Die Werte leben

Bern, 01.08.2015 - Bundesfeier in Windisch, 1. August 2015 - Rede von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundliche Einladung, heute mit Ihnen zu feiern.

Ganz besonders darum, weil 2015 ein ganz spezielles Jahr ist. 2015 ist ein Jubiläumsjahr, und deshalb ist ein kurzer Blick in die Geschichte unseres Landes am 1.August speziell angebracht.

Ich will nur drei Daten nennen, die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder zu reden gaben. 

Die Schlacht von Morgarten vor 700 Jahren mit dem Sieg über die Habsburger – da haben unsere Vorfahren die Freiheit erkämpft, eine Freiheit, die wir uns immer wieder sichern müssen.

Zweitens die Schlacht bei Marignano mit der vernichtenden Niederlage vor 500 Jahren – da haben unsere Vorfahren die Einsicht gewonnen, dass die Schweiz als Kleinstaat am besten aufgestellt ist.

Und drittens der Wiener Kongress von 1815, dem wir letztlich zu verdanken haben, dass unser Land dank der immerwährenden Neutralität in den letzten 200 Jahren von allen europäischen Kriegen verschont geblieben ist. Ich denke da ganz besonders an die beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert, die so viel Leid und Elend über unseren Kontinenten gebracht haben. Das verdient Demut und Dankbarkeit und ist eine grosse Jubiläumsfeier wert.

Natürlich haben Sie hier in Windisch noch beeindruckendere Zahlen zu bieten. Hier reden wir nicht von 200 Jahren, sondern von 2000. Seit 17 nach Christus wurde nämlich der südliche Abschnitt der Rheingrenze durch das Legionärslager Vindonissa verteidigt. Welche Gemeinde kann schon von sich sagen, sie hätte schon im Altertum eine wichtige Rolle gespielt! Es ist für mich als bescheidener Bundesrat aus Langenthal ein ausserordentliches Privileg, an einer historischen Stätte das Wort zu ergreifen, wo einst Römische Feldherren gesprochen haben.

So beliebt Erinnerungsfeiern und Jubiläen sind, sie haben auch etwas Verführerisches: Man hat bekanntlich gern die Tendenz, die Vergangenheit zu verklären, das Negative auszublenden und nur das Schöne zu sehen. Genau das können und dürfen wir uns heute nicht leisten. Schauen wir also genauer hin, damit wir aus der Geschichte lernen können, statt sie zu verklären.

Die alten Eidgenossen haben 1515 die Schlacht nicht zuletzt deshalb verloren, weil sie ungeeint, mit veraltetem Material und mit einer falschen Taktik auf einen besser ausgerüsteten und aufgestellten Gegner trafen. Etwas überspitzt gesagt: Marignano war auch eine Quittung für mangelnden Zusammenhalt und fehlende Innovationsbereitschaft. Zusammenarbeit und Innovationsbereitschaft, das ist es genau, was wir heute brauchen. Denn auch heute stehen wir vor einer grossen Herausforderung – keiner kriegerischen, zum Glück. Aber vor der Herausforderung, unseren Wohlstand zu bewahren, dass auch die nächsten Generationen in wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit leben können.

Wohlstand gibt es nur, wenn die Menschen Arbeit haben. Arbeit bedeutet Einkommen. Arbeit bedeutet aber auch, dem Leben einen Sinn zu geben. Arbeit bedeutet Perspektive, bedeutet Sicherheit – auch soziale Sicherheit. Es ist und es bleibt mein oberstes Ziel als Wirtschaftsminister, für Bedingungen zu sorgen, die es unseren Unternehmen erlauben, auch in Zukunft möglichst allen Menschen in unserem Land eine Arbeit und damit eine Perspektive anzubieten. Dabei bin ich mir vollauf bewusst, dass es in der nächsten Zeit nicht einfacher wird, diesen Anspruch einzulösen.

Es sind vor allen zwei Hürden, die wir nehmen müssen. Die Hürden heissen Frankenstärke und Europapolitik.

Wir wissen es alle: Der Entscheid der Nationalbank von Anfang Jahr hat unsere gesamte Wirtschaft vor eine neue und unerwartete Herausforderung gestellt.

