Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Herren Direktoren - alt und neu,

meine verehrten Damen und Herren.

Es ist mir eine grosse Ehre, heute mit Ihnen das 100jährige Bestehen des Verbands der Schweizer Milchproduzenten (SMP) zu feiern. Gerne überbringe ich Ihnen die Glückwünsche der Landesregierung zu diesem denkwürdigen Jubiläum. Für den Bundesrat ist der SMP ein wichtiger Partner. Sie bringen sich mit konstruktiven Stellungnahmen ein; Sie arbeiten engagiert in Kommissionen und Arbeitsgruppen mit. Dabei ist die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Interessen die Grundlage unseres Dialogs. Diese Haltung trägt zum guten Funktionieren unseres demokratischen Systems sowie zu breit abgestützten Lösungen bei. In diesem Sinn und Geist möchte ich mich heute an Sie wenden.

Zukunftsorientiert sind die Milchproduzenten vor 100 Jahren gestartet.

Sie haben sich zusammengeschlossen.
Sie haben sich vom Diktat der Käseexporteure gelöst.
Sie haben stabile Preise anvisiert.

So hat sich die Milchwirtschaft in einem damals sehr liberalen Umfeld zu einem florierenden Wirtschaftszweig entwickelt. Schon unter damaligen Umständen wurden bereits 1913 35'245 Tonnen Käse exportiert; heute sind es über 56'000 Tonnen.

Dieser fortschrittliche Start wurde im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr durch reglementarischen Wildwuchs gebremst. Plötzlich mussten alle zur Kenntnis nehmen: Im Stall regiert der Staat! Grenzschutz, Exportsubventionen, Verwertungsbeiträge, Kontingentierung, parastaatliche Organisationen (Käseunion, Butyra) prägten die Zeit von den 50er- bis in die 80er-Jahre. Das jährliche Ritual der staatlichen Milchpreiserhöhung diente nicht mehr dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage, sondern der Einkommenssicherung. Plötzlich sahen sich alle in einem starren Korsett eingebunden - mit Preis-, Margen- und Absatzgarantien zwar, aber mit verheerenden Langzeitfolgen.

Die Branche orientierte sich nicht mehr am Markt.
Die produzierten Mengen liessen sich nur noch mit Mühe absetzen.
Die Strukturen wurden zementiert.
Die Kosten stiegen an.
Die Milchrechnung verschlang immer mehr Geld - 1994 stammten 40 Rappen pro Kilogramm Milch aus der Bundeskasse.

Teilweise überstiegen die Exportsubventionen den Wert des Produktes.

Man war auf Abwege geraten!

Deshalb mussten und müssen wir uns die Fragen stellen:

wie viel Staat,
wie viel Markt,
wie viel Unternehmertum, sollen die Milchwirtschaft prägen?

Immerhin hat Anfang der 90er-Jahre ein Reformprozess eingesetzt, der - gegen einigen Widerstand - zu guten Resultaten geführt hat:

Der Milchmarkt hat an Dynamik, Kreativität und Leistungsfähigkeit gewonnen.
Die Preise sind gesunken, entgegen gewisser Prophezeiungen aber nicht eingebrochen.
Der Absatz konnte gesteigert werden.
Der Käsemarkt wurde mit Erfolg liberalisiert.

Dieser Wandel wurde durch politische Reformen unterstützt; beispielsweise mit der Einführung der Direktzahlungen. Vom Reformkurs, den wir mit AP 2002 und 2007 eingeschlagen haben und mit AP 2011 konsequent fortsetzen, will sich der Bundesrat nicht abbringen lassen.

Mit AP 2011 wollen wir die meisten Beiträge zur Marktstützung aufheben und das auch im Bereich der Milch. Die so frei geschaufelten Mittel werden auf Direktzahlungen umgelagert. Dieser Prozess ist bereits im Gang. Seit 2007 erhalten die Milchproduzenten einen Beitrag von 200 Franken pro Kuh.

Meinungsverschiedenheiten bestehen noch über Ausmass und Tempo der Anpassungen - besonders intensive Diskussionen werden derzeit im Parlament geführt. Ich hoffe, dass die Einsicht obsiegt. Denn mit der Aufhebung der Kontingentierung lässt sich das bisherige Marktstützungssystem nicht weiterführen. Ein Anpassung ist dringend nötig.

