Die Organisatoren der 2. Berner Politgespräche haben mich dazu eingeladen, zwischen Akteuren, Souffleuren, Kolporteuren und Tenören - alle in der männlichen Form! - den „Entreact" zu bestreiten. Und nach meinem Referat ist erst noch die Pause vorgesehen! Ich werde mich also bemühen, Ihnen in dieser „Zwischenaktdarbietung" - so wird ein „Entreact" im Brockhaus umschrieben - etwas zu bieten und bis zur Pause und zum Auftritt weiterer Hauptdarsteller zu verkürzen. Ich bin den Organisatoren für ihre Einladung dankbar und noch dankbarer bin ich, dass ich nicht "wahl-kämpfen" und auch nicht singen muss!

Um eine, nicht über alle Zweifel erhabene künstlerische Darbietung zu verhindern, haben mir die Organisatoren auch gleich das Thema für den „Entreact" vorgegeben: Bundesrat, Parlament, Parteien, Volk - ein durchaus ernsthaftes Thema, welches das ganze Spektrum der politischen Gewalten im Bund umfasst. Weshalb sie allerdings den Bundesrat an die erste Stelle gestellt haben, habe ich nicht herausgefunden: aus Höflichkeit gegenüber dem Bundesrat? Oder aufgrund einer politischen Einschätzung der Machtverhältnisse im Bund? Oder wegen dem aussenpolitischen Protokoll?

Ich werde nicht darum herumkommen, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Erlauben Sie mir aber vorerst, dass ich mit einem Hinweis auf die jüngsten Präsidentschaftswahlen und die Amteinsetzung des neuen Staatspräsidenten in Frankreich einsteige. Diese Wahlen in unserem Nachbarland haben uns wieder einmal eindrücklich vor Augen geführt, wie und mit welchen Mitteln Macht erkämpft und Macht ausgeübt wird - ganz nach dem Motto „the winner takes it all". Nicht so bei uns. Unser demokratisches System, unsere Referendumsdemokratie, lässt es nicht zu, dass sich Macht in einer Person oder einer politischen Institution anhäuft. Zwar lassen sich auch bei uns Politiker immer wieder von der Macht verführen - Sarkozys wird es aber in der Schweiz nie geben! Der Sinn unserer Demokratie liegt darin, dass politische Macht verteilt wird. Bei uns lautet das Motto "Niemand erhält alles, alle gewinnen etwas oder gewinnen ab und zu". Keine politische Institution, weder der Bundesrat noch das Parlament, haben allein das Sagen. Und auch die Macht des Volkes ist relativ. Vor diesem Hintergrund sind auch die Parlamentswahlen zu sehen.

In einem ersten Teil meines Referates werde ich auf den Stellenwert der Parlamentswahlen in der Schweiz eingehen.

Im zweiten Teil wird der Bundesrat im Zentrum stehen. Was hat er für eine Rolle in Wahlkämpfen? Soll er sich den Parteien als Wahllokomotiven zur Verfügung stellen?

Im dritten Teil schliesslich möchte ich mich mit dem Verhältnis des Bundesrates zur Öffentlichkeit, zum Volk, befassen.

Wahltag ist Zahltag? - Verhältnis von Parlamentswahlen und Volksabstimmungen

Die direkte Demokratie mit den ausgebauten Volksrechten ist einer der Grundpfeiler unseres politischen Systems. Die Einführung des Referendums und der Volksinitiative haben wesentlich zur kontinuierlichen Veränderung der politischen Landschaft und zur Konkordanz beigetragen. Rund 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler sind seit einem halben Jahrhundert sowohl im Parlament als auch in der Regierung vertreten.

In den Diskussionen rund um die Reformen unserer politischen Institutionen in den neunziger Jahren, die im Jahre 1999 in der Totalrevision der Bundesverfassung ihren vorläufigen Abschluss fanden, wurde einmal mehr die Frage erörtert, ob es im Lichte der heutigen Staatsaufgaben nicht besser wäre, zu einer rein repräsentativen Demokratie zurückzukehren oder ein parlamentarisches System mit Regierungspartei und Opposition zu bilden. Solche Ideen hatten Gott sei Dank keine Chancen. „An der Staatsform der Schweiz ist nicht zu rütteln" hat Kurt Eichenberger in einem Aufsatz geschrieben. „ Die Eidgenossenschaft ist Demokratie mit direktdemokratischen Komponenten; daraus holt sie letztlich die innerstaatliche Legitimation und die aussenpolitische Identität; es wäre widersinnig und selbstzerstörerisch, prinzipiell die Sachentscheidungsbefugnisse und Initiativrechte aus der Mitte des Volkes preisgeben zu wollen." (Staatsform und Regierungsform in der Eidgenossenschaft, 1995)

