Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren

Einleitend gratuliere ich Ihrem Verband zum 80 Jahre-Jubiläum. Ihre Gründer haben meine Eltern 1925 bereits dazu gebracht, ‚OMO' zu kaufen und ‚Maggi-Suppe' aufzutischen, beides Traditionen in Hygiene und Ernährung, die bis heute hingehalten haben und die bei meinen erwachsenen Kindern nun auch wieder angekommen sind. Dazu entbieten ich Ihnen meinen Glückwunsch, denn nachhaltiger und effektvoller kann eine Branche nicht sein. Was zählt, ist das Resultat! So lautet eine Grundwahrheit, die man gerade bei Ihnen auswendig kennt.

Am ‚Tag der Werbung', treten regelmässig Mitglieder des Bundesrates als Gastreferierende auf. In jüngster Zeit haben solche zweimal die politische Werbung thematisiert. Ich werde mich deshalb heute hüten, wiederum für die ‚Reklame in der Politik' die Trommel zu rühren. Sie wissen ja aus früheren Jahren bestens Bescheid über Ihre Aussensicht. Sie kennen das Urteil über Einfluss und Rolle Ihrer Originalität, über Macht und Kraft Ihrer Produkte, mithin über Ihre Wichtigkeit, ja Unverzichtbarkeit in Politik und Gesellschaft.

In Appenzell, der Hochburg des Eigensinns, aber vor allem auch des träfen Witzes, wäre es reizvoll, für die Politik zu werben. Aber dazu vielleicht Simon Enzler später.

Ich äussere mich im folgenden zu Fiskal- und Standesfragen. Bei einzelnen vergeht uns - mag sein - das Lachen.

Zum Thema Aussensicht deshalb hier nur noch eine kleine Klammer. Werbung, sagt man, bewege sich zwischen zwei Polen, nämlich zwischen dem Placebo und der Manipulation. Das ist allerdings eine ungeheure Spannweite, grösser als jene zwischen SVP und SP.

Zur Illustration zwei Texte: der erste als Gedicht von Joachim Ringelnatz (1883-1934) mit dem Titel ‚Reklame'. Dieses lautet:

Ich wollte von gar nichts wissen.
Da habe ich eine Reklame erblickt,
die hat mich in die Augen gezwickt
und ins Gedächtnis gebissen.

Sie predigte mir von früh bis spät
Laut - öffentlich wie im Stillen -
von der vorzüglichen Qualität
gewisser Bettnässer-Pillen

Ich sagte: ‚mag sein!' Doch für mich nicht! Nein, nein!
Mein Bett und Gewissen sind rein.

Und weil sie so zäh und künstlerisch
Blieb, war ich ihr endlich zu Willen.
Es liegen auf meinem Frühstückstisch
Nun täglich zwei Bettnässer-Pillen.

Die isst meine Frau als ‚Entfettungsbonbon'.
Ich habe sie nämlich belogen -
Ein holder Frieden ist in den Salon
Meiner Seele eingezogen.

Der zweite Text entstammt Herbert Marcuses Kultbuch von 1967 ‚Der eindimensionale Mensch'. Darin wird das pure Gegenteil dessen behauptet, was Ringelnatz als Placebo persifliert.

Auf die Werbung angesprochen, behauptet Marcuse nämlich, sie manipuliere uns mit verordneten Einstellungen und Gewohnheiten. Sie binde die Konsumenten mehr oder weniger angenehm an die Produzenten. So entstehe eben das Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens. Wörtlich: ‚Die Erzeugnisse durchdringen und manipulieren die Menschen; sie befördern ein falsches Bewusstsein, das gegen seine Falschheit immun ist.'

Starker Tubak, könnte man sagen, und beim Begriff Tubak sind wir schon fast bei dem, was Sie heute mehr beschäftigt als Herbert Marcuse vor der 68-er Studenten-Revolte.

In der Tat treffen die meisten Angehörigen Ihrer Branchen ebenfalls auf total gegenläufige Strömungen. Einerseits will man Ihnen das Werben verbieten und anderseits erwartet man von Ihnen Wunderdinge. Der Streit zwischen den Gegensätzen von Schulmedizin und Naturheilmedizin ist vergleichsweise fast ein harmloses Gesäusel.