Auf einen Schlag war der Franken fast 15 Prozent mehr wert. Die einen freut es. Sie können ennet der Grenze für das gleiche Geld mehr einkaufen. Andern tut‘s sehr weh. Ihre Produkte und Dienstleistungen sind von einen Tag auf den andern 15 Prozent teurer geworden. Und das geht in einem internationalen Markt nicht spurlos vorbei, der Kampf um Marktanteile ist hart und unerbittlich. 

Der starke Franken hinterlässt seine Spuren nicht nur im traditionellen Exportbereich der Maschinenindustrie oder im Tourismus. Auch die andern Wirtschaftsbereiche sind betroffen. Wir können von Glück reden, dass es bis jetzt nicht zu einem Grexit gekommen ist. Hoffentlich bleibt das so. Sonst wäre unser Land als sicherer Hafen für Finanzanlagen noch attraktiver geworden. Und der Franken noch stärker. 

Was ist zu tun? Direkten Einfluss auf den Währungskurs kann und darf die Politik nicht nehmen. Währungspolitik ist Sache der Nationalbank. Es ist eines unserer Prinzipien, dass die Nationalbank unabhängig ist – und dass sie unabhängig bleibt. Die Antworten müssen also einerseits von der Wirtschaft selber kommen: Der Kampfgeist, den unsere Firmen an den Tag legen, beeindruckt mich ausserordentlich. Aber die Wirtschaft muss auf die Unterstützung der Politik zählen können.

Das heisst zunächst: Bundesbern und die Kantone dürfen den Unternehmen keine Steine in den Weg legen. Keine unnötigen bürokratischen Auflagen. Keine zusätzlichen Kosten.

Und das heisst, unser Erfolgs-Dreieck zu verteidigen: liberaler Arbeitsmarkt, gelebte Sozialpartnerschaft und duales Bildungssystem mit der Berufsbildung.

Daneben steht im Vordergrund: die Innovationsförderung.

Ich will nicht, dass sich unser Land deindustrialisiert. Ich will die Arbeitsplätze in unserem Land behalten und nicht zulassen, dass sie zusammen mit ihren Betrieben ins Ausland abwandern. Das beste Rezept, eine Deindustrialisierung zu verhindern, ist die Innovationsförderung. Solange unsere Betriebe in der Lage sind, ihre Produkte und Dienstleistungen ständig zu verbessern und zu perfektionieren, solange bleibt unsere Wirtschaft international konkurrenzfähig. Und wenn sie konkurrenzfähig bleiben, dann sind sie auch in der Lage, Arbeitsplätze anzubieten. Allerdings stellt das auch Anforderungen an die Arbeitnehmenden. Kontinuierliche Innovationsbereitschaft verlangt nämlich, dass sich die Menschen stetig aus- und weiterbilden. Denn eines ist klar: Selbst wenn unsere Unternehmen die Produktionsstätten so nah wie möglich bei der Forschung und Entwicklung erhalten wollen – die niederschwelligen Arbeiten werden immer wieder in Länder verlagert, wo Löhne und Kosten günstiger sind.

Wenn wir also verhindern wollen, dass sich unser Land deindustrialisiert – mit den Folgen, die Sie in Frankreich oder England besonders drastisch sehen können – wenn wir also die industriellen Arbeitsplätze erhalten wollen, müssen wir vor allem in Bildung investieren. Und dabei denke ich nicht etwa nur an Hochschulbildung – ich denke auch an die berufliche Bildung, die uns weltweit so einzigartig macht. Und die ein wesentlicher Grund ist, dass die Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich sehr tief ist. Und ich denke ganz besonders hier in Windisch an Ausbildung in der Angewandten Forschung. Ich hatte bekanntlich die Ehre, vor zwei Jahren den Neubau dieser Fachhochschule zu eröffnen. Und ich habe feststellen dürfen, wie erfolgreich hier angewandte Forschung betrieben wird. Sogar in China hat man davon Kenntnis genommen. 

Aus der römischen Soldatenstadt ist heute ein Bildungsort erster Güte geworden, mit einer Fachhochschule, die weit über die Region in die ganze Nordwestschweiz hinausstrahlt.

Das verdient höchste Anerkennung. Grosse Anerkennung verdienen auch unsere Unternehmerinnen und Unternehmer, die nichts unversucht lassen, auch in Zukunft ganz vorne in der Champions-League der besten Innovationsländer mitzuspielen. Ihnen allen rufe ich zu: Macht weiter so. Wenn wir weiterhin innovativer sind als die andern, haben unsere Produkte auch in Zukunft ihre Chancen im Weltmarkt – auch wenn die Preise etwas höher sind.

