Sehr geehrter Herr Kantonsratspräsident,
sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
sehr geehrte Damen und Herren aus Politik und Wirtschaft,
meine verehrten Damen und Herren.

Offene Grenzen sind eigentlich paradox: Einerseits werden klare Trennlinien gezogen; anderseits stören diese derart, dass man sie im Alltag am liebsten ignorieren möchte. Dies sieht man in der Schweiz und hier in Schaffhausen besonders deutlich. Man denkt und arbeitet über die Gemeinde-, die Kantons- und Landesgrenzen hinaus erfolgreich zusammen.

Das zeigt mir: Wir sind gute Nachbarn und wir haben gute Nachbarn. Dass es trotzdem immer wieder Leute gibt, die streiten und aus einer angeblichen Differenz politisches Kapital schlagen wollen, sollten wir dabei nicht überbewerten.Denn erfreulicherweise ist auf beiden Seite genügend Vernunft vorhanden, um aufkommende Probleme friedlich zu lösen. Das war schon früher, in den 30er-Jahren, so und das wird auch in Zukunft so sein, wenn es um Unstimmigkeiten im Steuer-Dossier oder bei der Zollabfertigung geht. Weil wir besonnen, klug und mit Verständnis für die andere Seite aufeinander zu gehen, sind unsere Beziehungen mit der EU wie mit den einzelnen Mitgliedstaaten gut.

Das zeigen die Fakten:

Jeden dritten Franken verdienen wir in der EU und können so Wachstum und Arbeitsplätze in der Schweiz sicherstellen;
nach den USA aber auch für die EU ist die Schweiz wichtig, sind wir doch der zweitwichtigste Kunde der EU - noch vor Japan oder China;
die Schweiz investiert in die EU rund 200 Milliarden Franken und schweizerische Unternehmen unterhalten im EU-Raum etwa 850'000 Arbeitsplätze;
mit den bilateralen Abkommen sind wir zu einem verlässlichen Partner geworden;
mit dem Bau der NEAT oder mit unserem Erweiterungsbeitrag an die 10 neuen EU-Staaten im Osten liefern wir einen Anteil an den Auf- und Weiterausbau und an die dauerhafte Stabilisierung von Europa.

Auch mit unserem direkten Nachbarn Deutschland verbindet uns viel: Wir haben viele gemeinsame Interessen, sind Partner und - natürlich auch Konkurrenten:

Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz (Handelsvolumen 92,5 Mia. CHF = 56 Mia. CHF, 33% der Importe; 36 Mia. CHF, 20% der Exporte). Wir haben gegenüber Deutschland traditionell ein grosses Handelsbilanzdefizit (2006: 19 Mia. CHF).
Wir investieren kräftig in Deutschland. Unsere Direktinvestitionen in Deutschland beliefen sich im Jahre 2005 auf 31,6 Milliarden Franken. Gleichzeitig belegt Deutschland mit 20 Milliarden Franken nach den USA und den Niederlanden den 3. Platz an Direktinvestitionen in der Schweiz.

Ich will damit jedoch nichts Schönreden oder von jenen Fragen ablenken, die zu klären sind. Ich will auch nicht davon ablenken, dass es zwischen engen Partnern immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Aber alle diese Probleme können wir auch ohne Demagogie und Schwarzmalerei klären.

Die Erfolge unserer pragmatischen und sachorientierten Politik der letzten 15 Jahre geben uns Recht: Wir haben die Probleme jeweils offen angesprochen, ausdiskutiert und tragbare Lösungen gefunden. Und an die gegenseitigen Abmachungen hat sich die Schweiz stets gehalten. Nehmen Sie das Zinsbesteuerungsabkommen; Brüssel ortete ein Problem; Bern hat ein gutes Instrument geschaffen und hart und erfolgreich verhandelt. Heute haben wir eine effiziente Besteuerung von EU-Steuerpflichtigen. Dieses Instrument dient der EU und unser Bankkundengeheimnis wird nicht geritzt. Ähnliche Beispiele für gute Lösungen zwischen der Schweiz und der EU gibt es noch viele.

Ich gebe aber auch gerne zu: Der von der Schweiz eingeschlagene Weg ist nicht einfach. Die steten Verhandlungen sind langwierig und schwierig. Das nehmen wir in Kauf, weil der bilaterale Weg funktioniert, wir ihn als zukunftsweisend erachten und unsere politische Eigenständigkeit, die direktdemokratischen Instrumente sowie die Rolle unserer Kantone sichern wollen.

