Kunstmuseum Basel

Basel, 15.04.2016 - Rede von Bundesrat Alain Berset anlässlich der Eröffnung des erweiterten Kunstmuseums Basel - Es gilt das gesprochene Wort.

„Der Erweiterungsbau erweitert unseren Horizont"
Das ist ein Erweiterungsbau, der seinen Namen verdient, denn er erweitert unseren Horizont. Diese Architektur ermöglicht den Dialog: Mit dem Kunstmuseum aus den 30er Jahren - ein Gebäude, dem Christ & Gantenbein ihre Reverenz erweisen, ohne sich davon aber einschüchtern zu lassen. Mit der Kunst - der sie jenen Kontext geben, der ihre Kraft und Ausstrahlung maximiert. Und mit den Besucherinnen und Besuchern. Ihnen wird dank dieser physischen Präsenz des Raumes eine konzentrierte Auseinandersetzung mit den Kunstwerken ermöglicht. Dem Erweiterungsbau von Christ & Gantenbein gelingt das mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein.

Architektur ist eben doch Kunst
Einer der beiden Architekten - ich sage nicht welcher, da die beiden ja eine Mini-Konkordanz bilden und also sicher das Kollegialitätsprinzip hochhalten - sagte kürzlich zum Unterschied zwischen Kunst und Architektur: „Kunst ist letztlich frei und unlimitiert, Architektur hingegen an die Disziplin gebunden - an den menschlichen Körper und seinen Massstab, an die Stadt sowie an einen Zweck." All das ist bei diesem Erweiterungsbau gelungen. Insofern ist diese Architektur, die keinesfalls Kunst sein will, eben doch Kunst.

Der Erweiterungsbau erweitert das Spektrum dessen, was das Kunstmuseum Basel leisten kann. Sowohl was die Ausstellungstätigkeit wie auch was deren Vermittlung angeht. Durch die markante Ausweitung der Ausstellungsfläche werden die Voraussetzungen für die wichtigen Sonderausstellungen geschaffen. Damit wird die gesellschaftliche Teilhabe gestärkt - die auch in der Kulturbotschaft des Bundesrates eine zentrale Rolle spielt.

Gegen die gesellschaftlichen Fliehkräfte
Wir brauchen ein lebendiges Kulturleben, um uns immer wieder selber zu entdecken und zu ergründen, wer wir sind. Um unsere Stellung in einer Welt zu verstehen, die sich rasch verändert. Unsere Gesellschaft ist fragmentierter denn je. Eine selbstbewusste Kulturpolitik setzt der Zersplitterung der Milieus, den gesellschaftlichen Fliehkräften, etwas Einendes, Konstruktives entgegen.

Die Tradition der Teilhabe hat in Basel bekanntlich tiefe Wurzeln. Ich erinnere nur an den Ankauf des humanistisch geprägten, privaten Amerbach-Kabinetts 1661 durch die Stadt und die Universität Basel. Damit wurde der Grundstock für das erste öffentliche Museum in Europa gelegt. Und erwähnt werden muss an dieser Stelle auch das Abstimmungswunder von 1967, als eine Mehrheit der Stimmbevölkerung „Ja" sagte zum Kauf zweier Picasso-Gemälde.

Dass der Künstler aus Rührung über dieses Resultat der Stadt gleich noch vier eigene Werke schenkte, hat sich leider als Ausnahme erwiesen - und nicht als Regel etabliert. Wenn der Return on Investment in der Kulturpolitik immer so eindeutig nachweisbar wäre, wäre mein Job etwas
leichter. Ja fast schon etwas langweilig, weil sämtliche politische Kräfte auf eine massive Erhöhung des Kulturbudgets drängen würden.

Stellen Sie sich nur vor: Das wäre, wie wenn die öffentliche Hand zum Beispiel Damien Hirsts Tigerhai anschaffen würde - seinen berühmten „shark tank". Und der Künstler dann aus Dankbarkeit noch sein in Formaldehyd eingelegtes Schaf gratis dazu geben würde. Und vor lauter Rührung auch noch ein Schwein und eine Kuh - und vielleicht auch gleich noch sein Einhorn. Damit wären dann in der Schweiz die Kulturpolitik und die Landwirtschaftspolitik plötzlich fusioniert. Für mich wäre das aber keine grosse Umstellung: In meinem Departement ist ja nicht nur
die Kultur angesiedelt, sondern auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Aber natürlich wäre eine gemeinsame Lobby aus Bauern und Kulturschaffenden eine politische Supermacht... 

Grosse Kunst als Mittel gegen allzu einfache Rezepte
Nicht nur die Teilhabe hat in Basel eine verblüffend lange Tradition - sondern auch das Mäzenatentum sowie die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privaten. Ohne diese wäre die Kulturstadt Basel in ihrer herausragenden Bedeutung ganz und gar undenkbar. Schon beim Millionenkredit der Picasso-Abstimmung steuerten private Spender weitere Millionen und eine private Mäzenin ein weiteres Kunstwerk bei. Und beim Erweiterungsbau ist die Partnerschaft sogar im Verhältnis 50:50 verwirklicht.

Eine intensive Auseinandersetzung mit grosser Kunst ist gerade heute besonders relevant. Denn grosse Kunst schult unsere Wahrnehmung. Je unübersichtlicher die Zeiten, desto mehr sind wir auf eine möglichst genaue Wahrnehmung angewiesen. Auf eine Kultur der Reflexion und Selbstreflexion, die diesen Namen auch verdient. Denn wir alle haben unser Weltbild in einer Zeit vergleichsweise grosser Stabilität
konstituiert.

Heute scheint vieles ins Wanken zu kommen - wirtschaftlich, gesellschaftlich, geopolitisch. Was bis vor kurzem selbstverständlich schien, ist heute ungewiss. Vor diesem Hintergrund erkennen wir den politischen Kern jeder grossen Kunst. Denn Kunst räumt dem Atmosphärischen den
ihm gebührenden Stellenwert ein. Sie ist ein Gegenmittel gegen die allzu einfachen Rezepte, die ihrerseits allzu einfachen Wahrnehmungen entspringen.

Kunst macht etwas mit uns. Sie verändert uns - statt uns einfach in unseren Ansichten zu bestätigen. Kunst lässt uns aus den Zirkeln ausbrechen, in denen sich Bekehrte bekehren. Manchmal bis zu jenem Punkt, an dem sich die Überzeugungen gänzlich von der Realität verabschieden. Die Debatte als Perpetuum immobile.

Basel lehrt Optimismus in Zeiten der Zukunftsangst
Hier in der Kultur-, Wirtschafts- und Wissenschafts-Stadt Basel kann sich unser Land - um es mit einer chemischen Metapher zu sagen - in einem besonderen politisch-kulturellen Aggregatszustand entdecken. Vielleicht kann unser Land in Basel etwas Gelassenheit und Optimismus lernen. Gerade in einer Zeit, in der sich mancherorts eine gewisse Zukunftsangst breit macht.

Die Einwanderung zum Beispiel stellt nicht einfach eine Belastung für unsere Gesellschaft dar, sondern ist häufig auch eine Bereicherung - wie ein Blick in die Schweizer Wirtschafts- und Kulturgeschichte eindrücklich zeigt.

Hier in Basel begegnen wir einer Schweiz, die sich selber vertraut und die dem Fremden nicht a priori misstraut. Vielleicht hängt das eine ja mit dem anderen zusammen.


Adresse für Rückfragen

Peter Lauener, Mediensprecher des EDI, Tel. 079 650 12 34


Herausgeber

Generalsekretariat EDI
http://www.edi.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-61386.html