Diese Sachentscheidungsbefugnisse und Initiativrechte ergänzen die Wahlbefugnisse des Volkes und relativieren damit den Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die Grundausrichtung der Politik während einer Amtsperiode in doppelter Hinsicht.

Zum einen wissen die Wählerinnen und Wähler, dass sie den von ihnen gewählten Volksvertretern für die nächsten vier Jahre nicht einfach ausgeliefert sind und im Zweifelsfall an der Urne eingreifen können.

Zum andern müssen sich die Gewählten bewusst sein, dass sie „ihr" Programm nicht eigenmächtig durchführen können; sie müssen bereit sein, auch die Standpunkte ihrer politischen Gegner mit zu berücksichtigen und damit dazu beitragen, dass die Parlamentsbeschlüsse referendumstauglich sind.

Im Gegensatz zum Ausland, wo die Wählerinnen und Wähler lediglich einen programmatischen Einfluss auf die Politik haben, können die Schweizer Stimmberechtigten auch in allen wichtigen Sachfragen mitentscheiden; sie haben sogar das letzte Wort. Das verpflichtet. Dass sie auch wieder vermehrt dazu bereit sind, muss uns zuversichtlich stimmen. Die Wahl- und Stimmbeteiligung ist in den letzten 10 Jahren erfreulicherweise wieder leicht angestiegen und liegt zurzeit bei rund 45 Prozent (gegenüber 40 Prozent bei den Abstimmungen und 42 Prozent bei den Wahlen).

Der Sachentscheidungsbefugnis des Volkes kommt insofern zusätzliches Gewicht zu, als unsere Regierung während der Amtszeit nicht abgewählt und das Parlament nicht aufgelöst werden kann. Diese Stabilität von Bundesrat und Parlament ist im internationalen Bereich ausserordentlich. Unsere Bundesrätinnen und Bundesräte gehören schon nach kurzer Zeit im Amt zu den amtsältesten Ministern in internationalen Kontakten und Konferenzen - was eine gewisse Kompensation darstellt zum jährlich wechselnden „Staatspräsidium"!

Zur Kontinuität im Bundesrat trägt nicht nur die Einzelwahl seiner Mitglieder durch die Bundesversammlung bei, sondern auch die ungeschriebene Regel, dass ein Bundesrat solange im Amt bleiben kann, wie er will. Es ist in der über 150-jährigen Geschichte der Eidgenossenschaft nur gerade 3 Mal vorgekommen, dass ein Mitglied des Bundesrates die Wiederwahl nicht geschafft hat: 1854 der Berner Ulrich Ochsenbein, 1872 der Genfer Jean-Jacques Challet-Venel und 2003 Bundesrätin Ruth Metzler - allerdings nicht aus persönlichen, sondern aus Gründen des Parteienproporzes.

Zahltag Parlamentswahlen

„Wahltag ist Zahltag", heisst es im Volksmund. Dies trifft - wie wir gesehen haben - nicht den Bundesrat, eher schon das Parlament und die Parteien. Im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen ist ein Blick auf die Zahltage der letzten Jahre von Interesse. Für die Wahlen stellen sich jeweils etwa drei Viertel der Parlamentsmitglieder zur Wiederwahl. Davon wurden bei den letzten vier Wahlen rund 10 bis 20 Prozent im Nationalrat, 5 bis 10 Prozent im Ständerat nicht wiedergewählt.

Wie würde das Ergebnis wohl aussehen, wenn die von mir vor einigen Jahren lancierte kühne Idee der Einführung von Negativstimmen bei den Nationalratswahlen umgesetzt worden wäre. Damit hätten die Stimmberechtigten auch die Möglichkeit erhalten, Kandidaten nicht nur für seine Leistungen zu honorieren, sondern mit einer Negativstimme auch eine Minusnote zu erteilen.

