Die Kunden der Verwaltung

Bern, 17.11.2009 - Referat von Frau Bundeskanzlerin Corina Casanova anlässlich des Treffens der federführenden Organisationen (ffO) der E-Government-Strategie Schweiz vom 16. November 2009.

Sehr geehrte Damen und Herren

Liebe Anwesende

Sie haben mich eingeladen, mir einige Gedanken über die „Kunden der Verwaltung" zu machen. Zur Vorbereitung meiner Rede habe ich mich auf die Suche nach diesen Kunden gemacht. Dazu habe ich selbstverständlich unsere Homepage benützt und im Suchfeld den Begriff „Kunde" eingegeben. Das Suchergebnis lautete:

„Keine Resultate gefunden".

Das ist ernüchternd, aber in einem gewissen Sinn auch folgerichtig: Der Begriff „Kunde" kommt weder in der Bundesverfassung noch im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vor. Wenn der „Kunde" in einem Erlass auftaucht, dann deshalb, um verbindliche Spielregeln dieser bekanntermassen heiklen Beziehung zwischen Kunde und Lieferant zu bestimmen.

Dennoch wird der Begriff „Kunde" immer häufiger benutzt, um in Projekten das Gegenüber der Behörde oder auch die Zielgruppe zu beschreiben. Das lässt sich auch leicht erklären. Wir alle fühlen uns als Kundinnen und Kunden nicht unbedingt dort am besten aufgehoben, wo wir am billigsten abgefertigt werden. Sondern wir fühlen uns dort am wohlsten, wo wir wie Königinnen und Könige behandelt werden. „Der Kunde ist König" - dieses Schlagwort gilt als Erfolgsrezept schlechthin für ein grosses Ansehen als Dienstleister und für ein umsatzförderndes Geschäftsgebaren.

Wir von der Verwaltung erhoffen uns, der magische Spruch vom „König Kunde" wirke sich auch segensreich auf das Ansehen der Verwaltung aus. Aber da stossen wir sofort auf eine neue Schwierigkeit. Unserem Staatswesen sind nicht nur Kunden und Kundinnen, sondern auch Könige und Königinnen fremd.

Die Bundesverfassung wendet sich an Bürgerinnen und Bürger, an das Volk, ab und zu an Personen. Diese Begriffe sind Ausdruck einer vielfältigen Beziehung zwischen dem Staat und den Menschen, die diesen Staat ausmachen. Sicher treten die Menschen uns Behörden gegenüber auch als Kunden auf, etwa dann, wenn sie eine Parkplatzbewilligung oder eine Fischereilizenz benötigen. Die Polizei spricht manchmal von „alt bekannten Kunden".

Aber sind wir auch Kunden, wenn wir das Stimm- und Wahlrecht ausüben oder wenn wir eine Parkbusse bezahlen? Wenn wir eine Autobahnvignette kaufen oder den Wiederholungskurs absolvieren? Können wir wie Kunden des Detailhandels den Lieferanten wählen und ohne weiteres wechseln?

Nein.

Der Staat ist kein „Lädeli" und auch kein Supermarkt. Wir sind keine Verkäuferinnen und Verkäufer. Unsere Gegenüber sind Stimmende, unsere Gegenüber sind Wählende, unsere Gegenüber sind Ausländerinnen und Ausländer. Es sind Menschen, die in die Schweiz ziehen wollen, Frauen und Männer, die eine Bewilligung für die Ausübung einer Tätigkeit benötigen. Oft handelt es sich um etwas, das überhaupt nur beim Staat erhältlich ist. Wir können unsere Dienste nur beschränkt auf bestimmte, besonders zahlungskräftige Zielgruppen ausrichten. Und im Unterschied zur Privatwirtschaft können wir „Kunden" nicht ignorieren oder abweisen.  

Wir sollten deshalb zurückhaltend sein, wenn wir die Beziehung zwischen Behörden und Volk auf eine Kundenbeziehung reduzieren. Denn mit dieser Beschreibung spiegeln wir etwas vor, was nicht ist, und wir wecken möglicherweise auch Erwartungen an Behörden, die diese beim besten Willen nicht erfüllen können.  

Den Frust bekommen wir ja öfters auch zu spüren. Kürzlich las ich auf der Website einer namhaften Schweizer Zeitung folgenden Kommentar von Nutzern zu einem Artikel über den Facebook-Entscheid der Generalsekretäre:

„Jetzt weiss ich endlich, warum ich in der öffentlichen Verwaltung (Staats- statt Bürgerdiener) oftmals nur sehr schwer jemanden erreichen kann: Ein Grossteil der Beamten in ihren stresslosen Wohlfühloasen ist privat am Facebook "beschäftigt". Wir Steuerzahler sind mal wieder die Dummen, aber wir verlangen nun, dass schweizweit bei Bund, Kantonen und Gemeinden die Leitung gekappt wird!"

