Sehr geehrte Frau Vize-Landammann,
sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren.

Die neusten Zahlen bestätigen es, die Arbeitslosigkeit sinkt weiter und liegt auf einem so tiefen Stand, wie seit fünf Jahren nicht mehr. Alle Ängste waren unbegründet, die mit der Einführung der Personenfreizügigkeit geschürt wurden.

Unsere Arbeitsmarktpolitik erzielt gute Resultate. Die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitsvermittlung geniessen ein hohes Ansehen. Mit Ihre Arbeit, meine Damen und Herren, tragen Sie einen wesentlichen Anteil dazu bei. Sie sind es nämlich, die den Kantonen wirkungsvolle Instrumente für die Wiedereingliederung Stellensuchender in die Hände geben. Sie erarbeiten in Zusammenarbeit mit dem SECO Grundlagen für eine effiziente Umsetzung des Bundesrechts.

Dabei ist der effektive Vollzug wichtiger als das Gesetz. Denn hinter den Stellensuchenden und den Wiedereingliederungen stehen nicht Statistiken, sondern Menschen. Schon der Verlust der Stelle ist für viele ein Schock. Bleiben diese Menschen längere Zeit von der Arbeitswelt ausgeschlossen, führt das zu Isolation und Ausgrenzung. Eine schnelle und nachhaltige Wiedereingliederung ins Erwerbsleben kann Probleme und Leid mildern oder gar eliminieren. Um dies aber zu bewerkstelligen, bedarf es eines profunden Know-hows und dies haben Sie.

Arbeitgeber und Politik haben es verstanden, eine innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. Wir profitieren wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung. Die Beteiligung am Arbeitsmarkt ist international Spitze. Die Zahl der Beschäftigten in Schweizer Tochterunternehmen im Ausland überschritt 2005 zum ersten Mal die Marke von 2 Mio. Personen, rund die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz.

Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft allein schützt jedoch nicht vor Rezessionen. Wir profitieren heute von einer guten Konjunktur, einer ausgezeichneten Weltwirtschaftslage und günstigen Wechselkursen. Das wird nicht ewig so bleiben.

Die Erfahrung des arbeitsmarktpolitischen Wechselbades der letzten 20 Jahre und ein gewisses Mass an Vorsicht, führt mich dazu, auch die heutige Situation nüchtern zu betrachten und Handlungsbedarf zumindest in vier Bereichen zu orten:

Bei der Integration ins Erwerbsleben,
bei der Öffnung des Arbeitsmarktes,
bei der Integration älterer Arbeitnehmenden und
bei der Arbeitslosenversicherung.

Die erste Handlungsebene betrifft die Integration von Jugendlichen und von Ausländern ins Erwerbsleben. Hier sind Sie die Spezialisten und können Ihre langjährige Erfahrung einbringen. Grundsätzlich ist der Schweizer Arbeitsmarkt sehr integrativ. Rund 57% der Jugendlichen machen einen Abschluss auf Sekundarstufe II und 33% schliessen ihre Ausbildung gar auf tertiärer Stufe ab. Ohne nachobligatorische Ausbildung bleiben 10% der Jungen. Dies sind zwar weniger als im internationalen Schnitt, dennoch gibt es hier weiter Handlungsbedarf:

Trotz grosser Anstrengungen der Kantone und der Unternehmungen ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, allen Jugendlichen eine Lehrstelle zu vermitteln. Zwar boten die Unternehmen auch in diesem Jahr rund 500 zusätzliche Lehrstellen an. Dennoch fehlten gemäss Lehrstellenbarometer vom April bis zum Sommer Lehrstellen für rund 5'000 Jugendliche. Ich hoffe, dass die Situation mittlerweile etwas besser geworden ist.

Verbessert hat sich die Situation bei der Jugendarbeitslosigkeit. Gegenüber dem Vorjahr ist ein Rückgang um 25% zu verzeichnen. Wir müssen die Situation aber weiter im Auge behalten. Das Motto bleibt: Kein Abschluss ohne Anschluss!

