jeder Region. Doch je stärker ein Unternehmen dem Wechselkurs ausgesetzt ist, desto stärker steht es unter Druck. Das erinnert an die Situation von 2012, als ich das letzte Mal bei Ihnen am „Tag der Wirtschaft" war.

Industrie, Detailhandel und Tourismus haben eine schwierige Zeit hinter sich, einige Firmen mussten Mitarbeitende entlassen, weitere werden wohl leider folgen. Für die exponierten Branchen bleibt die Situation angespannt. Das gilt besonders für eine Grenzregion wie die Ihrige - Einkaufstourismus ist das Reizwort.

Mit grosser Genugtuung stelle ich aber auch heute fest, dass nicht gejammert wird. Sie und ihre Mitarbeitenden kämpfen, Sie packen die Herausforderung an. Vor diesem Spirit habe ich grössten Respekt.

Er kam auch zum Ausdruck, als ich wenige Tage nach dem SNB-Entscheid im Januar rund um die Muba-Eröffnung regionale KMU-Vertreter getroffen habe, durch die Vermittlung Ihrer Wirtschaftskammer. Das Treffen belegte eindrücklich, wie wertvoll die enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik ist. Einige Ihrer Wünsche konnten wir direkt umsetzen. So habe ich wenige Tage nach der SNB-Ankündigung die Kurzarbeit für Firmen freigegeben, die von der Frankenstärke durchgeschüttelt werden. Und wir haben die Förderung der Kommission für Technologie und Innovation verstärkt. Weiter hatten Sie Forderungen betreffend  Abbau von Bürokratie und Kosten, die Sicherung des Bilateralen Weges und der Ausbau der Freihandelsabkommen. Ich komme darauf noch zu sprechen.

Droht eine Rezession, wird die Politik hyperaktiv. Dann laufen in Bern die Drähte heiss, die Forderungen überschlagen sich, und es wird resolut gehandelt - nicht immer mit guten Resultaten.

Herrscht hingegen eine Situation wie heute,

  • mit widersprüchlichen Signalen
    aus der Wirtschaft.
  • mit stark gedämpften Wachstumsaussichten,
    aber ohne tiefrote Zahlen,
  • und mit einem - Gott sei Dank - nur geringem Anstieg der Arbeitslosigkeit:

Dann droht die politische Schweiz sofort wieder in die Sorglosigkeit zu verfallen. Dann wird das Thema „Standortqualität" rasch wieder in die Schublade versorgt. Dann werden mühselige, aber notwendige Daueraufgaben wie der Bürokratieabbau dankbar weggelächelt. Geschätzte Unternehmerinnen und Unternehmer, liebe Politikerinnen und Politiker: Das müssen wir alle gemeinsam verhindern!

Wie? Die Schweiz braucht einen Reformschub.

Blicken wir kurz zurück: Die 1990er Jahre werden für die Schweiz als „verlorenes Jahrzehnt" bezeichnet. Nicht zu Unrecht: Die Wachstumsrate sackte ab - wir wurden als Zweitletzte fast zum OECD-Schlusslicht, und die Arbeitslosigkeit stieg auf 5%.

Weshalb?
Natürlich lassen sich volkswirtschaftliche Entwicklungen nicht auf eine Handvoll Gründe reduzieren. Aber ganz zentral für den Ausweg aus der strukturellen wirtschaftlichen Sackgasse waren

  • erstens die wirtschaftliche Öffnung des europäischen Marktes (und damit auch seine noch bessere Erschliessung) mit den Bilateralen I
    im Jahr 2002.
  • und zweitens eine innenpolitische Dynamik zur Stärkung unserer Erfolgsfaktoren, deren wichtigstes Projekt für mich die Schuldenbremse war.

Geschätzte Unternehmerinnen und Unternehmer

Ich male nie schwarz, und von einem verlorenen kommenden Jahrzehnt würde ich nie reden. Aber dürfen wir uns mit Stillstand zufrieden geben? Reicht es, die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte zu verwalten? Ist es vorausschauend, wenn man selbstzufrieden meint, die Schweiz hätte Erfolg, Arbeitsplätze und Wohlstand auch zukünftig garantiert?

