«Zusammen an der Zukunft bauen»

Bern, 09.05.2016 - Vaduz, 09.05.2016 - Rede von Bundesrat Didier Burkhalter anlässlich des "Unternehmertags Liechtenstein, Rheintal, Vorarlberg" - Es gilt das gesprochene Wort

Eure Durchlaucht,
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrter Herr Regierungschef,
Sehr geehrter Herr Regierungschef-Stellvertreter,
Meine Damen und Herren,

Zukunft… Das ist Ihr Thema heute. Zukunft durch neue Wege, neue Ideen, neue menschliche Energien. Zukunft: das ist auch der Motor der Welt. Soweit man an eine Zukunft noch glaubt… Glauben die syrischen Kinder, die ihr ganzes Leben im Krieg und in Flüchtlingslagern verbracht haben, noch an eine Zukunft? Haben die Millionen zwangsvertriebenen Leute noch Hoffnung? Würden wir, würden Sie noch an die Zukunft glauben und Hoffnung in Ihrem Herzen verspüren, wenn Sie selbst dasselbe erlebt hätten, was viele Kinder, Frauen und Männer in Syrien, in Jemen, in der Ostukraine jahrelang erlebt haben?

Heute möchte ich mit Ihnen darüber sprechen. Über die Schweizer Aussenpolitik, unsere bescheidene Art, etwas zur Zukunft beizutragen, über unsere Stärken im Ausland, die eigentlich unsere inneren Stärken sind. Das Innovativste an der schweizerischen Aussenpolitik ist, dass sie eben nicht nur auf Interessen, sondern auch auf innere Werte baut. Ja, sie verbindet sogar beides: die Interessen (also die Sicherheit und die Wohlfahrt) werden besser erreicht, wenn wir klare Werte vertreten (mehr Frieden, Menschenrechte, Demokratie, weniger Armut und eine bessere Umwelt). Das sage ich gerne.

Das sagt vor allem die Schweizer Bundesverfassung, also unsere Vorväter (und -mütter)… Sie treibt uns dazu an, konstant innovativ zu bleiben.

Unsere Aussenpolitik stützt sich sowohl auf unsere Bundesverfassung wie auf unsere inneren Werte, unsere politische Kultur. Innen- und Aussenpolitik sind in der Schweiz enger verschränkt als in anderen Staaten – ich denke, das versteht man hier in Liechtenstein gut. Die Aussenpolitik der Schweiz soll auch die Aussenpolitik ihrer Bürger sein. Konkret heisst das: Als Land sprachlicher, kultureller und religiöser Vielfalt setzt sich die Schweiz ein für Dialog und inklusive Lösungen, für Einbindung und Machtteilung, für Rechtsstaatlichkeit und die humanitären Grundsätze, für eine freie und starke Zivilgesellschaft und für eine Zähmung der Macht durch das Recht.

Schweizer Aussenpolitik ist bürgernah. Das gibt ihr eine „innere“ Stärke. Es ist unsere politische Kultur, die der Schweizer Aussenpolitik letztlich ihre Einzigartigkeit verleiht und ihr erlaubt, sich der Zukunft zuzuwenden, innovativ und kreativ zu sein. Denn dies ist in unserer heutigen Welt nötiger denn je.
 
Gestern jährte sich zum einundsiebzigsten Mal das Ende des zweiten Weltkriegs in Europa. Heute vor 71 Jahren erwachte unser Kontinent aus einem schrecklichen Albtraum.

Doch die Vernichtung von Millionen von Menschen, die Tragik von Abermillionen Einzelschicksalen und die Zerstörung von Gesellschaften und Infrastrukturen war bittere Realität.

Mit verschiedenen Facetten dieser Realität sind wir heute wieder konfrontiert. Denn die Welt ist in den vergangenen Jahren wieder multipolarer und instabiler geworden. Wir erleben eine Beschleunigung der Globalisierung, mit der sich auch globale Gleichgewichte verschoben haben. Ganze Regionen entwachsen zwar der Armut, die Lebenserwartung und die Lebensqualität von Millionen Menschen werden immer besser. Das sind erfreuliche Entwicklungen.

