Sehr verehrter Herr Rektor,

Exzellenzen,

liebe Studentinnen und Studenten,

sehr geehrte Damen und Herren

Es ist für mich eine grosse Ehre, heute mit Ihnen das 37. St. Gallen-Symposium eröffnen zu dürfen. Die Ehre ist besonders gross, als ich dies im Namen der Schweizerischen Regierung tun darf. Der Bundesrat freut sich, dass auch dieses Jahr wieder viele Gäste aus dem Ausland nach St. Gallen gekommen sind. Sie alle möchte ich vom Herzen in der Schweiz willkommen heissen. Im Namen des Bundesrates beglückwünsche ich die Initianten und Organisatorinnen des traditionellen St. Gallen-Symposiums, dass sie auch dieses Jahr wieder ein bedeutungsvolles und äusserst aktuelles Thema gewählt haben.

Auf den ersten Blick scheint das Thema „Unser sorgsamer Umgang mit der natürlichen Umwelt - eine Herausforderung für die Zukunft", das ich für meine Eröffnungsworte gewählt habe, in einem gewissen Gegensatz zum Fokus des diesjährigen Symposiums "The Power of Natural Ressources" zu stehen.

Power assoziieren wir in der Regel mit Kraft und Stärke, Macht und Einfluss, mit Gewalt und Herrschaft, aber auch mit Energie und Fähigkeiten. Demgegenüber bedeutet „careful treatment": achtsamer, vorsichtiger und sorgsamer Umgang mit etwas Wertvollem, das es zu schützen gilt. In welcher Beziehung stehen diese beiden Bedeutungswolken zueinander? Sind es nun wirklich Gegensätze? Ich denke nicht: vielmehr geht es um die zwei Seiten ein und derselben Medaille! Werfen wir doch einen Blick auf diese beiden Seiten:

Die Vorderseite der Medaille

Natürliche Ressourcen stellen das Grundpotential schlechthin für wirtschaftliche Prosperität dar. Die Bundesstatistiker fassen diese Feststellung wissenschaftlich schnörkellos in folgende Worte: „Das Wohlergehen der Menschheit gründet auf dem Verbrauch von natürlichen Ressourcen, seien dies nun Materialien, Energie oder Bodenfläche, die für die Produktion von Biomasse oder Bauten bestimmt ist. Rohmaterialien werden gewonnen, in Produkte, oder Güter umgewandelt, durch die ganze Welt transportiert, manchmal während Jahren gelagert und früher oder später in der Form von Abfällen oder Emissionen wieder an die Umwelt freigesetzt."

Ich betone den ersten der beiden Sätze, denn er repräsentiert die strahlende, leuchtende Vorderseite der Medaille. Natürliche Ressourcen bedeuten Reichtum und Vermögen, sie verkörpern Energie, wie z.B. etwa Erdöl, Erdgas oder auch Uran, oder weisen ausserordentliche Eigenschaften auf, die für bestimmte Produkte wertvoll oder gar unverzichtbar sind. Nicht umsonst nennt man sie „Bodenschätze" oder „das schwarze Gold". Ihr Besitz verspricht Wohlstand, Macht und Einfluss.

Die Kehrseite der Medaille

Die Medaille hat leider auch eine dunkle, unpolierte Seite: Wie viele Kriege sind im Verlauf der Menschheitsgeschichte auf Grund der beschränkten und ungleich - ja ungerecht - verteilten Rohstoffvorkommen und zur Sicherstellung ihres Zugangs immer wieder geführt worden?

Wer arm an natürlichen Ressourcen ist, muss sich einiges einfallen lassen, um sich dennoch entfalten zu können. Dies gilt sowohl für Individuen wie auch für Völker. Zu dieser Entfaltung braucht es eine weitere Ressource: das Wissen. Nicht umsonst sagt der Volksmund, dass Wissen Macht ist.