Bevor ich auf Standesfragen eingehe, möchte ich Ihnen jedoch danken. Ich befinde mich hier nicht in einer Veranstaltung von Subventions-Empfängern sondern in einer Versammlung von Steuerzahlenden. Als Finanzminister fühle ich mich in diesem Kreis besonders wohl. Sie tragen in hohem Mass zu unserer Volkswirtschaft und an unseren Fiskus bei. Ihre Berufe sind in aller Regel wertschöpfungsintensiv, arbeitsproduktiv und umweltfreundlich. Sie entrichten unter mehreren Titeln Steuern an unseren Staat. Vorerst sind Sie mehrwertsteuerpflichtig. Am Ende des Jahres entrichten Sie je nach Rechtsform Kapitalsteuern, Gewinnsteuern und Einkommenssteuern. Wenn Sie in der Form der AG arbeiten unterliegen Sie dabei der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung indem sowohl das Unternehmen wie die Dividende beziehenden Aktionäre von den unnachgiebigen Zähnen und Klauen des Fiskus erfasst werden. Genaue Zahlen sind schwierig zu ermitteln. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass pro Jahr netto über 5 Mia Franken für die kommerzielle Kommunikation ausgegeben werden, davon 4 Mia in den klassischen Medien. Die Werbebranche, zu welcher neben den Werbeagenturen zahlreiche weitere Betriebe wie Druckereien, Fotoateliers, Lithographien, Desktopper gehören, beschäftigt rund 85'000 Personen. Die Werbeaufwendungen der 46 grössten Werbeauftraggeber überstiegen im Jahr 2003 die Summe von 1,1 Mia Franken. Sie tragen damit insgesamt in der Höhe von mehreren hundert Millionen Franken an die Staatseinnahmen bei.

Für diese Leistung danke ich Ihnen herzlich. Sie gehören in jeder Hinsicht zu den im wahrsten Sinne wertvollsten Branchen unserer Dienstleistungs-Gesellschaft.

Sie hätten es verdient, dass ich Ihnen ein Geschenk mitbringe. Oder eine Urkunde. Aber die Staatskasse ist bekanntlich fast leer. Als Finanzminister muss ich mich darauf setzen und sie verteidigen. Das ist übrigens mit ein Grund, weshalb das Bänderdurchschneiden, Tunneleröffnen und Konferieren lieber anderen überlasse, denn bin ich einmal abwesend, riskiere ich, dass meine Kollegen und das Parlament auch den Rest der Kasse noch plündern.

Trotz der leeren Staatskasse plant mein Departement jedoch Steuersenkungen. Wir werden diese im Sommer Bundesrat und Parlament unterbreiten. Angesichts des internationalen Wettbewerbsdrucks ist es aber verfehlt, von Steuergeschenken zu sprechen. Wir sehen Anpassungen in folgenden vier Bereichen vor:

1 Bei der Dividenbesteuerung auf Aktienkapital. Diese soll auf 80% herabgesetzt werden und damit die wirtschaftliche Doppelbesteuerung mildern.

2 Die Beseitigung von Aergernissen vor allem im Bereich der KMU nach dem Motto: Wo kein Geld fliesst, sollen auch keine Steuern erhoben werden sowie die Neuregelung der indirekten Teilliquidation, mithin der Besteuerung der Unternehmens-Nachfolge.

3 Die Anrechnung der Gewinn- an die Kapitalsteuer auf kantonaler Ebene

4 Die Herabsetzung der Emissionsabgabe, wobei es sich hier um die Ueberführung von dringlichem in das ordentliche Recht handelt.

Besonders die ersten beiden Steuererleichterungen dürften für die meisten von Ihnen von Interesse sein.

Heute ist es ja so, dass der gleiche Gewinnfranken sowohl durch das Unternehmen wie nachher durch den Aktionär besteuert wird. Und es ist ebenfalls erwiesen, dass gerade auch im KMU-Bereich zu viele Entscheide über Nachfolge und über Strukturen des Betriebes primär nach steuerlichen und zu wenig nach unternehmerischen Gesichtspunkten getroffen werden. Das muss korrigiert werden.