Gleichzeitig fehlt es in dieser Welt aber an Stabilität: der Status quo wird in mehreren Regionen in Frage gestellt, so in Ostasien (im Südchinesischen Meer), in Europa (mit der Ukrainekrise und den Spannungen zwischen Russland und dem Westen) und im nahem Osten. Die Opferzahlen in den Konflikten steigen drastisch; allein die Zahlen zum Krieg in Syrien sind erschütternd: Hunderttausende Opfer, die Hälfte der Bevölkerung vertrieben, drei von vier Syrerinnen und Syrern abhängig von humanitärer Hilfe.

Weltweit, auch bei uns, hat die Bedrohung durch terroristische Gruppierungen zugenommen, insbesondere durch den sogenannten Islamischen Staat. Das Völkerrecht kommt unter wachsenden Druck. Das sind gefährliche Tendenzen.

Was bedeuten sie für die Aussenpolitk der Schweiz? Wie kann man in diesem Kontext innovativ und zukunftsorientiert handeln? Gerade in diesen ungewissen Zeiten hat die Schweiz eine wichtige Rolle zu spielen. Da, wo andere blockiert sind, kann die Schweiz Brücken bauen. Innovative Schweizer Ingenieure bauen schon seit langer Zeit Brücken an Orten, wo man dies kaum für möglich gehalten hätte – über Bergschluchten oder über Meeresarme in New York oder San Francisco. Diese Tradition führt die Schweizer Diplomatie fort.

Die Schweiz ist in Vielem kein Kleinstaat, sondern ein mittelgrosser Akteur. Wir sind nicht so gross, dass andere Angst vor uns hätten, aber auch nicht so klein, dass wir nichts bewegen könnten. Die Erfahrungen, die das Fürstentum Liechtenstein namentlich im Rahmen der UNO macht, sind, so glaube ich, ähnlich.

Die Schweiz hat also gute Voraussetzungen, um nützliche Beiträge zu leisten. Das haben wir mit dem OSZE-Vorsitz 2014 gezeigt. Oder mit der Fazilitierung der Verhandlungen zwischen Iran und den USA, die vor ein paar Monaten zur Freilassung mehrerer Personen führten. Brückenbauer sind in unserer polarisierten und fragmentierten Welt gefragt und nötig wie schon lange nicht mehr.

Die Schweiz soll aber nicht nur mitgestalten, sondern auch eigenständig bleiben. Diese Kombination von Eigenständigkeit und Mitgestaltung gibt unserer Aussenpolitik ein besonderes, innovatives Profil.

Als stark globalisiertes Land ist die Schweiz auf ein stabiles Umfeld und eine friedliche und gerechte internationale Ordnung angewiesen. Unser Engagement ist also in unserem Interesse. Es ist zugleich ein Gebot der Solidarität. Wir haben das Glück, in einem Land ohne Krieg und ohne Hunger zu leben. Immer wieder werde ich im Ausland darauf angesprochen, dass ich aus einem Land komme, wo man wisse, „wie man den Frieden bewahren kann“. Ein Leben in Würde verdienen alle Menschen. Jeder Mensch, jedes Kind hat ein Anrecht darauf, Zukunftsaussichten zu haben. Auch dafür setzt sich die Schweiz ein. Solidarität gehört zu einer verantwortungsbewussten Aussenpolitik.

Der eigenständige Kurs der Schweiz ist anspruchsvoll. Die Schweiz muss sich je nach Thema immer wieder neue Partner suchen, um ihren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Immer wieder können wir dabei auch auf die Unterstützung Liechtensteins zählen.