Dabei sind für mich und für die Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger die Leistungen der Europäischen Union unbestritten.

Dank der EU haben wir seit 50 Jahren (Römer Verträge) einen lang anhaltenden Frieden und eine beispiellose Stabilität in Europa.
Dank der EU konnte der Wohlstand auf dem alten Kontinent wesentlich erhöht werden.
Dank der EU leben wir mitten in einem starken Wirtschaftsraum.

Dafür sind wir der EU dankbar. Und auch Berlin, denn die historische Leistung der deutschen Einheit beispielsweise hat auch eine wirtschaftliche Bedeutung: Sie hat den Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik viele Opfer abverlangt. Und noch heute fliessen gewaltige Mittel aus den alten EU-Ländern in die neuen, weil alle wissen, dass der Wohlstand im Osten und Süden auch das Wohlergehen im Westen und Norden sichert.

Dass wir dank dieser Konstellation ebenfalls gewinnen, ist offensichtlich. Denken Sie nur an den freien Personenverkehr, der unseren Aufschwung stützt, einen Arbeitskräftemangel verhindert und sogar neue Stellen schafft.

Ich bin aber überzeugt, dass wir auch rechtschaffene Europäer sind, ohne zwingend der EU beitreten zu müssen. Für den Bundesrat und die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist der bilaterale Weg massgeschneidert und zielführend. Diesen Weg haben wir seit dem Jahr 2000 in nicht weniger als fünf Abstimmungen immer wieder bestätigt. Und bis heute haben wir dank den 20 Haupt- und gegen 100 Nebenabkommen gemeinsame Interessen und Probleme in klar umgrenzten Bereichen geregelt. Dank diesen Abkommen haben wir einen weitgehend freien Zugang zum EU-Binnenmarkt mit seinen rund 500 Millionen potenziellen Konsumentinnen und Konsumenten.

Um diese Erfolgsgeschichte weiter schreiben zu können, sind jedoch gewisse Voraussetzungen zu erfüllen. Zum einen muss die EU bereit sein, weiter konstruktiv mit uns nach Lösungen zu suchen. Dies scheint mir heute gegeben.

Die EU will beispielsweise mit der Schweiz über ein Strom-Abkommen verhandeln; das nützt beiden Seiten.
Sie will die Personenfreizügigkeit mit der Schweiz auf die neuen Mitglieder Bulgarien und Rumänien ausdehnen und verlangt für diese beiden Staaten auch einen finanziellen Beitrag von der Schweiz.
Gespräche werden derzeit in den Bereichen Gesundheit und Freihandel im Agrar- und Lebensmittelbereich oder über eine schweizerische Beteiligung am Satellitennavigationssystem Galileo geführt.

Zum anderen müssen die Schweizerinnen und Schweizer bereit sein, diesen Weg konstruktiv weiter gehen zu wollen. Das, in dem wir unser politisches System selber gestalten. Wir wollen auch, dass man mit der Schweiz so umgeht, wie sich das für gute Partner gehört. Das hat nichts mit Harmoniebedürfnis zu tun. Das hat vielmehr damit zu tun, dass die Eidgenossen auf Druckversuche bockig reagieren; und dafür muss man nicht bis zur Schlacht von Sempach zurückblättern.

Wer deshalb die Schweiz in die Ecke der Steuersünder drängt und gleichzeitig noch mit Sanktionen droht, der baut keine gute Grundlage für einen konstruktiven Dialog. Glücklicherweise sind in den letzten Monaten aber wieder die besonnenen Kräfte am Werk und der Diskurs hat sich entspannt.

Der Bundesrat ist in der Steuerkontroverse mit der EU seit je her klar und deutlich: Die Schweiz verletzt das Freihandelsabkommen von 1972 nicht und ist auch nicht verpflichtet, die Unternehmenssteuerregeln der EU zu übernehmen.

