Eröffnung 18. Kunstausstellung Trubschachen

Bern, 26.06.2009 - Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger, Trubschachen, 26. Juni 2009

Sie haben zur Eröffnung dieser Kunstausstellung den Vorsteher des UVEK eingeladen.

Die Kürzel meines Departements stehen für Umwelt, Verkehr und Energie. Das wissen unterdessen die meisten. Doch darüber, was das K bedeute, rätseln die meisten. (Kosten? Kummer? Konkordanz? Kambly?)

Viele glauben, das K stehe für Kultur. In Österreich werde ich oft als Kulturminister angesprochen, wenn ich ein Theater besuche oder die Albertina, welche gegenwärtig unter Wasserschäden leidet.

Ich lasse es mir ganz gerne gefallen und protestiere nicht, in der Hoffnung, unser wirklicher Kulturminister toleriere das mit dem K der Kollegialität.

Das K steht aber in Wirklichkeit für Kommunikation.

Ich bin Infrastruktur- und Kommunikationsminister. Ich kann mit diesem Missverständnis umso besser leben, als Kultur ja auch Infrastruktur ist. Ich würde sagen, es ist die wichtigste Infrastruktur einer Gesellschaft.

Die Grundlage aller Kultur ist wiederum die Kommunikation.

  • Urs Widmer sagt, seine Bücher seien erst dann fertig geschrieben, wenn Leser sie gelesen haben. Ich erlebe das bei den Diskussionen über meine Bücher ebenso.
  • Ein Kunstwerk wird erst in den Augen des Betrachters fertig gestellt. Der Künstler löst mit seinem Werk etwas aus. Was er auslöst, kann er aber nicht oder nur bedingt steuern. Denn das Entscheidende geschieht beim Betrachter. Dieser entwickelt seine eigenen Assoziationen, er übersetzt das Werk in seine Welt. Ein Kunstwerk kann beim Betrachter gar das Gegenteil dessen auslösen, was der Künstler eigentlich wollte.
  • So ist es auch bei einem Gemälde: Es entfaltet erst dann eine Wirkung, wenn es betrachtet wird und wenn es beim Betrachter etwas auslöst. Die Kultur besteht in der Erfahrung, welche wir mit einem Bild machen. Unser Blick auf ein Porträt oder eine Landschaft ist durch den Entwurf des Künstlers vorgeformt. Wir aber vollenden ihn in uns.
    Kulturelle Erfahrung ist also Kommunikation. Wir stellen uns dem Bild und verlassen dazu unseren Alltag und nehmen uns die Zeit, mit ihm zu kommunizieren. Deswegen kommen ja in der Betrachtung von Bildern stets auch Erinnerungen aus unserer Jugend hervor.
  • Ich kann mich erinnern, als ich als Kind in Basel stundenlang vor Bildern stand und sie auf mich einwirken liess.
  • Oder die Wirkung der Piazza del Campidoglio:

Ich kann mir nicht richtig erklären, warum die Piazza del Campidoglio in Rom derart atemberaubend ist. Die Dimensionen des Platzes im Verhältnis zu den umliegenden Gebäuden sind derart ausgewogen, dass er eine eigentliche Harmonie ausstrahlt.

Ich kann das nicht rational darlegen oder gar mit einer mathematischen Formel nachvollziehen. Kunsthistoriker wissen wohl mehr darüber. Es sind die Proportionen, die dem Beschauer einen überwältigenden Eindruck bescheren, nicht etwa die absolute Dimension, denn Platz, Museum und Palazzo sind keineswegs riesig, aber sie strahlen wahre Grösse aus.

Ein ähnliches Gefühl habe ich immer in der ganz kleinen Kirche von San Nicolao in Giornico.

Jede Ordnung, auch die der Natur und der menschlichen Gesellschaft, ob im Kleinen oder im Grossen, lebt von Proportionen, vom Gleichgewicht, welches die Harmonie zwischen allen Beteiligten sicherstellt.

Wird eine Kraft zu dominant, wird sie masslos, zerstört sie das Gleichgewicht und damit das ganze System. So zeigt sich wahre Grösse in ihren Proportionen zu anderen und nicht in Absolutheit.

Was ist das richtige Mass? Die Architekten der Kirche in Giornico und der Piazza del Campidoglio kannten es. Die Architekten der Boni und Abgangsentschädigungen kennen es offensichtlich weniger. Wir alle kennen es nicht, wenn wir die Natur ausbeuten.

o        Solche Gedanken löst das Kunstwerk von Michelangelo bei mir aus. Das ist sehr subjektiv und persönlich. Er selber hat ja wohl kaum diese Aussage machen wollen.