Mit der im Juli 2007 gestarteten Kampagne BERUFSBILDUNGPLUS.CH wollen wir zur Integration von Jugendlichen in die Berufsbildung beitragen, auch leistungsstarke Schulabgängerinnen und -abgänger für die Berufsbildung gewinnen und die Bereitschaft der Unternehmen fördern, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Um aber schwächere Jugendliche für den Arbeitsmarkt "fit" zu machen und sie bei der Lehrstellensuche zu unterstützen, sind wir seit Ende 2006 daran, gemeinsam mit den Kantonen ein Case Management aufzubauen.

Die Arbeitslosenquote der Ausländer liegt mit 4,6% deutlich über dem Durchschnitt. Angesprochen ist dabei neben der Arbeitsmarktpolitik auch die Bildungs- und die Integrationspolitik. In seinem Integrationsbericht 2007 listet der Bundesrat 40 konkreten Massnahmen auf. Dabei bilden Sprachkenntnisse für Jugendliche die Voraussetzung für die Schule und für die Berufsbildung. Erwachsene benötigen sie, um erfolgreich im Arbeitsmarkt bestehen zu können. Die Sprachförderung bildet daher einen Schwerpunkt und ihr ist bei allen Massnahmen besondere Beachtung zu schenken.

Die zweite Handlungsebene betrifft die Öffnung der Märkte und die damit verbundene Internationalisierung. Sie verändern unsere Wirtschaft tief greifend. Auf den zunehmenden Wettbewerb und die Mobilität von Arbeitskräften über die Landesgrenzen hinaus müssen Unternehmen und Arbeitnehmende auch in der Schweiz rasch reagieren. Die Anforderungen an das Personal im High-Tech- und Dienstleistungsland Schweiz werden dabei grösser. Entsprechend ist ein Kampf um die besten Talente entbrannt. Für die Schweiz ist diese Entwicklung durch die Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU 15 und der EU25 von besonderer Bedeutung. Diese fördert einerseits die Rekrutierung von Arbeitskräften mit mittleren bis höchsten Qualifikationsniveaus. Anderseits geht die Zuwanderung von wenig qualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten zurück.

Die ersten Erfahrungen mit der Personenfreizügigkeit haben gezeigt, dass gut qualifizierte Arbeitskräfte aus der EU15 die Chancen in der Schweiz packen. Gleichzeitig konnten wir feststellen, dass diese Arbeitskräfte Einheimische vom Arbeitsmarkt nicht verdrängt haben. Im Gegenteil: Dank dieser qualifizierten Arbeitskräften konnten die Schweizer Unternehmen den Aufschwung nutzen, expandieren, Arbeitsplätze auch für Schweizerinnen und Schweizer schaffen und einen Beitrag zur Produktivität leisten.

Wichtigster Punkt in der Agenda der kommenden Jahre ist deshalb die Bestätigung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Der Parlamentsentscheid wird 2008 fallen und untersteht dem fakultativen Referendum. Zudem verhandeln wir gegenwärtig über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf die beiden neuen EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien. Auch diese Vorlage unterliegt dem fakultativen Referendum. Das Schweizer Volk wird daher wohl 2009 wieder über europapolitische Belange zu befinden haben.

Wird das Freizügigkeitsabkommen aufgekündigt, droht für die Schweizer Wirtschafts- und Europapolitik ein Scherbenhaufen. Damit dieses Szenario nicht eintritt, ist eine transparente Politik sowohl der Bundes- als auch der Kantonsbehörden unabdingbar. Diese Transparenz haben wir versucht mit dem "Observatoire-Bericht" zur Personenfreizügigkeit herzustellen.

Weiter müssen wir entschieden eine Präkarisierung der Arbeitsbedingungen - vor allem bei weniger qualifizierten Arbeitnehmenden - verhindern. Denn trotz einer langsamen, aber stetigen Angleichung sind die Löhne insbesondere im französischen und italienischen grenznahen Ausland immer noch tiefer als in der Schweiz.

