Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Frau Nationalrätin,
sehr geehrter Herr Landammann,
meine verehrten Damen und Herren.

„Bin ich schon drin?"

Diese rethorische Frage muss ich mir nicht stellen, so wie Boris Becker; ich bin drin - mitten unter Werberinnen und Werbern. Herzlichen Dank für die Einladung zum Tag der Werbung und zur Mitgliederversammlung der Schweizer Werber. Ein Besuch bei Ihnen ist für mich wie eine Rückkehr nach Hause;

in meine Heimat auf das Schloss Lenzburg,
in meine Funktion als ehemalige Präsidentin der Lauterkeitskommission und
in mein Wirken als Parlamentarierin.

Ich stehe gerne dazu, als Nationalrätin und Parteipräsidentin war mir Ihre Gilde wesentlich näher. Damals habe auch ich für meine politische Überzeugung geworben - in voller Lauterkeit versteht sich. Heute, als Bundesrätin, muss ich mich von jedem Werben distanzieren. Würde ich die Werbetrommel schlagen, würden mich jene sofort mit dem Pauschal-Verdacht der Polit-Kampagne eindecken, die selber am häufigsten zu diesem Stilmittel greifen. Als Mitglied der Landesregierung bin ich einer einheitlichen, frühzeitigen und kontinuierlichen Information verpflichtet, ohne jedes Brimborium. So will der Bundesrat Transparenz für sein Handeln schaffen. Und wir tun dies doch recht erfolgreich, wie die Abstimmungsresultate der letzten Jahre immer wieder zeigen.

Wenn Sie erfolgreich sein wollen als Werber, dann haben Sie sich an drei Erwartungen zu orientieren:

An den Erwartungen der Gesellschaft, also der Konsumenten;

an jenen der Wirtschaft, also Ihrer Kunden und
an jenen der Politik, also der Staatsbürger.

Die Erwartungen der Gesellschaft an die behördliche Information gehen dabei so diametral auseinander, wie jene der Konsumentinnen und Konsumenten an die Werbung. Was für die Einen Propaganda ist, ist für die Anderen die „wahrscheinlich beste Werbung der Welt". In diesem Spannungsfeld geraten Behörden und Werber immer wieder in den Verdacht, die Grenzen zu überschreiten.Und es lässt sich tatsächlich nicht leugnen, dass diese Grenzen besonders in der kommerziellen Kommunikation in den letzten Jahren verschiedentlich geritzt oder gar überschritten wurden - „nicht immer, aber immer öfter".

Dabei habe ich absolut nichts gegen witzige und intellektuelle Werbung; Werbung, die zum Denken anregt. Wenn aber im Konflikt zwischen Genialität und Banalität die Genialität auf der Strecke bleibt, dann habe ich etwas dagegen. Es ist nämlich keineswegs notwendig, dass - wie Ende des 19. Jahrhunderts kritisiert - „Schmutz und Schwindel" im Anzeigewesen grassieren. Werbung ist dann erfolgreich, wenn sie neben strikter Sachlichkeit in erster Linie positive Emotionen transportiert, und dies ohne zu verletzen oder ohne Versprechen zu machen, die nicht eingehalten werden können. Und zwar so, dass man - „weiss, was man hat...".

Die gleichen Erwartungen hat auch die Wirtschaft an die Werber. Es geht nicht allein nach dem Motto: Verkaufen, verkaufen, verkaufen! Es geht darum, dass auch für Sie als Werber - „Qualität das beste Rezept ist". Dann kann die Werbung als Transmissionsriemen für das Produkt wirken; vom Hersteller zum Kunden. Aber so, wie die Wirtschaft die Werbung braucht, so braucht die Werbung eine prosperierende, kräftige und innovative Wirtschaft. Und dazwischen kann die Politik die Funktion eines Transmissionsriemens übernehmen; mit optimalen Rahmenbedingungen und einem liberalen Umfeld.

Damit die Werbung auch in Zukunft ihre volle Wirkung entfalten kann, braucht sie einen solchen Rahmen aus zwei Gründen:

Erstens, weil die Marktanteile der neuen Werbeformen im Internet massiv ansteigen werden; die Online-Werbung wächst sechsmal schneller als die traditionelle Werbung.
Zweitens, weil die klassischen Kontrollmechanismen in einem Werbeumfeld von Blogs und Second-Life nicht mehr greifen.

Hier braucht es eine Balance. Diese strebt der Bundesrat mit seiner Politik an, denn die Werbung ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Auf der einen Seite schafft gute Werbung Arbeitsplätze und fördert den Wettbewerb. Heute hängen weit über 30'000 Vollzeitstellen direkt und indirekt am Tropf der Werbung. Dank Werbung verfügt die Schweiz - trotz Presse-Konzentration - immer noch über eine vielfältige Medienlandschaft.

