Gräben überwinden

Die UPU und die Schweizerische Eidgenossenschaft haben die gleiche Geburtsstunde. Ihre Organisation wurde 1874 gegründet, im selben Jahr wie die schweizerische Bundesverfassung. Seit unserer Geburt sind wir den gleichen politischen Grundüberzeugungen verpflichtet, den Gedanken der Gleichheit und des Zusammenhaltes aller Regionen. Die Eidgenossenschaft wollte und will die Städte und die Bergtäler gleichberechtigt integrieren. Die UPU will alle Länder in den nördlichen und südlichen Kontinenten der Erde kommunikativ vernetzen.

Seit 1874 haben sich beide verändert, die Schweizerische Eidgenossenschaft und die UPU:

Beide sind wir grösser geworden: Die UPU wuchs um 169 Staaten, die Schweiz immerhin auch um einen Kanton.
Beide sind wir in der UNO. Die Schweiz trat ihr allerdings sehr viel später bei als Ihre Organisation.
Beide bewegen wir uns auf neuen Wegen, um den Zielen von damals nachzustreben.

Bewegte sich der reitende Postbote vor 133 Jahren auf einem Pfad, werden  Mitteilungen heute zu einem grossen Teil drahtlos per E-Mail überbracht. Der Service public der Post wird auch durch e-mail und Internet erbracht. Die e-mails verdrängen die langsameren Briefe, die Zahlung per Mausklick ersetzt den Gang an den Postschalter. Die Post hat sich dieser Entwicklung angepasst und bietet heute zum Beispiel die  Hybrid-Post an, welche  Alt und Neu vereint: Dokumente gehen (von einem Unternehmen) elektronisch an die Post, werden von ihr ausgedruckt und verschickt.

Leistete die Eidgenossenschaft den service public damals im Monopol, so hat sie ihn heute zum Teil liberalisiert oder privatisiert. Sie hat die Grundversorgung stets neu formuliert.  So haben ab 2008 alle Menschen in der Schweiz Anspruch auf einen breitbandigen Internetanschluss. Mein Departement bereitet derzeit eine Revision der Postgesetzgebung vor. Auch hier wird der Umfang der Grundversorgung ein zentraler Punkt sein. Unser Ziel ist, dass auch mit der fortschreitenden Liberalisierung des Postmarktes eine gute Grundversorgung sichergestellt und finanziert ist. Das bedeutet nicht, dass jede Poststelle in Stein gemeisselt ist. Briefe können auch im Dorfladen aufgegeben, Marken beim Coiffeur gekauft werden. Wichtig ist, dass die ganze Bevölkerung einen guten Zugang zu den Leistungen der Post hat.

Beide sind wir dabei unserer Grundüberzeugung treu geblieben.

Gestern wie heute baut die Schweiz auf Stabilität dank Solidarität auf: Zwischen Alt und Jung, Arm und Reich, Städten und ländlichen Regionen. Sichtbar wird sie in der Grundversorgung, die wir so gestalten, dass sie allen ein Mindestmass an Gleichheit gewährleistet.

Dieser Gedanke einer gleichen Grundversorgung für alle Menschen - egal wo auf der Erde sie leben - ist für die Post zentral. Die UPU lebt ihr Dasein für diesen Gedanken.

Die Post weiss Hindernisse zu überwinden. Postautos krochen langsam, aber professionell und sicher über abenteuerlichste Haarnadelkurven in die entlegensten Täler. Postdampfer schnaubten über Flüsse und Meere. Später telegraphierte die Post Glückwünsche und Trauerbotschaften rund um die Welt. Heute übermittelt sie Freud und Leid dank Internet, ADSL und WDSL zeitgleich auf dem Globus. Geschwindigkeit ist kaum ein Problem, die Distanzen auch nicht.

Und dennoch gibt es einen Graben, den die Weltengemeinschaft und die UPU erst noch überwinden muss, den digitalen Graben. 80 Prozent der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zur Informationsgesellschaft. Sie kennen weder Internet noch e-mail. Bis zur nächsten Gelegenheit eines Telefonapparates sind es oft Tagemärsche. Über die Hälfte der Weltbevölkerung hat weder Radio noch Fernsehen. Vier von fünf Menschen haben keinen Zutritt zum Internet und somit auch nicht dieselben Möglichkeiten, sich zu informieren, informiert zu werden, sich weiterzubilden. Wenn wir nicht wollen, dass sie zu Flüchtlingen werden, haben wir den digitalen Graben mit Infrastrukturen und Investitionen zu überspringen.

Denn die Würde  der Menschen erfordert nicht nur, dass sie genügend zu trinken und zu essen haben, sondern dass sie auch das Recht auf Kommunikation, auf Information, auf Bildung haben. Das sind Grundrechte, die die Politik gewähren muss, damit die UPU sie erfüllen kann.

Der Gedanke einer Welt ohne Gräben war und ist das Ziel der Schweiz und des Weltpostvereins. Jeder gräbt, wo er steht, die Eidgenossenschaft wie die UPU. Das Ziel unserer Arbeiten ist dasselbe: Eine Welt ohne Gräben der Armut, des Hungers, der Bildung, eine Welt ohne digitalen Graben. Nur sie verspricht Solidarität und Stabilität.

Die Post und der digitale Graben