Dank einer schrittweisen Reform gewinnt der Markt wieder die Oberhand. Der Staat wird nicht mehr direkt in die Märkte eingreifen; er sorgt lediglich für günstige Rahmenbedingungen.

Hierzu gehören:

Der Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben,
Beiträge an das Marketing sowie
die Anerkennung von Selbsthilfemassnahmen der Produzenten- und Branchenorganisationen.

Die Hoffnung, sich hinter den Grenzen abzuschotten, ist trügerisch. Eine überlegte und gut dosierte Politik der Öffnung ist angezeigt. Unsere agrarpolitischen Reformen sind nicht nur innenpolitisch nötig, sondern auch im Lichte des Welthandels. Denn der Liberalisierungsprozess geht weiter; in der WTO und auch im Rahmen der Freihandelsbemühungen, sei es mit der EU oder mit anderen Staaten.

Auf multilateraler Ebene wurde dieser Prozess zwar gebremst. Die WTO-Verhandlungen wurden im letzten Juli auf Eis gelegt. Von einer Blockade kann aber nicht gesprochen werden. Schon im vergangenen November wurden Verhandlungen über technische Fragen wieder aufgenommen. Und im Rahmen des von mir organisierten informellen Treffens von rund 30 Handels- und Wirtschaftsministern am Rande des WEF in Davos haben am letzten Samstag alle Anwesenden signalisiert: Die Verhandlungen müssen wieder aufgenommen werden!

Denn alle, und unser Land ganz besonders, sind auf den internationalen Handel und auf internationale Regeln angewiesen.

Auf bilateraler Ebene signalisiert der Bundesrat mit der Aufnahme von Sondierungsgesprächen über ein Agrar-Freihandelsabkommen mit der EU, dass er auf dem Weg der Marktöffnung weitergehen will. Ohne diesen Ergebnissen vorgreifen zu wollen, stelle ich fest: Die schrittweise Öffnung der Grenzen lässt sich nicht aufhalten. Dies gilt auch für die Landwirtschaft. Unabhängig von einem Abkommen mit der EU zeigen auch die Gespräche über andere Freihandelsabkommen, dass von der Landwirtschaft Konzessionen erwartet werden, diesen aber auch Chancen gegenüberstehen, mit unseren hochwertigen Produkten neue Marktanteile zu gewinnen. Dass das genutzt wird und möglich ist, zeigte mir unter anderem auch der Besuch der Schweizer Aussteller an der Grünen Woche in Berlin.

Meine Damen und Herren, mit grosser Genugtuung stelle ich fest:

Die Milchproduzenten haben in den vergangenen 15 Jahren beachtliche Umstrukturierungen vorgenommen.
Sie investierten, um die Produktion zu rationalisieren und gleichzeitig einwandfreie Haltebedingungen für die Tiere zu schaffen.
Die Marktliberalisierung hat zu Diversifizierung und zu innovativem Handeln geführt.
Die Branche bietet eine Vielfalt von Milchprodukten an, welche die neuen Bedürfnisse der Konsumenten abbilden.

Diese Dynamik soll nicht gebremst werden. Ich will Sie unterstützen. Ich will einen Beitrag zur Kostensenkung leisten, damit Sie dem Preisdruck auch besser entgegen treten können.

Deshalb habe ich mir den Abbau administrativer Hürden zum Ziel gesetzt. Die Stichworte dazu sind: Das Cassis-de-Dijon-Prinzip und die Vereinfachung der Zulassungsverfahren. Ich stehe auch hinter den Direktzahlungen, denn

die Kosten (Topographie, Klima, Tier- und Umweltschutz, Kostenumfeld etc.) bleiben in der Schweiz trotz Erleichterungen hoch,
die Landwirtschaft hat Anspruch auf eine angemessene Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen.

Ich habe aber auch konkrete Erwartungen an Sie. Gehen Sie den eingeleiteten Reformprozess flexibel, innovativ und kreativ an. Heute sind wir dank der Aufhebung der Milchkontingentierung der EU wieder um eine Länge voraus. Nutzen wir diesen Vorsprung. Dann sind wir bald wieder dort, wo Sie vor 100 Jahren bei der Gründung Ihrer Organisation gestartet sind: Erfolgreich mit qualitativ guten Produkten in einem liberalen Umfeld!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und ich zähle auf Ihre zukunftsorientierte Mitarbeit.

100 Jahre Schweizer Milchproduzenten (SMP)