Politische Handlungsoptionen für die Schweiz

Zürich, 28.09.2007 - Bundesrätin Doris Leuthard | Klimasymposium der ETHZ

Sehr geehrter Herr Präsident Eichler,
sehr geehrte Damen und Herren aus Forschung, Politik und Wirtschaft,
meine verehrten Damen und Herren.

Kiribati ist eine kleine Insel im Südpazifik mit 105 000 Einwohnern. Vor sieben Jahren hat die Weltbank festgestellt, dass kaum ein Land dieser Erde so arm und keines so sehr durch den Klimawandel gefährdet ist wie Kiribati. Der Anteil der Inselgruppe am weltweiten CO2 Ausstoss liegt im Nullkommanull-Bereich. Sie muss jedoch 100 Prozent der Folgen des Klimawandels verkraften. Selbst wenn ab sofort kein einziges Gramm CO2 mehr ausgestossen würde, käme die Trendwende für diese Insel im Südpazifik zu spät. Kiribati wird in wenigen Jahren vom steigenden Meer verschlungen werden.

Und auch in der Schweiz sind wir nicht verschont: Murgänge in den Alpen, grossflächige Überschwemmungen im Mittelland, der Rückgang der Gletscher. Die offensichtliche Erwärmung der Erde stellt uns vor Probleme mit zum Teil noch schwer abschätzbaren volkswirtschaftlichen Folgen.

Ich danke der ETH Zürich und den anderen Hochschulen, dass sie sich in der Forschung und in der politischen Diskussion zur Klima- und Energiepolitik direkt einbringt; so etwa bei den jüngsten Berichten des Intergovernmental Panel on Climate Change. Für eine erfolgreiche Antwort der Politik auf die bestehenden Herausforderungen brauchen wir fundierte Grundlagen. Dabei ist die Gestaltung der Klimapolitik ein langfristiger Prozess, der bereits in den 80er Jahren begonnen hat und 1992 zur Unterzeichnung der UNO-Klimakonvention führte. Ein nächster Schritt war die Verabschiedung des Kyoto-Protokolls, welches die Industrieländer zu konkreten Emissionsreduktionszielen verpflichtet. Leider haben nicht alle Industrie-Staaten das Protokoll ratifiziert. Dieses Kyoto-Protokoll läuft wie das nationale CO2-Gesetz Ende 2012 aus. Wir sind heute somit in einer Situation, in der wir über die Weiterentwicklung des globalen und nationalen Klimaregimes befinden müssen.

Wie das Beispiel Kiribati zeigt, zählen nicht nationale, sondern globale Emissionen. Deshalb können wir mit einer noch so rigiden Energie-, Verkehrs- und Abgabepolitik die Klimawende nicht allein herbeiführen. Wir müssen unsere Klimapolitik weitgehend auch international ausrichten. Helvetische Gärtchenpolitik und kurzfristige Aktionen vor den Wahlen verbessern das Klima nicht.

Als Wirtschaftsministerin - verantwortlich für das Wachstum in der Schweiz, den Handel mit der Welt und für die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit - sind für mich folgende Aspekte besonders relevant:

  • Die Treibhausgasemissionen hängen stark mit der Verbrennung fossiler Energieträger zusammen. Die Wirtschaft der Industrieländer und insbesondere auch der wirtschaftliche Aufschwung in aufstrebenden Entwicklungsländern basiert weitgehend auf fossilen Energieträgern. Diese müssen wir reduzieren.
  • In den nächsten 20 Jahren wird mit einem Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs um mehr als 50% gerechnet. Damit werden auch die CO2-Emissionen im gleichen Ausmass ansteigen. Drei Viertel davon entfallen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer.
  • Die Land- und Waldnutzungen und vor allem die Rodungen von Tropenwäldern haben einen starken Einfluss auf die Emissionsmengen. Auch da geht es um die nachhaltige Entwicklung wirtschaftlich benachteiligter Regionen, insbesondere der ländlichen Regionen in Entwicklungsländern.
  • Arme Länder sind der Klimaerwärmung speziell ausgesetzt. Sie haben weniger Möglichkeiten, sich rechtzeitig anzupassen; sie verfügen nicht über unsere Technologie und unser Know-how. Bisherige Entwicklungsschritte können wieder zunichte gemacht werden. Die Folgen können humanitäre Katastrophen und erhöhte Armut sein mit einem verstärkten Migrationsdruck.