Die Antwort versteht sich von selbst: nein. Deshalb wäre es fahrlässig, Reformen zu verschieben, bis die grosse Krise da ist. Die Reformen jetzt anpacken heisst zunächst ganz bescheiden, drei aus meiner Sicht entscheidende Schweizer Trümpfe zu pflegen und weiterzuentwickeln - statt sie zu schwächen. Ich spreche vom Erfolgsdreieck liberaler Arbeitsmarkt - Sozialpartnerschaft - duales Bildungssystem. Der liberale Arbeitsmarkt erlaubt es Ihnen als Unternehmen, mit dem Markt zu atmen, zu investieren, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie werden nicht wie einige Kilometer weiter westlich mit Auflagen so stark gefesselt, dass Sie gar nicht mehr das Risiko eingehen können, dauerhafte Arbeitsverträge auszustellen - genau das ist in Frankreich passiert.

Es muss uns weiterhin gelingen, das Arbeitsgesetz modern zu halten. So haben wir zum Beispiel eine Fremdenverkehrs-Verordnung angepasst und damit nach jahrelanger Unklarheit Outlets wie dem „Foxtown" im Tessin Rechtssicherheit verschafft und hunderte Arbeitsplätze gesichert.

Zweiter Pfeiler: die Sozialpartnerschaft. Solange Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Lage sind, ihr Verhältnis vertraglich zu regeln, solange braucht es keine starren staatlichen Regelungen. Schauen Sie nur auf die Arbeitszeiterfassung. Unter meiner Vermittlung haben sich die Spitzen der Sozialpartner im Frühsommer darauf geeinigt, eine veraltete Regelung an die heutigen, flexibleren Verhältnisse anzupassen. Übrigens nicht mit GAV-Pflicht, wie immer wieder falsch geschrieben wird. An dieser Kultur des Dialogs müssen wir auch in Zukunft festhalten. Ich danke Ihnen allen, die Sie dazu beitragen.

Dritter Pfeiler ist unser einzigartiges duales Bildungssystem mit der Berufsbildung. Lassen Sie mich dazu eine Anekdote erzählen. An der Weltbank-Tagung im vergangenen Herbst sagte deren Präsident Kim: Es gibt zwei Länder, die dank der Berufsbildung eine aussergewöhnlich tiefe Jugendarbeitslosigkeit kennen - Deutschland und die Schweiz. Da ist die Brust des Schweizer Bildungsministers natürlich stolzgeschwellt. Nur einen Schönheitsfehler hatte das Ganze: Kim hätte die Schweiz vor Deutschland nennen müssen...

Stolz sein auf solches Lob dürfen aber vor allem Sie als Arbeitgeber, ohne deren freiwilliges Engagement dieser Erfolg nicht möglich wäre. Wir sind bei der Bildung tatsächlich ganz vorne - und tun viel dafür, dass dies so bleibt. So hat der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Stärkung der höheren Berufsbildung beschlossen, das nun bald im Parlament beraten wird. Und die akademische Bildung entwickeln wir laufend mit unseren Partnern, den Kantonen, weiter - seit anfangs Jahr in der neuen Struktur der Schweizerischen Hochschulkonferenz.  

In diesen drei Bereichen kommen wir gut voran, auch wenn am liberalen Arbeitsmarkt gerne herumgedoktert wird... Andere Felder machen mir hingegen deutlich mehr Sorgen. Allen voran die steigende administrative Belastung. 140 Seiten neue Gesetze, Verordnungen, Vorschriften und Weisungen werden allein beim Bund produziert. Pro Woche. 140 Seiten! Um das zu ändern, braucht es keine schönen Worte, gefragt sind ein Mentalitätswandel und konkrete Taten.

Ein Beispiel in einem Ihnen wohl weniger nahe liegenden Feld: Ich habe unter anderen mein Bundesamt für Landwirtschaft angewiesen, alle Verordnungen auf unnötige Vorschriften zu durchforsten. Kurz darauf erhielt ich eine Liste mit hundert Verbesserungen. Die ersten können wir auf 2016 umsetzen. Das muss Nachahmer finden! Und auch wenn die Dokumentationspflicht für mobile Hühnerställe wegfällt: Das Federvieh wird sein Dach über dem Kopf auch zukünftig finden. Mit den bürokratischen Sündenfällen ist es aber ein bisschen wie mit den Hühnern: Will man sie packen, stieben alle aufgeregt davon und machen sich aus dem Staub.

