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RedeVeröffentlicht am 7. Mai 2025

TRANSFORM-Tagung 2025

Bern, 07.05.2025 — Die Schweiz digitalisieren: Wie gelingt das? Und welche Rolle spielen dabei Daten? - Rede von Bundeskanzler Viktor Rossi

Sehr geehrte Damen und Herren,
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen

In der Schweiz liegt der Anteil des Freizeitverkehrs bei stolzen 43%1. Die Wahrscheinlichkeit ist also gross, dass viele von Ihnen dieses Wochenende einen Ausflug machen werden. Machen Sie den mit dem öffentlichen Verkehr, verwenden Sie in aller Regel die SBB-App.

Egal ob Sie mit der RBS nach Solothurn, mit der Berner Oberland Bahn auf die Kleine Scheidegg oder mit der SBB nach Lausanne fahren: Bahnverbindungen und Tickets finden sie alle an einem Ort: in der SBB-App.

Deutlich anders sieht das Bild bei internationalen Reisen aus: Wollen Sie beispielsweise nach Stockholm, finden Sie zwar die Verbindung.

Aber bereits, wenn Sie wissen möchten, ob ein Zug barrierefrei ist, ein Restaurant hat oder ob sie ein Velo mitnehmen können, sind die Informationen lückenhaft. Tickets können sie weder in der App noch auf der Website der SBB kaufen. Sie gehen also an den Schalter oder kaufen einzelne Tickets über die Deutsche, über die Dänische und über die Schwedische Bahn.

Ich bin nicht eingeladen worden, um über Züge zu sprechen. Aber es wird durchaus eine Bahn-lastige Rede, denn das Beispiel zeigt schön den Unterschied zwischen einem interoperablen Datenraum und einem nicht interoperablen Datenraum. Im Falle der Bahninformationen für die Schweiz gelingt es offenbar, Fahrplan, Zugsinformationen und Tarife in der SBB-App zusammenzuführen. Bei internationalen Zugsreisen gelingt das noch nicht. Im Hintergrund ist das – ohne dass ich das Beispiel im Detail kenne – eine technische und organisatorische Herausforderung, ein Problem der Standardisierung sowie fehlender Schnittstellen. Am Ende leiden aber vor allem die Kundinnen und Kunden.

Daten und vor allem der Austausch von Daten sind zentral für die Digitalisierung – das muss ich Ihnen kaum sagen.

Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Behörden im Einzelfall durchaus vergleichbar mit der SBB-App sind: Wir haben gute digitale Behördenleistungen, die Daten zu einem Thema zentral aufbereiten. Ich nenne gerne einige Beispiele: Die Wetterapp von Meteoschweiz – auch wenn ich mit den Prognosen nicht immer einverstanden bin –, die elektronische Steuererklärung im Kanton Bern – da muss ich einverstanden sein, schliesslich finanziere ich damit meinen Lohn –, dann könnte ich mit EasyGov auf digitalem Weg ein Unternehmen gründen2 - im Moment fehlt mir dazu die Zeit –, der Kanton Jura hat eine wunderbar übersichtliche Website gegliedert in die Lebensphasen3, meine Zolldeklaration kann ich als Privatperson digital erledigen4 und so weiter. Das sind gute Lösungen und die Verwaltung ist auch zu schnellen, innovativen Lösungen fähig, wie sie beispielsweise in der Energiekrise mit dem EnergieDashboard gezeigt hat5.

Während die Daten zum Energieverbrauch vor der Krise verteilt oder nur lückenhaft waren, finde ich heute Informationen über die Produktion von Solarenergie, den Füllstand der Stauseen bis zum Preis von Brennholz auf einer Seite.

