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RedeVeröffentlicht am 30. Oktober 2025

Herbsttagung der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften

Bern, 30.10.2025 — Rede von Bundesrat Beat Jans

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler
Sehr geehrte Damen und Herren

Politik oder Verwaltung – wer setzt den Rahmen?

Zumindest für diese Herbsttagung haben Sie – ich zähle Sie zur Verwaltung – mir – dem Politiker – den Rahmen klar gesetzt. Inhaltlich (ein Vortrag) und zeitlich (15 Minuten). Ich danke Ihnen herzlich – auch für die Einladung. Ich freue mich hier zu sein und mit Ihnen über Verwaltung und Bürokratie zu diskutieren und nachzudenken.

Über dem Anlass steht noch eine andere grosse Frage: Bürokratie – Fluch oder Segen? Zuerst wusste ich nicht, ob es eine Fangfrage ist oder eine rhetorische.

Jedenfalls habe ich im Generalsekretariat meines Departements drei Spezialistinnen und Spezialisten anstellen lassen, die jetzt ein interdisziplinäres Team mit Fachleuten aus Organisation, Ethik und Theologie zusammenstellen, um Grundlagen für die politische Beantwortung dieser Fragestellung zu schaffen.

Bureaucratie.

Il y a clairement des choses plus agréables : Les bouchons sur l’autoroute, un moustique dans sa chambre à coucher, la fraise chez le dentiste, le démarchage téléphonique, ou simplement le lundi matin. J’arrête ici cette liste, qui est loin d’être exhaustive. La bureaucratie est agaçante, pénible, inutile.

Ludwig von Mises, ein Ökonom, fasste es so zusammen: «Der Begriff ist eine Schmähung. Niemand nennt sich selbst einen Bürokraten oder seine Geschäftsmethoden bürokratisch. Diese Worte fallen immer mit ehrenrührigem Unterton.»

Bürokraten haben kein Rückgrat, dafür Paragrafen. Und vierlagiges Toilettenpapier. Oder wer erinnert sich an Mani Matters Ballade «vo däm wo vom Amt isch ufbotte gsi»? Wahrscheinlich kennen Sie noch viel mehr solche Witze und Geschichten. Sie sind auch bei Schnitzelbänken beliebt.

Aber was ist denn eigentlich eine Bürokratie? Ursprünglich waren Bürokratie und Verwaltung Synonyme. So beschreibt sie etwa bei Max Weber eine Organisation
zur Durchführung öffentlicher Aufgaben durch Behörden, Ämter oder Institutionen. Eine Organisation, die sich durch folgende Merkmale charakterisieren lässt: Sie hat eine klare Hierarchie, setzt auf Spezialisierung und Arbeitsteilung und funktioniert nach festen, formalen Regeln. Auch Unpersönlichkeit und Schriftlichkeit sind wichtig.

Im heutigen Sprachgebrauch hat Bürokratie hingegen immer eine negative oder kritische Konnotation. Sie steht für übermässige Regelung, übertriebenen Formalismus, Ineffizienz und Langsamkeit. Diese Bürokratie ist unbestritten ein Fluch.

Aber zurück zu «meiner» Frage: Wer setzt den Rahmen – Politik oder Verwaltung? Es schwingt in der Frage schon mit: Verwaltung und Politik haben ein kompliziertes Verhältnis. Als Parlamentarier oder Parlamentarierin – ich erinnere mich gut – nimmt man die Bundesverwaltung als gross und manchmal fast übermächtig wahr. Um der Verwaltung den Rahmen abzustecken, stehen den Parlamentarierinnen und Parlamentarier verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. Mächtig sind vor allem die Instrumente zur Kontrolle der Verwaltungstätigkeit: PVK, GPK, EFK, EDÖB oder auch der «Monsieur Prix». Parlamentarische Vorstösse sorgen in der Verwaltung je nachdem für Nervosität, Aufregung, lange Gesichter oder Belustigung – ganz sicher aber für Aufwand. Und nicht selten ist genau dieser Aufwand dann wieder Gegenstand parlamentarischer Vorstösse.

Wer setzt den Rahmen? Würde man beide fragen, würde die Politik laut rufen «Ich!» und die Verwaltung würde dasselbe leise denken. Wie in vielen Beziehungen besteht das Geheimnis darin, dass insgeheim beide überzeugt sind, die Hosen anzuhaben.

Und wo stehe ich eigentlich als Bundesrat?

Als Bundesrat und Departementschef stehe ich mit einem Bein in der Politik und mit einem in der Verwaltung. Manchmal ist es darum ein Spagat. Die Politik will Dinge verändern, die Verwaltung bewahren. Beides hat seine Berechtigung.

Ich bin jetzt seit zwei Jahren Bundesrat. Mir ist es wichtig, dass wir unsere Ressourcen sorgfältig einsetzen und effizient sind. Vor allem aber bin ich nach wie vor beeindruckt, was die Bundesverwaltung alles weiss, kann und leistet. Es gibt in der Verwaltung unglaublich viel Erfahrung, Fachwissen, Expertise und Knowhow. Und was man vielleicht weniger erwartet: Ebenso viel Leistungsbereitschaft, Einsatz und Herzblut.

Bürokratie im negativen Sinn ist kein Phänomen des Staates – es gibt sie genauso in der Privatwirtschaft. Grosse Organisationen sind besonders anfällig. Ein Unternehmensberater sagte einst treffend: «Organisationen ab 1000 Leuten können sich sehr gut mit sich selbst beschäftigen. Da stört der Kunde nur.»

