Es gilt das gesprochene Wort! 

Sehr geehrte Damen und Herren

Gestatten Sie, dass ich am Ende eines Winters, der gar nicht stattgefunden hat, vom Schnee rede. Die Inuit haben rund 80 Ausdrücke zur Verfügung, um den Schnee und seine Beschaffenheit zu beschreiben. Für Leute aus den Tropen ist Schnee einfach nur Schnee. Wo Schnee aber Lebensgrundlage ist, wo er das Leben prägt und eine entscheidende wirtschaftliche Rolle spielt, dort wird er sehr viel differenzierter gesehen. Dort wird er Gegenstand aufwändiger wissenschaftlicher Untersuchungen, und dort wird die Sprache, die zu seiner Beschreibung dient, automatisch reich. Denn man ist sich bewusst, dass es von grossem Vorteil ist, den Schnee genau zu kennen und ihn differenziert beschreiben zu können, um Gewissheit im Umgang mit ihm zu haben.   

Was hat das mit unserem Anlass zu tun?

Was der Schnee für die Inuit, das ist das Ja oder das Nein des Volkes für unsere Politik und ihre Organe. Das Ja und Nein sind Hauptwörter und Hauptgegenstände der direkten Demokratie. Diese Ja und Nein sind nun aber von äusserst unterschiedlicher Beschaffenheit. Ihre Beschaffenheit mit einem ausgereiften Instrumentarium zuverlässig zu beschreiben, damit daraus die richtigen Schlüsse für die politische Gestaltung gezogen werden können, das ist die Aufgabe der Abstimmungsforschung, also Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren, die Sie hier versammelt sind. Und das ist auch das, was die Politik von Ihnen erwartet.   

Das Ja oder das Nein einer Abstimmung steht am Ende eines vielgestaltigen, langdauernden und komplizierten Prozesses der Komplexitätsreduktion, wie Luhmann es ausdrückte. Ein hochkomplexes Gestaltungsproblem der Politik wird unerbittlich zu dem Punkt geführt, wo es nur noch Ja oder Nein gibt.

Dieses Ja oder dieses Nein ist die Basis, von der aus die Politik ihre nächsten Gestaltungsschritte plant, von der aus sie neue Ziele setzt. Das ist nun ein äusserst heikler Moment. Wird nämlich die Distanz vom Sein zum Sollen falsch gewählt, so ist die Politik zum Scheitern verurteilt. Sie führt nicht weiter, oder sie wird abgelehnt. Auf die Dosierung des Schrittes also kommt es an, und dafür muss die Politik genau wissen, wie das Ja oder das Nein, das ihre Basis darstellt, beschaffen ist. Sie muss wissen, wie es zustande gekommen ist, welche Erwartungen, Wünsche und Lebenssituationen und welche Sorgen und Ängste die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bewogen haben, so und nicht anders zu entscheiden. Hier ist die Politik auf eine Abstimmungsforschung angewiesen, die der Komplexität ihres Gegenstandes gewachsen ist.

Die Abstimmungsforschung muss also in der Lage sein, die extrem einsilbige Sprache eines Volksentscheids in all ihren Nuancen zu lesen, durch kluge Fragestellung hineinzuhorchen in den hochkomplexen Abstimmungskörper und mit wissenschaftlicher Kombination und Intuition die Faktoren sichtbar zu machen, die zum Nein oder zum Ja geführt haben. Zudem muss sie die Potenziale ergründen, auf die die Politik für ihre nächsten Gestaltungsschritte zurückgreifen kann. Kurz: Sie muss die Politikerinnen und Politiker dabei unterstützen, die Stimme des Volkes richtig zu hören. Und wenn ich hier von der Politik rede, so meine ich nicht nur Parlamentarierinnen und Parlamentarier oder Mitglieder der Behörden, ich meine alle Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, denn sie alle sind aufgerufen, sich an der Gestaltung unserer Gesellschaft und unseres Lebensraumes aktiv zu beteiligen. Die Abstimmungsforschung soll beitragen, sie dazu zu motivieren.   Nun ist es allerhöchste Zeit hier - in unmittelbarer Nähe der Zentralwerkstatt unserer Demokratie -, den Grund unseres festlichen Anlasses ins Relief zu setzen. Persönlich und im Namen des Bundesrates danke ich heute, am 30-jährigen Jubiläum der VOX-Analyse, allen, die an der schweizerischen Abstimmungsforschung mitgewirkt haben und mitwirken, sehr herzlich für den grossen und gescheiten Einsatz. Sie haben es fertig gebracht, dass die Abstimmungsforschung trotz aller Widerstände und trotz dem anfänglich grossen Misstrauen ihren Weg gemacht hat und heute ein unverzichtbarer Akteur des politischen Lebens unseres Landes ist.   Ich habe im Hinblick auf den heutigen Tag nochmals einige Vox-Analysen gelesen und mich dieses Mal vor allem für die Methode und die Vertrauenswürdigkeit der Analysen interessiert. Die Lektüre mit diesem Fokus hat mich – das gestehe ich Ihnen gerne – sehr beeindruckt. Beeindruckt hat mich vor allem das überall sichtbare Bemühen um Objektivität und Transparenz, die für mich Schlüsselbegriffe der Vertrauenswürdigkeit sind.   