Auf der anderen Seite wären bei Werbeeinschränkungen die Kundeninformation und das Wachstum beeinträchtigt. Allein die Umsätze der Werbebranche belaufen sich insgesamt auf rund 7 Milliarden Franken in der Schweiz. Und ohne Werbung wäre ein Produkte- und Preisvergleich für uns Konsumenten kaum mehr möglich.

Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit rigorosen Verboten nicht weiterkommen. Den Beweis dafür hat die Prohibition der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA geliefert - es hat nichts genutzt! Und weil es auch nichts nutzen würde, verbieten wir heute auch das Autofahren nicht; trotz CO2 und Klimaschäden, trotz Unfällen mit hohen Sach- und Gesundheitskosten und Todesfolgen. Ebenso wenig nutzt es, wenn wir dem grenzenlosen Drang nach Freiheit seinen Lauf lassen. Wir machen es gescheiter, wir setzen Leitplanken.

Auf diesem schmalen Grat zwischen Verbot und schrankenloser Freiheit werden in der Politik immer wieder neue, hohe Erwartungshaltungen geschürt. Obwohl wir in unserer freiheitlichen Gesellschaft von mündigen Bürgern ausgehen, soll diese Freiheit je nach Betrachtungswinkel unterschiedlich stark eingeschränkt werden. Auch ich bin der Meinung, dass selbst unsere freie Marktwirtschaft gerade in einer globalisierten Welt gewisse Regeln braucht; jedoch nicht moralisierend, besserwisserisch oder oberlehrerhaft.

Wir regeln unsere Angelegenheiten statt dessen über den fairen Wettbewerb, die Preise und über Anreize. Zum Massstab nehmen wir dabei die Werte unserer Gesellschaftsordnung und unserer freiheitlichen, westlichen Kultur. Und was in der Politik und - speziell in einem Wahljahr - unter Politikern zu gelten hat, das soll auch für die Werber gelten.

Beide sollen und dürfen an- und aufregen - aber nicht diskriminieren und beleidigen.
Beide dürfen verführen und vereinfachen - aber nicht täuschen und irreführen.
Beide müssen glaubwürdig und ethisch sein. Denn wenn das Produkt nicht mit dem Slogan übereinstimmt, führt das zu Politikverdrossenheit und zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit. Effekthascherei und die schnelle Verführung mögen zwar den kurzfristigen Erfolg bringen. Aber erst die Seriosität und das auf ethischen Grundsätzen basierende Handeln bringt die wirtschaftliche Nachhaltigkeit.

Um solches zu regeln reichen meiner Ansicht nach das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und die Grundsätze der Lauterkeitskommission vollumfänglich. Und so, wie der Bundesrat in Abstimmungskämpfen auf die Urteilsfähigkeit der mündigen und informierten Bürgerinnen und Bürger vertraut, so vertraue ich auch auf dieselbe Urteilsfähigkeit der informierten Konsumentinnen und Konsumenten.

Meine Damen und Herren,

Ich habe nichts dagegen, wenn der Umfang der Werbung für Kinder zunimmt. Ich habe aber etwas dagegen, wenn wegen dieser Werbung die Kinder an Umfang zunehmen.
Ich haben nichts dagegen, wenn geistreich für einen guten Tropfen geworben wird. Ich habe aber etwas dagegen, wenn mit geistlosen Bildern zu masslosem Konsum verführt wird.
Ich habe nichts dagegen, wenn rauchende Köpfe originelle Werbung produzieren. Ich habe aber etwas dagegen, wenn originelle Köpfe nur Schall und Rauch produzieren.

Es ist doch eine Tatsache, dass die beste Werbung jene Werbung ist, die nicht gebraucht wird, weil das Produkt für sich selber spricht. Das gilt in der Wirtschaft und in der Politik. Und dort, wo Werbung wirklich nötig ist, soll sie nicht einfach nur cool und hip, sondern intelligent und witzig, informativ und kreativ sein - sonst „bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen".

Ich appelliere deshalb an Sie:

Halten Sie sich an diese Wertenormen.
Nehmen Sie sich zwischendurch mal selber an der Nase, wenn Ihre Genialität mit Ihnen durchbrennt.
Hinterfragen Sie das eigene Tun selbstregulierend und kritisch.

Handeln Sie so - „weil Sie es sich wert sind", dann besteht auch kein staatlicher Handlungsbedarf.

Ich wünsche Ihnen eine kreative und verbotsfreie Zukunft - eine Zukunft die „Flügel verleiht!"

Es gilt das gesprochene Wort!

Die Freiheit ist nicht grenzenlos – auch für Werber nicht!