„Demografie und politische Rechte – Herausforderungen für die Schweiz“: Das Thema, das Sie mir gegeben haben, passt sich ein in Ihre Diskussionen von Heute Morgen. Es geht um die Zukunft der Schweiz, um Zukunftsszenarien. Wir verlassen damit auch den Boden von gesicherten Tatsachen und Zahlen. "Die Zukunft…", so der Philosoph Karl Jaspers, "…ist als Raum der Möglichkeiten der Raum unserer Freiheit". Ich nehme mir deshalb die Freiheit heraus, mir vorzustellen, wie die Schweiz im Jahre 2050 aussehen mag? Mein Kernbereich ist die Zukunft der
demokratischen Schweiz – und damit gehe ich auch gleich von der Annahme aus, dass im Jahre 2050 die direkte bzw. halbdirekte Demokratie immer noch zu den Wesensmerkmalen der Schweiz gehört.  

Was führt mich zu dieser Annahme?

Die direkte Demokratie besteht weiter

Zuerst einmal die Bedeutung, welche die Demokratie für die Entwicklung unseres Landes seit über 150 Jahre gehabt hat. Die unmittelbare Beteiligung der Bevölkerung an Sach-Entscheidungen - und nicht nur an der Wahl ihrer parlamentarischen Vertretungen - hat zur schrittweisen Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft beigetragen. In diesem schrittweisen, behutsamen Vorgehen, liegt der Erfolg unseres Landes. Wer deshalb grossartige Innovationen und mutige, risikoreiche Neuerungen erwartet, wird sicher enttäuscht. Meistens braucht es mehrere Anläufe, um grössere Massnahmen umsetzen zu können. Dafür waren wir gefeit vor Revolutionen und Fehlentwicklungen. Diese Kontinuität - eine der wichtigsten Schweizer Tugenden - sicherte der Schweiz in den letzten 60 Jahren Stabilität und einen nachhaltigen Wohlstand. Die direkte Demokratie gehört damit zur nationalen Identität. Ich glaube nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer, die diesen Wohlstand solange erlebt haben und tag-täglich bestätigt erhalten, dass es uns immer noch ebenso gut, wenn nicht besser geht als anderen Ländern, ihre Rechte leichtfertig aufgeben werden. Es ist zwar eine Tatsache, dass die Mehrheit der Stimmberechtigten nicht oder nicht regelmässig zur Urne geht; das heisst aber noch lange nicht, dass sie auf die demokratischen Rechte verzichten will.

Den zweiten Grund für meine Annahme, dass es die direkte Demokratie auch in 43 Jahren noch geben wird, findet sich in der Geschichte der Demokratie selbst. Die demokratischen Rechte und Instrumente wurden bis heute nie grundsätzlich in Frage gestellt und auch nie eingeschränkt. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden sie stetig weiterentwickelt und damit an zunehmende Bevölkerungsfluktuationen und einen enormen Zuwachs an Stimmberechtigten angepasst. Allein in den letzten 40 Jahren hat sich gesamtschweizerisch ihre Zahl vervierfacht, seit der Gründung des Bundesstaates 1848 mehr als verzehnfacht. Aus den Landsgemeinden entstand der Urnengang mit dem Stimmgeheimnis, aus dem Urnengang die briefliche Stimmabgabe, welche den Rückgang der Stimmbeteiligung gestoppt hat. Heute stimmen über 80% aller Stimmenden bei eidgenössischen Abstimmungen brieflich.

Auch in der wissenschaftlichen Diskussion wurde nie ernsthaft eine grundlegende Änderung der direkten Demokratie gefordert. Zwar ist ihre Effizienz und Zukunftstauglichkeit immer wieder in Frage gestellt worden - vor allem vor dem Hintergrund von innenpolitischen Wandlungsprozessen und weltweiten wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Mit Interesse habe ich in der entsprechenden Literatur der letzten Jahrzehnte die kritischen Überlegungen und Forderungen nachgelesen. Vor genau 43 Jahren hat Max Imboden das „Helvetische Malaise“ beschrieben (1964) und jüngst haben Wissenschaftler etwa der "Avenir Suisse" bzw. aus ökonomischen Kreisen in den direkt-demokratischen Rechte eine entscheidende Quelle der Blockierung und damit der Wachstumsschwäche der Schweiz geortet.

Kritik am demokratischen Verfahren kommt auch aus politischen Kreisen, welche die Neutralität, Zuverlässigkeit, Effizienz und Transparenz der demokratischen Verfahren in Frage stellen, wie vor einem Jahr rund um das Zustandekommen der Einbürgerungsinitiative der SVP.