Sodann - und das ist teilweise bereits in Umsetzung - werden wir eine ganze Reihe von administrativen Erleichterungen im Bereich der Mehrwertsteuer einführen. Ein Teil davon ist auf 1. Januar 2005 in Kraft getreten, weitere 12 Massnahmen werden auf den 1. Juli folgen. Sie sollen Ihnen das Leben einfacher machen. Wir prüfen sogar die Abschaffung von einem, eventuell zwei der heute drei Mehrwertsteuer-Sätze, mithin eine noch radikalere Vereinfachung des Systems. Die Mehrwertsteuer ist die ergiebigste Einnahmenquelle des Bundes. Deshalb ist sie ständigen Angriffen ausgesetzt. Die einen wollen sie erhöhen, die anderen lobbyieren für weitere Ausnahmen. Derzeit gibt es deren 25 und die 26igste ist in der parlamentarischen Behandlung. Daneben gibt es Ausnahmen von der Ausnahme und sogar Ausnahmen von den Ausnahmen der Ausnahme.

Die Nummer zwei, nämlich die direkte Bundessteuer ist im Laufe der Zeit ebenfalls unübersichtlich und kompliziert geworden. Zudem ist sie nicht mehr gerecht und neutral. Deshalb müssen wir das heutige System durch ein effizientes ablösen.

Nun aber zurück zu den Standesproblemen. Sie müssen - das ist bekannt - Ihr Brot hart verdienen. Die Härte besteht einmal im Wettbewerb an sich. Angebot und Nachfrage stehen unter dem Richtschwert der Qualität Ihrer Leistungen; die Zeit der Slogans nach dem Motto: ‚Lirum-Larum-Löffelstiel, was nichts kostet, taugt nicht viel' sind vorbei. Zudem wird der Wettbewerb verschärft durch die Geschwindigkeit und Intensität mit welcher sich die ganze Kommunikation im globalisierten Umfeld bewegt. Man muss nur einmal im Internet surfen oder ein Frauen-Magazin durchblättern oder vor der vollen News-Stunde durch das Fernsehen zippen um zu sehen, welchen Ansprüchen Sie gerecht werden müssen.

Die Herausforderung Ihrer Berufe besteht aber auch in den Verboten und Geboten, mit welchen wichtige Kunden zunehmend belegt werden oder belegt zu werden drohen. Zynischerweise sind Werbeverbote auch umgekehrte Qualitätszeugnisse an Sie. Man traut Ihnen eben den Erfolg zu und will diesen verhindern. Es ist wie eine Goldmedaille für verhinderte Siege.

Oberhalb diesem Attribut spricht man allerdings in gewissen Fällen auch vom so gennanten öffentlichen Interesse.

Ein Beispiel der edleren Sorte ist das in Revision stehende RTVG. Die Räte stehen in der Differenzbereinigung. Aus Sicht des Bundesrates ist es erfreulich, dass die Kernpunkte des ursprünglichen Entwurfs nach wie vor in der Vorlage enthalten sind. Für Sie von Interesse dürfte die Regulierung der Werbung sein. Der Bundesrat möchte die Werbung für Bier und Wein in den Programmen der privaten Veranstalter künftig zulassen. Das Parlament ist dem Bundesrat im Grundsatz gefolgt. Der Nationalrat befürwortet jedoch ein Alkoholwerbeverbot für die Schweizer Werbefenster in ausländischen Programmen. Das ist allerdings sehr problematisch und daher vom Ständerat bisher abgelehnt worden.

Umstritten ist sodann die Regelung der politischen Werbung und der religiösen Werbung. Hier war der Nationalrat bisher grosszügiger. Der will sie ohne Einschränkungen freigeben. Restriktiv ist der Nationalrat dagegen bei der Werbung, die sich an Minderjährige richtet. Er will diese Werbung generell verbieten. Ein gänzliches Verbot der Kinderwerbung wäre jedoch unverhältnismässig. Für die Regelung der Unterbrecherwerbung und der maximalen Werbedauer möchte das Parlament bloss eine generelle Ermächtigungsnorm im Gesetz und es dem Bundesrat überlassen, die Einzelheiten in der Verordnung zu regeln. Der Bundesrat seinerseits beabsichtigt, die Bestimmungen zu liberalisieren. Womit bereits gesagt ist, dass die Diskussion auch nach der Verabschiedung des Gesetzes auf Verordnungsstufe weitergehen wird.