Ein wichtiges Instrument gegen ein Absinken des Lohnniveaus sind daher die Gesamtarbeitsverträge. In die gleiche Richtung zielen die flankierenden Massnahmen mit der Verpflichtung an ausländische Unternehmungen, ortsübliche Löhne zu bezahlen.

Um diesen Standart zu halten sind zwei Massnahmen wichtig:

Erstens: Bund und Kantone müssen die beschlossenen Massnahmen vorbehaltlos und flächendeckend umsetzen. Das SECO wertet derzeit die Erfahrungen aus den flankierenden Massnahmen aus. Vielen Dank für Ihre Arbeit und ihre Bereitschaft, "Bern" die Daten zukommen zu lassen. Heute kann schon gesagt werden: Die Kontrollen funktionieren, es gibt aber in einzelnen Bereichen Handlungsbedarf.
Zweitens: Mit dem Schwarzarbeitsgesetz, das 2008 in Kraft treten wird, haben wir ein griffiges Mittel, um Leitplanken gegen eine Präkarisierung der Arbeitsverhältnisse zu setzen. Wer arbeitet, soll von fairen Arbeitsbedingungen profitieren und auch sozialversicherungsrechtlich geschützt sein.

Die dritte Handlungsebene betrifft die Integration älterer Arbeitnehmenden in den Arbeitsmarkt. Es ist ja erfreulich, dass die Schweizer ständig älter werden, Erfreulich ist auch, dass viele Senioren bei guter Gesundheit sind. Damit verbunden ist oft der Wunsch früher ein wenig kürzer zu treten, dafür auch im Alter noch zu einem gewissen Grad beruflich aktiv zu bleiben, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sozialen Integration. Diese Entwicklung erfordert ein Umdenken. „Bis 65 auf 100% und dann schlagartig auf 0% in den hochverdienten Ruhestand!" Dieses Motto muss Vergangenheit sein:

Erstens aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen. Die Wirtschaft kann immer weniger auf das grosse Know-how ihrer älterer Mitarbeiter verzichten.
Zweitens aus sozialpolitischer Überlegung. Der Anteil der 50- bis 64/65-Jährigen wird stark zunehmen. Ziehen sich diese Personen zu einem immer früheren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben zurück, wird die Finanzierung der Sozialwerke immer schwieriger.

Generell geht es den älteren Arbeitnehmern in unserem Lande gut. 96% der 55- bis 64jährigen sind mit ihrem Arbeitsinhalt und -Umfang zufrieden. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Personen, die ihre Stelle verloren haben, immer noch mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben.

Die zu ergreifenden Massnahmen dagegen sind:

Einerseits sollen die Arbeitnehmenden dazu ermutigt werden, Laufbahnplanung zu betreiben, Weiterbildungsangebote zu nutzen und zu ihrer Gesundheit Sorge zu tragen.
Andererseits sollen die Arbeitgeber ihr Personal altersneutral und vorurteilsfrei rekrutieren, Teilzeitarbeit und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten.

Ich habe das SECO beauftragt, Massnahmen für das Erreichen dieser Ziele auszuarbeiten. Der Bundesrat selber hat im Rahmen der Strukturreform der beruflichen Vorsorge Massnahmen beschlossen, welche die Arbeitnehmenden länger im Arbeitsprozess halten sollen.

Dabei geht es insbesondere um die Möglichkeit

zur Weiterversicherung des bisherigen Lohnes bei einer Reduktion des Beschäftigungsgrades,
zur Weiterführung der beruflichen Vorsorge bis zum siebzigsten Altersjahr und
zur Weiterführung der Säule 3a bei Erwerbstätigen nach dem Erreichen des AHV Alters.