Ein dritter Grund liegt in der weltweiten Entwicklung der Demokratie: mit einem gewissen Stolz stelle ich fest, dass die Schweiz wegen ihrer direkten Demokratie zunehmend häufiger besucht, analysiert, um Rat angegangen wird in der weltweit zu beobachtenden Tendenz souveräner Staaten - auch Reformfreudiger und Wachstumsorientierter - direktdemokratische Rechte einzuführen. Es ist eine sehr erfreuliche Tatsache, dass die Demokratie auf dem Vormarsch ist. Gab es 1950 noch kaum zwanzig demokratische Staaten, sind es heute wesentlich mehr als Hundert und allein im Jahre 2004 gab es in der Welt gleichviel Wahlen wie in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Das darf uns natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen sog. demokratischen Staaten die Bürgerinnen und Bürger kaum frei und ungehindert ihre demokratische Rechte ausüben können.

Die direkte Demokratie wird also auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler unseres politischen Systems bleiben. Sie wird Bürgernähe garantieren - was in Zukunft noch wichtiger sein wird als heute - und für die Legitimation der politischen Entscheide sorgen. Wie in der Vergangenheit werden wir aber das direkt-demokratische Instrumentarium auch in Zukunft hinterfragen und veränderten Verhältnissen anpassen müssen. Wir werden uns z.B. fragen müssen,

wie wir die Beteiligung der Stimmberechtigten sichern und fördern können,
wie wir auch für einschneidende Massnahmen die Zustimmung des Volkes erhalten können, etwa für eine längere Lebensarbeitszeit oder allfällige AHV-Kürzungen, oder
auf welcher Wertebasis wir die staatlichen Entscheide abstützen wollen und
ob und wie wir Mitbürgerinnen und Mitbürger mit einem anderen kulturellen, religiösen und gesellschaftlichem Hintergrund in den politischen Entscheidungsprozess mit einbeziehen können?

Ich habe Ihnen angekündigt, dass mich Ihr Thema verleitet hat, Ihnen eine Zukunftsvision der demokratischen Schweiz im Jahre 2050 vorzustellen. Diese Vision stützt sich auf die von Ihnen bereits diskutierten Demographieszenarien. Um sie auch bildlich zu untermalen, habe ich die 20-jährige Illustratorin Aline Vonlanthen - sie wird 2050 wahrscheinlich mit 64 Jahren in die Frühpension gehen - gebeten, die politische Schweiz im Jahre 2050 zu skizzieren. Die Zukunft wird zeigen, ob unsere Skizzen realistisch oder doch etwas überzeichnet waren. Wir haben unsere Visionen mit grossem Vergnügen – und auch mit einem Augenzwinkern - verfasst und gezeichnet und hoffen, dass sie auch Sie zu Gedanken anregen.

Das politische System im Jahre 2050 (Illustration 1)

Die direkte Demokratie ist ohne zwei weitere, wichtige Pfeiler unseres politischen Systems nicht denkbar, nämlich den Föderalismus und das Kollegialsystem der Regierungen. Wie die politischen Rechte werden auch der Föderalismus und der Bundesrat veränderten Verhältnissen angepasst werden.

Die Kantone haben in den vergangenen 20 Jahren mit verschiedenen Instrumenten - der Schaffung der KdK, von Konkordaten und verschiedenen Zusammenarbeitsformen sowie der Mitwirkung in der Aussenpolitik - an Kraft und Bedeutung gewonnen. Dazu möchte ich Sie, sehr verehrte Regierungsrätinnen und Regierungsräte, beglückwünschen. Sie haben erkannt, dass sich die anstehenden Probleme nur gemeinsam lösen lassen - das gilt auch für die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen.

Meine Prognose für das Jahr 2050: Die Kantone bestehen unvermindert fort; zwei Volksinitiativen für eine Reduktion der Kantonszahl blieben 2030 und 2040 erfolglos. Hingegen ist die Anzahl Gemeinden von rund 2'800 im Jahre 2'000 auf 550 Gemeinden seit 2045 gesunken - Technisierung, Effizienzdruck auf öffentliche Verwaltungen und die Verengung finanzieller Spielräume haben Gemeindefusionen sukzessive beschleunigt. Zur Förderung der Integration eines gewichtigen Teils der Bevölkerung ist das
Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene ziemlich flächendeckend eingeführt. Auf kantonaler Ebene hingegen tut man sich in einer Mehrzahl der Kantone immer noch schwer damit, und auf Bundesebene ist ein solcher Schritt auf absehbare Zeit nicht mehrheitsfähig. Die neuen Gemeinden spielen in der direkten Demokratie eine wichtige Rolle, nicht nur für die zuverlässige Organisation der Volksabstimmungen und Wahlen, sondern auch für die Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppem. Viele von ihnen sind bereit, innovative Neuerungen zu prüfen und bei Pilotprojekten mitzuwirken.

