Ungenutztes Exportpotenzial im Dienstleistungshandel

Bern, 05.04.2011 - Der Dienstleistungssektor hat sich seit den 1980er Jahren weltweit markant internationalisiert. Gemessen am gesamten Welthandel entspricht der Anteil des Dienstleistungshandels noch nicht seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung. Vier wissenschaftliche Studien haben untersucht, welche Exportpotenziale für die Schweiz in diesem Sektor noch brachliegen. Das SECO stellt die Resultate am 5. April 2011 an einer Tagung in Bern vor.

Der technische Fortschritt, die grössere Mobilität der Akteure, die zunehmende Tertiarisierung der fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Schwellenländer sowie die Öffnung von bedeutenden Dienstleistungssektoren für die Konkurrenz werden das grenzüberschreitende Angebot und die Nachfrage nach Dienstleistungen weiter steigern. Vier neue Studien des SECO zeigen, dass die Schweiz über gute Voraussetzungen verfügt, um im Dienstleistungsbereich vom Internationalisierungsprozess zu profitieren, aber die anstehenden Herausforderungen frühzeitig angehen muss. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die vertragliche Absicherung des Marktzugangs im Dienstleistungsbereich. Die WTO bietet die geeignetste Plattform, um Handelshemmnisse abzubauen und bereits geöffnete Dienstleistungsmärkte aufrechtzuerhalten. Ergänzend zu den stockenden WTO-Verhandlungen können Dienstleistungs- und Investitionskapitel in bilateralen Freihandelsabkommen eine wichtige Rolle für die Belebung der Schweizer Dienstleistungsexporte spielen.

Forschungsresultate
Die Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur (vgl. Artikel von Peter Moser et al. «Exportpotenziale im Dienstleistungssektor») identifiziert Schweizer Dienstleistungsbranchen, die grosse Exportpotenziale aufweisen. Zudem erforscht sie, ob die Nichterschliessung der Exportpotenziale auf staatliche Marktzutrittsbarrieren zurückzuführen ist. Solche Exportpotenziale werden von den Autoren insbesondere im Bereich der Lebensversicherungen, des konzerneigenen Leasinggeschäfts und bei grenznahen Spitälern erkannt.

Die erste Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (vgl. Artikel von Peter Egger und Georg Wamser: «Nutzen unterschiedlicher Arten von bilateralen Abkommen») ermittelt, wie stark bilaterale Abkommen die Dienstleistungsexporte sowie Direktinvestitionen beleben. Gestützt auf Daten zu den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen unter 129 Ländern folgern Egger/Wamser, dass sich der Abschluss jeder Art von internationalen Wirtschaftsabkommen signifikant auf den Dienstleistungshandel sowie die Direktinvestitionen auswirkt. Zusätzliche Integrationsschritte verstärken die positiven Effekte auf das Handelsvolumen. Folglich empfiehlt die Studie, dass die Schweiz mit Ländern, mit denen sie noch kein Doppelbesteuerungs-, Investitionsschutz- oder Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, ein erstes solches Abkommen anstrebt. Mit den Partnerländern, mit denen sie bereits Integrationsschritte unternommen hat, sollte sie die Vertragswerke vervollständigen.

Die Untersuchung des World Trade Institute in Bern (vgl. Artikel Panagiotis Delimatsis (Tilburg University) und Pierre Sauvé (WTI): «Bestehen für Schweizer Dienstleistungsanbieter Hemmnisse im Bereich der 90-Tagen Regelung und welcher Art sind diese?») geht der Frage nach, ob in der EU für Schweizer Dienstleistungsanbieter Hemmnisse im Bereich der 90 Tage-Regelung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) bestehen und welcher Natur solche sind. Die Untersuchung ergibt, dass exportorientierte Schweizer Dienstleistungsanbieter, die Schwierigkeiten beim Marktzugang in die EU haben, in der Regel pragmatische Lösungen suchen und meist auch finden. Zeichnet sich mit der Vertiefung des EG-Binnenmarktes eine verstärkte Diskriminierung für Schweizer Dienstleistungsanbieter, namentlich ab dem Standort Schweiz ab? Die Frage ist berechtigt, denn in der Tat kommt im FZA "nur" der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung gültige Rechtsrahmen zur Anwendung. Seit der Unterzeichnung des Personenfreizügigkeitsabkommens sind indes mehr als zehn Jahren vergangen und innerhalb der EU hat es seither bezüglich der Regulierung der Dienstleistungsmärkte signifikante Änderungen gegeben. Die Studie empfiehlt die Schaffung einer Plattform, die Information über Marktzutrittshindernisse bündelt. Markthindernisse können so effizienter an die zuständigen Behörden weitergeleitet und gegenüber der EU und ihren Mitgliedsländern geltend gemacht werden.

Die zweite Untersuchung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (vgl. Artikel von Spyros Arvanitis et al. «Die Internationalisierung des Dienstleistungssektors der Schweizer Wirtschaft») untersucht, welche Faktoren die Entscheidung der Dienstleistungsunternehmung, im Ausland zu investieren, beeinflussen und welche Form und welcher Umfang ihr Auslandsengagement annimmt. Firmenspezifische Stärken sind für eine internationale Ausrichtung eines Unternehmens bestimmend. Die Autoren folgern daher, dass insbesondere innovationsstarke, humankapitalintensive Unternehmen aus einer weitergehenden Liberalisierung Nutzen ziehen. Unternehmen in Ländern mit kleinem Heimmarkt wie der Schweiz, können Grössenvorteile oft nur in international angelegten Unternehmensstrukturen voll realisieren, indem sie die relativen Vorteile jedes Standortes miteinander kombinieren. Die Studie zeigt auf, dass Kosteneinsparungen nur selten ein dominantes Motiv für die Standortverlagerung sind. Dass sich die ausländischen und inländischen Aktivitäten einer Firma ergänzen, wird durch ökonometrische Schätzungen weiter erhärtet.

Motivation für die Wahl des Forschungsthemas
Bisherige branchenbasierte Analysen des SECO (Dienstleistungsbericht 2005, Studien für die Reform-Works Tagung 2007) fokussierten auf interne Reformen, die im Zeichen der europaweiten Öffnung der Märkte im Dienstleistungssektor aktuell wurden. Mit den vorliegenden vier Studien wird nun der Blick auf die offensiven handelspolitischen Interessen der Schweiz gerichtet. Die vier Studien werden vom SECO in der Reihe Strukturberichterstattung veröffentlicht und sind in der April-Ausgabe der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» zusammengefasst.


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