Von Seiten der Politik haben wir deshalb zwei Massnahmen getroffen, eine kurzfristige und eine längerfristige. Kurzfristig ermöglichen wir es den Unternehmen, leichter zu Geld für ihre Innovationsvorhaben zu kommen. Als längerfristige Massnahme haben wir beschlossen, die nötigen Grundlagen für einen Innovationspark Schweiz zu schaffen. Als schweizerische Antwort auf Silicon Valley sozusagen. Davon wird auch Ihre Region profitieren. Neben den beiden Hauptstandorten Zürich und Lausanne wird auch die Nordwestschweiz einen Hub erhalten.

Ich habe eingangs von zwei Hürden gesprochen. Die Frankenstärke ist die eine.

Ebenso entscheidend ist die zweite: Die Europapolitik. Wir müssen unser Verhältnis mit unseren Nachbarn wieder in klar geregelte Bahnen bringen. Ich weiss, in unserem Land gibt es verschiedene Kreise, die meinen, wir seien alleine stark genug. Diese Kreise werden deshalb nicht müde, die Bedeutung der Bilateralen Verträge mit der EU kleinzureden.

Dazu sage ich deutsch und deutlich: Das ist schlicht und ergreifend verantwortungslos. Ich sage dies als Wirtschaftsminister, ich sage dies aber auch als ehemaliger Unternehmer, der eine internationale Firma geleitet hat. ir brauchen einen möglichst ungehinderten Zugang zum europäischen Markt, wenn wir wollen, dass unsere Unternehmen weiterhin im eigenen Land produzieren und Arbeitsplätze anbieten. Denn jeden zweiten Franken verdienen wir im Ausland, und zwei Drittel unserer Exporte setzen wir in die EU ab. Voraussetzung dafür ist ein gutes Verhältnis zu unsern Nachbarn. Denn unsere direkten Nachbarn sind auch unsere besten Kunden: Die Exporte nach Baden-Württemberg sind gleich gross wie die in die USA, die Exporte in die Lombardei entsprechen denen nach China. Der Erhalt der Bilateralen ist also ganz stark in unserem gesamtwirtschaftlichen Interesse, und das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative war auch ein Ja zur Wahrung dieser Interessen. Natürlich wurde an diesem 9. Februar 2014 in erster Linie beschlossen, dass die Schweiz die Zuwanderung senken und stärker selber regeln soll. Dieser Entscheid ist auch umzusetzen. Aber nicht auf Kosten unseres Wohlstands.

Deshalb plädiere ich für eine differenzierte Offenheit: Das heisst: Eigenständige Regelung der Zuwanderung bei gleichzeitigem Erhalt der Bilateralen. Diese Lösung, meine Damen und Herren, erreichen wir nur, wenn wir eine Lösung mit der EU finden. Unsere schweizerische Tradition des Kompromisses hat uns weit gebracht, kluge Verträge mit andern Ländern haben unsern Wohlstand gesichert. Deswegen haben wir unsere Freiheit nicht aufgeben müssen. Im Gegenteil, auch 700 Jahre nach Morgarten ist die Schweiz eines der freisten Länder auf der Welt. Und das muss so bleiben.

Frei bleiben können wir aber nur, wenn wir innerlich geeinigt sind. Wenn wir alle am gleichen Strick ziehen. Wenn wir im Innern geeint sind, sind wir auch nach aussen stark.Das war schon früher so, wie uns die Geschichte zeigt. Wir waren immer dann stark, wenn wir alle am gleichen Strick gezogen haben. Genau das müssen wir in Zukunft wieder mehr pflegen. Freiheit und Selbstbestimmung, aber ebenso Solidarität und Zusammenarbeit – das sind Werte, die auch im Zeitalter der Globalisierung ihre Gültigkeit erhalten.

Leben wir diese Werte!
Zum Wohle unseres geliebten Landes!
Zum Wohle von uns allen, die wir hier leben dürfen.
Zum Wohle der Schweiz. 

Damit unsere Nachfahren in 500 Jahren stolz auf eine fortgeschriebene Erfolgsgeschichte zurückblicken können. 

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

(Es gilt das gesprochene Wort)


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