Bundesrat definiert Kriterien für Anwendung der Schutzklausel
Bern, 14.05.2025 — Nachdem der Bundesrat die Schutzklausel in den Verhandlungen mit der EU konkretisiert hatte, nahm er am 14. Mai 2025 deren inländische Umsetzung zur Kenntnis. Er muss die Auslösung der Schutzklausel im Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA) prüfen und geeignete Schutzmassnahmen vorschlagen, wenn etwa die Nettozuwanderung, die Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfebezug gewisse Schwellenwerte überschreiten. Zudem kann der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen, wenn weitere Indikatoren darauf hindeuten, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU zu schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen in der Schweiz führen. Diese inländische Umsetzung der Schutzklausel soll in die Vernehmlassungsvorlage für das Gesamtpaket mit der EU aufgenommen werden.

Das FZA erlaubt es Staatsangehörigen aus dem EU/EFTA-Raum, unter gewissen Bedingungen in der Schweiz zu arbeiten, zu studieren und zu wohnen. Das Gleiche gilt für Schweizer Bürgerinnen und Bürger im EU-Raum. Mit der Weiterentwicklung des bilateralen Wegs soll das FZA revidiert und unter anderem durch Teile der Richtlinie 2004/38/EG (sogenannte Unionsbürgerrichtlinie, UBRL) erweitert werden.
Indikatoren und Schwellenwerte
Die Schutzklausel erlaubt es der Schweiz, den freien Personenverkehr vorübergehend einzuschränken, wenn die Zuwanderung aus der EU/EFTA zu schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen führt. Der Bundesrat kann die Auslösung der Schutzklausel prüfen, wenn er schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme in der ganzen Schweiz, aber auch in einzelnen Regionen oder bestimmten Branchen feststellt. Dabei stützt er sich auf Indikatoren insbesondere in den Bereichen Zuwanderung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, Wohnungswesen und Verkehr.
Zudem legt der Bundesrat Schwellenwerte für die Nettozuwanderung aus der EU, die Zahl der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die Zunahme der Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfequote fest. Wird einer dieser Schwellenwerte für die ganze Schweiz überschritten, muss der Bundesrat die Auslösung der Schutzklausel prüfen. Jeder Kanton kann zudem beantragen, die Schutzklausel auszulösen, wenn in diesem Kanton schwerwiegende Probleme vorliegen. In diesem Falle kann der Bundesrat auch regionale Schutzmassnahmen prüfen.
Eigenständige Schutzmassnahmen sind möglich
Löst der Bundesrat die Schutzklausel aus, beantragt er beim Gemischten Ausschuss geeignete Schutzmassnahmen. Die möglichen Massnahmen werden im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) festgehalten und regeln, inwiefern die Schweiz die Personenfreizügigkeit vorübergehend einschränken darf. Vorgesehen sind etwa die Festlegung von Höchstzahlen bei der Zuwanderung oder ein Inländervorrang. Möglich sind auch die Beschränkung des Aufenthaltsrechts bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, eine eingeschränkte Aufenthaltsdauer für die Stellensuche und andere ausländerrechtliche Massnahmen. Solche Schutzmassnahmen können für die gesamte Schweiz oder einzelne Kantone vorgeschlagen werden.
Falls der Gemischte Ausschuss zu keinem Entscheid kommt, kann der Bundesrat an das Schiedsgericht gelangen. Wenn dieses das Vorliegen von schwerwiegenden Problemen durch die Zuwanderung anerkennt, kann der Bundesrat die vorgeschlagenen Schutzmassnahmen ergreifen. Entsteht dadurch ein Ungleichgewicht, könnte die EU verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen ergreifen, jedoch nur bei der Personenfreizügigkeit.
Kommt das Schiedsgericht zum Schluss, dass die Bedingungen für die Anwendung der Schutzklausel nicht erfüllt sind, kann der Bundesrat trotzdem eigenständig Schutzmassnahmen ergreifen. Die EU könnte in einem solchen Fall ihrerseits ein Schiedsgerichtsverfahren eröffnen und Ausgleichsmassnahmen auch bei den übrigen Binnenmarktabkommen - mit Ausnahme der Landwirtschaft - ergreifen, wenn das Schiedsgericht eine Verletzung des FZA feststellt.
Vor dem Auslösen der Schutzklausel sowie vor dem Ergreifen von Schutzmassnahmen hört der Bundesrat die zuständigen parlamentarischen Kommissionen, die Kantone und die Sozialpartner an.
Schutzklausel als Teil des Schutzdispositivs
Die Schutzklausel ist Teil eines Schutzdispositivs, auf das sich die Schweiz und die EU in den Verhandlungen geeinigt haben. Dieses stellt sicher, dass die Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit auf die Erwerbstätigkeit ausgerichtet bleibt. Die Schweiz übernimmt die Unionsbürgerrichtlinie mit Ausnahmen und Absicherungen. Mit diesen kann die Schweiz insbesondere die Zuwanderung in die Schweizer Sozialsysteme verhindern, das Schweizer Lohnniveau schützen und die Vorgaben der Bundesverfassung bei Landesverweisungen beibehalten.
So kann die Schweiz auch weiterhin alle straffälligen Ausländerinnen und Ausländer gemäss geltendem Schweizer Recht des Landes verweisen. Zudem können nur erwerbstätige EU-Bürgerinnen und -bürger nach fünf Jahren ein Daueraufenthaltsrecht in der Schweiz erhalten. Die Schweiz kann den Aufenthalt von erwerbslosen Personen aus der EU unter gewissen Bedingungen beenden, wenn diese nicht aktiv nach einer Stelle suchen und nicht mit der öffentlichen Arbeitsvermittlung kooperieren. Zudem müssen sich weiterhin alle Personen, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, über das Meldeverfahren anmelden. Im Weiteren hat der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Sicherung des Lohnschutzes verabschiedet