Das tut weh! Zwar wurden die „Beamten" schon längstens abgeschafft und unsere Behörden geniessen im internationalen Vergleich ein grosses Ansehen. Das schlechte Image einer trägen und bürgerfeindlichen Bürokratie bleibt dennoch haften. Es ist erst recht schmerzhaft, wenn das „Leitungen kappen" zum politischen Programm wird.

Wir tun deshalb gut daran, nach dem Vorbild erfolgreicher Unternehmungen kundenfreundlich zu handeln, auch wenn wir keine Kunden haben.

Or, la mise en œuvre de la stratégie suisse de cyberadministration vise précisément à accroître la convivialité. Conformément à la préface de cette stratégie, une administration efficace, transparente et conviviale aux trois échelons étatiques est cruciale tant pour la compétitivité dans une société du savoir de plus en plus globalisée que pour la qualité de vie de la population.

Vous êtes les forces motrices de la mise en œuvre de la stratégie, et vous avez déjà parcouru un long chemin. A l'heure qu'il est, de nombreuses démarches administratives peuvent être accomplies sans qu'il faille se rendre personnellement à l'administration communale. Le Conseil fédéral et le Parlement vous soutiennent dans votre tâche. 25 millions de francs seront mis à disposition dans le cadre de la troisième phase des mesures de stabilisation conjoncturelle, dont 4 millions seront affectés à la cyberadministration suisse pour promouvoir les projets qui ont besoin d'un petit coup de pouce. 

Certes, il a peut-être fallu un peu plus de temps à la Suisse pour pouvoir présenter des résultats concrets, mais, à présent, les choses vont bon train. La preuve en est qu'aujourd'hui, vous traitez de questions touchant à la clientèle et à l'utilité. Vous n'avez pas que l'informatique en tête. Vous voyez déjà plus loin. Vous vous demandez comment faire en sorte que les utilisateurs puissent accéder à la cyberadministration. Vous vous demandez aussi comment maximaliser l'utilité. Et vous attribuez même un prix à ceux qui peuvent attester d'excellents résultats dans ce domaine.

Ich habe grossen Respekt vor Ihrer Aufgabe und Ihren Leistungen. Sie stehen vor einer doppelten Herausforderung. Die herkömmlichen Verwaltungsabläufe lassen sich nicht einfach eins zu eins in elektronische Geschäftsprozesse umwandeln, sondern es drängen sich Anpassungen bei Routinen und Organisationen auf. Mit solchen Veränderungen tun sich Verwaltungen naturgemäss schwer.

Dovete però anche provvedere affinché le persone esterne all'amministrazione trovino e usino i processi operativi elettronici. Questo diventa molto più difficile in un mondo sconfinato come Internet che in un luogo circoscritto come un Comune o un Cantone. È quindi indispensabile comunicare. Comunicazione significa partecipazione, intesa sulle cose comuni, in una lingua comprensibile per tutti. Richiede quindi elaborazione e attenzione. Già alcune volte non è facile comunicare di persona in municipio, ma cosa succede quando la comunicazione non avviene più a quattr'occhi, ma tramite uno schermo?  

Anche l'utente che a notte fonda si siede da solo o da sola davanti al computer e vuole disbrigare alcune pratiche amministrative deve rendersi innanzitutto conto che ha determinati diritti e obblighi. Deve scoprire quale autorità è competente e dove si trova in Internet. Deve mettersi in contatto con essa e allo schermo deve spiegare, motivare e far capire in poche parole la sua richiesta. Deve eventualmente leggere le istruzioni e compilare formulari. Se inserisce i suoi dati personali, deve avere la certezza che rimangano confidenziali. Se invia il suo voto, vuole essere sicuro o sicura che il suo voto conti. Se esegue un pagamento, vuole ricevere la ricevuta e la prestazione pagata. Deve poter avere fiducia e per averla, necessita di sostegno, comprensione, sicurezza e affidabilità.  

Am PC ist der Mensch nicht einfach mehr Mensch oder Kunde, sondern Nutzer oder User. Neben die Kundenfreundlichkeit tritt die Usability. Wir übersetzen dies oft als Benutzerfreundlichkeit. In der Usability steckt aber mehr: Es ist die Brauchbarkeit, es ist der Nutzwert eines Produkts oder einer Dienstleistung, der massgebend ist. Was einen hohen Nutzwert hat, entscheidet aber nicht der Anbieter, sondern der Nutzer.