„Wahltag ist Zahltag" trifft aber auch die Parteien. Sie sind die eigentlichen Hauptakteure bei den Parlamentswahlen. Sie sind verantwortlich für die Wahllisten und für den programmatischen Teil der Bundespolitik. Um ihre Stellung zu stärken hat ihnen die neue Bundesverfassung in Artikel 137 die Aufgabe gegeben, an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Auch wenn es bei den Parlamentswahlen in der Schweiz selten zu Erdrutschen kommt, so hat sich die Zusammensetzung des eidgenössischen Parlamentes - v.a. beim Nationalrat - in den letzten 20 Jahren stark geändert.

Zahltag Volksabstimmungen

Aber nicht nur der Wahltag ist Zahltag. „Zahltage" sind auch die Volksabstimmungen. Bei diesen „Zahltagen" kann der Bundesrat nicht kneifen. Hier zeigt sich, wie erfolgreich die Behörden bei der konkreten Politik waren. Zieht man Bilanz über die ganze Zeit seit der Entstehung der Volksrechte, so ist die Erfolgsquote für Bundesrat und Parlament erstaunlich hoch. Gründe dafür sind wohl im Vertrauen des Stimmvolkes in die Behörden zu suchen, vor allem aber auch im breit abgestützten und zur Konkordanz zwingenden Gesetzgebungsverfahren.

Betrachtet man die konkreten Zahlen im Detail, muss man doch grössere Unterschiede feststellen. Frappant der Unterschied zwischen der letzten und der laufenden Legislaturperiode. Da stellt sich schon die Frage, ob etwas mit dem Vertrauen und der Konkordanz nicht mehr stimmt.

Volksabstimmungen sind „Zahltage" für den Bundesrat. Doch im Gegensatz zu den „Wahl-Zahltagen" sind die Konsequenzen gering. Es gilt bei uns  die ungeschriebene Regel, dass ein negativer Ausgang einer Volksabstimmung  nicht zu einem Plebiszit für oder gegen den Bundesrat oder den für die verworfene Vorlage zuständigen Departementsvorsteher umfunktioniert wird. In der bisherigen Geschichte des Bundesstaates bestätigen drei Ausnahmen diese Regel: im Jahre 1891 zog sich der freisinnige Bundesrat Emil Welt nach 25-jähriger Amtszeit zurück, als „sein" Projekt der Eisenbahnverstaatlichung in der Volksabstimmung scheiterte. Der ebenfalls freisinnige Bundesrat Heinrich Häberlein trat nach 14-jähriger Amtszeit zurück, weil 1934 das Volk ein Staatsschutzgesetz zum zweiten Mal verwarf. Völlig überraschend trat 1953 der Sozialdemokrat Max Weber nach nur zwei Jahren im Amt als Vorsteher des Finanzdepartements zurück, nachdem seine Finanzvorlage am Volksmehr scheiterte.

Nicht nur die Mitglieder des Parlamentes, sondern auch die Mitglieder des Bundesrates erhalten ab und zu Noten. Ein, wenn auch oft zufälliger Stimmungsbarometer stellen die alljährlichen Wahlen zum Bundes- oder Vizepräsidenten des Bundesrates dar. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zögern jeweils nicht, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Trotzdem ist es bis anhin noch kaum jemals zu einer Nichtwahl gekommen.

Einen weiteren Stimmungsbarometer für den Bundesrat sind die verschiedenen Umfragen nach der „Beliebtheit" der Regierungsmitglieder oder dem Vertrauen in die Regierung und ihrer Mitglieder. Selbst wenn in Bezug auf die Methoden dafür Vorbehalte angebracht werden müssen, sind vor allem jene Umfragen wertvoll, die mit einer gewissen Konstanz und Regelmässigkeit durchgeführt werden. Die Ergebnisse dürfen m.E. weder verniedlicht oder noch in den Wind geschlagen werden. Die von der GfS Bern durchgeführten Umfragen zeigen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung um fast 20 Prozent gesunken ist.

Ich habe meine Analyse über die Wahlen und Abstimmungen bewusst auf die Wirkungen für Parlament und Bundesrat gelegt. Es ist verständlich, dass sich unsere obersten Behörden im Wahljahr auf den möglichen Ausgang der Wahlen konzentrieren und ihre Politik darauf ausrichten. Sie und ich, sehr verehrte Damen und Herren, sind damit nicht belastet. Uns soll es jedoch erlaubt sein, daran zu erinnern, dass die Politik weder Selbstzweck ist noch der Wiederwahl dient; vielmehr soll sie dem Wohl des Volkes und des Staates dienen. Deshalb freue ich mich darauf, dass die vielen guten Parteiprogramme demnächst umgesetzt werden!