Derzeit beobachten wir einen Trend der Grossmächtediplomatie, bei der die Schweiz bisweilen nicht am Tisch vertreten ist. Generell besteht das Risiko, dass wir in gewisse Entwicklungen nicht oder erst spät eingebunden werden. Beispielsweise geniessen wir derzeit die Vorteile einer eigenen Freihandelspolitik. Dabei müssen wir aber auch die Bemühungen um überregionale Freihandelsabkommen, insbesondere zwischen der EU und den USA, eng verfolgen.

Der eigenständige Weg ist also ein Kraft- und Willensakt. Aus Sicht der Schweizer Regierung überwiegen die Vorteile und Chancen aber deutlich. Unsere Aufgabe ist es, die Spielräume kreativ und innovativ zu nutzen und die Risiken zu minimieren.

Meine Damen und Herren,

Innovation braucht Orientierung. Darum hat sich die Schweiz für die kommenden vier Jahre vier strategische Prioritäten geben:

1. Die Beziehungen zur EU und zu den EU und EFTA-Staaten pflegen, mit besonderer Berücksichtigung unserer Nachbarstaaten
2. Die Beziehungen zu unseren globalen Partnern weiter stärken
3. Das Engagement für Frieden und Sicherheit verstärken
4. Zur nachhaltigen Entwicklung und zum Wohlstand in der Welt beitragen

Ich möchte im Folgenden auf jede dieser vier Schwerpunkte kurz eingehen. Beginnen wir mit den Beziehungen zur EU und Nachbarstaaten.

1. Die Schweiz – und Liechtenstein – liegen mitten in Europa – dies nicht nur geographisch. Mit unseren europäischen Nachbarn teilen wir auch dieselben kulturellen und ideellen Werte. Sehr oft stehen wir vor den gleichen Herausforderungen, wie der Migration, der Wirtschafts- und Währungsentwicklung sowie der europäischen Sicherheit und der Stabilität auf unserem Kontinent.

Die EU sieht sich derzeit mehreren Herausforderungen und Krisen gleichzeitig gegenüber. Ehemals „unantastbare“ Prinzipien werden hinterfragt (Freizügigkeit, Schengen), ja sogar ein Austritt eines Mitgliedstaats ist möglich. Die Reaktion auf diese Krisen kann sowohl ein „mehr EU“ (z.B. gemeinsames Vorgehen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise) als auch ein „weniger EU“ (z.B. stärkere Berücksichtigung der Besonderheiten der Mitgliedstaaten) sein. Wie auch immer sie sich entwickelt: Die EU bleibt für die Schweiz von zentraler Bedeutung.

Die enge Partnerschaft, welche die Schweiz mit der EU und mit unseren nächsten Nachbarn im EU-Raum pflegt, bringt uns Wohlstand. Sie stärkt die Stabilität. Sie dient letzten Endes auch der Selbstständigkeit der Schweiz. Wohlstand, Unabhängigkeit, Sicherheit – das sind auch die in der Bundesverfassung verankerten Ziele der schweizerischen Aussenpolitik. Sie sind untrennbar mit dem bilateralen Weg verbunden.

Pro Werktag erreicht der Handel zwischen den beiden Partnerinnen fast 1 Milliarde Franken. 34 Prozent der Exporte der Schweiz gehen in die vier Nachbarländer Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Über 50 Prozent der Importe in die Schweiz stammten 2015 aus diesen vier Nachbarländern.

Insgesamt arbeiten gegen 12‘000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Deutschland und Österreich in den Kantonen St. Gallen und Thurgau. Total arbeiten momentan fast 300‘000 EU-Grenzgänger in der Schweiz.

Auch für das Fürstentum Liechtenstein sind Grenzgänger wichtig, machen sie doch dort über 53 Prozent der Beschäftigten aus. Knapp die Hälfte von Ihnen – etwa 10‘000 – wohnen in der Schweiz. Ein grosser Teil von ihnen sind Bürgerinnen oder Bürger eines EU-Landes. Deshalb ist es für Liechtenstein und seine Wirtschaft wichtig zu wissen, ob es EU-Bürgern auch künftig möglich sein wird, im Schweizer Grenzgebiet Wohnsitz zu nehmen und als Grenzgänger in Liechtenstein zu arbeiten.