Wenn wir aber die Behördenlandschaft der Schweiz als Ganzes betrachten, gleichen wir eher dem internationalen Ticketsystem im Bahnverkehr. Unsere Lösungen sind unterschiedlich gestaltet, es gibt verschiedenste Zugänge und die Bürgerinnen und Bürger müssen gleiche Daten, zum Beispiel zu ihrem Einkommen, mehrfach eingeben. Es gibt Schritte in die richtige Richtung: Ich setze grosse Hoffnung auf die elektronische Identität E-ID und das zugehörige Behördenlogin AGOV – wenn Sie im Kanton Zürich, Luzern oder Bern wohnhaft sind, dann haben Sie beim Ausfüllen der Steuererklärung bereits damit Bekanntschaft gemacht. Zudem sind wir daran, mit easygov.swiss ein einziges, zentrales Portal für Leistungen für Unternehmen zu etablieren und ch.ch bietet seit Jahren eine Übersicht über die wichtigsten Behördenleistungen.

Damit die Digitalisierung gelingt und wir einen Schritt vorwärts machen, benötigen wir vor allem in drei Bereichen Verbesserungen:

  • Wir sollten unsere Kunden noch stärker ins Zentrum rücken: in unserem Falle sind das die Bevölkerung und die Unternehmen. Diesen Kunden ist es in der Regel egal, welches Bundesamt Absender einer Dienstleistung ist. Benötigt z.B. eine Person Arbeitslosentschädigung, spielt es für sie keine Rolle, ob diese durch die Stadt, den Kanton oder den Bund ausbezahlt wird. Auf die Bahn-Analogie übertragen: Mir ist es egal, ob ich mit der SNCF, Trenitalia, der Deutschen Bahn oder der SBB reise, solange ich komfortabel und rechtzeitig ans Ziel komme (…wobei es mir in diesem Fall wahrscheinlich doch nicht ganz egal ist, mit wem ich reise. Es gibt ja durchaus Nuancen in Sachen Pünktlichkeit…). Aber zurück zur Verwaltung: Im Zentrum unserer Angebots sollte die Dienstleistung stehen und wir können davon ausgehen, dass die betroffene Person am besten bedient ist, wenn sie alle Informationen und Leistungen an einem Ort auffindet sowie gleiche Daten nur einmal ausfüllen muss.
  • Damit das möglich ist, müssen wir zwischen den Behörden und den föderalen Ebenen stärker zusammenarbeiten und mehr gemeinsame Lösungen realisieren. Bund und Kantone haben sich im Grundsatz für diesen Weg ausgesprochen: Unter anderem mit der Gründung der Digitalen Verwaltung Schweiz vor einigen Jahren, die sich explizit um die föderale Zusammenarbeit kümmert. Angesichts des aktuellen Spardrucks ist mehr Zusammenarbeit auch für die Verwaltung selbst von Interesse. Als positives Beispiel möchte ich das Portal opendata.swiss hervorheben. Statt dass alle Behörden ihre eigenen Portale für Open Data aufgebaut haben, gibt es seit fast zehn Jahren opendata.swiss. Bemerkung in Klammern: Seit letztem Jahr ist ein Gesetz in Kraft, dessen Titel sie sich nicht werden merken können: das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben – kurz EMBAG – verpflichtet die Bundesverwaltung dazu, Daten als Open Data zu publizieren. Trotzdem waren bereits vorher über 10'000 Datensätze auf opendata.swiss publiziert. Die Verwaltung kann also auf freiwilliger Basis kooperieren und tut das auch. Das Gesetz hilft uns nun aber, Open Data flächendeckend umzusetzen. Petra Keller vom Bundesamt für Statistik wird uns eventuell später mehr dazu berichten. Jedenfalls benötigen wir generell mehr Kooperationen dieser Art, damit die Bevölkerung Behördenleistungen einheitlich und aus einer Hand erhält.
  • Das bringt mich zum dritten Punkt und zurück zum Thema der Tagung: Daten respektive Datenaustausch oder – fachlich korrekt, aber schwer auszusprechen «Dateninteroperabilität» –   sind die Grundlage, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Zum Beispiel vergeben wir jedem Unternehmen eine Nummer, die Unternehmens-Identifikationsnummer UID. Damit kann die Steuerverwaltung genauso wie der Zoll ein Unternehmen eindeutig identifizieren und mit Informationen wie der Adresse verbinden. Selbst die BFH hat eine UID! Die UID ist praktisch für Unternehmen, weil sie so ihre Adresse und weitere grundlegende Informationen nur einmal eingeben müssen – sie kennen das unter dem Schlagwort Once-Only-Prinzip. Trotzdem sind wir heute noch nicht so weit, dass alle Behörden die UID einsetzen. Aber auch bei komplexeren Daten ist Datenaustausch wünschenswert: Bereits heute verwendet die Verwaltung Steuerdaten, um Vergünstigungen wie bei den Krankenkassen oder der Kinderbetreuung automatisch zu berechnen. Statt dass die Personen ihre finanzielle Situation bei mehreren Stellen deklarieren müssen, machen sie das einmalig.