Da ist zunächst die organisatorische Trennung von Durchführung und Auswertung. Eine solche im Bereich der Statistiken, deren Verführpotential ja spätestens seit Churchill sprichwörtlich ist, trägt viel zur Objektivität bei.

Unabhängigkeit und Objektivität werden weiter gefördert dadurch, dass nicht immer die gleiche Stelle, sondern drei Institute der Universitäten Zürich, Bern und Genf die Analysen erarbeiten und innerhalb dieser Institute die Autorinnen und Autoren sich abwechseln. So ergibt sich ein Wettbewerb, der ausschliesslich der Qualität dient, und es entsteht, indem man die Chancen dieser Ausgangslage nutzt, ein Klima gegenseitiger Anregung, das Innovationspotenzial hat.

Die Vorgabe von Quoten, innerhalb derer ein Zufallsgenerator die Interviewpartner bestimmt, die Durchführung von Pre-Tests zur Validierung der Interviewfragen und die genaue Darstellung der Methode im sogenannten Methodischen Steckbrief, der weitgehend gleiche Aufbau der Analysen und die methodische Kohärenz, die sich durch alle Analysen zieht das alles zeigt, dass hier mit grosser wissenschaftlicher Umsicht auf hohem Niveau gearbeitet wird. Herr Longchamp hat mir als Titel meiner Ansprache die Frage vorgeschlagen: "Erwartungen der Politik an die Abstimmungsforschung in der Praxis“?. Auf diese Frage kann ich also getrost antworten: Wir erwarten, dass die Abstimmungsforschung mit ihrer Arbeit weiterfährt, dass sie die Probleme formuliert, die sich in ihrem Wirkungsfeld stellen, und sie mit der wissenschaftlichen Sorgfalt löst, durch die sie sich der Politik immer wieder empfiehlt. Sie kann hier in Zusammenarbeit mit Staat und Politik durchaus auch die Rolle eines Vorbildes einnehmen.   

Was meine ich damit? Die staatlichen Organe und das Volk müssen heute Entscheide treffen in Bereichen, die für Laien kaum zugänglich und so komplex sind, dass selbst die Wissenschaft die Tragweite der Entscheide nicht mit Sicherheit beurteilen kann. Wie machen Staat und Volk sich fit für solche Entscheide? Sie können es nur, wenn auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Rang, die in keiner Weise in wirtschaftliche Interessen eingebunden und auch sonst in jeder Hinsicht unabhängig sind, mithelfen die Probleme und die verschiedenen Wege zu ihrer Lösung in anschaulicher Weise darzustellen und damit einen sinnvollen öffentlichen Diskurs zu ermöglichen.

Wünsche an die Abstimmungsforschung

„Weitermachen“ ist nun allerdings eine zu pauschale Antwort, und es ist durchaus nicht so, dass die Politik nicht etwas konkretere Wünsche hätte. Aber da muss ich mich etwas einschränken, denn Abstimmungsforschung ist ein weites Feld, französisch: un vaste champs, pour ne pas dire un „long champs“.

 
1.  
Mehr Bürgernähe

Lassen Sie mich mit den VOX-Analysen beginnen. Wenn ich mir was wünschen könnte, dann wünschte ich mir etwas mehr Charme. Die Analysen, so wie sie jetzt herauskommen, scheinen ihren wissenschaftlichen Charakter durch eine besondere Sprödigkeit untermauern zu wollen. Sie strahlen in ihrer nüchternen Strenge etwa den gleichen Charme aus wie die so genannten Bundesziegel. Diese sind zwar untadelig, was ihre Nützlichkeit angeht, aber sie sind meines Wissens noch nie für die Erteilung von Michelin-Sternen nominiert worden. Mit solcher Sprödigkeit lockt man die Leute nicht hinter dem Ofen hervor. Genau das wäre aber nötig. Es ist wichtig, dass wissenschaftliche Erkenntnisse unter die Leute kommen, damit sie breit diskutiert werden. Die VOX-Analysen "verdienen" es, beachtet zu werden. Scheuen Sie sich also nicht, Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse im Gewande des Reizes auf den Markt zu tragen!