Umgekehrt arbeiten fast 400 liechtensteinische Grenzgänger in der Schweiz. Es liegt deshalb im gemeinsamen Interesse der Schweiz und seiner fünf Nachbarstaaten, dass wir eine Lösung in der Freizügigkeitsfrage finden.

Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, den Auftrag des Souveräns zur Steuerung der Zuwanderung so umzusetzen, dass das bilaterale Verhältnis mit der EU intakt bleibt. Wir wollen dies auf der Basis der im Freizügigkeitsabkommen vorhandenen Schutzklausel tun. Diese sieht Massnahmen vor, wenn schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme auftauchen. Zusammen mit der EU suchen wir eine gemeinsame Auslegung dieser Schutzklausel, welche eine Steuerung der Zuwanderung erlaubt.

Diese Lösung soll gemäss Verfassungstext auch die Grenzgänger umfassen. Deshalb stellt sich auch in diesem Bereich die Frage der Kontingente, sollte die Zuwanderung einen gewissen Schwellenwert übersteigen.

Nebst der Regelung der Grenzgängerfrage liegt der Fokus auf der Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Diese flankierenden Massnahmen geben bisweilen Anlass zu Kritik aus dem benachbarten Ausland. Ein glaubwürdiger Arbeitnehmerschutz gehört zu den notwendigen Voraussetzungen für eine Lösung der Freizügigkeitsfrage. Eine Einigung mit der EU zu den flankierenden Massnahmen wird deshalb auch Teil der Lösung sein müssen.

Parallel zu einer einvernehmlichen Lösung zur Steuerung der Zuwanderung wollen wir auch die Verhandlungen über die institutionellen Fragen vorantreiben. In diesen Verhandlungen hat es schon gute Fortschritte gegeben. Bei der Rechtsübernahme, die nicht automatisch sein wird. Bei der allgemeinen Überwachung, wo wir keine supranationale Behörde haben werden. Und die Kommission ist auch unserem Vorschlag gefolgt, was die Rolle des EU-Gerichtshofs in der Streitschlichtung betrifft. Dieser interpretiert EU-Recht, das in die bilateralen Abkommen aufgenommen wurde, für beide Parteien. Aber die Streitschlichtung bleibet danach Sache der Parteien im gemischten Ausschuss und somit politisch.

Wenn wir uns auf ein Abkommen zu den institutionellen Fragen einigen können, stellen wir sicher, dass die bisherigen Verträge erhalten bleiben und machen den bilateralen Weg darüber hinaus zukunftsfähig. Wir schaffen Rechtssicherheit und garantieren unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Wir helfen somit der Wirtschaft, innovativ und zukunftsorientiert zu handeln und zu denken.

Zu dieser ersten strategischen Priorität unserer Aussenpolitik gehören auch die Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten. Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders die hervorragenden Beziehungen zum Fürstentum Liechtenstein unterstreichen.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein sind geprägt vom Vertrauen, wie man es nur bei so bewährten und stabilen Beziehungen findet. Gleichzeitig stelle ich auch eine jugendliche Dynamik und ein Vorwärtsstreben fest.

Und wie unter guten Nachbarn üblich, können wir offen miteinander reden, wenn Fragen aufkommen. Ja, der Erfolg unserer Beziehung beruht darauf, dass wir konstant an unseren Beziehungen arbeiten und sie weiterentwickeln.

Dank dem sehr guten Verhältnis zwischen unseren beiden Staaten und einer pragmatischen Einstellung auf beiden Seiten gelingt es uns aber immer wieder, konkrete Herausforderungen gemeinsam zu überwinden.