Mangel an natürlichen Ressourcen und an Wissen bedeutet in der Regel Armut, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, Machtlosigkeit. Wer von beidem genügend besitzt oder sich den Zugang dazu gesichert hat, kann sich glücklich schätzen.

Andere natürliche Ressourcen wie etwa Wasser, Luft und Sonnenenergie sind zwar vordergründig unbegrenzt verfügbar. Heute müssen wir uns aber damit auseinandersetzen, dass auch sauberes Wasser und saubere Luft nicht mehr unbeschränkt allen Lebewesen zugänglich sind. Wir müssen davon ausgehen, dass der Zugang und die Verteilung von sauberem, trinkbarem Wasser an der Wurzel vieler zukünftiger kriegerischer Auseinandersetzungen stehen wird.

„Rohmaterialien werden gewonnen, in Produkte, oder Güter umgewandelt, durch die ganze Welt transportiert, manchmal während Jahren gelagert und früher oder später in der Form von Abfällen oder Emissionen wieder an die Umwelt freigesetzt". Sie erkennen es, ich habe nochmals die Bundesstatistiker zitiert und betone nun den letzten Teil des zweiten Satzes. Er weist auf einen weiteren Teil der unpolierten Rückseite der Medaille.

Jeder einzelne der Prozesse, die unserem Wohlstand zu Grunde liegen, benötigt Rohmaterialien und Energie und beeinflusst unsere Umwelt, den Boden, die Luft, das Wasser, verändert, verbraucht, verschmutzt sie. Die Folge ist - wir wissen es mittlerweile eigentlich alle: die Erde ist krank, sie hat Fieber, Tendenz steigend.

Mit dem dritten Teil des UNO-Klimaberichts, der am 4. Mai der Weltöffentlichkeit vorgestellt worden ist, liegen uns nun die Fakten vor, aber auch die Handlungsempfehlungen für die notwendigen Massnahmen. Geld und Technologie sind nach Angaben der 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den Bericht erstellt haben, vorhanden, um noch rechtzeitig handeln zu können. Und zum Handeln sind alle sind aufgefordert; Die industrialisierte Welt, die für 75% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, muss aber eine besondere Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Sie muss in erster Linie Verantwortung übernehmen - mit Kopf und Herz vorangehen.
Was also ist zu tun? Und ist die
Nachhaltige Entwicklung - ein tauglicher Gegenentwurf zur euphorischen Wachstumsphilosophie?

Zentrales Ziel nachhaltiger Entwicklung ist die Sicherstellung und Verbesserung der ökologischen Verträglichkeit, ökonomischen Leistungsfähigkeit und sozialen Gerechtigkeit. Wollen wir sie umfassend angehen - wozu es keine Alternative gibt - so müssen wir gleichzeitig Zielkonflikte von mindestens gordischen Knotenausmassen bewältigen, denn der Grundsatz der Nachhaltigen Entwicklung betrifft alle Politikbereiche.

Wo stehen wir in der Schweiz bei der nachhaltigen Entwicklung?

Gemäss Materialflussrechnung des Bundes stammen fast 65% der in der Schweiz verbrauchten Ressourcen aus dem Ausland. Der Anteil der importierten Rohmaterialien hat im Zeitraum 1990 - 2005 um 12% abgenommen, während der Import von Enderzeugnissen um 44% gestiegen ist. In dieser Strukturveränderung widerspiegelt sich die Tertiarisierung unserer Wirtschaft. Die Schweiz hängt für die Deckung ihrer Bedürfnisse zunehmend vom Ausland ab und exportiert also einen Teil ihres Umweltproblems.

Diese zunehmende Auslandabhängigkeit bei der Deckung unserer Bedürfnisse darf uns nicht gleichgültig sein.

Vielmehr ist sie uns Verpflichtung, mit der von uns beanspruchten Umwelt -  der eigenen und jener der ausländischen Produktionsstandorte - achtsam und sorgsam umzugehen: Aus Eigeninteresse ebenso wie aufgrund erhöhter Verpflichtung gegenüber der Welt.

