150-Jahr-Jubiläum Bundesgericht
Lausanne, 15.05.2025 — Rede von Bundesrat Beat Jans

Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Bundesgerichtspräsident,
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin,
Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident,
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Meine Damen und Herren
Ich will als letzter Redner ja nicht der Spielverderber sein: Aber müssten wir heute nicht 177 Jahre Bundesgericht feiern? Immerhin wurde das Bundesgericht mit der ersten Bundesverfassung 1848 begründet.
Aber ich sehe natürlich, warum sie lieber 150 Jahre feiern: 1848 hatte das Bundesgericht weder einen festen Sitz noch ständige Richter. Man traf sich zum Recht sprechen am häufigsten in Bern. Das war praktisch, weil die meisten Richter auch National- oder Ständeräte waren. Die Gewaltenteilung wurde – sagen wir – eher locker gehandhabt.
Überhaupt waren erste und zweite Gewalt gegenüber der dritten sehr skeptisch. Sie sollte ja nicht zu «gewaltig» sein. Die Kompetenzen des Bundesgerichts waren entsprechend eng begrenzt. Man fürchtete sich vor einem «Richterkönigtum» oder einer «aristocratie de la robe», wie es im Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz heisst. Staatsrechtliche Streitigkeiten regelten die politischen Behörden. Auch der Bundesrat. Dass das für Sie kein Grund zur Freude ist, ist mir klar.
So feiern wir nun das 150-Jahr-Jubiläum: Wir feiern, dass das Bundesgericht zum ständigen Gericht mit Sitz in Lausanne wurde. Dass die Bundesrichter kein anderes öffentliches Amt mehr haben durften. Dass fortan Berufsrichter Recht sprachen und sie nach und nach mehr Kompetenzen erhielten. Dass das Bundesgericht so schliesslich zum höchsten Gericht der Schweiz wurde. Vor allem aber feiern wir 150 Jahre Rechtsstaat und Rechtssicherheit.
Mesdames et Messieurs les Juges du Tribunal fédéral,
Chères collaboratrices, chers collaborateurs du Tribunal fédéral,
Je suis très heureux de pouvoir célébrer cet anniversaire avec vous. Et soyez tranquille : « dire le droit » ne fait plus partie des attributions du Conseil fédéral…
Mon rôle est aujourd’hui de vous transmettre les félicitations du Gouvernement fédéral – et aussi de vous apporter de bonnes nouvelles de la Monnaie fédérale suisse, puisque j’ai aussi l’honneur de représenter ici la ministre des finances :
Swissmint hat zu Ehren dieses Jubiläums eine Sondermünze mit der Justitia geprägt. Sie verkörpert die Grundprinzipien des Bundegerichts: Fairness, Integrität und Unparteilichkeit. Die Münze ist demnächst erhältlich.
Auf das Bundesgericht gemünzt, heisst das: Herzliche Gratulation zu Ihrem glänzenden Jubiläum.
Wir leben in einer unruhigen und unübersichtlichen Welt. Autokratische Bewegungen haben plötzlich wieder Aufwind – sogar in traditionsreichen Demokratien. Die freiheitliche Ordnung wird herausgefordert, Wissenschaft und unabhängige Justiz stehen unter Druck. Sicher Geglaubtes wird unsicher, scheinbar Stabiles gerät ins Wanken.
Auch in der Schweiz gibt es Entwicklungen, die uns zu denken geben sollten: Der politische Diskurs wird unversöhnlicher, die Sprache roher. Kompromisse werden lächerlich gemacht und selbst Bagatellen vor Gericht ausgetragen. Richterinnen und Richter stehen zunehmend in der Kritik – und damit auch die unabhängige Justiz. Und es gibt auch hier die Unsitte, das Recht nur dann zu akzeptieren, wenn es sich mit der eigenen politischen Position deckt. Gerichtsurteile werden mit dem Label «politisch» delegitimiert, juristische Gutachten als blosse Meinungen diffamiert.
Verglichen mit den politischen Verwerfungen auf der Welt, ist die Schweiz allerdings noch immer eine Insel der Freiheit, der Demokratie – und der Rechtsstaatlichkeit.
Questo anche grazie a voi, stimati giudici e cari collaboratori del Tribunale federale. Il vostro lavoro è fondamentale per lo Stato di diritto.
Indem Sie Recht sprechen, sorgen Sie dafür, dass die Gesetze für alle gelten. Und dass die Schranken des Bundesrechts respektiert werden. Sie stellen sicher,
dass das Recht herrscht und nicht die Willkür. Indem Sie Recht sprechen, sorgen sie dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Recht kommen. Und dass ihnen Grundrechte gewährt werden. Indem Sie Recht sprechen, stellen Sie sicher, dass sich das Recht weiterentwickelt und sich der Realität anpasst. Sie sorgen dafür, dass das Bundesrecht in der ganzen Schweiz einheitlich angewendet wird – und schaffen so Rechtssicherheit. Kurz gesagt: Indem Sie Recht sprechen, schaffen Sie auch Vertrauen. Und ohne Vertrauen gibt es keine Demokratie.
Exekutive und Legislative brauchen eine unabhängige Justiz. Manchmal macht sogar der Bundesrat Fehler. Dass das Bundesgericht solche Fehler korrigiert, ist zwar nicht unbedingt angenehm – aber in einer funktionierenden Demokratie absolut notwendig. Manchmal löst ein Urteil des Bundesgerichts aber auch kontroverse Diskussionen aus. Auch dafür muss es in einer funktionierenden Demokratie Platz haben. So lange für alle klar ist: Nur mit einer unabhängigen Justiz gibt es ein Gleichgewicht der Macht. Nur mit einer unabhängigen Justiz garantieren wir die freiheitliche Gesellschaft.
Dass wir heute auch 150 Jahre Rechtsstaat und Rechtssicherheit feiern, ist alles andere als selbstverständlich.
Freedom, democracy and the rule of law can never be taken for granted. They exist because people work tirelessly every day to uphold the institutions of this country and fulfil their responsibilities. This includes you, as federal judges and employees of the Federal Supreme Court.
Auch dafür möchte ich Ihnen im Namen der Landesregierung danken.
«In der Demokratie ist das letzte Bollwerk für Verfassung und Recht der Richter. Auf das Vertrauen zu ihm gründet sich das Gefühl der Rechtssicherheit». Dieses Zitat stammt von Fritz Fleiner, einem der wichtigsten Schweizer Staatsrechtler – und bringt meine Gedanken auf den Punkt.
Den Bedenkenträgern von 1848 würde ich heute gerne zurufen: Hier im Gerichtsgebäude auf «Mon Repos» mag zwar aristokratisches Flair herrschen, aber gewiss kein Richterkönigtum.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.