Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin,

sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sehr geehrte Damen und Herren Parlamentarier,

sehr geehrter Herr Stadtpräsident,

sehr geehrter Ivo Kummer,

liebe Landsgemeinde des Schweizer Films,

liebe Kinofreaks!

Nur noch eine letzte kurze Ansprache!

Dann, dann endlich gehen die Lichter aus!

Dann beginnen die diesjährigen Solothurner Filmtage. Dann verschlingen uns die geheimnisvollen Tiefen des Marmorera-Stausees...

Dass der helvetische Verteidigungsminister die Solothurner Filmtage eröffnet, das tönt nach Science Fiction. Es mag so exotisch sein, wie wenn Gunter Sachs eine Tonbildschau für die Schweizer Armee produzieren würde.

Aber beides, meine Damen und Herren, beides ist harte Realität. Sie wissen ja selbst, dass das Leben die besten Drehbücher schreibt.

Ich danke Ihnen für die Einladung! Für mich persönlich ist der Besuch bei Ihnen der Abschluss einer Trilogie: Die Eröffnung der drei ganz grossen Schweizer Events. 2005 habe ich das Mekka der Autofans eröffnet, den Automobilsalon von Genf. 2006 habe ich das Mekka der Bauern eröffnet, die OLMA in St. Gallen. 2007 eröffne ich das Mekka des Schweizer Films, die Filmtage (und Filmnächte!) von Solothurn.

Nach PS und Bratwurst also die Leinwand. An allen drei Orten staunende Gesichter, glänzende Augen und das Wohlgefühl, das eben nur Anlässe vermitteln können, die Kult sind.

Ich beantworte vorweg drei Fragen, die Sie mir beim Apéro im Konzertsaal garantiert stellen werden:

1. Herr Bundesrat, gehen Sie oft ins Kino? Antwort: Nein! Kino ist Freizeit. Und Freizeit ist bis zum Tag meines Rücktritts so selten wie Schnee im heurigen Winter. Aber ich verfolge natürlich das Filmgeschehen, das ja längst nicht mehr nur auf den Filmseiten der Printmedien abgehandelt wird.

2. Herr Bundesrat, haben Sie "Achtung, fertig, Charly!" gesehen. Antwort: Nein! Ich habe die Klamotte unterstützt mit Kasernen, Waffenplätzen, Panzern und Helikoptern. Aber die Endfassung zielte dann leider haarscharf an meinem Alterssegment vorbei.

3. Ja, Herr Bundesrat, haben Sie denn seit "Ben Hur" überhaupt einen Film gesehen? Antwort: Natürlich! Zum Beispiel "Mein Name ist Eugen". Oder "Der Untergang" mit einem beklemmend-brillanten Bruno Ganz in der Hauptrolle. Und für heute Abend habe ich ein Ticket für "Marmorera".

Haben Sie sonst noch Fragen?

Meine Damen und Herren, "Symbiose" heisst laut Duden "das Zusammenleben ungleicher Lebewesen zu gegenseitigem Nutzen". Zwischen der Eidgenossenschaft und dem Schweizer Film gibt es diese Symbiose seit Jahrzehnten, in unterschiedlicher Intensität. Sie kennen dieses Zusammenleben besser als ich. Mein Kollege Pascal Couchepin wird übermorgen hier vor Ihnen in die intimen Details dieser Zweckehe gehen.

Erlauben Sie mir immerhin das Bekenntnis, dass ich den Schweizer Film als bewegtes und bewegendes Kulturgut für unverzichtbar halte. Ich stehe auch dazu, dass der Schweizer Film mit staatlichen Mitteln gefördert wird. Diese Mittel dürfen aber nicht der primäre Impuls für qualitativ hochstehendes Schaffen sein.

Für mich, der auch die Fotografie liebt, liegt die Faszination des Films in der Bewegung. Der Film ist dynamisch, er zeigt den Prozess, die Entwicklung.

Der Film kann, ja muss für uns alle - vor allem aber für die Politiker - Anregung sein. Wir denken zu oft in Bildern. Das heisst: Wir denken statisch.

Die Dynamik des Films steht für eine Welt, die wir mehr denn je als dynamisch verstehen müssen. Das ist eine Fähigkeit, die vielen, zu vielen, abgeht. Die Gegenwart, in der wir leben, ist wichtig. Aber heute beeinflusst unser Handeln das Morgen, die Zukunft. Darin liegt die Dynamik. Darin liegt die Dynamik des Films.

Was mir auffällt, meine Damen und Herren, (und was ich noch spannend finde!), das ist Ihr Interesse am Bundeshaus und seinen Insassen, seien sie nun ehemalig, aktuell oder fiktiv. Letztere stören am wenigsten.