Dieses Bestreben ist Teil der Strategie des Bundesrates zur Nachhaltigen Entwicklung, mit welcher er die Energieeffizienz weiter steigern, die CO2-Emissionen vermindern und den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen will.

Es wird m.E. aber weitere Instrumente brauchen, denn mit den bisherigen freiwilligen Massnahmen können die langfristigen Ziele voraussichtlich nicht erreicht werden. Im Vordergrund steht eine CO2-Lenkungsabgabe; es wird darum gehen, anstelle der Arbeit vermehrt den Energieverbrauch zu besteuern. Ich würde es persönlich auch sehr begrüssen, wenn die Einführung einer ökologischen Steuerreform wieder auf die politische Agenda gesetzt würde.

Gefordert ist aber auch die Wirtschaft. Sie ist nicht nur der Motor der Globalisierung, sondern auch ein zentraler Akteur bei der Entwicklung von nachhaltigkeitsrelevanten Problemlösungen. Viele Schweizer Unternehmen engagieren sich für nachhaltige Produkte und Produktionsprozesse und stellen sich Umweltzertifizierungsystemen.

Entscheidend für das Engagement der Unternehmen ist die Ausgestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, welche sozial- und umweltverantwortliches Handeln auf breiter Front fördern sollen. Eine grosse Herausforderung stellt das Vorantreiben nachhaltiger Praktiken im quantitativ ausschlaggebenden Sektor der Klein- und Mittelbetriebe dar, weil diese weniger den so genannten Reputationsrisiken ausgesetzt sind als die «Global Players».

Schlussgedanken

Die Zukunft der menschlichen Gesellschaft und des Planeten, sehr verehrte Damen und Herren, hängt entschieden davon ab, ob es uns gelingt, die Natur und ihre Ressourcen schonungsvoll zu nutzen und nicht einfach auszubeuten. "Achtung vor dem Reichtum und der Vielfalt der Natur, Sorgfalt und Bedachtsamkeit im Umgang mit ihr" muss zur Devise unseres Handelns werden.

Wie aber kann eine solche Grundhaltung in wissenschaftliche Erfindungen und wirtschaftliches Wachstum umgesetzt werden? Die Antwort wäre bereits die halbe Miete.

Die andere Hälfte liegt in der sozialen Gerechtigkeit einer solchen Entwicklung: Können wir mit unserer Umwelt in einer Art und Weise umgehen und ihre Schätze so nutzen, dass den heute lebenden und den zukünftigen Generationen auch in den aufstrebenden und besonders in den noch wenig entwickelten Ländern jetzt und in Zukunft genug Entwicklungspotential übrig bleibt? Gelingt uns dies nicht, so werden wir mit grosser Wahrscheinlichkeit auf ein erneut sehr konfliktreiches Zeitalter zusteuern.

Jene Volkswirtschaften und Gesellschaften, davon bin ich überzeugt, die zuerst handeln, schaffen sich neue technologische und soziale Führungsstellungen, die nur vergleichbar sind mit den grossen Erfindungen und Technologie-Sprüngen im Verlauf der industriellen Revolution, aber auch mit den gesellschaftlichen Evolutionsschritten zwischen der Aufklärung und Etablierung der Menschenrechte.

Wir stehen am Anfang einer ausserordentlichen, aufregenden Zeit - ich wünsche uns allen und besonders den jungen Studierenden hier, dass wir die Chancen wahrnehmen, die uns diese Herausforderungen anbieten.

Ich danke Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein interessantes Symposium und fruchtbare, nachhaltige Diskussionen.

Our Careful Treatment of Natural Environment: A Challenge for the Future - Unser sorgsamer Umgang mit der natürlichen Umwelt: eine Herausforderung für die Zukunft