Burgdorfer Innopreis 2006 - „Burgdorf prägt die Schweiz der Zukunft“

Bern, 28.04.2006 - Rede von Bundesrat Pascal Couchepin vom 28. April 2006 Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident,
liebe Preisträger,
Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, an der heutigen Preisverleihung in Burgdorf dabei zu sein. Es ist kein Zufall, dass die Würdigung hervorragender technischer Leistungen ausgerechnet in Burgdorf stattfindet.

Auf den ersten Blick ist Burgdorf zwar ein hübscher Ort mit einem mächtigen Schloss und einer schmucken Altstadt. Burgdorf hat aber auch eine sehr interessante Geschichte und spielte bei der Industrialisierung unseres Landes eine wichtige Rolle.

* Burgdorf und die moderne Schweiz *

Grund genug, die Geschichte und die Rolle Burgdorfs - besonders während der Industrialisierung - etwas näher anzuschauen. Kurz nach dem ersten Jahrtausend wurde der Ort zum ersten Mal schriftlich erwähnt.

Und bereits vor über 500 Jahren hatten industrielle Pioniere hier die Zeichen der Zeit erkannt und eine der ersten Druckereien der Schweiz eröffnet. Auch 400 Jahre später spielte Burgdorf bei der Industrialisierung zuvorderst mit.

Während dieser Zeit wurden hier nämlich verschiedene Bahnlinien in Betrieb genommen und Fabriken gegründet. Die ganze Schweiz erlebte damals eine rasante politische und wirtschaftliche Entwicklung. Strassen und Brücken wurden gebaut, Kraftwerke und Staudämme folgten.

Der Eisenbahnkönig Escher trieb den Bau des ersten Schweizer Bahnnetzes voran. Louis Favre baute den damals längsten Tunnel der Welt durch den Gotthard. In diesem Geist ist die moderne Schweiz entstanden.

Liebe Freunde! Obwohl es sich heute nicht um einen politischen Anlass handelt, kann ich nicht umhin, Folgendes zu konstatieren: Die Industrialisierung – gepaart mit dem Freisinn – brachte die Schweiz damals zum Blühen…

Woher aber kamen diese Pioniere – mit oder ohne politischer Couleur? Weshalb gab es die vielen Ingenieure und Architekten? Die Schweiz hatte glücklicherweise vorgesorgt: Kurz nach der Schaffung des neuen Bundesstaates wurde eine „eidgenössische polytechnische Schule“ gegründet: Die heutige ETH.

Diese stellte die Ausbildung von zukünftigen Spezialisten sicher und versorgte die aufstrebende Schweiz mit Ingenieuren. Diese neue Schule war zugleich ein Symbol der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Auch Burgdorf war zu dieser Zeit wieder vorne mit dabei: Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts öffnete das Kantonale Technikum seine Türen. Die ehemaligen Studenten dieser Schule sind demnach mitverantwortlich für das „Wirtschaftswunder Schweiz“ zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Burgdorf darf sich heute also mit Fug und Recht als Triebkraft der Modernisierung der Schweiz bezeichnen.

* Die Schweiz nach dem 2. Weltkrieg *

Überspringen wir nun einige Jahrzehnte und schauen wir, was nach dem zweiten Weltkrieg geschehen ist. Die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts brachte erhebliche politische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich.

Das wohl bedeutendste Ereignis war die Entstehung des Dienstleistungssektors. Neben der Erzeugung materieller Güter gewannen neue Erwerbsgruppen an Bedeutung: Das Gesundheits- und Sozialwesen wurde ausgebaut. Das Banken- und Versicherungsgewerbe etablierte sich weiter. Neue Informationstechnologien wurden entwickelt. Eng verbunden damit waren Forschung und Entwicklung. Auch die Aus- und Weiterbildung wurden immer wichtiger.

In Statistiken wird behauptet, dass in der Schweiz heute siebzig Prozent aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Ich habe aber je länger je mehr den Eindruck, dass man nicht mehr strikt zwischen Dienstleistungs- und Industriesektor unterscheiden kann.

Die Banken und Versicherungen zum Beispiel sind heute mehr den je auf eine gut funktionierende Infrastruktur – die sogenannte „Hardware“ angewiesen. Die hierfür notwendigen Kommunikations- und Verkehrsmittel werden von Ingenieuren geplant und von der Industrie realisiert.

Die Ingenieure und Facharbeiter auf dem Bau arbeiten heute mit den modernsten technologischen Geräten, Computern und raffinierter „Software“. Diese Beispiele zeigen, dass die beiden ehemaligen Sektoren heute glücklicherweise miteinander verschmolzen sind.

Auch im alltäglichen Leben können wir diese Entwicklung beobachten: Diejenigen, die vor vierzig Jahren bereits beim Zahnarzt waren, können sich wohl nur zu gut an die damaligen Arbeits- und Folterinstrumente erinnern. Heute verlaufen die Eingriffe beim Zahnarzt praktisch schmerzlos. Zudem hat man den Eindruck, sich bei der Behandlung jeweils in ein Flugzeugcockpit zu setzen…


* Die Schweiz der Zukunft *

Wohin führt uns wohl diese Entwicklung? Wie sieht die Schweiz der Zukunft aus? Welche Probleme muss sie meistern?

[Kurze Pause...]

Denken Sie jetzt an Krankheiten wie Krebs, Aids, an die Herausforderungen an unser Gesundheitssystem?
Denken Sie an Umweltschutz?
Oder fragen Sie nach erneuerbaren Energien und die Sicherstellung des Energiebedarfs der Schweiz?