Oder ernsthafter gesagt: Die administrative Entlastung ist eine beschwerliche Aufgabe. Aber es ist kein Kampf gegen Windmühlen. Denn jede unnötige Vorschrift, jedes komplizierte Formular, jede absurde Einschränkung bereitet Ihnen Aufwand und verursacht Kosten. Und das ist nun wirklich das letzte, was das Hochkostenland Schweiz braucht.

Der Bundesrat hat heute einen Bericht zur administrativen Entlastung verabschiedet. Er kommt zum Schluss: Viele Massnahmen wurden in den vergangenen Jahren umgesetzt. Aber es besteht noch viel Potenzial. Das kann ich auch persönlich nur bekräftigen, und hinzufügen: Wenn wir schneller neu regulieren, als wir die bürokratischen Sünden der Vergangenheit wieder aus der Welt schaffen können, dann bleiben wir stehen.

Reformwille heisst also auch Mut, Freiräume zu lassen. Und neue Lücken zu schaffen. Damit die Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden ihre Energie dafür einsetzen können, innovative und erfolgreiche Produkte zu entwickeln und diese in aller Welt zu verkaufen. Damit die Jobs auch zukünftig in Muttenz oder Liestal entstehen - und nicht in Polen oder Singapur. Übrigens habe ich die Kommission für Technologie und Innovation, die KTI, angewiesen, exportorientierten KMU den sogenannten „Cash-Beitrag" zu erlassen, und ein entsprechender Nachtragskredit ist dem Parlament beantragt. Das bedeutet, dass gerade kleinere Betriebe mithilfe von KTI-Projekten die Innovation in den nächsten Monaten vorantreiben können - auch wenn die Kassen knapp sind. Nutzen Sie die KTI-Unterstützung!

Ein wesentlicher Grund für das „verlorene Jahrzehnt" in den 1990er Jahren war also der erlahmte innenpolitische Wille, die Schweiz fit zu halten. Der andere Grund, wie schon angepocht, war die fehlende aussenpolitische Perspektive. Genauer: Eine fehlende Perspektive für unser Verhältnis mit der europäischen Nachbarschaft. In diesem Saal brauche ich über die Vorteile, die uns der bilaterale Weg in den vergangenen Jahren verschafft hat, nicht zu reden. Er ist und bleibt der Königsweg, weil er wirtschaftliche Verknüpfung mit der grösstmöglichen politischen Unabhängigkeit verbindet. Machen wir also nicht den grossen Fehler, uns europapolitisch mehr als zwanzig Jahre zurückwerfen lassen.

Seit dem 9. Februar 2014 ist dieser Erfolgsweg in Frage gestellt. Der Bundesrat will ihn fortführen - und gleichzeitig selbstverständlich den Volkswillen zur Beschränkung und stärkeren Steuerung der Zuwanderung umsetzen.

Das ist tatsächlich die Quadratur des Kreises. Vielleicht führt eine Schutzklausel zum Erfolg. Das wissen wir heute noch nicht. Heute sage ich Ihnen aber klipp und klar: Der Bundesrat kämpft für den Bilateralen Weg, und wir müssen und werden eine Lösung finden.

Ich komme zum Schluss. Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer sind gefordert - und wir in der Politik.

Die Herausforderungen sind gross: Das Verhältnis zu Europa, die Frankenstärke, die wachsende Konkurrenz in aller Welt und der Druck auf die Standort-Qualität hier in der Schweiz. Wir meistern die grosse Herausforderung, wenn wir bereit sind um den Erfolg zu kämpfen. Das gilt für Sie in Ihren Unternehmen, und das gilt für uns alle in der Politik.

Wir müssen das bilaterale Verhältnis mit Europa sichern und mit Freihandelsabkommen neue Märkte erschliessen. Und wir müssen die Reformen anpacken, um den Standort Schweiz fit für das kommende Jahrzehnt zu machen. Ich lade Sie alle herzlich ein, uns dabei in der Politik zu unterstützen. Für eine liberale Politik, die dazu beiträgt, dass Jede und Jeder in unserem Land einen Job hat. Und damit eine Perspektive.

Meine Tür steht Ihnen immer offen. 

Herzlichen Dank!


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