Wenn wir 1. die Kunden ins Zentrum stellen, 2. über die föderalen Ebenen zusammenarbeiten und sicherstellen, dass 3. unsere Anwendungen Daten austauschen können und damit interoperabel sind, dann machen wir in der Digitalisierung der Behörden einen wichtigen Schritt nach vorne.

Wir sollen und wollen uns aber beim Thema Daten nicht auf Behördenleistungen beschränken: Wir sollten auch Daten von Unternehmen, Universitäten, Spitälern und weiteren Akteuren nutzen und kombinieren können. Es gibt auch nicht nur die bereits erwähnten «Open Data», die in der Regel keine besonders schützenswerten Daten enthalten, sondern auch Personendaten, die in anonymisierter Form von Interesse sind.

Der Bundesrat hat deshalb auf Antrag der BK beschlossen, den Aufbau eines «Datenökosystems Schweiz» zu fördern. Das Datenökosystem Schweiz soll aus einer Vielzahl von Datenräumen bestehen, die interoperabel und vertrauenswürdig sind. Was ist ein Datenraum? Ein Datenraum ist eine technische und organisatorische Struktur, welche die Bereitstellung, den Austausch und den Bezug von Daten aus verschiedenen Quellen und von verschiedenen Akteuren ermöglicht und regelt. Schematisch dargestellt, sieht das so aus:

Im eingangs erwähnten Beispiel ist das also die SBB, die über Website und App-Fahrplan Zuginformationen und Ticketpreise von verschiedenen Schweizer Transportunternehmen wie der BLS, Postauto oder der Titlis Bergbahnen zur Verfügung stellt. Vertrauenswürdig meint hier beispielsweise, dass ich dank dem rechtlichen und technischen Rahmen darauf vertrauen kann, dass meine persönlichen Daten nur zu jenen Zwecken verwendet werden, für die ich sie freigebe. Ich gehe zum Beispiel davon aus, dass die Titlis Bergbahnen kein komplettes Mobilitätsprofil von mir erstellen kann und darf, auch wenn ich einmal über die SBB-App ein Ticket für auf den Titlis kaufe (wobei, wer weiss… Ich verstehe weder die App technisch noch habe ich die Datenschutzerklärung gelesen – womit wir wieder beim Vertrauen sind. Aber das nur als Randbemerkung.)

Nun ist die SBB-App kein offizieller Datenraum, darum erlaube ich mir ein zweites Beispiel, bleibe aber beim Verkehr: Das Bundesamt für Verkehr (BAV) baut aktuell den Datenraum Mobilitätsdateninfrastruktur «MODI» auf.

MODI könnte beispielsweise dazu beitragen, gefährliche Personenansammlungen, wie sie an grossen Festivals schon vorkamen, frühzeitig zu erkennen, aufzulösen und gefährdete Personen besser zu schützen.