Auf eidgenössischer Ebene standen politische Reformen in den Jahren 2010 und 2030 zur Diskussion. Im Bereich der Regierung fanden aber alte, wie auch neue Ideen keine Unterstützung: Der Bundesrat besteht deshalb weiterhin aus 7 Mitgliedern; mittlerweile haben darin aber die Frauen seit 8 Jahren die Mehrheit und 2 Mitglieder haben eine ausländische Herkunft. Die Zauberformel meint nicht mehr die gleichen Parteien wie 1959 oder auch 2006; aber sie besteht unvermindert fort und lautet mittlerweile 1:1:1:1:2:1. Dies ist Ausdruck einer neuen Parteienlandschaft. Entgegen der Prognosen zu Beginn des Jahrhunderts gibt es nicht nur zwei grosse Blöcke, sondern mehr kleinere Parteien, die der stetig zunehmenden Zahl von Wechselwählern für eine begrenzte Zeit eine politische Heimat bieten. Grund dafür ist die grosse Mobilität der Bevölkerung und die damit verbundene Abnahme der regionalen Verwurzelung.

Die Staatsquote hat vor zehn Jahren - also 2040 - das Maximum erreicht und muss nun mühsam nach unten korrigiert werden: solche Reparaturarbeiten haben das Bundesratsamt an Attraktivität massiv einbüssen lassen und waren daher die Chance für Frauen. So sind mittlerweile nicht wie um die Jahrhundertwende nur bei links und grün, sondern auch bei den bürgerlichen Mitteparteien die Frauen nach langer, zäher Aufholjagd in den Eidgenössischen Räten einigermassen gleich stark vertreten wie die Männer, und wider Erwarten ist die Welt dabei nicht untergegangen.

Die Bevölkerung im Jahre 2050 (Illustration 2)

Die Bevölkerung im Jahre 2050 wird mehr noch als heute mobil und multikulturell sein. Die grosse Herausforderung wird darin bestehen, die die grosse Mehrheit unabhängig von kultureller, religiöser und gesellschaftlicher Herkunft und unabhängig vom Alter für die politische Mitwirkung zu gewinnen und auf klar definierte und transparente Werte zu verpflichten. Gefordert sind nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Bildung.

Meine Prognose für das Jahr 2050: Die Attraktivität des Schweizer Kreuzes, das zu Beginn des Jahrhunderts als Qualitätsmerkmal für die Wirtschaft und als identitätsstiftendes Logo für die Bundesverwaltung hoch im Kurs war, hält unvermindert an. Die damit verbundenen Werte wie Offenheit, Unabhängigkeit, Freiheit, Solidarität, Verantwortung für die Um- und Nachwelt sind breit anerkannt und bilden die ideelle Basis für die politische und gesellschaftliche Mitwirkung. Dank dem Ausländerstimmrecht auf Gemeindestufe und der Senkung des Stimmrechtsalters - ich komme noch darauf - konnte die Zahl der Stimmberechtigten wesentlich ausgeweitet werden.

Trotz knapper Finanzen wird erneut eine Bildungsoffensive gestartet, um den Bildungsstand der Bevölkerung zu erhöhen - eine wichtige Voraussetzung für eine aktive Beteiligung am politischen Geschehen. Integrierter Bestandteil dieser breit angelegten Bildungsoffensive ist die Förderung des staatsbürgerlichen Grundwissens.

Damit konnten erfolgreich zwei Entwicklungen korrigiert werden, nämlich

die merkwürdigen Langzeitwirkungen von Einbürgerungen: was zu Beginn des Jahrhunderts bereits im Sport sichtbar war - Erfolge der „Schweiz“ wurden zu einem weit überdurchschnittlichen Teil von Secondos erstritten, weil Einheimische sich nicht derart ausdauernd abquälen mochten - hat sich bis in die Kernkompetenz staatsbürgerliches Wissen ausgebreitet: Secondos profitierten vom staatsbürgerlichen Wissen, ohne das ihre Eltern den Schweizer Pass nie erhalten hätten, und wussten daher im Durchschnitt weit mehr über unseren Staat als jene, welche keine solchen Prüfungen zu bestehen hatten, sondern lediglich darüber zu wachen hatten, dass keine Ignoranten eingebürgert wurden…
den funktionalen Analphabetismus und den Rückgang der Sprachkenntnisse aufgrund der internationalen Bildersprache, in den elektronischen Medien und der neuer Technologien, welche den Gebrauch der Sprache zunehmend einschränkten.

