Dossieranalyse: Invalidität aus psychischen Gründen

Bern, 02.07.2009 - Im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprogramms zur Invalidenversicherung (FoP-IV) untersuchte ein Forscherteam rund 1000 IV-Dossiers von Rentnern mit einer psychischen Gesundheitsstörung. Die Studie „Dossieranalyse der Invalidisierung aus psychischen Gründen“ zeigt, dass die Abklärungen der IV unvoreingenommen und auf Grund rein medizinischer Befunde erfolgten. Sie ortet Verbesserungspotenzial bezüglich der Abklärungen zu Arbeitsfähigkeit und Eingliederung und empfiehlt interdisziplinäre Abklärungsverfahren. Die Stossrichtung der 5. IV-Revision wird dadurch bestätigt.

Der sogenannte „Gebrechenscode 646“, eine Untergruppe der Kategorie „Psychosen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen“, umfasst psychische Leiden, die schwierig einzuordnen sind, wie etwa psychogene oder milieureaktive Störungen, Neurosen oder Borderline cases, depressive, hypochondrische oder wahnhafte Fehlentwicklungen, aber auch Sprachstörungen wie Stottern oder psychosomatische Störungen. In der Beobachtungsperiode der Studie „Dossieranalyse der Invalidisierung aus psychischen Gründen“ 1992-2006 kamen zunehmend neue Leidensformen hinzu. Gemäss IV-Statistik haben hauptsächlich psychische Leiden dieser Art zur starken Zunahme der Anzahl IV-Renten in den vergangenen zwanzig Jahren geführt.

Die Studie geht der Frage nach, welche gesundheitlichen, psychosozialen und gesellschaftlichen Konstellationen hinter dem raschen Anstieg der Fälle dieses Codes und der damit erfassten psychischen Störungen stehen. Weiter versucht sie, eine sinnvolle Gruppierung vorzunehmen, die als Grundlage für spezifische Konzepte zur Frühintervention, beruflichen Rehabilitation und Invaliditätsprävention dienen könnten.

Rehabilitation wird zuwenig berücksichtigt

Die Forscher haben Belastungsmerkmale, medizinische Diagnosen und IV-Verfahren untersucht und typologisiert und sind dabei zu den folgenden Schlüssen gekommen:

  • Erfahrungen in Kindheit oder Jugend, belastende Situationen von Alleinerziehenden sowie Probleme, die mit der Migration zusammenhängen, führten am häufigsten zu den Krankheitsbildern, die dem IV-Code 646 zugeordnet werden.
  • Zunehmend wurden auch Depressionen diagnostiziert bei älteren Schweizern mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
  • In der Hälfte der medizinischen Dokumente, auf deren Grundlage eine Rente zugesprochen wurde, wurde nicht ausreichend erörtert, wie sich die Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit der Gesuchsteller auswirkt.
  • Der Aspekt der Rehabilitation wurde im ansonsten sehr umfassenden und differenzierten ärztlichen Abklärungsverfahren zu wenig berücksichtigt.
  • Die Art des Verfahrens wurde ausschliesslich durch die Erkrankungen bestimmt. Der Einfluss von IV-fremden oder diskriminierenden Faktoren (Herkunft, Geschlecht, soziale Schicht o.ä.) auf die Abklärungsverfahren und die Festsetzung der Renten konnte ausgeschlossen werden.

Die Ausrichtung der 5. IV-Revision erweist sich als richtig

Die Schlüsse, welche die Forscher aus dem Studium der Dossiers der Jahre 1992 bis 2006 ziehen, bestätigen die Stossrichtung der 5. IV-Revision: Arbeitsfähigkeit und Rehabilitation müssen im Zentrum stehen. Seit Inkrafttreten dieser Revision Anfang 2008 verfolgt die IV den Leitsatz „Eingliederung vor Rente“. Die neuen Instrumente Früherfassung und Frühintervention erlauben eine frühe und präventive Eingliederung. Die Eingliederungsmassnahmen wurden ausgebaut und gezielt auf Menschen mit psychischen Problemen ausgerichtet (neue Integrationsmassnahmen).

Die Wissenschafter empfehlen weiter interdisziplinäre Abklärungsverfahren und neue Interventionskonzepte für die grosse Gruppe von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Schmerzstörungen und Depressionen. Berufliche Massnahmen sollen zudem auch Personengruppen angeboten werden, die bisher grösstenteils davon ausgeschlossen wurden, insbesondere Migrant/innen und Personen mit depressiven Störungen.


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