Sie sehen: Wir sind wieder bei den Ingenieuren angelangt. Die Zukunft gehört den offenen und gut ausgebildeten Geistern! Wir benötigen innovative Leute in der Bio- und Nanotechnologie. Wir brauchen Ingenieure, um die bestehenden Infrastrukturen zu unterhalten und auszubauen. Der Bevölkerung müssen neue Dienstleistungen erbracht werden. Sei es zum Schutz der Umwelt oder zur möglichst effizienten Nutzung nicht erneuerbarer Energien.

Interessant ist die Entwicklung im biomedizinischen Sektor und in den Lebenswissenschaften. Dort schaffen die Grundlagenforschung und die wirtschaftliche Dynamik innovative Produkte mit hohem Mehrwert.

Weil unser Land arm an Rohstoffen ist, müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln. Wir müssen unseren Erfindungsgeist weiter pflegen und Innovationen fördern. Kurz: wir müssen unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen!

Doch: Werden wir in der Schweiz genügend Ingenieure ausbilden? In der Schweiz nehmen die Zahlen in technischen Wissenschaften zwar noch immer leicht zu. Gegenüber anderen Fachbereichen verlieren sie jedoch an Terrain: Prozentual geht die Anzahl Studenten in technischen Fächern klar zurück. Zum Glück ist dieser Trend in der Schweiz weniger ausgeprägt als in anderen Ländern.

Wir sind heute glücklicherweise in der Lage, den Mangel an technischen Ingenieuren mit begabten jungen Leuten aus dem Ausland zu kompensieren. Viele kommen für das Studium oder für das Doktorat in Ingenieurwissenschaften in die Schweiz. So stammen über 50% der Doktorierenden an der ETH aus dem Ausland.

Wie kann man das Studium im technischen Bereich attraktiver gestalten? Es ist nicht einfach! Was einst für Fortschritt und Modernität stand, klingt heute für viele weniger attraktiv. Die Schweiz hat den Traum der Technik, wie ihn unsere Ur-Grosseltern vor 100 Jahren geträumt haben, etwas verloren. Oder zumindest teilweise.
Das 20. Jahrhundert war geprägt von einem gewissen Optimismus. Die Technik war augenscheinlich und greifbar. Zum Beispiel in Form von Brücken, Strassen, Eisenbahnen und Flugzeugen. Heute sind die Errungenschaften der Technik oft nicht mehr unmittelbar sichtbar. Heute erscheint das Design oft wichtiger als der Inhalt.

Wir müssen Massnahmen schon auf Primarschul- und Sekundärschulstufe ergreifen. Bei den Kindern muss die Freude an Technik früh geweckt werden. Wir brauchen hervorragende Lehrpersonen, die Jugendlichen Technik erklären können. Auch muss der Stundenplan auf Mittelschulstufe überarbeitet und die Naturwissenschaften gestärkt werden.

Wir müssen künftig auch vermehrt Frauen für technische Fächer begeistern können. Unterdessen beträgt zwar der allgemeine Frauenanteil bei Studenten fünfzig Prozent.

An den Fachhochschulen macht der Anteil der Frauen in Technik aber erst fünf Prozent aus. Ein unausgeschöpftes Potential an Talenten, das wir unbedingt nützen müssen! Wir müssen den jungen Frauen die Karrieremöglichkeiten aufzeigen.


* Preisträger träumen weiter *

Zum Glück träumen noch viele begabte Leute weiter. Sie träumen von neuartigen, biometrischen Erkennungsmethoden. Von modernen Operationssystemen. Von innovativen Drucktechnologien. Von Schweisstechniken und von thermischen Holzbehandlungen.

Wir haben soeben fünf begeisterte junge Menschen gesehen.

Wer von Ihnen hatte vorher bereits gewusst, dass jeder Mensch ein anderes Handvenenmuster hat? Monika Kappeler, Reto Lauper und Sandro Pennisi haben sich diese Tatsache zu Nutze gemacht: Sie haben ein Erkennungssystem entwickelt, das Menschen schnell und berührungslos identifizieren kann.

Nicht nur technisch innovativ, sondern auch sozial überzeugend ist der Blindenschrift-Drucker, der die Gruppe von Lukas Arm und Fritz Bircher auf den Markt bringt.

Im wahrsten Sinn des Wortes „weitsichtig“ ist das Projekt von Sibylle Jäggi und Jürgen Burger, die sich den weitsichtigen Menschen annehmen.

Michael Grossenbacher und Beat Bruderer haben eine völlig neue Schweisstechnologie entwickelt, die es erlaubt, Holzteile wie Kunststoffe in der Automobilindustrie zu verschweissen.

Kommerziell interessant ist auch ein Projekt aus der Holzindustrie von Matthias Oelhafen, das Eschen und Buchen zu neuen Marktchancen verhelfen kann.

Der Burgdorfer Innopreis hat sich in den letzten Jahren eine schöne Tradition aufgebaut. Er ist nun stark genug, sich auch neuen Herausforderungen zu stellen: Zusätzlich zum Studierendenpreis wird ab 2007 ein neuer Preis vergeben. Der „Prix Innotec-Suisse“ wird als Forschungspreis an allen technischen Departementen der Fachhochschulen ausgeschrieben und in Burgdorf vergeben. Wir freuen uns schon auf diesen Wettbewerb der besten und findigsten Köpfe!

Die Hochschule für Technik und Informatik Burgdorf arbeitet nun seit mehr als 100 Jahren an der modernen Schweiz. Sie bringt auch heute noch Talente hervor, welche die Schweiz von morgen prägen und in uns wieder Träume wecken.

Dafür danke ich Ihnen und gratuliere herzlich zu Ihrem Erfolg.


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