So konnte Ende letzten Jahres mit der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA eine Einigung für ein langjähriges Problem gefunden werden. Aufgrund der Zollunion können Waren zwischen Liechtenstein und der Schweiz frei zirkulieren. Deshalb konnte die IAEA während rund 10 Jahren nicht offiziell feststellen, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen der nuklearen Non-Proliferation einhält und Nuklearanlagen ausschliesslich friedlichen Zwecken dienen.

Dank eines gemeinsamen Vorgehens unserer beiden Staaten haben schliesslich sowohl die Schweiz als auch Liechtenstein die Zertifizierung der IAEA erhalten. Diese Lösung war nur möglich dank eines koordinierten und innovativen Lösungsvorschlags der Schweiz und Liechtensteins sowie dank Flexibilität auf allen Seiten.

Innovation bedeutet in diesem Kontext, dass man eine bewährte Stärke in unseren bilateralen Beziehungen, nämlich ein 90-Jähriges Zollabkommen, so auslegt, dass alle Seiten die Vorteile darin erkennen können.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Grenzlinie im Rhein unsere beiden Staaten mehr verbindet, als dass sie uns trennt.

Das zeigen auch die menschlichen Beziehungen zwischen unsern Staaten: fast 10‘000 Arbeitnehmende überqueren wie erwähnt täglich den Rhein in Richtung Liechtenstein. Auch umgekehrt profitieren viele Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen aus Liechtenstein von der Grenznähe und pendeln in die Schweiz, um zu arbeiten.

Sie verbinden die zwei Rheinufer miteinander und bringen auf diesem Weg die beiden Staaten auch auf menschlicher Ebene einander noch näher.

Natürlich ergeben sich auch in diesen Bereichen immer wieder Fragen und Herausforderungen. Deshalb sind die zahlreichen technischen und politischen Treffen zwischen Vertreterinnen und Vertretern unserer Länder so wichtig. In den letzten beiden Jahren trafen alle sieben Mitglieder des Bundesrats mindestens einmal mit Vertretern der liechtensteinischen Regierung zusammen. Auch dieses Jahr wird das voraussichtlich der Fall sein.

Besonders freuen wir uns in diesem Zusammenhang auf die Teilnahme von Regierungschef Hasler an den Eröffnungsfeierlichkeiten zum Gotthard-Basistunnel am 1. Juni und auf den Besuch von Erbprinz Alois anlässlich der Eröffnung der Ausstellung der Fürstlichen Sammlungen im Kunstmuseum Bern.

Und ich möchte hier auch meiner Amtskollegin Aurelia Frick danken. Sie ist eine Freundin der Schweiz; aber vor allem kämpft sie hervorragend für die Werte und Interessen Liechtensteins auf der internationalen Bühne. Diese Interessen und Werte sind den unseren sehr nah: Vielen Dank dafür!

Ohne die Beziehung zwischen unseren Ländern idealisieren zu wollen, bin ich überzeugt, dass es der Welt besser ginge, wenn alle Nachbarschaftsbeziehungen so gut wären.

2. Ich komme zur zweiten strategischen Priorität, die Beziehungen zu globalen Partnern.

Die Beziehungen zu unseren Nachbarstaten sind zentral, doch um für die Zukunft gewappnet zu sein, dürfen wir unser „globales Networking“ nicht vernachlässigen.

Die Welt wird weniger westlich. Das ist ein Faktum. Staaten in Asien und im Süden gewinnen an Einfluss.

Diese Entwicklung ist für die eigenständige Schweiz eine Herausforderung. Aber unser Land ist gut gerüstet. Wir haben ein verhältnismässig grosses Aussennetz, von dem auch das Fürstentum Liechtenstein profitiert.

Dank den weltweiten Vertretungen können wir in einer globalisieren Welt unsere Interessen eigenständig wahren. Wir fördern damit Chancen für unsere Exportwirtschaft. Wir unterstützen unsere und Liechtensteins Bürgerinnen und Bürger im Ausland.

