Meine Damen und Herren,

Lassen Sie mich mit einem Dankeschön beginnen. Es gilt Ihnen, lieber Herr Linder, lieber Herr Stähli, für das Schaffen dieser exzellenten Plattform Swiss Economic Forum. Vielen Dank.

Ich bin kein Hellseher. Gerne nehme ich aber die Herausforderung an, zu Ihnen über das Thema «Discover Potentials» zu sprechen. Seine Potenziale zu entdecken hat viel mit einem Blick in die nahe und ferne Zukunft zu tun. Unsere Wirtschaft steht im internationalen Vergleich gut, ja sogar sehr gut da. Selbst die Wirtschaftskrise haben wir gut verdaut.

Ein Wermutstropfen sind die Konsequenzen des starken Schweizer Frankens.Der Schweizer Franken gibt nach wie vor Anlass zur grossen Sorge. Im Februar hat der Bundesrat eine Lageeinschätzung vorgenommen und gezielte Massnahmen beschlossen. Seither hat sich die Lage nicht grundlegend verändert, aber die Risiken sind beträchtlich. Der Bundesrat und die Schweizerische Nationalbank verfolgen die weitere Entwicklung und werden - sollte sich die Lage deutlich verschärfen - geeignete Massnahmen prüfen. Die Möglichkeiten eines kleinen Landes, das reale Austauschverhältnis des Frankens auf Dauer zu beeinflussen, sind jedoch eng begrenzt. Unternehmen müssen zumindest kurz- bis mittelfristig mit einem starken Franken leben lernen.

Eine andere Tatsache ist, dass sich die Wirtschaftsmächte Richtung Asien verschieben. Dieser Trend hat sich in der Wirtschaftskrise sogar noch verstärkt. Der demographische Wandel stellt uns zusätzlich vor neue, grosse Herausforderungen. Diese beiden tiefgreifenden Trends werden unsere Wirtschaft und Gesellschaft verändern. Diese Entwicklungen verlaufen langsam. Das ist das Problematische daran. Es besteht vermeintlich kein Handlungsbedarf von heute auf morgen. Dieser Eindruck täuscht: Wir müssen heute aus der Position der Stärke handeln. Tun wir dies nicht, drohen wir ins Abseits zu gleiten.

Ich verrate Ihnen mein ganz persönliches Ziel: Der Wirtschaftsstandort Schweiz muss auch in zehn und mehr Jahren zu den besten der Welt gehören. Um dieses Ziel erreichen zu können, sehe ich drei drängende Fragen:

Wie sichern wir uns genügend gute Fachkräfte?
Wie sichern wir uns offene Märkte?
Wie sichern wir uns eine zuverlässige Energiepolitik?

Meine Damen und Herren, mir sind Lösungen wichtig, die ausgewogen sind zwischen einer wettbewerbsfähigen, einer umweltfreundlichen sowie einer sozialen und sicheren Schweiz.

Die nächste wie auch die folgenden Generationen müssen optimale Rahmenbedingungen von uns übernehmen können. Deshalb darf nicht eigennütziges oder kurzfristiges Handeln im Vordergrund stehen. Langfristiges Denken und Handeln sind angesagt.

Wie sichern wir uns genügend gute Fachkräfte?

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Die Situation für Schweizer Unternehmen ist schwierig, aber im Vergleich zu anderen Phasen des Aufschwungs tragbarer. Denn: Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU kann ein Grossteil der fehlenden Fachkräfte im Ausland relativ einfach rekrutiert werden.

Der Trend zur vermehrten Nachfrage nach qualifiziertem Personal ist bei der Einwanderung deutlich sichtbar. Bis Mitte der Neunzigerjahre waren 60 Prozent der Einwanderer ohne Berufsausbildung. Heute besitzen 60 Prozent der einwandernden Vollzeitbeschäftigten einen Hochschul- oder höheren Berufsbildungsabschluss.

Der Kampf um Talente wird sich weiter zuspitzen. Denn: Mit der fortschreitendenden demographischen Entwicklung nimmt der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ab. Lassen Sie mich deutlich machen: Es ist zu riskant, die zunehmende Fachkräftenachfrage weitgehend durch Zuwanderung befriedigen zu wollen. Denn: Auch unsere wichtigsten Handelspartner in Europa kämpfen mit dem Problem der alternden Gesellschaft. Die Lage kann sich rasch ändern.

In einzelnen Bereichen, zum Beispiel in Spitälern, ist das Reservoir an Ärzten aus Deutschland bereits ausgeschöpft. Wir müssen auch die politische Tatsache berücksichtigen, dass ein beträchtlicherer Teil der Bevölkerung eine Zuwanderungsbeschränkung befürwortet.