Ich erinnere an den Erfolg von "Mais im Bundeshaus". Hätte der Film "Mais im Bundesrat" geheissen, wäre er eine erfolgreiche Soap geworden. Aber nach 281 Folgen hätte die SRG sie abgesetzt.
Ich erinnere an "Cannabis", in dem ein kiffender Bundesrat die Hauptrolle spielt. Dabei reicht am Mittwochmorgen im Bundeshaus schon eine Diskussion über das Kollegialitätsprinzip, damit wir alle Sieben "high" sind.
Ich erinnere an den Film über Moritz Leuenberger, der nicht zustande gekommen ist, und an den Film über Elisabeth Kopp, der zustande gekommen ist und am Freitag hier in Solothurn Weltpremiere hat. Mag sein, dass der Untertitel "Eine Winterreise" die meteorologische Realität zurzeit nicht ganz trifft.

Soviel zur Symbiose zwischen den Schweizer Filmern und der Schweizer Politik.

Mesdames et Messieurs, en fait, nous pouvons parler d'égal à égal, puisque j'ai mon propre service de production cinématographique! Quelques personnes dans cette salle ont d'ailleurs déjà travaillé pour moi.

Pendant 45 ans, ce service s'est appelé „Service cinématographique de l'armée", SCA. Depuis 2004, il est intégré au Centre des médias électroniques du DDPS, le CEM. Ah oui, dans mon département, on aime les abréviations!

Chaque année, ce service produit entre 40 et 50 films. Deux-tiers des régisseurs sont des indépendants. Par exemple Jürg Ebe, qui a réalisé le film "Handyman". Pour les tournages, nous engageons toujours des personnes de l'extérieur. C'est moi qui paie leurs honoraires, quelque 600'000 francs par année. Et je paie leur solde. Cinq francs par jour.

Les sujets de nos films sont bien évidemment l'armée et la politique de sécurité. Dans mes cinémas, les sièges sont toujours occupés. Le public assiste aux projections sur ordre. Vous ne pouvez que rêver d'une assistance aussi assidue ! Et sans fausse modestie, je me permets de vous rappeler que nos films reçoivent régulièrement des prix, tant nationaux que de niveau international.

Ich schulde Ihnen noch eine Erklärung zu Gunter Sachs. Tatsächlich hat Gunter Sachs 1978, damals HD-Soldat der Schweizer Armee, eine Tonbildschau über die Frauen in der Armee gemacht. Das Thema lag ihm.

Die Frauen sind in der Armee längst gleichberechtigt, ihnen stehen bis hinauf zur Jet-Pilotin alle Stellen offen. Die Zahl der weiblichen Armeeangehörigen hat deutlich zugenommen. Die Frauen in der Armee sind 29 Jahre nach Gunter Sachs eigentlich wieder filmreif. Interessierte Regisseure mögen sich bei mir melden.

Die Filmproduktion im VBS ist im übrigen ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel mit der Miliz. Genau so, wie die Solothurner Filmtage. Sie können nur dank dem Miliz-Einsatz von 150 Filmfans durchgeführt werden.

Und es gibt noch eine Parallele: Die Armee ist mit 76 Prozent Akzeptanz in einem 12-Jahres-Hoch. Wenn sie sich öffentlich präsentiert, kommen Hunderttausende. Auch der Schweizer Film schwebt - meine Vorredner haben es erwähnt - auf Wolke Sieben. 10 Prozent Marktanteil im letzten Jahr, 1,5 Millionen Eintritte - das ist beeindruckend! Gratulation an alle, die zu diesem Erfolg beigetragen haben! Er verpflichtet.

Der Schweizer Film, zu gewissen Zeiten vor allem für den Regisseur und seine Freunde gedreht und suspekt, sobald er Erfolg hatte, der Schweizer Film hat das Publikum entdeckt. Kommt zum Publikum, und umgekehrt. Der Schweizer Film hat aufgehört, sich über die Regeln des Marktes zu mokieren.

Er nimmt die Befindlichkeiten der Gesellschaft auf, und das ist gut so. "Grounding", "Das Fräulein", "Mon frère se marie", "Le jeune homme", "Vitus", "Cannabis", "Die Herbstzeitlosen", "Breakout" - die Liste ist total unvollständig.

Diese Filme bewegen, lösen Kontroversen aus, bringen das Publikum zum Nachdenken, zum Lachen, zum Weinen. Damit wird der Film gesellschaftlich relevant. Damit wird der Film politisch.

Ob "Breakout" nun im Spiegel der Kritik "brutal gut" oder "eine unfreiwillige Lachnummer" ist, kann ich nicht beurteilen. Ich werde ihn mir nicht antun. Aber dass die Hip-Hop-Kultur und die damit leider auch verbundene Jugendgewalt auf der Leinwand thematisiert werden, gehört zur Aufgabe des Schweizer Films.