Die Klimaschäden sind beträchtlich: Hurrican Katrina hinterliess Schäden in der Höhe von 150 Milliarden Dollar. Der Hitzesommer 2003 hat in der Schweiz Kosten von 500 Millionen Franken verursacht. Bei Bauten und Infrastrukturanlagen rechnen die Experten mit künftigen Schäden in der Höhe von 0.02 BIP%, die vor allem auf Hochwasser und Murgänge zurückzuführen sind.

In der Schweiz hat die Erwärmung wirtschaftliche Auswirkungen auf Tourismus, Landwirtschaft oder Elektrizitätswirtschaft sowie auf die Infrastrukturanlagen. Die Schneegrenze wird sich verschieben und infolgedessen werden die klassischen Skigebiete von heute 164 auf gerade noch 15 zusammenschrumpfen.

Anderseits könnten künftig die Schweizer Alpen mit den angenehmeren Temperaturen für Sommerferien attraktiver werden. Positiv sind wärmere Winter mit einem geringeren Heizbedarf. In der Landwirtschaft werden die Nachteile überwiegen. Negativ sind auch die Verluste bei der Stromproduktion in Wasserkraftwerken und die vermehrte Klimatisierung im Wohn- und Arbeitsbereich.

Insgesamt problematisch und ungewiss bleiben extreme Wettersituationen wie grössere Niederschläge oder längere Trockenperioden.

Wir haben also alles Interesse zu handeln. Eine nationale Klimapolitik ist wichtig und unentbehrlich, führt aber allein nicht zum Ziel. Erstens ist der globale Emissionsanteil der Schweiz zu gering. Zweitens werden die Schweizerinnen und Schweizer drastische Massnahmen im Alleingang kaum akzeptieren. Man kann weder das Autofahren verbieten noch lässt sich der Mensch in ein Null-Toleranz-Korsett zwängen, wenn es um seine Lebensqualität geht. Es macht auch wenig Sinn, mit prohibitiven neuen Steuern den Wirtschaftsmotor wieder abzuwürgen.

Für eine sinnvolle, nachhaltige Klimapolitik schlage ich daher eine neu ausgerichtete Klimastrategie mit folgenden vier Stossrichtungen vor:

  1. Die Schweiz muss dazu beitragen, dass die Klimakonvention durch den verbindlichen Beitritt aller Staaten gestärkt wird. Gemeinsam müssen wir uns zu einer globalen Klimastrategie bekennen und diese mit einer multilateralen Zusammenarbeit umsetzen. Keiner meiner Ministerkollegen wird eine alleinige Belastung seiner Wirtschaft akzeptieren. Daher sollten sich alle Staaten dem globalen EU-Ziel anschliessen und den Temperaturanstieg auf zusätzlich 2 Grad beschränken.
  2. Die Schweiz muss bei der nächsten Kyoto-Verpflichtungsperiode ab 2012 mit allen Staaten einen ehrgeizigen Reduktionsbeitrag anstreben, um die massive CO2-Zunahme wirkungsvoll eindämmen zu können. Als Land mit geringer CO2-Intensität, aber einem hohen Anteil „grauer Emissionen" erreichen wir am meisten, wenn wir unseren Beitrag massgeblich im Ausland leisten. Wir können dabei besonders engagiert auftreten und Klimaneutralität anstreben.
  3. Die Schweiz muss im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit die Entwicklungsländer unterstützen. Sie sollen sich ins globale Klimaregime integrieren und eine möglichst klimafreundliche Entwicklung einschlagen.
  4. Die Schweiz muss mit inländischen Massnahmen dafür sorgen, dass alle ihre inländischen Potentiale zur Reduktion der Emissionen optimal genutzt werden.

