Bundesrat will Strommarktgesetz bis 2014 revidieren

Bern, 18.11.2009 - Bis Anfang 2011 wird das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK eine Vernehmlassungsvorlage zur Revision des Stromversorgungsgesetzes erarbeiten. Dies hat der Bundesrat an seiner heutigen Aussprache über die ersten praktischen Erfahrungen mit dem geöffneten Strommarkt entschieden. Das revidierte Stromversorgungsgesetz soll im Jahr 2014 in Kraft treten, gleichzeitig mit der vollen Marktöffnung, die auch den Haushalten die freie Wahl ihres Stromlieferanten bringt. Die Einführung der vollen Marktöffnung unterliegt dem fakultativen Referendum.

Vor gut zwei Jahren wurde das Stromversorgungsgesetz (StromVG) in Kraft gesetzt und damit die Öffnung des Schweizer Strommarkts in 2 Schritten gestartet. Seit Anfang 2009 können Grossverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mindestens 100'000 Kilowattstunden ihren Stromlieferanten frei wählen. Die praktischen Erfahrungen dieser ersten Phase zeigen, dass die erklärten Ziele der Marktöffnung, nämlich die Schaffung einer wettbewerbsorientierten und sicheren Stromversorgung mit transparenten Preisen bis jetzt nicht erreicht worden sind. So haben einerseits nur wenige Grossverbraucher ihren Stromlieferanten gewechselt. Andererseits kündigten die Stromversorgungsunternehmen im Herbst 2008 teils erhebliche Erhöhungen der Stromtarife an. Nach Gesprächen mit Vertretern der Strombranche, der Kantone und Gemeinden sah sich der Bundesrat am 5. Dezember 2008 dazu veranlasst, diese Tariferhöhungen mit einer Revision der Stromversorgungsverordnung zu dämpfen. Zusammen mit der von der Elektrizitätskommission (ElCom) am 6. März 2009 erlassenen Verfügung, konnten die Tariferhöhungen für 2009 um rund 40% reduziert werden. Diese Tarife sind allerdings noch nicht definitiv, da die Stromwirtschaft die Verfügung der ElCom vor dem Bundesverwaltungsgericht anficht.

Die mangelnde Markttransparenz, das nicht wettbewerbsorientierte Verhalten der Akteure und der weiterhin drohende starke Anstieg der Strompreise, der die internationale Konkurrenzfähigkeit der energieintensiven Unternehmen gefährdet, erfordern eine genaue Analyse der geltenden gesetzlichen Grundlagen. Der Vorsteher des UVEK hat diese Vorarbeiten zur Revision des StromVG bereits im Herbst 2008 zu einem prioritären Ziel erklärt. Das Parlament hat zudem zwei Postulate überwiesen (08.3756: Änderung des Stromversorgungsgesetzes und 08.3758: Massnahmen gegen Strompreiserhöhungen), die den Bundesrat ebenfalls dazu auffordern, eine Revision des StromVG zu prüfen. Der erste Meilenstein dieser Arbeiten ist mit der heutigen Aussprache des Bundesrats erreicht.

Gesetzeslücken und mögliche Korrekturen zuerst vertieft überprüfen

Auf der Grundlage eines Aussprachepapiers des UVEK diskutierte der Bundesrat heute sowohl die festgestellten Schwächen der geltenden Gesetzgebung als auch mögliche Ansatzpunkte einer Revision. Er verzichtete jedoch darauf, die Eckwerte der Revision bereits jetzt definitiv festzulegen. Stattdessen will der Bundesrat die möglichen Revisionsbereiche, wie sie auch in den beiden Postulaten aufgelistet sind, zunächst durch vertiefende Analysen und/oder unabhängige Gutachten genauer untersuchen. Dazu gehören unter anderem:

1.         Stärkung des Regulators und Änderung der Regulierungsphilosophie

  • Die Elektrizitätskommission soll Strom- und Netznutzungstarife vorgängig bewilligen (ex-ante) und nicht erst nachträglich, wenn die Tarife bereits in Kraft sind (heute: ex-post).
  • Einführung einer Anreizregulierung (Benchmark): Die Elektrizitätskommission orientiert sich an den kosteneffizientesten Anbietern und legt auf dieser Basis feste Kostenobergrenzen für alle Stromlieferanten fest.
  • Die Sanktionsmöglichkeiten der Elektrizitätskommission sollen an jene des Kartellrechts angepasst werden. So könnte die ElCom umsatzabhängige Sanktionen oder andere geeignete Massnahmen erlassen.

2.         Kostenkontrolle

  • Systemdienstleistungen (Reserveenergie zur Gewährleistung der Netzstabilität) sollen zu Gestehungskosten oder zu regulierten Preisen sowie unter Anwendung des Verursacherprinzips verrechnet werden.
  • Grundtarife (Anschlusskosten) sollen auf maximal 10% der durchschnittlichen Stromkosten eines Haushalts begrenzt werden.