Wohlverstanden: Ich möchte nicht weniger Wissenschaft. Ich könnte mir aber als Ergänzung zu den ausführlichen VOX-Analysen andere, ansprechendere Produkte vorstellen.   

2.
Impulse für eine bessere Stimmbeteiligung

Mein zweiter Wunsch betrifft die Stimmbeteilung – v.a. die Stimmbeteiligung der Frauen. In seinem sehr aufschlussreichen Aufsatz „Back to the Future“ berichtet Wolf Linder über eine interessante Aktion, die für die Expo 64 geplant war, zu der damals aber dem Bundesrat letztlich der Mut fehlte. Die Idee war, dass die Besucherinnen und Besucher der Expo 64 einen Fragebogen zu ihren persönlichen Werten und Meinungen zu Alltag und Politik ausfüllen, und es war vorgesehen, die Resultate mit dem damals noch ultraneuen Computer auszuwerten und sie auf grossen Tafeln laufend der Öffentlichkeit zu zeigen. Hier versuchte die junge Abstimmungsforschung sozusagen den Hautkontakt mit der Öffentlichkeit, und ich bin überzeugt, dass die laufende Veröffentlichung der Umfrageergebnisse auf grossen Tafeln damals Anlass zu unzähligen Diskussionen gegeben hätte.

Die Abstimmungsforschung wurde geschaffen in einer Zeit, als die Stimmbeteiligung auf Alarmwerte sank. Die Beteiligung hat sich inzwischen zwar verbessert, aber sie ist noch lange nicht auf einer berauschenden Höhe. Die Abstimmungsforschung hat die Mittel und die Fähigkeit, die Stimme des Volkes sehr differenziert zu hören. Die Politik wäre ihr dankbar, wenn sie diese Stärke vermehrt dazu nutzen würde, die jeweils richtigen Impulse zur Verbesserung der Stimmbeteiligung zu geben.   

3.
Das Meer des Schweigens ausloten

Das Stichwort „Stimmenthaltung“ bringt mich zu einer weiteren Frage und zu einem weiteren Wunsch:

Das so genannte Overreporting, die Tatsache also, dass in den Interviews der VOX-Analysen eine erhebliche Zahl von Personen angibt, abgestimmt zu haben, obwohl sie sich nicht an der Abstimmung beteiligt hatten, zeigt, dass die Mitwirkung an der politischen Gestaltung immer noch als etwas Sinnvolles und auch als Pflicht verstanden wird. Das ist doch immerhin ein Hinweis, dass es möglich sein sollte, die Motive für das schlummernde Gefühl sinnvoller Pflicht näher zu kennen, um es aufzuwecken und zu stärken.   

Ich wünschte mir, dass sich die Abstimmungsforschung auch der Frage annehmen würde: Ist die viel beschworene Stimme des Volkes wirklich die Stimme des Volkes? Hat tatsächlich das Volk gesprochen, wenn wir sagen: „Das Volk hat gesprochen.“?

Napoleon – der Erfinder der Bundeskanzlei – hat um diese Problematik gewusst, und er hat sie genutzt. Er führte 1802 unter Bewachung der Urnen durch französische Soldaten ein Referendum über die 2. Helvetische Verfassung durch. In dieser ersten gesamtschweizerischen Abstimmung wurde die vorgeschlagene Verfassung mit 73 000 Ja gegen 93 000 Nein angenommen, Sie haben richtig gehört: angenommen, weil Napoleon die 163 000, die der Urne fernblieben, kurzerhand als Zustimmende erklärte.   

Wenn wir bedenken, dass die Stimmberechtigten nur einen Teil des Volkes ausmachen, dass von den Stimmberechtigten meist weniger als die Hälfte ihre Stimme abgeben und dass die jeweils obsiegende Partei wiederum nur ein Bruchteil dieses Bruchteils ist, so ist das, was wir etwas vermessen als Stimme des Volkes bezeichnen, beileibe keine schöne volle, sondern eher eine Stimme ohne Obertöne. Es wäre daher wichtig, dass die Abstimmungsforschung das Meer des Schweigens etwas auslotete. Sie könnte der stummen Mehrheit so eine Stimme geben, von der vielleicht viel Lernwürdiges zu erfahren wäre.