Wahllokomotive Bundesrat?

Verfassung und Gesetz äussern sich nur sehr zurückhaltend zur Zusammensetzung des Bundesrates. So verpflichtet die Bundesverfassung in Artikel 175 die Bundesversammlung als Wahlorgan des Bundesrates, lediglich darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sein müssen. Zur parteipolitischen Zusammensetzung und zur Rolle der politischen Parteien bei der Besetzung von freiwerdenden Positionen im Bundesrat schweigen sich die Gesetze aus.

Das Verhältnis des Bundesrates zu den Parteien beruht auf Tradition und Konvention. So sind es in der Praxis die Fraktionen, welche Wahlvorschläge für alle Wahlen der Bundesversammlung einreichen. Wer nicht von einer Fraktion vorgeschlagen ist, hat keine Chance, obwohl gemäss Verfassung alle Schweizerinnen und Schweizer, die in den Nationalrat wählbar sind, dies auch für den Bundesrat sind (Art. 175 BV).

Die Mitglieder des Bundesrates tragen als Vertreter ihrer Parteien ihre parteipolitische Haltung in die Diskussionen des Bundesrates ein. Bundesräte und Bundesrätinnen sind - im Gegensatz zum, an einer institutionellen Funktion ausgerichteten Bundeskanzler - nicht an die eine parteipolitische Neutralität gebunden. Erst mit dem Entscheid des Kollegiums wird aus der parteipolitischen Diskussion im Bundesrat ein "überparteilicher" Bundesratsbeschluss, der als solcher von seinen Mitgliedern gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit zu vertreten ist (Art. 177 BV). Darin liegt der Sinn der schweizerischen Konkordanz.

Der Bundesrat pflegt die Beziehungen zu den politischen Parteien. Diese haben im Vernehmlassungsverfahren eine privilegierte Stellung und mit den Regierungsparteien finden im Rahmen der von-Wattenwyl-Gespräche regelmässige Aussprachen zu wichtigen Fragen der Bundespolitik statt.

Neben dem Bundesrat als Gremium pflegen vor allem die Mitglieder den Kontakt zu ihren Parteien. Es gehört zur langjährigen Tradition, dass sie an den Veranstaltungen ihrer Parteien und Fraktionen teilnehmen und das Wort ergreifen. Was eine solche Teilnahme im Vorfeld von Wahlen betrifft, hat der Bundesrat die folgende Regel aufgestellt: Die Mitglieder des Bundesrates können an gesamtschweizerischen Versammlungen der eigenen Partei teilnehmen und das Wort ergreifen, selbst wenn solche Veranstaltungen kurz vor den Wahlen stattfinden. Im Gegensatz dazu sehen die Regeln vor, dass die Mitglieder an kantonalen und regionalen Parteiveranstaltungen kurz vor kantonalen Wahlen das Wort nur noch zu allfälligen eidgenössischen Abstimmungsvorlagen ergreifen.

Die Rolle der Bundesräte bei den Nationalratswahlen hat sich im Verlaufe der Geschichte wesentlich verändert. Im 19. Jahrhundert, als der Bundesrat zuerst ganz und dann mehrheitlich freisinnig war, war es üblich, dass sich die Mitglieder des Bundesrates als "Rüstzeug" für die Wiederwahl durch die Bundesversammlung vorgängig bei den Nationalratswahlen die Bestätigung durch das Volk holten. Sie mussten sich also von ihren Parteien aufstellen lassen und einen Wahlkampf bestreiten. Dies ging nicht in allen Fällen reibungslos über die Bühne. Die beiden bereits erwähnten Bundesräte Ochsenbein und Challet-Venel scheiterten in den Nationalratswahlen. Letzter konnte sich dann aber im Bundesrat halten, wurde aber später trotzdem nicht als Bundesrat wiedergewählt. Eine schmerzliche und unverdiente Demütigung erfuhr 1854 der erst vor kurzem mit einer Ausstellung im Tessin gewürdigte erste Tessiner Bundesrat Stefano Franscini. Er wurde in der Nationalratswahl nicht wiedergewählt und schaffte die Wiederwahl nur dank den Schaffhausern, die ihn in der verspätet durchgeführten Nationalratswahl aufstellten und wählten.