3.         Kantone und Gemeinden

  • Das Parlament soll regelmässig über Höhe und Entwicklung der Abgaben und Leistungen an die Gemeinwesen, die ein fester Bestandteil der Strompreise sind, informiert werden. Die gesetzliche Regelung, wonach diese Abgaben nicht durch die ElCom überprüft werden und nach kantonalem Recht angefochten werden müssen, soll weiterhin bestehen. Die Transparenz über diese Abgaben soll aber weiter erhöht werden.

4.         Nationale Netzgesellschaft swissgrid

  • Die Unabhängigkeit der swissgrid von der übrigen Stromwirtschaft soll verstärkt werden.

Auf Basis der Analysen zu diesen und weiteren Bereichen soll das UVEK dem Bundesrat bis Anfang 2011 eine Vernehmlassungsvorlage zur Revision des StromVG vorlegen. Das federführende Bundesamt für Energie wird die dafür notwendigen gesetzlichen und fachlichen Grundlagen zusammen mit mitinteressierten Bundesämtern, insbesondere dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, sowie den betroffenen Kreisen erarbeiten. Ziel ist, die Revision des StromVG zeitgleich mit dem zweiten Marktöffnungsschritt im Jahr 2014 in Kraft zu setzen, wenn auch die Haushalte ihren Stromlieferanten frei wählen können.

Infokasten

Am 22. September 2002 lehnten die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) mit 52,5% Nein-Stimmen ab. In der Folge beauftragte der Bundesrat die Verwaltung, eine neue Vorlage für die Öffnung des schweizerischen Strommarktes vorzubereiten. Von März 2003 bis Juni 2004 erarbeitete eine vom UVEK eingesetzte Expertenkommission unter Leitung der Berner Alt-Regierungsrätin Dori Schaer-Born einen neuen Gesetzesentwurf, der den Hauptgründen für die Ablehnung des EMG ebenso Rechnung tragen sollte wie den drei wesentliche Rahmenbedingungen, die sich seit der EMG-Abstimmung ergeben hatten: 1.) Der Bundesgerichtsentscheid von Mitte 2003 im Fall Entreprises Electriques Fribourgeoises (EEF) gegen Watt/Migros (BGE 129 II 497), in welchem die faktische Marktöffnung auf Basis des Kartellgesetzes verfügt wurde. 2.) Das weitere Fortschreiten der Liberalisierung in der Europäischen Union, deren Strommärkte seit 1. Juli 2007 vollständig geöffnet sind. 3.) Der Stromausfall vom 28. September 2003 in Italien.

Der Bundesrat verabschiedete die Botschaft zum Bundesgesetz über die Stromversorgung (StromVG) und zur Revision des Elektrizitätsgesetzes (EleG) am 3. Dezember 2004. Die eidgenössischen Räte stimmten der Vorlage in der Schlussabstimmung vom 23. März 2007 deutlich zu (Annahme im Nationalrat mit 166:27 Stimmen und im Ständerat mit 41:0 Stimmen bei 1 Enthaltung). Die Referendumsfrist lief am 12. Juli 2007 unbenutzt ab.

Das vom Parlament verabschiedete Gesetz sieht eine zweistufige Marktöffnung vor: In den ersten fünf Jahren (2009-2013) haben Endverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100'000 kWh freien Marktzugang. Nach fünf Jahren können dann auch Haushalte und andere Kleinverbraucher ihren Stromlieferanten frei wählen. Die Einführung der vollen Marktöffnung erfolgt per Bundesbeschluss, der einem fakultativen Referendum untersteht. Das Höchstspannungsnetz muss von einer nationalen Netzgesellschaft (swissgrid) mit Schweizer Mehrheitsbeteiligung betrieben werden. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes muss auch das Eigentum an den Höchstspannungsnetzen an diese Netzgesellschaft übergehen.

Zusammen mit dem Stromversorgungsgesetz wurde mit der Revision des Energiegesetzes auch ein Paket von Massnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energien sowie zur Förderung der Effizienz im Elektrizitätsbereich. Hauptpfeiler ist dabei die kostendeckende Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien. Das revidierte Energiegesetz schreibt vor, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 um mindestens 5,4 Milliarden Kilowattstunden erhöht werden muss. Das entspricht rund 10% des heutigen Stromverbrauchs (2008: 58,7 Milliarden Kilowattstunden).

Die im Herbst 2008 angekündigten Strompreiserhöhungen führten in Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit zu teils heftigen Reaktionen. Bundesrat Moritz Leuenberger führte dazu im Oktober 2008 eine Aussprache mit Vertretern der Stromwirtschaft sowie der Kantone und Gemeinden durch. Aufgrund der Ergebnisse wurde eine Vorlage zur Revision der Stromversorgungsverordnung erarbeitet, die der Bundesrat am 5. Dezember 2008 verabschiedete. Die Revision beschränkte sich auf wenige Punkte, vor allem auf die Netzkosten und die Kosten für die Systemdienstleistungen (Reserveenergie). Weitergehende Anpassungen der gesetzlichen Grundlagen wollte der Bundesrat erst nach Auswertung der ersten praktischen Erfahrungen mit der neuen Marktordnung in Angriff nehmen. Zudem wollte er die Untersuchungen und die ersten Entscheide der Elektrizitätskommission nicht behindern.


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