Vor elf Jahren entschied der Bundesrat, strategische Partnerschaften mit den USA, Japan, der Türkei und den BRICS-Staaten anzustreben. Diese Partnerschaften haben sich seither unterschiedlich entwickelt. Dort, wo möglich und nützlich, wollen wir sie weiter intensivieren und diversifizieren.

Die Schweiz hat mit weiteren G20-Staaten enge Partnerschaften aufgebaut, etwa mit Mexiko, Südkorea, Indonesien und Australien. Ich werde in den nächsten Wochen nach Argentinien und nach Kanada reisen, mit dem Ziel, auch mit diesen Staaten die Beziehungen zu vertiefen. Klar ist für mich: Die erfolgreiche, die innovative Schweiz von morgen muss global gut vernetzt sein. Das kann aber nur ergänzend, und nicht als Ersatz für enge Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten verstanden werden.

3. Der dritte strategische Schwerpunkt unserer Aussenpolitik ist ein verstärktes Engagement für Frieden und Sicherheit.

Im Bereich Frieden und Sicherheit wird das spezifisch Schweizerische an unserer Aussenpolitik besonders sichtbar. Wir engagieren uns dort, wo die Schweiz einen Mehrwert bieten kann und wo unsere Stärken besonders nachgefragt sind.

Dazu gehört die Mediation. Die Schweiz ist aktuell in mehr als 20 Mediationsprozesse involviert und bringt Kriegsparteien an den Verhandlungstisch, um Gewalt zu beenden und einvernehmliche Lösungen für Konflikte zu finden.

Die aktuellen Entwicklungen in der Ostukraine und in Syrien verdeutlichen aber, wie schwierig es ist, in komplexen Krisen politische Lösungen zu finden. Wir sehen wieder mehr Gewalt und weniger Dialog, auf Kosten der Zivilbevölkerung und des Friedens. Es wäre falsch, sich in solchen Momenten frustriert abzuwenden.

Die Arbeit am Frieden ist ein Marathonlauf, kein Sprint.

Die Schweiz gehört auch zu denjenigen Staaten, die die Ursachen von Konflikten angehen, die auf Prävention setzen und so die Bedingungen für nachhaltigen Frieden verbessern wollen. Auch hierfür haben wir ein umfassendes und innovatives Instrumentarium entwickelt.

Exemplarisch erwähnen möchte ich unser Engagement für die Menschenrechte. Auch in diesem Bereich setzen wir auf neue Formen der Zusammenarbeit. Menschenrechte und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb wird die Schweiz im Juni einen Appell lancieren, dass der UNO-Menschenrechtsrat in Genf und der Sicherheitsrat in New York enger zusammenarbeiten.

Deshalb arbeitet die Schweiz auch in diesem Bereich eng mit Partnerstaaten zusammen, namentlich mit Liechtenstein. Beispielsweise im Kampf gegen die Todesstrafe oder für Frauenrechte finden wir im Fürstentum immer wieder einen verlässlichen Partner, der gleiche Werte teilt und gewillt ist, eine aktive Führungsrolle zu übernehmen.

Eigenständigkeit unserer zwei Länder und gleichzeitig Gemeinsamkeiten der Schweiz und Liechtenstein sind hier gute Voraussetzungen für innovative Lösungen. Man kann hier fast schon von einem erfolgreichen Geschäftsmodell auf multilateraler Ebene sprechen.

Speziell hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang den Verhaltenskodex gegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Liechtenstein hat die Erarbeitung dieses Kodex im Rahmen einer von der Schweiz koordinierten UNO-Arbeitsgruppe geleitet.

Der Kodex sieht vor, dass die Mitglieder des Sicherheitsrats im Fall der grössten Verbrechen ihr Vetorecht nicht benützen bzw. nicht gegen eine Resolution stimmen, mit welcher solche Verbrechen verhindert werden sollen. Bis heute wird dieser Vorschlag schon von 111 Staaten unterstützt.