Die Zukunft der politischen Rechte (Illustration 3)

Die Integrationsbemühungen auf allen Ebenen des Staates, die Erhöhung der Zahl der Stimmberechtigten durch Miteinbezug der Ausländer auf Gemeindeebene sowie die verstärkten Bildungsanstrengungen haben zur Aufrechterhaltung der Stimmbeteiligung beigetragen. Mit demselben Ziel wurden auch auf Bundesebene die politischen Rechte den veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst.

Nach langen Auseinandersetzungen wurde 2032 die 2006 im Kanton Glarus propagierte Idee auch auf Bundesstufe umgesetzt und das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre gesenkt. Dies brachte zwar ein kleines Gegengewicht zur chronischen Zunahme betagter Jahrgänge unter den Stimmberechtigten; aber von einem Ausgleich ist man weit entfernt. Vom Tisch ist hingegen die Idee eines St. Galler Politologieprofessors (Silvano Möckli) aus dem Ende des vorigen Jahrtausends, betagten Personen ab einem bestimmten Alter generell das Stimmrecht abzuerkennen.

Vote électronique hat sich langsam den Markt erobert und wird nun – allerdings nach harten politischen Auseinandersetzungen - seit einem Jahrzehnt flächendeckend praktiziert – auch für das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden. Diese Neuerungen haben den Weg geebnet für eine Anpassung der Unterschriften-Quoren im Bund für Referendum und Volksinitiative. Entgegen den Bestrebungen Ende des 20. Jahrhunderts, wurden diese nicht nach oben angepasst. In einem mutigen, der technologischen Entwicklung aber angepassten Schritt wurden sie auf die Hälfte abgesenkt; dafür wurden die Sammelfristen wesentlich verkürzt, für Volksinitiativen auf zwei, für Referenden auf einen Monat (Volksinitiative: 50'000 Unterschriften in zwei Monat, Referendum: 25'000 Unterschriften in einem Monat). Für diese Neuerung setzten sich vor allem die Parteien ein, für welche es unter dem alten System immer schwieriger wurde, Volksinitiativen zu ergreifen. Zu der, vor allem wegen des Einfluss der Medien, befürchteten Initiativen- und Referendumsflut –- haben diese Massnahmen nicht geführt, weil die rein organisatorischen Erleichterungen der Elektronik mehr als aufgewogen wurden durch eine weiter angestiegene Bevölkerungsfluktuation und in deren Gefolge durch den Untergang des früher verbreiteten Stammtisches und vieler sozialer und kultureller Vereine.

Mit dem Vote électronique ist auch der ganze Papierkrieg um Stimmrechtsbescheinigungen für Unterschriften zu eidgenössischen Volksbegehren weggefallen: Seit der flächendeckenden Vernetzung der Stimmregisterdaten vermerkt das System, ob eine Person ein bestimmtes Volksbegehren bereits unterschrieben hat oder nicht, und weist gegebenenfalls einen zweiten Eintrag zurück. Die Bundeskanzlei gibt gegebenenfalls umgehend bekannt, dass ein Volksbegehren das verfassungsmässige Quorum erreicht hat. Für die Teilnahme an Volksabstimmungen zieht mittlerweile die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten das Internet (85 %) oder auch das SMS (8 %) vor. Bei Nationalrats-Proporzwahlen hingegen hat sich das SMS (0.2 %o) nie durchzusetzen vermocht, auch wenn mittlerweile natürlich Piktogramme, eingebautes Diktiergerät und Schreibkonversionsprogramme das Handy diesbezüglich sehr viel benutzerfreundlicher gemacht haben. Die starken Differenzierungsmöglichkeiten unseres Wahlsystems lassen das Publikum immer noch skeptisch bleiben gegenüber Supereasy- und Superrapidprogrammen.

Von den elektronischen Möglichkeiten machen die Behörden auf allen Ebenen des Staates intensiven Gebrauch, für die Information und Kommunikation ebenso wie für Dienstleistungen. Die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates gibt es immer noch. Sie sehen aber ganz anders aus. Sie wurden von Grund auf neu konzipiert und erscheinen heute in einer höchst ansprechenden Form mit Graphiken und modernen Illustrationen.

