Sehr geehrte Damen und Herren, Behördenmitglieder der Kantone St.Gallen und Zürich und des
Katholischen Administrationsrates

In der Einleitung einer Rede ist es die Regel, seine Freude über einen Anlass auszudrücken. Diese Freude ist manchmal authentischer als andere Male. Dies ist heute, hier in St.Gallen, mit Gewissheit der Fall.

Wir erleben einen historischen Augenblick. Gemeinsam setzen wir einen Schlusspunkt unter einen jahrhunderte-alten Konflikt - dreihundert Jahre um präzise zu sein.

Der zweite Villmergenkrieg ist ein Konflikt einer anderen Zeit. Eine Zeit, in der man sich noch vorstellen konnte, Meinungsverschiedenheiten zwischen Religionsgemeinschaften, zwischen Katholiken und Protestanten, mit Waffengewalt zu lösen.

Diese Zeiten kommen uns heute längst vergangen, fast archaisch vor, auch wenn wir wissen, dass religiöse Konflikte heute auf unserem Planeten jederzeit entflammen können.

Den Villmergenkrieg beenden heisst auch, leidenschaftliche, konfessionelle Auseinander-setzungen auf immer zu vermeiden. Sie sollen in diesem Lande definitiv der Vergangenheit angehören.

Ich möchte heute all jenen meinen Dank aussprechen, die zu diesem glücklichen Ausgang beigetragen haben:
den Regierungsräten beider Kantone, den Stadträten von Zürich, den Verantwortlichen des Katholischen Konfessionsteils des Kantons St. Gallen, den Bibliothekaren und Juristen beider Parteien, welche – was nicht immer der Fall ist – Lösungen für Probleme gesucht haben und nicht Probleme für Lösungen.

Einen besonderen Dank möchte ich dem Generalsekretär meines Departementes entbieten, Herrn Pascal Strupler, der mit seinem tiefen Sinn für Diplomatie, unterstützt durch sein Team, die Vermittlungs-verhandlungen mit Erfolg zum Ziel geführt hat.

Ich möchte aber den Kreis jener erweitern, denen ebenfalls Dank gebührt.

Der Zeitraum zwischen 1712 und heute war eine bewegte, ja zum Teil chaotische Periode. Feldzüge, Kriege und mehrere Regimewechsel haben diese Zeiten geprägt. Alles wäre möglich gewesen. Desinteresse, Vergessenheit oder Plünderungen hätten die Spuren unserer Geschichtszeugnisse auf immer vernichten können. Dies ist in ähnlichen Situationen mehr als nicht vorgekommen. Dass wir heute diese Handschriften und den Globus hier sehen können, ist nicht selbstverständlich.

Zürich hat es verstanden, sie sorgfältig aufzubewahren und sie St.Gallen in bestem Zustand zu überreichen. Dies ist ein Zeugnis grosser wertschätzender Tradition und grossen Respekts gegenüber Kulturgütern.

Einem Konflikt nach dreihundert Jahren ein definitives Ende zu setzen ist mit einer gewissen Bescheidenheit zu betrachten.

Wir leben in der Schweiz in einem Rechtsstaat mit einer langen Tradition demokratischen Dialoges. Wir leben in einem Staat, der stolz ist, eine friedliche Auseinandersetzung zu pflegen - zwischen den Kulturen, den Sprach-gemeinschaften und Religionen. Kurz, wir brüsten uns, auf dem Sektor der friedlichen Koexistenz absolut vorbildlich zu sein .

Und trotzdem - zur Erreichung des heutigen Resultates waren zahlreiche Spannungen und viele Rückfälle zu überwinden. Vergessen wir das nicht.

Wir haben hautnahe die Schwierigkeiten einer Konfliktbewältigung erlebt, in welcher die Identität jedes Partners aber auch der Stolz von Individuen mitgespielt haben.

Wir haben diese Probleme überwunden. Aber der Aufwand war hoch und es bedurfte gar einer Vermittlung durch den Bund.

Ende gut, alles gut.

Trotzdem muss uns dies zu denken geben. Wenn es solange gebraucht hat, um einen Streit dieses Ausmasses zu schlichten, muss uns klar werden, wie schwierig die Beilegung der Konflikte im Mittleren und Nahen Osten, in Südostasien oder an anderen Kriegsherden weltweit ist.

Konflikte, die mit der Identität von Individuen oder Völkern zu tun haben, sind extrem schwer zu lösen. Wenn noch offene Wunden, Beraubung, Unverständnis, Gewaltakte, Demütigungen hinzukommen – dann sind Lösungen fast unmöglich.

Und dennoch, am Ende gibt es keinen anderen Ausweg als jenen des Friedens und des Dialoges.

Ja, wir sollten eine Lehre aus unserem gemeinsamen Erfolg ziehen – nämlich jene aktiver Demut. Wir müssen uns ernsthaft den Konflikten widmen, welche den Weltfrieden gefährden. Nicht um bloss ein Urteil zu fällen oder zu verurteilen, aber um zu verstehen und den Frieden zu fördern.

Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an das Gedicht des englischen Dichters John Donne mit dem Titel „no man is an island“. In der Tat, die Schweiz ist keine Insel inmitten Europas. In unserer globalisierten Welt ist es gut, sich mehr denn je daran zu erinnern, dass wir solidarisch sein müssen, zum Wohle aller.

Meine Damen und Herren,

Als zu entscheiden war, welche Handschriften vordringlich zurückzuführen seien, stand für St.Gallen das Kriterium des identitäts-stiftenden Charakters im Zentrum.

Schwierige Aufgabe! Was ist identitätsstiftend? Was ist kulturelle Identität?

Sind unsere Kriterien in 10, 20 oder 50 Jahren noch dieselben?

Niemand kann die Frage beantworten. Und trotzdem war eine Wahl zu treffen. Geschichte ist sicher eine Wissenschaft – aber keine exakte. Sie ist beeinflusst durch die Sichtweise des jeweiligen Historikers. Niemand kann vollständig Abstand nehmen von seinen Sensibilitäten, seiner persönlichen Herkunft, Kultur und seinem Umfeld.

Die Geschichte wird auch beeinflusst durch die Tatsache, dass sich die Sicht der Dinge wandelt.
Jede Generation blickt auf dieselbe Vergangenheit zurück, weil das Geschehene unveränderlich ist. Doch der Blickwinkel ist verschieden. Er verändert sich, weil die Interessen und Sensibilitäten sich von Generation zu Generation wandeln. Unsere Identität ist in Bewegung. Sie reichert sich an mit neuen Ideen, gerade im Kontakt mit neuen Teilnehmern am sozialen Leben.

Auch diesbezüglich können wir eine Lehre ziehen: nachhaltige Lösungen erfordern Toleranz.

Die Beendigung eines Konfliktes ist ein glückliches Ereignis. Wir können es ohne Schmerzen feiern, da die Wunden des Villmergenkrieges längst verheilt sind.

Ich bedanke mich bei Ihnen, für die Einladung zu diesem sympathischen Festakt.

St.Gallen und Zürich wünsche ich eine lange währende Zeit konföderaler Freundschaft.

Die ganze Schweiz wird davon profitieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Festakt zur Beilegung des Kulturgüterstreits zwischen St.Gallen und Zürich