4.
Den Meinungsbildungsprozess der Meinungsmacher untersuchen

Die Entscheide, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu treffen haben, sind, wie gesagt, oft sehr komplex, als Einzelperson fühlt man sich da relativ schnell überfordert und unsicher. Es verwundert deshalb nicht, dass man sich an diejenigen Leitfiguren oder Medien hält, die man persönlich als die glaubwürdigsten und vertrauenswürdigsten ansieht. Es handelt sich hier also weniger um einen Meinungsbildungsprozess, sondern eher um die Übernahme einer fertigen Meinung. Von besonderem Interesse wäre es deshalb zu ergründen, wie diese übernommenen Meinungen zustande kommen. Mit anderen Worten: Ich wünschte mir, dass sich die Abstimmungsforschung auch mit dem Meinungsbildungsprozess der Meinungsmacher beschäftigen würde.

5.
Die Verständlichkeit der Abstimmungsvorlagen überprüfen

Der bekannte, inzwischen verstorbene Professor Merz der Universität Bern pflegte seinen Studenten zu sagen: „Der grösste Esel ist und bleibt, der nicht Gelesenes unterschreibt.“ Abstimmen ist  hat durchaus etwas mit unterschreiben zu tun. Sicher dürfen wir nicht erwarten, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger jeden einzelnen Artikel, über den sie abstimmen, lesen. Trotzdem darf die Frage der Verständlichkeit der Abstimmungsvorlagen nicht vernachlässigt werden, denn die Verständlichkeit des Rechts, das an der Urne gesetzt wird, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Rechtsüberzeugung überhaupt entstehen kann. Nun ist es sicher nicht in erster Linie Aufgabe der Abstimmungsforschung abzuklären, wie weit Bürgerinnen und Bürger Rechtstexte verstehen oder wie deren Verständlichkeit verbessert werden könnte. Aber sie könnte und sollte in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaften ihren Beitrag dazu leisten.  

6.
Anpassung der Methoden und Zusammenarbeit

Der gleiche Aufbau und die methodische Kohärenz der VOX-Analysen – ich sagte es schon – dienen der Vergleichbarkeit, die wertvolle Längsschnittanalysen ermöglicht. Die Sorge um Vergleichbarkeit darf indessen nicht zu einer Petrifizierung der Methoden führen. Diese müssen vielmehr neuen Entwicklungen in den Abstimmungsgewohnheiten und den Wandlungen des Meinungsbildungsprozesses angepasst werden. Denken wir etwa nur an die Veränderungen, welche die sprunghaft angestiegene Nutzung der brieflichen Stimmabgabe mit sich gebracht hat, oder was sich alles mit der Einführung der elektronischen Abstimmung verändern wird. Schön wäre es, wenn sich die Abstimmungsforschung vermehrt auch diesem Thema annehmen würde.  

7.
Abstimmungspolitik: zwei Fragen

Gestatten Sie mir, dass ich zum Schluss zwei heikle Punkte anspreche. Der erste Punkt betrifft die Vorausuntersuchungen.  

Eine gewisse Sorge machen mir die strukturellen Unterschiede zwischen den Untersuchungen von Abstimmungsresultaten und den Vorausuntersuchungen, die in Prognosen münden. Dienen die Nachuntersuchungen vor allem der Orientierung der Politik und der Behörden über die Befindlichkeit des Souveräns, so sind Vorausuntersuchungen und die daraus abgeleiteten Prognosen Instrumente, die gezielt zur Erreichung politischer Zwecke eingesetzt werden können. Durch Analyse der Resultate der Vorausuntersuchungen können politische Akteurinnen und Akteure ihre Argumente für den Abstimmungskampf optimieren und sich dadurch Vorteile verschaffen. Das stört nicht, solange dies im offenen Wettbewerb passiert.

Es kann nicht Aufgabe der Politik sein, der Abstimmungsforschung vorzuschreiben, wie sie ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit organisiert. Wohl aber ist es ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieser Wettbewerb wirklich spielt und – gerade weil es um zentrale Werte der Demokratie geht – einen möglichst hohen Grad an Öffentlichkeit erreicht, namentlich dann, wenn in diesem Wettbewerb wissenschaftliche und wirtschaftliche Interessen sich berühren oder überlagern. Ein wichtiges Element dabei ist, dass alle Forschungseinrichtungen zu allen Daten, die mit öffentlichen Geldern erhoben werden, gleichen und ungehinderten Zugang haben.   