Die Integration der älteren Arbeitnehmer ist ein Pfeiler zur Abfederung der demographischen Alterung, die Frauenerwerbstätigkeit der andere. Bei den Personen mit Erziehungsaufgaben geht es darum, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Die Arbeitsmarktbeteiligung kann damit erheblich begünstigt werden, denn viele Frauen arbeiten Teilzeit mit kleinen Pensen. Einen ersten Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben wir durch die Bereitstellung eines praxisorientierten Handbuchs für KMU geleistet. Weitere Schritte in diese Richtung werden folgen müssen; beispielsweise durch die Förderung von Tagesstrukturen an den Schulen und die frühere Einschulung der Kinder, wie dies im neuen Schulkonkordat HarmoS vorgesehen ist.

Die vierte Handlungsebene betrifft die Arbeitslosenversicherung. Sie bietet heute bei Arbeitslosigkeit einen im internationalen Vergleich hohen materiellen Schutz und leistet den Versicherten bei der Stellensuche wertvolle Unterstützung. Die Umsetzung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes hat sich in den letzten Jahren gut eingespielt.

Dennoch besteht bei der Arbeitslosenversicherung Handlungsbedarf. Die Versicherung ist nicht im finanziellen Gleichgewicht. Sie wird Ende Jahr mit mehr als 5 Mrd. Franken verschuldet sein. Erst wenn die Arbeitslosenzahlen über längere Dauer deutlich unter 100'000 lägen, würden wir diese Schuld abbauen können.

Bei der letzten AVIG-Revision hat man die Lage mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 100'000 Personen zu optimistisch eingeschätzt.

Wir haben alle ein Interesse an einer starken und gesunden Arbeitslosenversicherung. Gerade weil sie auch für die ganze Arbeitsmarktpolitik von Bedeutung ist, sollte sie gut finanziert sein. Keine Versicherung ist mehr darauf angewiesen als die Arbeitslosenversicherung, "krisenresistent" zu sein.

Ich will in keiner Weise dramatisieren, aber wenn wir nicht jetzt, in guten Zeiten, die Systemfehler beheben, werden wir in einer nächsten Rezession wenig Handlungsspielraum in der Sozialpolitik haben. Sie kennen alle die Empfehlungen des Expertenberichts. Ich habe vor, noch in diesem Jahr eine Revisionsvorlage vorzulegen, die sich in wesentlichen Fragen auf diesen Bericht stützt. Das Ziel ist, den Haushalt des ALV-Fonds in ein langfristiges Gleichgewicht zu bringen. Die Vorlage wird eine gewisse Erhöhung des Beitragssatzes sowie punktuelle Leistungseinsparungen beinhalten. Einsparungen sind dort möglich, wo das Gesetz zu unerwünschtem Verhalten führt. Dort etwa, wo Einzelpersonen die Möglichkeit haben, durch die wiederholte Erneuerung von Ansprüchen an die Arbeitslosenversicherung sehr lange ausserhalb der Erwerbswelt zu verharren.

Das erschwert die spätere Integration massiv. Demgegenüber will ich die Grundleistungen der ALV beibehalten.

Die neuste Evaluationsrunde der öffentlichen Arbeitsvermittlung und der arbeitsmarktlichen Massnahmen hat unserem System gute Noten ausgestellt. An diesem Ergebnis haben Sie einen wesentlichen Anteil. Die Fragen werden dabei immer komplexer und interdisziplinärer. Daher ist eine Vernetzung von Arbeitsmarktpolitik, Migrations-, Bildungs- und Sozialpolitik immer wichtiger.

Das zeigen auch zwei dringende Fragen, die wir diskutieren müssen.

Erstens: Was geschieht mit jenen Jugendlichen, die einfach aus der Arbeitswelt verschwinden und dann später vielleicht bei den Sozialämtern wieder auftauchen? Die Integration dieser Jugendlichen in den Arbeitsmarkt stösst hier an Grenzen.

Zweitens: Was geschieht mit jenen Menschen, die nach der 5. IV-Revision über die Arbeitslosenversicherung in die Sozialämter gelenkt werden?

Ich danke Ihnen für Ihre engagierte Mitarbeit und für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort !

Herausforderungen in der Arbeitsmarktpolitik