Ich will deshalb, dass Schweizer Unternehmen künftig vermehrt gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Inland rekrutieren können. Unser schweizerisches Bildungssystem ist für die Leistungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zentral.

Unser duales Bildungssystem ist ein grundlegender Erfolgsfaktor. Ich will diesem Trumpf Sorge tragen - und dieses erfolgreiche System weiterentwickeln. Die Aus- und Weiterbildung müssen von hoher Qualität und den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes angepasst sein. Wissenschaftliche und praxisnahe Ausbildungen sind ebenso wichtig. Beide tragen zur hohen Innovationskraft der Schweiz bei.

Ich habe deshalb eine Fachkräfte-Initiative lanciert. Diese umfasst drei Phasen:

In der ersten Phase entwickelt eine interne Task Force eine Strategie gegen den Fachkräftemangel für die nächsten 10 Jahre. Ich möchte der Arbeitsgruppe nicht vorgreifen. Für mich sind Themen möglich, wie gut ausgebildete Frauen, die heute vielfach Teilzeit arbeiten, besser in den Arbeitsprozess integriert werden können.

Oder wie Wiedereinsteiger besser und ältere Arbeitnehmer länger in den Arbeitsprozess eingebunden werden können.

In der zweiten Phase will ich im Herbst einen Roundtable «Fachkräftepotenzial» durchführen. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sind herzlich eingeladen, ihre Sicht und Erfahrung zu der von uns erarbeiteten Strategie einzubringen.

Denn: Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und die öffentliche Hand müssen in der Umsetzung am selben Strick ziehen.

In der dritten Phase diskutiert der Bundesrat die überarbeitete Fachkräftestrategie mit dem entsprechenden Massnahmenkatalog. Dies sollte spätestens Anfang 2012 geschehen.

Damit komme ich zur zweiten Frage:

Wie sichern wir uns offene Märkte?

Erlauben Sie mir hierzu eine Vorbemerkung: Eine florierende Exportwirtschaft basiert auf einer guten Binnenwirtschaft. Ihr müssen wir Sorge tragen. Die Binnenwirtschaft, die noch kompetitiver gemacht werden muss, geniesst hohe Priorität in meiner Aufgabenliste. Die Schweiz erwirtschaftet jeden zweiten Franken im Ausland. Marktöffnungen via die WTO sind der Königsweg für eine mittelgrosse Wirtschaftsmacht wie die Schweiz. Ausgehandelte Abkommen gelten für alle 153 Mitgliedstaaten. Verstösse sind einklagbar. Ein Transparenzmechanismus über die Handelspolitiken ist gegeben. Doch wie Sie alle wissen, stocken die Hauptverhandlungen. In der heutigen Welt wird der multilaterale Weg immer schwieriger. Das zeigen auch andere internationale Verhandlungen. Ich erwähne nur den Klimabereich.

Wir müssen leider damit rechnen, dass die Doha-Verhandlungen bis Ende Jahr nicht abgeschlossen werden können. Ich habe deshalb meinem Departement den Auftrag erteilt, mögliche Wege aufzuzeigen, wie zumindest Teilergebnisse gesichert werden können. Zudem will ich wissen, wie das WTO-Rechtssystem von negativen Auswirkungen eines möglichen Scheiterns der Doha-Runde bewahrt werden kann.

Kommt die Doha-Runde nicht zu einem befriedigenden Abschluss, würden für die Schweiz der bilateralen Weg mit der EU und die Freihandelsabkommen mit anderen Partnern noch wichtiger. In solchen bilateralen Abkommen können «massgeschneiderte» Lösungen ausgehandelt werden. Doch auch dabei ist der Erfolg nicht von vornherein gesichert.

Sie wissen es: Mit der EU sind die bilateralen Verhandlungen gegenwärtig nicht ganz einfach. Ich bin aber zuversichtlich, dass für beide Seiten tragbare Lösungen gefunden werden können. Beide Vertragspartner, also auch die Europäische Union, wollen die bisher äusserst erfolgreiche Zusammenarbeit weiterentwickeln.

Die institutionellen Fragen, vor allem die Weiterentwicklung und Auslegung der bilateralen Abkommen, die Überwachung über ihre Umsetzung und die Beilegung von Streitigkeiten, müssen vertieft diskutiert werden. Diesbezüglich hat der Bundesrat Anfang Mai zwei externe Gutachten in Auftrag gegeben. Wir werden dieses Expertenwissen in unsere Überlegungen einfliessen lassen und dann über die nächsten Etappen unserer Europapolitik entscheiden.

Für mich ist zentral: Die Schweizer Unternehmen müssen einen freien Zugang zu aufstrebenden Wirtschaftsmächten behalten und erhalten. Ohne jegliche Diskriminierungen. Dazu stehen wir in Verhandlungen mit Indien, China und der russischen Zollunion. Mit Indien hoffen wir das entsprechende Abkommen noch im laufenden Jahr abschliessen zu können.

