40 Jahre Aids-Hilfe Schweiz
Zürich, 13.06.2025 — Rede von Bundesrat Beat Jans
Es gilt das gesprochene Wort.
Chers Bourbines
Chers Welsches
Chère Marie-Thérèse Porchet
De l’esprit, de la détermination, des opinions tranchées. Et une expérience du cirque. Vous êtes faite pour la politique ! Si vous vous étiez lancée dans la course au Conseil fédéral en début d’année, en tant que femme, qui sait… Je me serais réjoui de votre élection. En tout cas jusqu’à la première séance du Conseil fédéral.
Liebe Frau Riva Gapany
Liebe Frau Lévy
Liebe Jubiläumsgäste
Noch viel mehr freue ich mich, hier zu sein und mit Ihnen vier Jahrzehnte Engagement, Mut und Menschlichkeit zu würdigen. Wir feiern heute 40 Jahre Aids-Hilfe Schweiz und Aids-Hilfen in der Schweiz. Auch mehrere Mitgliederorganisationen haben Jubiläum: diejenige hier in Zürich – heute Sexuelle Gesundheit Zürich – und die Aids-Hilfen Bern, St.Gallen-Appenzell und Tessin. Heute feiern wir aber nicht in erster Linie Organisationen, sondern die Menschen, die sie ausmachen. Sie alle.
Heute hier zu sein, liegt mir sehr am Herzen. Der Kampf gegen Aids begleitet mich seit Jahren, auch weil meine Frau, sie ist heute ebenfalls hier, diesen Kampf zu ihrem Beruf gemacht hat. Vor 13 Jahren, unsere Kinder waren 6 und vier Jahre alt, doktorierte sie an der Uni Basel als Statistikerin mit Daten der Schweizer HIV-Kohorte, einer der besten Datensätze weltweit. Später brachte Tracy ihre Expertise im Swiss Tropical and Public Health Institute ein, um eine HIV-Kohorte in Tansania aufzubauen. Es ging darum, in ländlichen Regionen Afrikas, wo die Ansteckungsrate besonders hoch und das Leid gross waren, die Versorgung und den Zugang zu Medikamenten zu verbessern.
Nach allem, was ich dank Tracy gehört, gelesen oder in Afrika gesehen habe, weiss ich, dass die Schweizer Wissenschaft viel dazu beigetragen hat, Millionen Menschen das Leben zu retten. Heute scheint es gar möglich, die Übertragung des Virus ganz zu stoppen. Etwas, das vor 40 Jahren niemand zu hoffen wagte.
«Ich habe plötzlich gewusst: Du hast diese Scheisskrankheit und da stirbst du mal dran», das sagte André Ratti, bekannter Fernsehjournalist und Präsident der Aids-Hilfe, 1986. Einen Monat später war er tot. Ich erinnere mich gut an dieses schreckliche Gefühl, das uns erfasste, als wir lernten, dass HIV tödlich ist und uns alle treffen kann. An die tiefe Trauer, als Bekannte und geliebte Menschen von uns gingen – und Ikonen wie Freddie Mercury: «Another one bites the dust.»
Die Aids-Epidemie hat die Schweiz – wie viele andere Länder – tief erschüttert. In den 1980er-Jahren war das Virus neu, unbekannt und bedrohlich. Besonders in der Schwulenszene ging die Angst um: Todesangst, aber auch Angst vor sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung. Existentielle Ängste.
In dieser schwierigen Situation schlug die Schweiz einen bemerkenswerten Weg ein. Wenn ich heute von der Schweiz spreche, dann meine ich nicht nur den Staat. Bund, Kantone, Gemeinden, Fachleute, Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen haben an einem Strang gezogen. Eine zentrale Rolle kam dabei der Aids-Hilfe zu.
Damals hat man auf wissenschaftlich abgestützte Informationen und Empfehlungen gesetzt, damit sich die Menschen wirksam vor HIV und Aids schützen konnten. Man förderte die Forschung, entwickelte und ermöglichte immer bessere Therapien. 40 Jahre später können wir von einem durchschlagenden Erfolg sprechen: 2008 hielten die Kommission für Aids-Fragen und das BAG im Swiss Statement fest, dass Menschen mit HIV, die mit antiretroviralen Medikamenten therapiert werden, das Virus nicht mehr übertragen. Ein Meilenstein für die Betroffenen und ihre Liebsten.