Mit der Zunahme der Berechenbarkeit bei den Bestätigungswahlen begann die Zurückhaltung des Bundesrates im Vorfeld von Wahlen. Während fast einem Jahrhundert gehörte es zur guten und der Kollegialität förderlichen Tradition, dass die Mitglieder des Bundesrates als Landesväter über den Parteien stehen sollen und sich nicht mehr in Wahlkämpfe einmischten.

Wie sieht nun die Praxis in der jüngsten Zeit aus? Nach wie vor gilt die Grundregel, wonach die Mitglieder des Bundesrates "ihr Parteibuch ein Stück weit an der Garderobe abgeben und überparteilich werden sollen" - so die Worte des ehemaligen Nationalratspräsidenten Ulrich Bremi. Diese ungeschriebene Regel wird von einer grossen Mehrheit nach wie vor anerkannt - auch vom Bundesrat selbst. Allerdings ist ihre Umsetzung in der Praxis eine schwierige Gratwanderung. Die Personalisierung und Mediatisierung der Politik hat zweifellos dazu beigetragen, dass Bundesräte und Bundesrätinnen vermehrt nicht nur als Departementsvorsteher/innen in Erscheinung treten, sondern auch als Vertreter/innen ihrer Partei.

Diese Personalisierung und Mediatisierung haben die Parteien schon seit einiger Zeit für sich nutzbar gemacht. So hat die FDP schon 1971 ihre Bundesräte Celio und Brugger auf die Wahlplakate und Zündholzbriefchen gesetzt. Die SP warb im Jahre 2003 mit ihrer "innen sozialen aussen-Ministerin" Micheline Calmy-Rey. Noch weiter ging die CVP, welche ihre Bundesräten Joseph Deiss und Ruth Metzler bei der Roadshow wirkungsvoll eingesetzt hat.

Ich bin der Meinung, dass es durchaus zulässig ist, dass die Mitglieder des Bundesrates von ihren Parteien als gute Politikerinnen und Politiker dargestellt werden. Allerdings sollte eine solche Darstellung "magistral" sein und nicht mit einzelnen parteipolitischen Sachfragen und Wahlkampfthemen verknüpft werden. Unzulässig - ja zu verurteilen - ist die Instrumentalisierung des Bundesrates und eine herabwürdigende Darstellung seiner Mitglieder.

Die Profilierung der eigenen Partei und die vermeintliche Stärkung der eigenen Position mittels Diffamierung der Andersdenkenden oder des politischen Gegners - wie dies im amerikanischen Wahlkampf zur Tagesordnung gehört - darf in der Schweiz nicht akzeptiert werden. Gegen solche Methoden in Wahl- und Abstimmungskämpfen müssen wir uns mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen. Es geht um unserer politische Kultur, zu der wir alle Sorge tragen müssen - allen voran der Bundesrat.

Bundesrat und Öffentlichkeit

Um die Darstellung der Mitglieder des Bundesrates in der Öffentlichkeit geht es auch im dritten Teil meines Referates, um das Verhältnis des Bundesrates zum Volk. Es war ein kluger Entscheid der Gründer unseres Bundesstaates, den Bundesrat nicht durch das Volk, sondern durch die Bundesversammlung wählen zu lassen. Der Entscheid war weise, weil der Bundesrat damit von der Notwendigkeit entbunden ist, Wahlkampf zu betreiben. Zu bewundern ist die weise Voraussicht, weil heute - in unserem medialen Zeitalter - Wahlkämpfe  noch viel mehr als früher - Zeit, Geld und Kräften kosten.

Der Bundesrat ist von Wahlkämpfen befreit, um die Stabilität und Kontinuität der Politik sicherstellen zu können. Ich hoffe, dass sich die Befürworter einer Volkswahl des Bundesrates bewusst sind, dass sie mit ihrer Idee die Stabilität unseres Landes, die wesentlich zu unserem Wohlstand beigetragen hat, gefährden könnten.

