Gleichberechtigung der Menschen und Länder

Bern, 24.09.2013 - Rede von Bundespräsident Ueli Maurer anlässlich der 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen New York, 24. September 2013

Es gilt das gesprochene Wort

 

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Vollversammlung der Vereinten Nationen,
Sehr geehrter Herr Generalsekretär,
Sehr geehrte Damen und Herren Staats- und Regierungschef,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren,

Die Welt ändert sich, aber ob sie auch besser wird, ist offen. Es liegt an uns. Immer wieder gibt es hoffnungsvolle Schritte in eine bessere, friedlichere Zukunft. Und leider gibt es auch immer wieder enttäuschende Rückschritte.

Ich möchte an einen wichtigen Schritt vor 150 Jahren erinnern. Damals, 1863, wurde in Genf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das IKRK, gegründet. Daraus ist eine weltweite Bewegung entstanden. Dank ihrem humanitärem Geist lindern heute selbstlose Helfer Leid überall auf der Erde.

Die humanitäre Arbeit des IKRK beruht auf den Grundsätzen der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der humanitären Aktion. In der Not werden alle Opfer von Konflikten gleich behandelt. Allen wird geholfen. Jeder Mensch ist gleich viel wert.

Neben der humanitären Tradition, welche die Schweiz mit dem IKRK verbindet, ist mein Land stolz auf eine weitere Tradition, die Jahrhunderte zurückreicht: Die Neutralität. Ich darf daran erinnern, dass die Aussenpolitik der Schweiz seit hunderten von Jahren dem friedlichen Zusammenleben verpflichtet ist. Wir pflegen die Beziehungen zu allen. Dank der Neutralität sind wir nie Partei, sondern immer ehrliche Vermittler oder Helfer.

Unsere Neutralität unterstreichen wir auch mit unseren Guten Diensten. Das humanitäre Engagement ist Teil unserer Geschichte. Es ehrt uns, wenn wir unseren neutralen Boden für Friedensgespräche zur Verfügung stellen können. Und wir setzen auch weiterhin alles daran, um mit unseren Guten Diensten einen Beitrag zum Frieden auf dieser Welt zu leisten.

Dieses unparteiische Engagement beruht auf unserer Überzeugung, dass Menschen und Länder verschieden sind, dass sie verschieden sein dürfen und sollen. Und dass sie gleichberechtigt sind.  Dazu gehört auch der Schutz der Menschenrechte. Diese sind Ausdruck völkerrechtlicher Verpflichtungen. Die Schweiz ist besorgt über die verbreiteten Gewaltexzesse und Menschenrechtsverletzungen. Sie ruft alle staatlichen und zivilen Akteure zum Verzicht auf Gewalt auf.

Im Nahen Osten bringen heute gewaltsame Konflikte zu viel Leid für zu viele Menschen. In Syrien ist die humanitäre Lage inzwischen so dramatisch, dass sie von humanitären Organisationen nicht mehr zu bewältigen ist. Die schweren und systematischen Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht dürfen unter keinen Umständen toleriert werden.

Diese Verbrechen dürfen nicht ungeahndet bleiben, egal von welcher Seite sie begangen werden. Aus diesem Grund hat mein Land bereits im Januar dieses Jahres gemeinsam mit 57 gleichgesinnten Staaten den Sicherheitsrat dazu aufgefordert, die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.

Der Einsatz von Chemiewaffen ist ein abscheuliches Verbrechen. Es ist wichtig, dass die relevanten Fakten und Sachverhalte ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund begrüsst die Schweiz die jüngsten Entwicklungen. Der Gewalt in Syrien muss unverzüglich Einhalt geboten werden, um die Zivilbevölkerung vor neuem Leid zu schützen.  

Ich appelliere also an die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats, ihre Divergenzen zu überwinden, so dass endlich eine gemeinsame Basis für eine politische Lösung des Konflikts in Syrien gefunden werden kann. Ich weise auf die Notwendigkeit hin, nichts unversucht zu lassen, damit möglichst rasch die in Genf vorgesehene Konferenz stattfinden kann. Eine solche Konferenz muss zu einer dauerhaften Verhandlungslösung führen, die den legitimen Anliegen des gesamten syrischen Volks entspricht.


Gleichberechtigung von Menschen und Ländern

Nicht nur die Schweiz ist dem Grundsatz der Gleichberechtigung verpflichtet. Die UNO gibt ihm mit ihrer Charta weltweite Gültigkeit. In der Präambel wird der Glaube an „die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau" bekräftigt.

Und was für uns alle als Menschen gilt, gilt auch für unsere Länder. Darum wird in der Charta noch im selben Satz nach den Grundrechten der Menschen auch die Gleichberechtigung aller Nationen genannt - ausdrücklich heisst es: „ob gross oder klein".

Die Vereinten Nationen setzen sich nach Artikel 1 Ziffer 2 der Charta unter anderem zum Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln".