Heute werden Wissenschaftlichkeit und Fakten als Grundlage von politischen Entscheiden und gesellschaftlichem Handeln unverhohlen in Frage gestellt. Alternative «Wahrheiten», Fake-News und Verschwörungstheorien haben Aufwind.
Damals setzte man auf Aufklärung und Prävention und schuf Beratungsangebote. Man handelte besonnen und konsequent. Die Stop-Aids-Kampagne, die die Aids-Hilfe zusammen mit dem BAG lancierte, rüttelte die Menschen auf. Sie zeigte etwa ein schwules Paar im Kornfeld oder Gemüse in expliziter Pose und liess Polo National den «Gummi drum» besingen. Vielen stieg die Schamesröte ins Gesicht. Aber die Zahl der HIV-Neuinfektionen sank. Unsere Safer-Sex-Regeln waren ein Export-Schlager.
Heute, in einer Welt, die von Krise zu Krise eilt, scheint für Vorsorge, Umsicht und Weitsicht kaum noch Zeit zu sein. Besonnenheit wird gerne als Zeichen von Schwäche und mangelnder Konsequenz verunglimpft, Empörung und hektischer Aktivismus haben Konjunktur.
Das Wichtigste damals aber war die Solidarität. Man hat Tabus gebrochen und wir haben als Gesellschaft der Versuchung widerstanden, Betroffene zu stigmatisieren und Aids als «Schwulenseuche» abzutun. Das war nicht der Weg des geringsten Widerstandes und schon gar kein Selbstläufer. Es gab Enttäuschungen, Dämpfer und Rückschläge. Aber nach und nach bildete sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Getragen von Vernunft, aber vor allem auch vom mutigen Engagement ganz vieler Menschen.
Heute stehen Wissenschaftlichkeit, Solidarität und Vielfalt wieder unter Druck. Aufklärerische Evidenz wird politischer Machtpolitik geopfert. Der fakten- und vernunftbasierte Fortschritt ist in Gefahr. Und überall auf der Welt werden Minderheiten stigmatisiert: Migrantinnen und Migranten, sozial Schwache, Menschen aus der LGBTQ+-Community oder Kranke und Vulnerable.
Liebe Bewegte und vor allem Engagierte
Wir müssen gemeinsam und mit aller Kraft dagegenhalten. Wir dürfen das Erbe der Aufklärung nicht preisgeben. Und wenn wir zurückblicken, wissen wir warum.
Die Bekämpfung von Aids in der Schweiz ist eine doppelte Erfolgsgeschichte. Es ist eine Erfolgsgeschichte im Resultat. Der Kampf gegen HIV ist nicht vorbei. Aber in der Schweiz ist Aids – anders als für André Ratti vor 40 Jahren – kein Todesurteil mehr und die Ausbreitung des Virus ist unter Kontrolle. Diesen Durchbruch verdanken wir der Wissenschaft und der Solidarität. Eine Erfolgsgeschichte ist aber für mich vor allem auch, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Was möglich ist, wenn Weitsicht, Engagement, Wissen, Menschlichkeit und Empathie zusammenkommen.
Ohne die Aids-Hilfe, meine Damen bis Herren, wäre diese Geschichte so nicht geschrieben worden. Ich danke Ihnen im Namen des Bundesrates von Herzen für Ihr Engagement in den vergangenen vier Jahrzehnten. Ihnen und allen, die dieses Fest nicht mehr erleben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch in Zukunft den Menschen in den Mittelpunkt stellen, und nicht das Urteil über ihn.
Die Geschichte der Aids-Hilfe macht Mut. Nehmen wir diesen Mut und diese Zuversicht mit in die Zukunft. Gerade jetzt, in turbulenten und unsicheren Zeiten.
«Erfolgreiche Gesundheitspolitik grenzt niemanden aus», haben Sie gesagt, Frau Lévy. Und das gilt nicht nur für die Gesundheitspolitik. Lassen wir uns von Unsicherheit und Angst nicht lähmen. Halten wir uns an Fakten, nicht an die Lautesten. Bewahren wir einen kühlen Kopf und Besonnenheit. Lassen wir niemanden zurück.
So, wie Sie uns das vorgelebt haben.
Herzlichen Dank!