Der Nationalrat wird seit 25 Jahren - also seit 2025 - auch nach einem neuen Proporzwahlverfahren, dem sog. doppelten PUKELSHEIM gewählt. Dies hatte Konsequenzen: Die parteiübergreifenden Listenverbindungen von ehedem sind in Vergessenheit geraten.

Deutliche Spuren hinterliess, als er 2030 doch noch realisiert wurde, der von der damaligen Bundeskanzlerin 2004 in einer Festschrift erstmals unterbreitete Vorschlag der Einführung einer Negativstimme bei Nationalratswahlen: Seither ist der Ton in der Schweizer Politik wieder sachlicher geworden; wer sich zu stark vordrängt und die Spielregeln der Fairness verletzt, erntet nicht nur mehr Stimmen, sondern auch mehr Negativstimmen und bleibt am Ende aussen vor.

Zu einer willkommenen Beruhigung im hektischen Politalltag führte die Verlängerung der Legislaturperiode auf 5 Jahre. Diese Neuerung wurde ohne grossen Widerstand im Jahre 2015 eingeführt, nachdem in einigen Kantonen damit bereits positive Erfahrungen gemacht werden konnten.

Auch der Wahl- und der Abstimmungskampf haben sich stark verändert. Verschwanden um die Jahrhundertwende bereits die klassischen ehemaligen lokalen Parteiversammlungen, so hat sich der Diskurs vor eidgenössischen Urnengängen im Laufe der Zeit in die e-Mails, in e-Telefonate und ins Internet verlagert. Seither ist der Abstimmungskampf sozusagen "privatisiert"; er findet fernab öffentlicher Meinungsaustauschforen statt. Dies erregt Kritik; Manipulationsvorwürfe werden laut, sind aber bisher nicht beweisbar. Dies ist umso wichtiger, als die mit dem Aufkommen der e-Mails massiv zurückgegangene Briefpost zur 70prozentigen Ausdünnung des Poststellennetzes zwang und Vote électronique zur grossen Alternative zur brieflichen Stimmabgabe werden liess.

Auf Gemeindestufe schliesslich laufen einige Pilotversuche differenzierterer Stimmabgabemöglichkeiten: Dort wird die Elektronik dazu genutzt, dass die Stimmberechtigten ein Gemeindebudget nicht mehr lediglich annehmen oder ablehnen können; vielmehr können sie sich innerhalb vorgegebener Parameter Quantität und Qualität der gewünschten Dienstleistungen selber festlegen und sehen dazu am Bildschirm laufend direkt den sich entsprechend verändernden Steuersatz. Per Mausklick geben sie anschliessend ihre Stimme beim gewünschten Optimum ab. Steuersatz, Qualität und Quantität der Dienstleistungen entsprechen dann dem arithmetischen Mittel der elektronischen Meinungsäusserungen. Dieser Weiterentwicklung demokratischer Entscheide begegnen jedoch zumindest bis jetzt noch die meisten Bevölkerungskreise und Gemeinden mehr als skeptisch.

Die demokratischen Instrumente - ein neues Lebensgefühl (Illustration 4)

Die neuen Technologien erleichtern die demokratische Teilnahme nicht nur für die Stimmberechtigten, sondern auch die politische Tätigkeit der Politikerinnen und Politiker. Die Illustration 4 von Aline Vonlanthen zeigt auf, welche neuen Möglichkeiten für die Zukunft uns bietet und wie schön politische Betätigung sein kann! Ich bin überzeugt, dass die neuen elektronischen Vernetzungsmöglichkeiten die Demokratie und den Gebrauch der politischen Rechte neu beleben werden. Die Zukunft ist also viel versprechend und die Aussichten sind gut. "Die Zukunft hat viele Namen…" hat der französische Schriftsteller Victor Hugo gesagt, "… für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance": packen wir diese Chance.

Neue Vernetzungsmöglichkeiten und Vernetzungsfähigkeiten sind aber auch auf der Suche nach politischen Kompromissen gefragt, heute wie auch in der Zukunft. Mit einem Appell an diese Vernetzungs- und Kompromissfähigkeit möchte ich schliessen. Die demografische Entwicklung der Schweiz hin zu einer vielschichtigen und multikulturellen Gesellschaft verlangt eine neue politische Kultur, die sich an den bewährten Konkordanzregeln orientiert. Politische Überzeugungsarbeit ist wichtiger als das Schmieden rein numerischer Koalitionen.

Demografie und politische Rechte - Herausforderungen für die Schweiz