Kombiniert man Daten aus verschiedenen Quellen (Stichwort: Interoperabilität) wie etwa Positionsdaten von Handys, Daten von Taxi-Anbietern, Autobahnkameras oder auch Beobachtungen vor Ort, erkennen die Behörden Personenansammlungen viel schneller. Das würde die Arbeit der Ambulanz oder Feuerwehr erheblich vereinfachen. Gleichzeitig sind das alles sehr sensible Daten: Sie sollen also nur für bestimmte Zwecke verwendet werden können (Stichwort: Vertrauenswürdigkeit). Ich denke, Adrian Lobsiger wird uns dazu später sicher mehr sagen.

Denkbar sind aber auch Beispiele, die näher an der Privatwirtschaft und der Forschung sind. Beispielsweise gibt es einen Prototypen zu Daten von Krebspatienten aus Spitälern, die zuerst anonymisiert, dann mittels KI strukturiert und schliesslich an das nationale Krebsregister übermittelt werden. Dieses dient wiederum der Forschung als wichtige Grundlage.

Um Vorhaben wie diese beiden Beispiele zu unterstützen, betreiben wir in der Bundeskanzlei seit Anfang Jahr die Anlaufstelle Datenökosystem Schweiz. Sie richtet sich sowohl an Behörden wie auch Private. Die Anlaufstelle unterstützt beispielsweise Prototypen von Datenräumen, erarbeitet Grundlagen, damit alle Datenräume ähnlich aufgebaut sind oder bietet Beratung beim Aufbau von Datenräumen.

Sie erreichen die Anlaufstelle unter der Adresse dataspaces@bk.admin.ch. Nutzen Sie das Angebot, wenn Sie am Thema Datenräume interessiert sind. Für besonders Interessierte gibt es zudem eine Community of Practice, in der man sich aktiv einbringen kann.

Als nächster Schritt bei Datenräumen ist insbesondere zu erwähnen, dass der Bundesrat beauftragt ist, ein Rahmengesetz für die Sekundärnutzung von Daten zu erarbeiten. Damit soll unter anderem geregelt werden, unter welchen Bedingungen bereits erhobene Daten für weitere Zwecke verwendet werden können. Bis Ende des nächsten Jahres soll ein Vernehmlassungsentwurf vorliegen.

Sowohl wir als Behörden wie auch Wissenschaft und Wirtschaft können den Austausch und damit die Nutzung von Daten noch optimieren. Zwei Dinge sollten wir dabei stets bedenken:

  • Wir bewegen uns in einer ständigen Abwägung zwischen Datenschutz und Datennutzung. Ungehemmte Datennutzung ist sicher nicht im Interesse der Kunden. Zu restriktiver Umgang mit Daten wiederum kann kundenfreundliche Lösungen ebenso erschweren. Ich bin allerdings der Ansicht, dass wir als Staat eine Vorbildfunktion haben und den Datenschutz hoch gewichten müssen.
  • Digitalisierung geschieht oft in – für unser Empfinden – schmerzhaft kleinen Zwischenschritten und macht nur selten grosse Sprünge, wie aktuell bei KI. Der Aufbau von Datenräumen und allgemein der bessere Datenaustausch wird dabei keine Ausnahme sein. Aber auch die heute von mir hochgelobte SBB-App startete einst als Fahrplan CD-Rom «HAFAS», später gab es einen SMS-Dienst6 und immerhin bereits 20087 die App – wenn auch nie mit den heutigen Funktionalitäten.

Bleiben wir also hartnäckig, damit wir das Potential von Daten in der Schweiz künftig besser nutzen können!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fussnoten:

[1] Ohne Güterverkehr. Nur individuelle Mobilität. Mobilitätsverhalten der Bevölkerung im Jahr 2021 (Resultate des Mikrozensus)

[2] EasyGov - Neues Unternehmen gründen

[3] Canton du Jura - Suisse - Administration - République et Canton du Jura

[4] QuickZoll: Die App des Schweizer Zolls für Private

[5] Energie-Dashboard Bundesamt für Energie

[6] SBB stellen Fahrplan-SMS ein | NZZ

[7] Die neue SBB-App kommt. Ob sie gut kommt, entscheidest du!