Dieser Erfolg ist nicht zuletzt Herrn Christian Wenaweser, dem liechtensteinischen Botschafter bei der UNO in New York, zu verdanken, mit dem die Schweiz immer wieder hervorragend zusammenarbeitet.

Meine Damen und Herren,

ich komme auf den vierten strategischen Schwerpunkt unserer Aussenpolitik zu sprechen, der Verpflichtung für nachhaltige Entwicklung und Wohlstand in der Welt.

Die Globalisierung hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Weltregionen aus der Armut geholfen und Millionen von Menschen Perspektiven eröffnet. Das ist erfreulich. Und dennoch bleiben tiefe Gräben zwischen Norden und Süden; grosse Ungleichheiten, Klimawandel oder Umweltzerstörung sind destabilisierende Faktoren in vielen Gesellschaften und können zu Konflikten, Flüchtlingsströmen und Elend führen.
 
Im Frühjahr hat der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2017 bis 2020 unterbreitet.

Diese geht von der Erfahrung aus, dass ohne nachhaltige Entwicklung kein Frieden möglich ist. Die Innovation in der Botschaft besteht darin, unsere Instrumente der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit, der Ostzusammenarbeit und der Friedensförderung unter einem gemeinsamen strategischen Rahmen zusammenzufügen. Jedes Instrument hat spezifische Rollen, aber alle arbeiten auf dieselben strategischen Ziele hin. Das ergibt Synergien und erhöht die Wirkung des Schweizer Engagements. Indem wir das traditionelle Silodenken zwischen den Instrumenten im Innern überwinden, stärken wir die Gestaltungskraft der Schweiz und können wir die Ursachen von Konflikten, Fragilität, Extremismus und Armut umfassend angehen.

Es geht also bei der neuen Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit darum, aktuelle Herausforderungen innovativ, mit einer neuen Herangehensweise aufzugreifen und künftigen Generationen Perspektiven zu geben. Auch hier geht es darum, heute an der Zukunft zu bauen.

Wenn das Parlament dem Bundesrat folgt, werden wir uns künftig noch stärker in fragilen Kontexten engagieren. 55% unserer bilateralen Hilfe wird für Afrika und die Nahostregion verwendet, deren Herausforderungen Europa besonders stark berühren. Wir werden uns noch stärker für multilaterale Lösungen in globalen Fragen wie Klimawandel, Migration und Wasser engagieren und auch damit die Globalisierung aktiv gestalten.

Ich möchte dies an zwei Beispielen illustrieren. Das erste Beispiel betrifft eine Problematik, die Ihnen vertraut vorkommen wird: Wasser. Der Rhein trennt, oder besser gesagt, verbindet die Schweiz und Liechtenstein. Konflikte um die Nutzung des Rheins gibt es aber so gut wie keine; höchstens Diskussionen um dessen Renaturierung.

Grenzüberschreitende Einzugsgebiete von Flüssen sind aber sehr oft eine Konfliktquelle. Wenn das Wasser knapp wird, steigt das Risiko von Konflikten zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen Bevölkerungen, der Landwirtschaft und der Industrie. Die Verknüpfung zwischen Entwicklung und Frieden ist hier besonders sichtbar. Dabei liessen sich Wasserkonflikte oftmals durch ein gutes Management der knappen Ressource entschärfen.

Ich möchte dazu das Beispiel des Flusses Orontes erwähnen: ein mächtiger Fluss der durch die Türkei, Libanon und Syrien fliesst. Das mangelhafte Wassermanagement im Einzugsgebiet des Orontes war eines der Faktoren, die zum Konflikt in Syrien beigetragen haben. In den letzten 20 Jahren ist das Landwirtschaftssystem allmählich zusammengebrochen und hat zur Destabilisierung des Syrischen Systems beigetragen.