Und in Artikel 2 Ziffer 1 der Charta heisst es: „Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder."

Ich bin der Überzeugung, dass diese Grundsätze eine hoffnungsvolle Grundlage sind für das friedliche Zusammenleben aller Menschen und Völker auf dieser Welt.

Aber sind wir uns dessen noch genügend bewusst? Oder verlieren wir uns nicht zu stark in grossen Fantasien und kleinen Details? Mir scheint, die internationale Politik spricht zu viel darüber, wie es sein müsste. Und zu wenig darüber, wie es ist.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass eine überhand nehmende Bürokratie eine zunehmend isolierte Parallelwelt entwirft. Letztlich bringt diese immer mehr Kosten und weniger konkrete Resultate.

Für globale Probleme braucht es nicht nur globale Diskussionen, sondern gemeinsame Lösungen. Die UNO sollte der Ort dafür sein. Um dieser Rolle gerecht zu werden, muss sie effizient, innovativ und handlungsfähig sein. So kann die UNO die Gleichberechtigung von Menschen und Ländern vorantreiben. Die Schweiz ist gewillt, ihren Beitrag zu leisten.  


Rückfall in die Machtpolitik?

Ich rede von Entwicklungen, die unsere gemeinsamen Werte berühren, wie sie in der Charta festgehalten sind. Ich möchte sie hier ansprechen und zur Diskussion bringen. Denn ich bin hierhergekommen, weil ich besorgt bin.

Als Vertreter eines neutralen Staates mit langer humanitärer Tradition beobachte ich mit Sorge eine Rückkehr zur Machtpolitik. Mir fällt auf, dass grosse Staaten wieder mehr auf Macht und Stärke setzen. Sie akzeptieren die kleineren immer weniger als ebenbürtige Partner.

Ich muss hoffen, dass diese Entwicklung wieder korrigiert wird. Die grundlegenden Werte der Charta, die die Staatengemeinschaft verbindet und der sie sich verpflichtet fühlt, sind ansonsten in Frage gestellt.

Die Tendenz zur internationalen Machtpolitik beunruhigt mich. Denn wir glauben doch alle daran, dass die verschiedenen Länder ihren Weg frei wählen sollen; in gegenseitiger Rücksicht und mit Respekt für die Regeln des friedlichen Zusammenlebens der Völker, aber so, wie es ihren Eigenheiten entspricht. Wir glauben an den friedlichen Wettbewerb der Volkswirtschaften. Wir glauben an die Vielfalt dieser Welt; an die friedliche Vielfalt souveräner Staaten, die einander als gleichwertige, faire Partner begegnen.

Die Völker geben sich ihre eigene Verfassung. Ihre eigene Wirtschaftsordnung. Ihre eigene Rechtsordnung. Kein Land stellt sein Recht über das Recht anderer Länder. Probleme werden nicht durch Diktat, sondern durch Verhandlungen gelöst. Gemeinsame Normen und Regeln, das Völkerrecht, sind die Grundlage  dafür, dass nicht einfach das Recht des Stärkeren gilt. So bringen uns Souveränität und Gleichberechtigung Frieden, Stabilität und freundschaftliche Beziehungen zwischen allen Völkern.

Das sind die Überzeugungen, aus welchen die Charta der Vereinten Nationen entstanden ist. Teilen wir heute diese Überzeugungen noch?


Welche Zukunft wählen wir?

In letzter Zeit hat mich der Umgang zwischen den grossen Ländern mit den kleinen verunsichert, weil oft Macht vor Recht steht.
Die UNO ist in den verschiedensten Bereichen aktiv. Da besteht die Gefahr, dass sie sich verzettelt und den Fokus verliert. Die UNO, aber auch wir, ihre Mitgliedstaaten,scheinen mir oft ratlos, wenn es um die Grundsätze geht, derentwillen die Vereinten Nationen gegründet wurden.

Vergessen wir nie, was hinter diesen Grundsätzen der Gleichheit der Menschen und der Gleichberechtigung und Souveränität der Staaten steht. Sie sind die Erkenntnisse aus der Geschichte. Aus einer leidvollen Geschichte von Unterdrückung, Fremdbestimmung und Konflikten.

Zusammen müssen wir entscheiden, welchen Weg in die Zukunft wir einschlagen: Kümmern wir uns fortan vor allem um thematische Nebenschauplätze? Das wäre eine verpasste Chance!

Ich bin der Meinung, wir sollten uns hier und jetzt einen Ruck geben: Machen wir uns gemeinsam daran, die Werte der Vereinten Nationen umzusetzen!

Engagieren wir uns für eine friedliche Welt, in der Menschen und Länder gleichberechtigt und gleichwertig sind, in der Recht vor Macht kommt.
Es liegt an uns, an uns allen hier in diesem Saal, ob wir dieses Ziel erreichen - leisten wir einen Effort! Beginnen wir jetzt!


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