Beginnen wir mit der nationalen Ebene. Auch wenn in der Schweiz schon viel zur Reduktion der eigenen Emissionen eingeleitet wurde, müssen diese Massnahmen jetzt zügig umgesetzt und ergänzt werden. Dazu brauchen wir gezielte Anreize und Technologien. Es ist wichtig, dass sich alle Verbraucher über ihren Energiekonsum bewusst werden und ihr Verhalten anpassen. Es braucht eine Ökonomie des Vermeidens. Es ist notwendig, die Wirtschaft auf eine noch höhere Energieeffizienz zu trimmen. Ressourcen nicht zu verbrauchen zahlt sich aus. Das haben Konsumenten und Wirtschaft bereits realisiert und beginnen zunehmend auf umweltfreundliche Technologien umzusteigen. Und ich hoffe: In Bälde gibt es nicht nur Energiestädte, sondern auch CO2-freie Städte.

Die Politik kann hier wichtige Impulse setzen. Dies sollte besonders für Investitionen in langlebige Produkte, Prozesse, Infrastrukturen und Gebäude gelten. Besonders wichtig ist auch, dass man die Umwandlungsverluste auf allen Stufen reduzieren kann. Energieforschungsprogramme und die Fortentwicklung innovativer Technologien in den Bereichen Photovoltaik, Heizung, Lüftung, Klima, Wärmedämmung usw. sind daher noch besser zu unterstützen. Solche Forschungsprojekte könnten auch in Form von Public Private Partnership realisiert werden.

Transport und Verkehr sind für einen grossen Teil der CO2 Emissionen verantwortlich. Rund 19'000 Kilometer pro Person legte die schweizerische Bevölkerung im Jahr 2005 im In- und Ausland zurück - fast eine halbe Erdumrundung. Der Verkehrsbereich ist jener Bereich, wo grosse technische Fortschritte erzielt aber noch nicht entsprechend umgesetzt wurden. Das intelligente Auto wird heute schon gebaut; aber es ist noch nicht verbreitet. Das könnten wir mit Anreizen fördern. Der motorisierte Verkehr beispielsweise sollte über den Schadstoffausstoss statt über den Hubraum besteuert werden. Mit einem Bonus-Malus-System kann der Autokäufer verstärkt auf den Energieverbrauch des Neuwagens aufmerksam gemacht werden. Verkehrsleitsysteme, Road-Pricing oder Park-and-Ride-Anlagen sollen Anstoss für ein umweltschonendes Verkehrsverhalten sein.

Darüber hinaus finde ich es auch gerechtfertigt, dass durch schärfere Mindestanforderungen Energiefresser vom Markt genommen werden. Man büsst nämlich weder mit einem saubereren Auto noch mit einer umweltschonenden Heizung an Lebensqualität ein.

Ein international koordiniertes Vorgehen ist dabei wichtig; es belebt die Konkurrenz, fördert den Wettbewerb, verhindert negative Folgen eines Alleingangs und lässt so den Markt für umweltfreundliche Produkte weiter wachsen. Allein in der Photovoltaik dürfte dieser in den nächsten Jahren von 19 auf 80 Milliarden ansteigen. Die Unternehmen, welche hier entscheidende technologische Innovationen erreichen, werden hochwertige Arbeitsplätze anbieten können. Der Schweiz als Hightechland sollte es doch gelingen, sich hier zu profilieren. Wir müssen nur die nötigen Anreize in Forschung und Entwicklung und für den Einsatz dieser neuen Technologien schaffen.

Kommen wir zum globalen Ansatz. In der nächsten Reduktionsperiode braucht es einen ehrgeizigen Beitrag aller Länder zur Eindämmung des Klimawandels. Wie können wir dabei mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen unser Möglichstes tun? Unser Beitrag mit nationalen Massnahmen fällt im globalen Vergleich bescheiden aus, hat die Schweiz doch die weltweit geringste CO2-Intensität. Das heisst nicht, dass wir nachhaltig leben und nichts mehr tun müssen. Unsere Pro-Kopf-Emissionen sind immer noch zu hoch.

Unser Reduktionspotential im Inland ist verglichen mit den anderen Industrieländern klein und teuer. Erfolgreich sind wir nur, wenn wir in nationale und in globale Reduktionen investieren. So fördern wir mit einem Technologietransfer umweltfreundliche Produktionsabläufe. So reduzieren wir auch die so genannt „grauen Emissionen"; das heisst, die CO2-Produktion auf jenen Gütern, die wir importieren. So unterstützen wir die Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrem Industrialisierungsprozess.