  • Zu Beginn meiner Amtszeit habe ich Hodlers Holzfäller in mein Büro gehängt. Das löste bei jedem Besucher intensive Diskussionen aus.
  • Jeder, der in meinem Büro war, äusserte sich dazu. Das war auch Kommunikation.
  • Später hing das Bild dann bei meinem Bundesratskollegen Blocher. Und allein schon deshalb wurde es in seinem Büro ganz anders interpretiert. Auch Bundesräte übersetzen Kunst also in ihre eigenen Welten.

Gespräche über ein Kunstwerk erschöpfen sich aber nicht in subjektiven Meinungen und in der Aussage „das gefällt mir", oder „das gefällt mir nicht". Deshalb gibt es die Kunstkritik, deshalb gibt es in Museen Kunstführungen. Sie liefern Hintergründe über die Entstehung eines Werks und betten es ein in gesellschaftliche und historische Zusammenhänge.

Dieses Wissen beeinflusst unsere Interpretation eines Werks und es erweitert unsere Möglichkeiten, über Kunst zu diskutieren. Es ermöglicht auch eine professionelle Qualitätsdiskussion.

Das Gespräch über Kunst ist für uns genauso anregend wie die Begegnung mit der Kunst selbst. Wir diskutieren mit Leidenschaft, ob ein Kinofilm gut oder schlecht sei, was wir von einer Theaterinszenierung halten oder weshalb uns ein Bild berührt oder eben kalt lässt.

Kunst löst Diskussionen aus. Kunst bedeutet Kommunikation.

Wörtlich übersetzt heisst Kommunikation nichts anderes als Gemeinsamkeit.

Auch deshalb besuchen wir Kunstveranstaltungen, auch deshalb ist der Zulauf zu Ausstellungen so gross.

Und gerade die Kunstausstellung Trubschachen zeigt diese Gemeinsamkeit. Genauso gross wie das Interesse an der Ausstellung ist die Bereitschaft, Kunstveranstaltungen zu organisieren.

Diese Ausstellung wird ermöglicht durch den Einsatz unzähliger Freiwilliger.

Freiwilliges Engagement ist das Fundament jeder Gemeinde. Gemeinden sind auf Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die sich einbringen und ihre Gemeinde mitgestalten:

  • die sich politisch beteiligen und sich in politische Ämter wählen lassen;
  • die Freiwilligenarbeit leisten, im sozialen Bereich oder in der Kultur, in der Feuerwehr, im Sport- oder im Musikverein.
  • Solche Bürgerinnen und Bürger sind Citoyens, weil sie wissen: Sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen ist keine lästige Last, sondern eine Lust, die uns erfüllt und bereichert.

Gemeinden sind zudem darauf angewiesen, dass sich alle einbringen, auch Unternehmer:

  • Unternehmer, die sich nicht in steuergünstige Sonderbauzonen flüchten;
  • sondern ihre Vorteile als Verpflichtung für die Allgemeinheit sehen;
  • (ich erhalte von einem Unternehmer aus der Gegend an Weihnachten jeweils 6o Guetzli mit handgeschriebenen Grüssen auf der Verpackung.
  • Andere Unternehmen schicken Rechnungen über 6o Mia nach Bern - ohne Grüsse).

Eine Gesellschaft zerfällt, wenn nur noch globalisiert über die Niederungen der Nationalstaaten geschwebt wird.

„Zuhause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland." Der Satz wurde hier im Emmental geschrieben.

In Gotthelfs Satz spiegelt sich auch das Wesen der Schweizer Kulturpolitik. Wir pflegen keinen Kulturzentralismus wie ihn andere Staaten pflegen. Wir sind das Land der vielen Kulturen. Wir haben keine Leitkultur und nicht eine Kultur, die die echt schweizerische wäre. Deswegen gibt es auch keinen Echtheitstest über die wahre Kultur.

Kunst und Kultur werden in der Schweiz von allen getragen: von den Menschen, die hier wohnen und zuhause sind, die sich freiwillig engagieren.

Bei uns findet Kultur nicht nur in den grossen Kunst- und Opernhäusern von Zürich, Genf

und Basel statt, sondern überall: in der Stadt ebenso wie auf dem Land mit seinen Gemeinden.

Deshalb war ich dieses Jahr nicht an der ArtBasel, nicht an der Biennale in Venedig, sondern hier an der Kunstausstellung Trubschachen.

Denn diese Ausstellung ist die echte Schweiz.


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