Manche Werbeverbote sind nicht mit der guten alten griechischen Logik - stammt von logos ab - zu begreifen. Man hat gelegentlich den Eindruck, wir lebten zwar in einer Zeit schier unbegrenzter Möglichkeiten, aber unter immer punitiveren Bedingungen. Das Leben wird quasi zum Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Und der Hintergrund lautet im Tenor etwa folgendermassen: ‚Staat und Gesellschaft müssen das Individuum nicht nur durch die Menschenrechte schützen sondern es darüberhinaus auch noch zum Masshalten und zum Ausgleich zwingen. Der weise Paracelsus sagte demgegenüber lapidar und einfach: ‚die Menge macht's, und er wollte damit vor jeglichen Uebertreibungen warnen.

Werbeverbote für Rauchen, Alkohol, Lebensmittelkonsum, neuerdings sogar noch Schönheitsoperationen gewinnen an politischem Schwung. Sie haben vor den Wahlen etwa den gleichen Charme wie Subventionsversprechen. Aber sie sind vom Ansatz her falsch. Warum?

In der Aufklärung begannen die Philosophen auszulegen, was wahr ist. Im anschliessenden Jahrhundert wurde festgelegt, was wahr war. Heute ist alles wahr, auch das Gegenteil. Es ist deshalb schwer geworden, sich durch die Kontroversen, Wertgegensätze, Unkonventionen und Zeitströme zu bewegen, welche zur pluralistischen, oft auch orientierungslosen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts geführt haben. Kollege Leuenberger verwendete vor zwei Jahren vor Ihnen den Slogan ‚Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr - Fristenlösung: ja' und er deutete damit auf die wachsenden Perversionen in unserer Gesellschaft hin. Man kann solchem Pluralismus, solcher Unbegrenztheit letztlich nicht mit Verboten begegnen.

Die beste, vernünftigste Alternative zu Verboten bietet der Liberalismus. Und wenn ich vom Liberalismus spreche, so denke ich weniger an eine parteipolitische Dogmatik als vor allem an eine humane Philosophie. Die liberale Weltanschauung geht nämlich vom Bild des selbstbestimmten, reifen Menschen aus, der Verantwortung für sich und für sein Umfeld wahrnimmt. Der Liberalismus sagt, dass man beim Menschen zuerst nach den Ursachen seines Verhaltens forscht. Damit können Fehlentwicklungen durch kluge Prävention verhindert werden. Der Liberalismus sagt sodann, dass man den Mitmenschen mit Toleranz begegnet. Damit werden die Selbstverantwortung und die Achtung gegenüber dem Mitmenschen gestärkt. Der Liberalismus sagt schliesslich, dass jeder Eingriff in die Privatsphäre des Menschen angemessen sein soll. Damit wird das Prinzip der Verhältnismässigkeit gewahrt.

Werbeverbote sind unter solchen Vorzeichen nicht zu rechtfertigen. Unterhalb dieser philosophischen und humanen Aspekte gibt es nach der Maxime ‚ohne Werbung kein Markt' aber durchaus auch eine Reihe von handfesten wirtschaftlichen Gründen gegen Werbeverbote. Ich will bei Ihnen kein Wasser in die nahe Sitter schütten, sie kennen die Fakten.

Mir scheint, wir müssten der Unübersichtlichkeit dieser nachindustriellen Welt mit mehr liberalem Augenmass begegnen. Stattdessen werden die Netze der Kontrolle, der Aufsicht und der Verbote immer enger. Wenn ich mir vergegenwärtige, was in meinem Departement an wachsender Aufsicht in Richtung der Geldwäscherei oder der Terrorismusfinanzierung oder an Ressourcen in Richtung Zoll und Grenzwacht erwartet wird, so komme ich nicht umhin, gelegentlich mehr Mut zur Lücke und mehr Bedarf an Priorisierung zu fordern. Unsere Gesellschaft wird lernen müssen, mehr Liberalismus zu leben und diesen von allen Formen des Missbrauchs, der Willkür und der Knechtschaft abzugrenzen.

Mehr als diesen kleinen Trost konnte ich zu Ihrem Jubiläum als Geschenk nicht mitbringen. Aber immerhin Trost hat auch mit Zuversicht zu tun und diese wünsche ich Ihnen für die nächsten 80 Jahre.

'Tag der Werbung'