Die Schweiz darf durchaus mit ehrgeizigen Zielen auftreten. Ich schlage vor, dass wir ein Reduktionsziel von 100% anstreben. Das erreichen wir durch Massnahmen im Inland und mehrheitlich durch Kompensationen im Ausland. Damit wird die Schweiz klimaneutral.

Dabei geht es nicht um eine billige, sondern um eine für die Schweiz angemessene Lösung. Das ist aus folgenden Gründen der wirkungsvollste Weg.

  • Erstens können wir für den selben Betrag im Ausland mehr CO2-Reduktionen erzielen, als in der Schweiz.
  • Zweitens verhelfen wir mit dem Technologietransfer zu einer saubereren Industrialisierung und zu einer nachhaltigen Entwicklung. Das Kyoto-Protokoll stellt für diesen Technologietransfer die flexiblen Mechanismen zur Verfügung.
  • Drittens sind wir mit dem von uns vorgeschlagenen 100%-Ziel für einen maximalen Beitrag bereit.
  • Viertens fördern wir die Umsetzung dieser flexiblen Mechanismen und bereiten den Weg für ein weltweites Emissionshandelssystem vor. Damit erhalten CO2-Emissionen langfristig einen weltweiten Preis.

Wenn wir den globalen CO2-Ausstoss nachhaltig reduzieren wollen, müssen wir diese flexiblen Mechanismen stärken. Sie enthalten einen doppelten Anreiz;

  • Anreiz für den Investor, der sich die durch den Technologietransfer erzielten Reduktionen anrechnen kann,
  • Anreiz für das Gastland, das damit saubere Technologie erhält.

So angewendet kann der ehrgeizige Prozess zur globalen CO2-Reduktion massiv dynamisiert werden. Eine gute Kontrolle dieser Mechanismen ist wichtig. Auf der anderen Seite ist es notwendig, dass bisherige Beschränkungen bei der Anwendung der Kyoto-Mechanismen aufgehoben werden.

Die klimaneutrale Schweiz wäre im Inland einfach umsetzbar, beispielsweise mit einer erweiterten CO2-Abgabe. Ob sich ein solches Instrument auch weltweit umsetzen lässt, daran habe ich meine Zweifel. In einigen Industrieländern mag eine solche Abgabe umsetzbar sein. Eine internationale Abgabe, die Entwicklungsländer und stark emissionsintensive Industrieländer trifft, scheint mir aber kaum durchsetzbar.

Ich setze daher grössere Erwartungen in Emissionshandelssysteme. Wenn wir das Vertrauen in die Instrumente des Kyoto-Protokolls steigern können, haben wir die Chancen, zu einem weltweiten Emissionshandelssystem zu gelangen, so wie dies die EU bereits in ihrem grossen Wirtschaftsraum mit sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften umsetzt. Erste Erfahrungen mit diesem System liegen vor, Korrekturen werden angegangen. Der Bundesrat hat beschlossen, den Anschluss an das EU-System ebenfalls anzustreben.

Ich bin überzeugt, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle bei der Lösung des Klimaproblems übernehmen kann. Wir verfügen über grosses technisches Know-how, exzellente Hochschulen, gut positionierte Unternehmen und wir haben in der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit ein hervorragendes Know-how.

Wir können glaubwürdig als ein Kompetenzzentrum in Sachen Klimaschutz und Umwelt-Technologien auftreten.

Einen aus meiner Sicht praktikablen Weg habe ich hier vorgeschlagen.

Meine Damen und Herren, Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik sind verzahnte, komplexe und stark durch den internationalen Wettbewerb geprägte Bereiche. Gute, nachhaltige Lösungen setzen den internationalen Dialog und eine breite Abstützung von Massnahmen voraus. Es muss uns gelingen, die bisher abseits stehenden Staaten in ein verpflichtendes System einzubinden. Wenn weiterhin jeder Staat frei ist oder sich frei fühlt, kommt die Klimapolitik aufgrund wirtschaftlicher Interessen immer zu kurz.

 

Es gilt das gesprochene Wort !


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Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
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