Der Bundesrat muss also nicht mittels Wahlfeldzügen den Kontakt zum Volk suchen. Seine Beziehung zur Öffentlichkeit kann er wesentlich differenzierter ausgestalten. Einerseits verpflichten ihn Verfassung und Gesetz, die Öffentlichkeit umfassend, rechtzeitig und kontinuierlich über seine Lagebeurteilungen, Planungen, Tätigkeiten und Entscheide zu informieren (Art. 180 BV, Art. 10 RVOG). Andererseits hat er mit Artikel 11 des RVOG neu die wichtige Aufgabe erhalten, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren: "Der Bundesrat pflegt die Beziehungen zur Öffentlichkeit und informiert sich über die in der öffentlichen Diskussion vorgebrachten Meinungen und Anliegen." Kommunizieren heisst also hinhören, aufnehmen, den Puls fühlen.

Hinter diesen beiden Verpflichtungen, der Verpflichtung zur Information und Kommunikation, steht eine ganz andere demokratie-politische Haltung als hinter derjenigen der Volksinitiative "Volkssouveränität statt Behördenpropaganda". Diese Initiative verkennt die Realität und die Bedürfnisse unserer Demokratie in der modernen Informationsgesellschaft. Sie ist rückwärts gerichtet und vom Misstrauen gegenüber den Behörden geprägt. Ich bin froh, dass der Bundesrat und die grosse Mehrheit des Parlamentes diese Initiative ablehnen.

Zu einer guten Informations- und Kommunikationspolitik gehört der sorgsame Umgang mit der Qualität und der Quantität. Ein Informationsvakuum erzeugt Gerüchte und fördert Indiskretionen, zuviel Information aber tötet sich selbst. Es geht also um das richtige Mass. Ich bedaure es sehr, dass die Indiskretionen laufend zunehmen. Nicht dass ich den Journalistinnen und Journalisten Primeurs nicht gönnen würde. Aber Indiskretionen tragen nicht nur zur Desinformation bei. Sie fördern auch das Misstrauen zwischen den Beteiligten und Betroffenen sowie das Misstrauen der Bevölkerung in die Redlichkeit der Behörden.   

Zu einer guten Informations- und Kommunikationspolitik gehört schliesslich die kollegiale Abstimmung und Sachbezogenheit. Gerade die Behörden sind m.E. verpflichtet, die Sache und nicht die Person in den Vordergrund zu stellen. Sie müssen der Verlockung widerstehen können, den Informations- und Kommunikationsauftrag zur persönlichen Profilierung zu gebrauchen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von den Behörden korrekte Informationen über politische Massnahmen und Beschlüsse, die sie betreffen und zu denen sie Stellung nehmen müssen - und sie müssen darauf vertrauen können, dass ihre Anliegen zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden. Das Vertrauen des Volkes in die Behörden bildet die Legitimationsbasis für die Politik.

Fazit

Wie es um dieses Vertrauen steht, haben wir im ersten Teil darzulegen versucht. Das sinkende Vertrauen in die Politik soll uns zumindest dazu bringen, über unsere politische Kultur nachzudenken. Ich bin mir zwar bewusst, dass - soweit man zurückschaut - die Menschen nie ganz zufrieden waren mit ihren Politikern. "Denn..." so die Philosophin Annemarie Pieper, "man möchte ja nicht von seinesgleichen regiert werden, sondern von kompetenten, unbestechlichen und verantwortungsbewussten Menschen, deren vorrangiges Interesse der Sicherung und Mehrung des Allgemeinwohls gilt, unter Hintanstellung der Verfolgung von Eigeninteressen". (Aufsatz über den Wunsch nach guten Politikern, Baslerzeitung, 16.9. 2002). Gerade weil es ein Wunsch - ja eine Utopie - bleiben wird, dass es in der Politik nur moralisch hoch stehende Personen mit untadeligem Ruf gibt, ist unsere Demokratie mit ihrer weitgehenden Machtteilung die beste aller möglichen Regierungsformen.

Sie sehen, auch nach über 30-jähriger Tätigkeit hinter den Kulissen der veröffentlichten Politik bin ich immer noch ein Fan unseres politischen Systems. Doch auch die grössten Fans unseres Systems dürfen sich damit nicht zufrieden geben. Die Utopie einer durch und durch integren Politik soll uns dazu motivieren, uns immer wieder von neuem für Verbesserungen einsetzen - vor allem für eine Verbesserung der politischen Kultur.