Die im Januar am World Economic Forum in Davos eröffneten Verhandlungen mit China will ich bis Ende 2012 abschliessen. Mit der russischen Zollunion sind die Gespräche noch in einer frühen Phase. In Bezug auf Handels- und Steuerabkommen gibt es weitere Chancen, wie etwa in Lateinamerika und Asien, zum Teil aber auch in Europa, Nordamerika und Ozeanien.

Damit komme ich zur dritten, für Wirtschaft und Gesellschaft relevanten Frage:

Wie sichern wir uns eine zuverlässige Energiepolitik?

Fukushima hat uns vor Augen geführt, dass die Zukunft der Atomenergie überdacht werden muss. Der Bundesrat prüft derzeit die drei verschiedenen Szenarien der Energiepolitik und führt bis Ende Monat und dann natürlich darüber hinaus eine intensive Diskussion.

Der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie wird gefordert. Meine Damen und Herren, was würde das heissen? Es müssten nicht nur die fünf eigenen Atomkraftwerke stillgelegt werden. Es müssten auch alle Kernenergieverträge mit Frankreich annulliert werden. Mit anderen Worten: Unsere Stromversorgung würde von heute auf morgen um 40 Prozent sinken. Damit ist klar: Der sofortige Ausstieg ist weder machbar noch für die Wirtschaft verkraftbar. Strom in der gewünschten Menge könnte nur noch beziehen, wer dafür einen sehr hohen Preis bezahlen kann. Die wenigsten könnten den Energiekonsum in nützlicher Frist massiv reduzieren.

Meine Energiepolitik heisst,

die Versorgungssicherheit für jeden Konjunkturzyklus, jedes Wachstum und für jeden Zeitpunkt zu gewährleisten.
der Preis der kWh muss mit demjenigen der OECD-Länder vergleichbar sein.
der hohe Eigenversorgungsgrad muss aufrecht erhalten bleiben.

Energie wird in Zukunft mehr kosten. Wem ist schon bewusst, dass wir heute für einen Liter Heizöl weniger bezahlen als für einen Liter Mineralwasser? Heizöl kostet derzeit gut 1 Franken pro Liter. Wenn man im Lebensmittelgeschäft nicht gerade ein Billig-Mineralwasser kauft, zahlt man deutlich mehr.

Wir müssen unsere Energieversorgung stärker auf die beiden Pfeiler Ressourceneffizienz und erneuerbare Energie abstützen. Das funktioniert nicht von heute auf morgen. Dieser Prozess braucht Zeit. Die Schweiz ist weltweit eines der innovativsten Länder. Unsere Technologien zur effizienten Nutzung und Erhaltung der natürlichen Ressourcen können den Wirtschaftsstandort Schweiz stärken, wenn wir sie geschickt nutzen. Wie die Schweiz zum führenden Cleantech-Standort werden kann, zeigt der vom Bund lancierte Masterplan Cleantech.

Ich bin überzeugt, dass unsere Unternehmen, aber auch unser Land, eine grosse Chance erhalten, wenn sie in diese neuen Technologien einsteigen. Nutzen Sie dieses Potenzial. Es ist im Grunde genommen ganz einfach: Je schneller sich erneuerbare Energien auf dem Markt durchsetzen, desto rascher können wir aus der Atomenergie aussteigen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wollen wir wettbewerbsfähig bleiben, müssen wir Chancen nutzen und uns den Herausforderungen der Zukunft stellen. Wir müssen Reformen früh und aus einer Position der Stärke angehen. Wir müssen weitsichtig und langfristig handeln. Wir müssen Potenziale erkennen und sie nutzen.

Ich will mich als Wirtschaftsminister dafür einsetzen und durchsetzen - nach innen und aussen. Wir dürfen uns nicht von wachsenden populistischen Tendenzen dazu verleiten lassen, unsere bewährte politische und wirtschaftliche Öffnung nach aussen aufs Spiel zu setzen. Wir dürfen aber auch nicht hinnehmen, dass diese Öffnung durch Missbräuche im Innern gefährdet wird.

Meine Damen und Herren, wir alle sind keine Hellseher. Wir alle können uns nicht gegen Unvorhergesehenes schützen. Doch packen wir die Gelegenheit, um uns hier am Swiss Economic Forum intensiv Gedanken zu machen, wie wir unsere Potenziale nutzen können. Denn: Wer fit ist, kann auch besser auf nicht vorhersehbare Ereignisse reagieren. Ich wünsche Ihnen spannende zwei Tage in Interlaken!

Es gilt das gesprochene Wort !

Wettbewerbsfähige Schweiz: Wie sichern wir sie? Lancierung einer Fachkräfte-Initiative