Aber gerade Verwaltung darf nie ein Selbstzweck sein. Steuergeld muss sorgfältig eingesetzt werden und staatliche Leistungen müssen der Bevölkerung dienen. Sie ist die Chefin. Und ich als Bundesrat bin auch Change-Manager. Organisation, Abläufe und Aufgaben hinterfragen, anpassen und verbessern – das sind wir der Chefin, die uns bezahlt, schuldig. Nur ein beweglicher Staat ist ein handlungsfähiger, starker Staat.

Wir alle müssen dafür sorgen, dass unser Staat so bürokratisch ist wie nötig und so unbürokratisch wie möglich: Der Bundesrat, indem er einen vernünftigen Rahmen setzt und seine Ämter auch immer wiederherausfordert. Die Mitarbeitenden, indem sie mitdenken, Ideen einbringen, Neues wagen und sich weiterbilden. Die Mitglieder des Parlamentes, indem sie ihren Aktivismus zügeln und nicht Profilierung, sondern Lösungsfindung zum Kriterium ihrer Vorstösse machen. In der vergangenen Herbstsession wurden 333 Fragen gestellt und 777 Vorstösse eingereicht – zwei Schnapszahlen und ein neuer Legislatur-Rekord. Es ist zuweilen erschreckend, wie gleichgültig Politikerinnen und Politiker von links bis rechts reagieren, wenn Bundesrat und Verwaltung vor neuen Vollzugsmonstern warnen.

Mesdames et Messieurs,

Nous traversons une période difficile. L’état de droit et la démocratie sont menacés – et donc l’administration publique aussi. Les forces libertariennes et autoritaires n’hésitent pas à jouer de la tronçonneuse. Chez nous, on sort les hallebardes. L’intention est toujours la même : accuser l’administration publique d’être une bureaucratie inefficace, envahissante et « woke » pour la dénigrer, délégitimer son action et, finalement, la démanteler. L’administration est une victime facile, parce que par nature, il lui est difficile de se défendre. C’est précisément parce qu’elle n’est pas politique, mais pourtant soumise à des règles, qu’elle a peu d’armes à opposer au populisme.

Warum steht die Verwaltung im Visier autoritärer Kräfte? Ums Sparen geht es nur vordergründig. In vielen autoritären Staaten explodieren die Schulden. Hinter den Angriffen auf die öffentliche Verwaltung stehen andere handfeste Interessen: Die Verwaltung steht für Werte, die autoritäre Kräfte ablehnen. Die Verwaltung steht im Weg.

Ich will heute eine Lanze brechen für die Verwaltung – und für Bürokratie im ursprünglichen Sinn:

  • Regelgebundenheit, Unpersönlichkeit und Schriftlichkeit stellen sicher, dass alle gleichbehandelt werden – eines der obersten Prinzipien in einem Rechtsstaat. Das beugt Günstlingswirtschaft und Klientelismus vor. Sie ermöglicht der Politik zu handeln, zeigt ihr aber in unserer Demokratie gleichzeitig ihre Grenzen und auf. Das kommt auch bei uns – das weiss ich aus Erfahrung – nicht immer gut an. Geht nicht, gibt es eben doch. Bürokratie ist eine Bastion gegen Willkür.
  • Die öffentliche Verwaltung sorgt auch dafür, dass politische Entscheide auf der Basis von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen gefällt werden. Sie hortet Wissen und hat ein historisches Gedächtnis. Das Bundesamt für Statistik, zum Beispiel, leistet unglaublich wichtige Grundlagenarbeit. Statistiken fallen nicht vom Himmel. Oder nehmen Sie «mein» Bundesamt für Justiz. In der Verwaltung sind Spezialisten am Werk, in der Politik die Generalisten. Der ehemalige SPD-Chef und deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach einst von «Universaldilettanten». Die Verwaltung steht für Wissenschaftlichkeit, Rationalität, Faktentreue und Evidenz – die Grundlage guter Politik.
  • Der Hauptgrund, warum die Verwaltung aufs Korn genommen wird, ist aber, davon bin ich überzeugt, ein anderer: Die Verwaltung ist beständig. Politiker kommen und gehen – und in Frankreich kommen sie dann sogar nochmals –, die Verwaltung bleibt. Sie steht für Kontinuität, Stabilität und Verlässlichkeit. Werte, die für das Vertrauen in die Demokratie entscheidend sind. Wir preisen gerne unsere politische Stabilität. Ich behaupte: Zu dieser Stabilität trägt die Bundesverwaltung entscheidend bei. Man kann sie als riesigen, unbeweglichen Dampfer sehen – aber auch als Fels in der politischen Brandung. Die Verwaltung, meine Damen und Herren, ist eine Institution.

Geschätzte Bürokratinnen und Bürokraten

Ja, wer setzt denn nun den Rahmen? Beide – Politik und Verwaltung – müssen schlussendlich der Bevölkerung dienen und Lösungen bereitstellen. Dafür sind sie aufeinander angewiesen. Natürlich setzt die Politik der Verwaltung den Rahmen. Alles andere wäre in einer Demokratie bedenklich. Aber auch die Verwaltung setzt der Politik Grenzen, indem sie die Politik an den Rahmen erinnert, den ihr Rechtsstaat, Verfassung und Demokratie vorgeben. Wenn die Verwaltung der Politik nicht den Rahmen setzt, dann legt sie ihr doch ganz sicher den Boden.

Die Verwaltung ist das Rückgrat unserer Demokratie. Bürokratie im ursprünglichen Sinn ist ein Segen! In politisch turbulenten Zeiten erst recht.

Vielen Dank dafür und für Ihre Aufmerksamkeit.