Wie erreichen wir diesen hohen Nutzwert? Wie erreichen wir, dass E-Government dank eines hohen Nutzwerts zum Imagegewinn für die Verwaltung wird?

Ich kann Ihnen dazu keine technische Antwort geben, sondern nur die Erwartungen einer Nutzerin schildern.

Wenn eine Behörde etwas von mir will, so möchte ich ganz gern verstehen, warum. Und ich möchte wissen, was mit meinen Angaben passiert.

Wenn ich etwas von einer Behörde will, so erwarte ich, dass ich nicht lange suchen muss, wer für mein Bedürfnis zuständig ist. Dann möchte ich die gleiche zuvorkommende Behandlung meiner Anliegen, wie ich dies im privaten Geschäftsverkehr schätze. Zugänglich, einladend, ansprechend, verständlich, unkompliziert. Auf gleicher Augenhöhe und nicht von oben herab. Vertrauensvoll. Aufmerksam auf meine Bedürfnisse, Erwartungen und Möglichkeiten.

Genau so, wie schon heute viele Verwaltungsgebäude rollstuhlgängig sind, müssen auch E-Government-Dienste „rollstuhlgängig" sein. Barrieren bestehen nicht nur aus Beton oder missmutigen Angestellten, sondern ebenso oft aus komplizierten Sätzen, unverständlichen Wörtern, IT-Jargon, verschachtelten Navigationen, unauffindbaren Informationen, komplizierten Prozessen, überflüssigen Knöpfen und missverständlichen Symbolen. In der unfassbaren Welt des Internets und seines speziellen „IT-Slangs" sind solche Hindernisse noch schwieriger zu überwinden als im richtigen Leben.

Selbstverständlich richten wir bei der Optimierung des Nutzens auch die Augen auf die Privatwirtschaft. Den blendenden Erfolg von Produkten und Dienstleistungen führen wir auf technische Raffinesse, geniales Design und die richtige Strategie zurück. Berühmte Strategen lehren uns: Am Anfang jedes Erfolgs steht die Frage „Was ist unser Geschäft"?

Unser „Geschäft" ist die direkte Demokratie.

Alles, was wir tun, alle unsere Prozesse stehen letztlich im Dienst der politischen Mitwirkung. Jeder und jede darf, kann und soll sich an der Gestaltung des Staatswesens beteiligen. Die Beteiligung beschränkt sich nicht auf das Wählen des politischen Personals und das Entscheiden über Sachfragen. Sondern die Bürgerinnen und Bürger entscheiden auch über die Geschäftsprozesse. Sie führen neue ein und schaffen sie wieder ab, wenn sich die Neuerungen als untauglich erweisen.

Wir sind damit sehr gut gefahren. Die Schweiz ist attraktiv, wohlhabend, die Menschen fühlen sich frei und sicher in unserem Land. Sie haben Handlungsspielraum. Die bei uns gelebte direkte Demokratie ist ein Erfolg, der auch Neid weckt. Und im weltumspannenden Internet ist er zu einer Metapher geworden: Web 2.0.

Man könnte durchaus sagen: Die Usability unseres Staates ist hoch. Sie ist hoch, weil die Entscheide über Prozesse, Ressourcen und Produkte letztendlich von den Nutzerinnen und Nutzern gefällt werden. Je stärker es Ihnen gelingt, E-Government auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten und nicht auf die Erfordernisse der Verwaltung, desto grösser ist deren Brauchbarkeit, desto grösser ist Ihr Erfolg. Denn Sie erweitern die Handlungsoptionen dieser Menschen in ihren Rechten und Pflichten gegenüber dem Staat.

Sie leisten damit mehr als eine Imageverbesserung der Behörden.

Sie leisten einen Beitrag zur Erneuerung und Stärkung der direkten Demokratie.

Dies honorieren auch die Bürgerinnen und Bürger. So entgegnete ein Nutzer auf die vorher zitierte Häme: „Ihr Kommentar zeigt mir, dass Sie keine Ahnung davon haben, was die Beamten hierzulande wirklich leisten. Gehen Sie mal ins Ausland und Sie werden von der Qualität der Schweizer Beamten träumen! Ihr Frust mag seine Gründe haben, jedoch ist die Lösung sicher nicht darin zu finden, andere zu beschimpfen! Meistens muss man bei sich selber anfangen und vor der eigenen Türe kehren."

Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit.



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