Die Schweiz hat letztes Jahr bei syrischen Experten einen Bericht in Auftrag geben, der eine detaillierte Erhebung der des Trinkwasserzugangs sowie des Zustands der Wasserinfrastruktur in der Region bietet.

Der Bericht stellt eine wichtige Grundlage für die Sanierung der Wasserinfrastruktur im Rahmen eines künftigen Versöhnungsprozess dar. Denn so wie Wasser einen Konflikt verschärfen kann, so kann es auch ein Mittel der Versöhnung sein. Vor allem in einer Gesellschaft, die stark von einer auf Wasser angewiesenen Landwirtschaft abhängig ist.

Ein wirtschaftlicher Einsatz der Ressourcen kann ein Wachstumsmotor sein. Andererseits ist die Garantie eines gerechten Zugangs zu Wasser für alle eine Voraussetzung für Stabilität in einem Land. Bevölkerungskreise, die vorher vielleicht marginalisiert waren, fühlen sich plötzlich integriert und von den Behörden unterstützt. Oft ist das der Moment, in dem ein eigentliches Gefühl von Bürgerschaft geweckt wird. Und Bürger sein geht einher mit dem Wunsch nach Stabilität des Landes.

Zweites Beispiel: die Prävention von gewalttätigem Extremismus. Gewalttätiger Extremismus ist ein komplexes Problem, dessen Bekämpfung an der Wurzel langfristig die besten Resultate zeitigt.

Die Schweiz will Staaten und betroffene Gemeinschaften darin unterstützen, das gesellschaftliche Umfeld so zu gestalten, dass sich Menschen nicht zu extremistischer Gewalt hinreissen lassen.

Bei der Prävention von gewalttätigem Extremismus handelt es sich um ein sicherheitspolitisches Anliegen, für das wir das aussenpolitische Instrumentarium umfassend einsetzen, inklusive die Entwicklungszusammenarbeit.

Die Schweiz setzt dabei bei der Jugend an. Hier kann die Schweiz eine ihrer Stärken einbringen. Die Förderung der Berufsbildung ist seit jeher ein Schwerpunkt der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Allein in den letzten vier Jahren ermöglichte diese über 300‘000 jungen Frauen und Männern in 20 Schwerpunktländern eine Berufsausbildung. Mit der neuen Botschaft will der Bundesrat die Mittel für die Grund- und Berufsbildung um 50% erhöhen. Das ist eine Investition für Entwicklung und Frieden und für die Prävention von Terrorismus. Es ist eine Investition in die Zukunft, in die Zukunft unserer -Welt.

Meine Damen und Herren,

Viele grosse Herausforderungen unserer Zeit sind globaler Natur. Die Schweiz will dabei ihre Verantwortung wahrnehmen. Sie will ihre Interessen verteidigen.

Sie will dazu beitragen, dass die Welt mehr Chancen auf Frieden hat – mehr für die nächste Generation macht.

Auch die hervorragenden Beziehungen mit unserem nächsten Nachbarn will die Schweiz weiter pflegen und entwickeln. Damit diese Beziehung auch in Zukunft Innovationen hervorbringt, die für beide Seiten von Vorteil sind, und damit diese Beziehung Chancen und Perspektiven für die Menschen und die zukünftigen Generationen auf beiden Seiten des Rheins bietet.

Die Gestaltung der Zukunft ist eine Kernaufgabe von Politik und Wirtschaft. Es geht darum, Perspektiven für junge Menschen und die Generationen nach uns zu schaffen. Trotz der wunderbaren Berge, die unsere Länder prägen, muss man immer bestrebt sein, über den Horizont hinaus zu blicken.

Um den Kindern eine Zukunft zu bieten – egal, ob sie in Vaduz, in Bern oder in Aleppo leben – um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Leben nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu führen und ihre Träume zu leben, müssen wir die Kraft der Partnerschaft nutzen. Der Partnerschaft zwischen souveränen Staaten, zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft. Zwischen den Menschen, zwischen uns allen.

Danke.


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