Ob man Adolf Hitler in einer spöttischen Komödie darstellen darf, wie das der Schweizer Regisseur Dani Levy tut, darüber ist eine hitzige Mediendebatte entbrannt. Böse Groteske? Die Kraft des rebellischen Humors? Geschichtsfälschung gar? Es bleibt die Hoffnung, dass der Film auf eine wache Gesellschaft trifft. Sonst ist er gefährlich. Hitler darf nicht verniedlicht werden. Das "unendlich Böse", wie es Karl Barth genannt hat, darf niemals zur billigen Unterhaltung verkommen. Was sich zwischen 1933 und 1945 ereignet hat, darf nie wieder geschehen. Nie wieder.

Meine Damen und Herren, interessant ist, dass das Publikum ganz offensichtlich auch den "leisen" Filmen eine Chance gibt. Ja, sie sogar besser goutiert als die "lauten" Streifen. "Mein Name ist Eugen" ist ein Beispiel dafür.

Die Zeitung meiner Wohnregion hat ihre Leserschaft über den Film des Jahres 2006 abstimmen lassen. Über Tausend Leute haben mitgemacht. Deutlich oben aus schwangen "Die Herbstzeitlosen" und der schwedische Film "As it was in Heaven". Bei der Online-Befragung von "cineman.ch" hat das Schweizer Kinopublikum mit "Brokeback Mountain" ebenfalls einen leisen, nachdenklichen Streifen zum besten Film des Jahres gekürt.

Könnte es sein, meine Damen und Herren, dass der Erfolg der leisen Filme mit einer verbreiteten Befindlichkeit zusammenhängt?

Wir sind in den letzten 20 Jahren in eine globalisierte Welt hineingestellt worden. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Erwartungen nach höherer Wohlfahrt und Ängsten vor Jobverlust, Bankrott des Sozialstaates und Zerstörung der Umwelt. Wir Menschen sind langsam - die globalisierte Welt aber ist schnell. Für zu viele Veränderungen ist unser Leben zu kurz, sagt der Deutsche Philosoph Odo Marquard.

Täuschen wir uns nicht selbst. Wir haben einfach nicht die Zeit, die meisten Dinge unseres Lebens neu zu regeln. Deshalb müssen wir überwiegend das bleiben, was wir schon waren. Und deshalb führt die Beschleunigung des Wandels bei vielen zu einem Unbehagen.

Dieser Grundstimmung mögen leise Filme entgegenkommen. Filme, in denen wir uns erden können. In denen wir zur Ruhe kommen können. In denen wir uns wiedererkennen können. Der Film also als gesellschaftlicher Faktor in einer Zeit, die viele als Zeit sozialer Kälte erleben.

Und schliesslich erfüllt der Schweizer Film zwei weitere wichtige Aufgaben: Er trägt zum Zusammenhalt unseres Landes bei, und er ist ein ausgezeichneter Botschafter im Ausland.

Der Röstigraben, wenn es ihn denn je gegeben hat, wird von den Schweizer Filmern locker übersprungen. "Jeune homme" erzählt die Geschichte eines jungen Deutschschweizers, der sich in der Westschweiz als Au-pair verdingt. Er begeistert in beiden Landesteilen. Dank Synchronisierung werden die in der Deutschschweiz produzierten Filme "Eugen" und "Grounding" auch in der Westschweiz von Zehntausenden gesehen. Und die vier "Herbstzeitlosen" haben in wenigen Wochen outre-Sarine Premiere.

Swiss movie goes Hollywood! Dass "Reise der Hoffnung" einen Oscar bekommen hat, ist nicht vergessen. Morgen Dienstag gibt die Akademie in Los Angeles bekannt, ob Fredi Murers "Vitus", der bereits auf der Shortlist steht, für den Oscar nominiert wird. Der Schweizer Film ist an ausländischen Festivals zu einer festen Grösse geworden.

Der Schweizer Film trägt damit - zusammen mit Botschaftern wie Piccard, Federer oder Herzog/de Meuron - dazu bei, dass die Schweiz im Ausland wahrgenommen wird als ein Land jenseits von Matterhorn und Toblerone. Dazu beglückwünsche ich Sie!

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Seit 1966 ist die Geschichte der Solothurner Filmtage die Geschichte des Schweizer Films. Und die Geschichte des Schweizer Films ist in vielen Teilen die Geschichte der Schweiz. Eine bewegte Geschichte. Genau so bewegt und bewegend wie der Schweizer Film.

Ich wünsche den 42. Solothurner Filmtagen den grossen Erfolg, den sie verdienen, und ich erkläre sie hiermit für eröffnet!

Der Schweizer Film - bewegtes und bewegendes Kulturgut