Mein zweiter Punkt: Eine der grössten Herausforderungen unseres Staates und unserer Gesellschaft in einer durch Globalisierung und Mobilität durchgeschüttelten Welt ist die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung. Gelingt sie, so ist der Gewinn für alle Beteiligten ausserordentlich gross und nachhaltig. Verpassen wir sie, so kann dies, wie wir es fast überall beobachten können, zu gesellschaftlichen Eruptionen führen.

In allen Wirtschafts- und Lebensbereichen sind wir auf die Ausländerinnen und Ausländer angewiesen. Sie stellen gut einen Fünftel der gesamten Wohnbevölkerung, in den wirtschaftlich starken Zentren ist der Anteil sogar erheblich höher. Wie Schweizerinnen und Schweizer leisten sie ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlergehen, zahlen Steuern und Abgaben, aber sie können nicht mitbestimmen, wie das Geld, das auch ihr Geld ist, ausgegeben wird. Dies ist nur ein Punkt neben anderen, wo keine echte Partnerschaft stattfindet.

Der Grundsatz "Wer mitwirkt, soll mitentscheiden dürfen", sollte grundsätzlich auch für die politischen Rechte gelten.  Der Weg zur vollen Partizipation ist allerdings nicht so einfach und selbstverständlich, wie man es sich aus rein verstandesmässiger Überlegung vorstellt. Zahlreiche, formulierbare oder diffuse Ängste stehen uns da im Wege. Hier könnte die Abstimmungsforschung einspringen, indem sie ihre Befragungen auf Ausländerinnen und Ausländer ausdehnt. Ich bin sicher, dass die Ausländerinnen und Ausländer den Einbezug als einen Schritt in die richtige Richtung verstehen würden und sich dadurch motivieren liessen, sich vertieft mit dem politischen Geschehen bei uns auseinanderzusetzen. Die positiven Erfahrungen, die eine Reihe von Kantonen mit dem Ausländerstimm- und -wahlrecht seit Jahren machen, könnten durch solche Untersuchungen gestärkt werden.  

Gratulation

Das wären einige Anregungen. Jetzt aber wollen wir Geburtstag feiern, nicht nur einen, sondern gleich zwei. Wir feiern 30 Jahre VOX-Analysen und damit Abstimmungsforschung, wie sie einzigartig ist in der Welt. Unsere amtliche Statistik mussten wir kürzlich an das höhere Niveau der EU anpassen. Was aber die Abstimmungsforschung betrifft, so wird Europa sich an der Schweiz ein Beispiel nehmen können. Die Schweizerische Bundeskanzlei als Hüterin der Volksrechte hat allen Grund, all denen, die mit viel Pioniergeist, mit Ausdauer und Kreativität zum hohen Stand der schweizerischen Abstimmungsforschung beigetragen haben und sie weiterentwickeln, zu danken und sie zu ihrem für Staat und Gesellschaft unverzichtbaren Wirken zu beglückwünschen. Stellvertretend nenne ich nur Gruner, Hertig, Joye, Wolf Linder, den noch nicht lange verstorbenen Ueli Klöti, der von der Bundeskanzlei zur Forschung wechselte, Hanspeter Kriesi, der unsere Abstimmungsforschung in der internationalen Forschungsgemeinschaft zu einem wichtigen Partner macht, und Adrian Vatter, der mit originellen Ansätzen zeigt, dass wir auf die neue Generation zählen können.

Einen Namen habe ich nicht erwähnt. Claude Longchamp. Er feiert heute als Vorsitzender der Gesellschaft für praktische Sozialforschung, welche u.a. die Erhebungen für die VOX-Analysen durchführt, nicht nur den VOX-Geburtstag, sondern gleichzeitig auch  seinen persönlichen Geburtstag. Ihnen, lieber Herr Longchamp, überreiche ich das Geschenk, das ich mir für die schweizerische Abstimmungsforschung ausgedacht habe. Es ist ein Polit-Ohr, das sinnigerweise an die Renovationshülle des Bundeshauses geheftet ist. Es soll Ihnen allen, meine Damen und Herren, ein Zeichen des Dankes dafür sein, dass Sie mit Ihrer Arbeit dazu beitragen, die Stimme des Volkes richtig zu hören und besser zu verstehen, und dazu, dass im Bundeshaus volksnahe Entscheide getroffen werden.

Die Stimme des Volkes - richtig hören, besser verstehen