Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU: Anrufung der Ventilklausel gegenüber den Staaten der EU-8

Bern, 18.04.2012 - Der Bundesrat hat an seiner heutigen Sitzung entschieden, die im Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU vorgesehene Ventilklausel gegenüber den Staaten der EU-8 anzurufen. Die Kategorie der Aufenthaltsbewilligungen B wird gegenüber den Staatsangehörigen dieser Länder per 1. Mai 2012 kontingentiert. Des Weiteren hat der Bundesrat entschieden, zusätzliche Massnahmen im Bereich der Flankierenden Massnahmen sowie der Integration zu prüfen.

Seit Aufhebung der Kontingente am 1. Mai 2011 gilt für Staatsangehörige der mittel- und osteuropäischen Staaten der EU-8 [1] die volle Personenfreizügigkeit. Die im Freizügigkeitsabkommen (FZA) vorgesehene Ventilklausel erlaubt es der Schweiz, bis ins Jahr 2014 einseitig wieder Kontingente für Personen aus den EU-8 Ländern einzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anzahl der ausgestellten Aufenthalts- bzw. Kurzaufenthaltsbewilligungen an Erwerbstätige aus den EU/EFTA-Staaten in einem Jahr um mindestens 10% über dem Durchschnitt der vorangegangenen drei Jahre liegt. Im Falle der an Staatsangehörige der EU-8 erteilten Aufenthaltsbewilligungen B waren die genannten Voraussetzungen für die Periode Mai 2011- April 2012 erfüllt, nicht jedoch für die Kurzaufenthalter (Bewilligungen des Typs L) [2]. Die Kontingentierung auf rund 2‘000 B-Bewilligungen wird, wie im FZA vorgesehen, per 1. Mai 2012 in Kraft gesetzt und soll für ein Jahr gelten. Vor Ablauf dieses Jahres muss der Bundesrat die Situation erneut beurteilen und über eine allfällige Weiterführung bis 31. Mai 2014 entscheiden. Danach gilt die volle Personenfreizügigkeit für alle Staatsangehörigen aus den Staaten der EU-25/EFTA.

In seiner Interessenabwägung hat der Bundesrat berücksichtigt, dass die Personenfreizügigkeit dem Wirtschaftsstandort Schweiz viele Vorteile bringt. Die Zuwanderung aus den EU-Ländern hatte während der Rezession eine positive Wirkung auf die Konsumausgaben und die Bauinvestitionen und stützte damit die Schweizer Wirtschaft. In der Schweiz leben mehr als 1,1 Millionen Staatsangehörige aus den EU-Ländern. Sie leisten zusammen mit den Grenzgängern einen wichtigen Beitrag zur Schweizer Wirtschaft und zur Schaffung bzw. dem Erhalt von Arbeitsplätzen.

Allerdings hat der Bundesrat in den vergangenen Monaten ebenfalls festgestellt, dass die Komplexität des Themas Zuwanderung eine Diskussion über Massnahmen in den Bereichen Arbeitsmarkt (inkl. flankierende Massnahmen) und Integration erfordert, welche unter Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Überlegungen erfolgen muss.

Mit der Anrufung der Ventilklausel setzt nun der Bundesrat eines der Mittel ein, die es ihm erlauben, die Zuwanderung in die Schweiz zu steuern. Allerdings ist sich der Bundesrat auch bewusst, dass dieses Instrument nur kurzfristig wirken kann und dass weitere langfristig wirkende Massnahmen nötig sind.

In diesem Sinne hat der Bundesrat das EVD (SECO) beauftragt, konkrete Vorschläge zur Lösung des Problems der Nichteinhaltung von Mindestlohnvorschriften und -arbeitsbedingungen durch Subunternehmer zu erarbeiten. Weiter hat der Bundesrat das EJPD und EVD beauftragt, die Möglichkeit der Meldung der Löhne von Arbeitnehmenden aus allen EU/EFTA-Staaten bei der Einreise zum Stellenantritt und im Rahmen des Meldeverfahrens zu prüfen.

Beide Aufträge entsprechen sinngemäss den im Rahmen der Beratung über die Anpassung des Bundesgesetzes über die flankierenden Massnahmen in den Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK-Ständerat und WAK-Nationalrat) gestellten Anträgen.

Im Bereich der Integrationsförderung hat der Bundesrat das EJPD beauftragt zu prüfen, ob eine zusätzliche Erhöhung des Beitrags des Bundes im Lichte der Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum angezeigt ist. Diese Verstärkung der Integrationsförderung durch den Bund könnte innerhalb der Rahmenbedingungen erfolgen, auf welche sich Bundesrat und Kantonsregierungen im letzten Jahr geeinigt haben. Die Integrationsförderung soll ab 2014 über kantonale Integrationsprogramme erfolgen, welche auf die jeweilige Situation der Kantone und die Art der Zuwanderung abgestimmt sind.

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[1] EU-8: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn.
[2] Aufenthaltsbewilligungen B werden an Personen erteilt, die über einen Arbeitsvertrag in der Schweiz mit überjähriger oder unbefristeter Dauer verfügen und an selbständig Erwerbstätige. Kurzaufenthaltsbewilligungen L werden an ausländische Erwerbstätige erteilt, deren Arbeitsvertrag weniger als ein Jahr Gültigkeit hat.
Seit dem 1. Mai 2011, d.h. seit Einführung der vollständigen Personenfreizügigkeit gegenüber den EU-8-Staaten, wurden gesamthaft rund 6‘000 Aufenthaltsbewilligungen B an erwerbstätige Personen aus den acht osteuropäischen Staaten erteilt; in den drei vorhergehenden Jahren wurden dagegen im Durchschnitt 2‘075 Bewilligungen erteilt. Die Schwelle für die Anrufung der Ventilklausel lag somit bei 2‘283 B-Bewilligungen.


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