Den Dialog mit Brüssel will der Bundesrat aber pflegen. Dort erläutern wir gerne unseren Standpunkt und erklären das Steuersystem der Schweiz. Dort zeigen wir auch auf, weshalb das Freihandelsabkommen von 1972 nicht als Ansatzpunkt genutzt werden kann, um die föderalistische Steuerhoheit auszuhebeln und die Schweiz in einen gesamteuropäischen Rahmen zu pressen. Dass wir uns darüber hinaus ständig intern Gedanken über Steuerreformen machen, versteht sich von selbst. Schliesslich wollen wir den Wirtschaftsstandort Schweiz weiter stärken und entwickeln, wie das jeder vorausschauende Staat auch tut.

Dreinreden - egal von wem - lassen wir uns dabei nicht.

Für mich sind die zum Teil mit Vehemenz eingenommenen Positionen Ausdruck eines sich verschärfenden, globalen Standortwettbewerbes. In diesem Wettbewerb können wir durchaus an der Spitze mithalten, denn wir bieten - neben den Steuern - viele weitere Standortvorteile:

Wir verfügen dank unserem hervorragenden Bildungssystem über hochqualifizierte, mehrsprachige Arbeitskräfte.
Wir kennen eines der liberalsten Arbeitsgesetze der Welt.
Wir verfügen über einen exzellenten Finanz- und Dienstleistungsplatz.
Wir investieren viel in den High-Tech-Forschungs- und Werkplatz und legen so die Basis, um eines der innovationsfähigsten Ländern zu sein.
Wir bieten - nicht nur für den transeuropäischen Verkehr - eine stabile Infrastruktur und das beste Schienennetz.
Bezüglich Lebensqualität und sozialer Sicherheit führt unser Land die Ranking-Listen an.

Diese Trümpfe werden von der Schweizer Politik gepflegt. Als Wirtschaftsministerin setze ich alles daran, genau diese Rahmenbedingungen im Standortwettbewerb weiter zu verbessern. Alles zusammen ergibt die so begehrte politische, wirtschaftliche und rechtliche Stabilität und macht die Attraktivität der Schweiz aus. Und deshalb kommen ausländische Firmen zu uns. Sie beschäftigen heute insgesamt rund 210'000 Angestellte und tragen rund 10% an das gesamte Bruttoinlandprodukt bei.

Auf den Lorbeeren auszuruhen wäre jedoch gefährlich. Einerseits müssen wir die ansässigen Unternehmen pflegen und ihre Probleme kennen und lösen, anderseits gilt es das direkte europäische Umfeld ständig zu beobachten und auch die globalen Veränderungen nie aus den Augen zu verlieren. Mit stetigen binnenwirtschaftlichen Reformbemühungen wollen wir unsere Attraktivität weiter ausbauen. Denn 31% aller in der Schweiz ansässigen ausländischen Firmen evaluieren ihren Standort alle 2 bis 5 Jahre, weitere 37% alle 6 bis 10 Jahre.

Das heisst, dass der Standort Schweiz von internationalen Firmen spätestens alle 10 Jahre genau unter die Lupe genommen wird. Und dieser Überprüfung halten wir nur Stand, wenn wir unseren internen Reformkurs vorantreiben und unsere Aussenwirtschaftsstrategie konsequent umsetzen. Die Schweiz war international seit jeher eng verknüpft und hat sich geöffnet, was uns zu Gewinnern der Globalisierung macht. Eine starke Positionierung der Schweizer Unternehmen in den aufstrebenden Märkten ist für ein Exportland im hochpreisigen Segment entscheidend.

Dass in diesem globalem Wettbewerb oft mit recht harten Bandagen gekämpft wird, davor müssen wir Schweizer uns nicht fürchten. Qualität, Flexibilität, Innovationsfähigkeit sind sichere Werte. Wir haben daher auch nie eine eigentliche staatliche Industriepolitik betrieben, sondern eine auf Wettbewerb ausgerichtete, freie Marktwirtschaft aufgebaut.

Gleichzeitig, und das ist ebenfalls ein wichtiger Standortvorteil, gelten wir weltweit als verlässliche Partner.

Dass wir auch in Europa gute und glaubwürdige Nachbarn sind, haben wir schon mehrfach bewiesen. Seit 1990 - lange bevor man über Kohäsionsbeiträge gesprochen hat - unterstützt die Schweiz die Reformen in den ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas. Diesen so genannten Transitionsprozess haben wir mit insgesamt 3,4 Milliarden Franken begleitet. Im Jahre 2006 hat das Volk darüber hinaus eine weitere Milliarde Franken für die 10 neuen EU-Mitglieder gutgeheissen.

Und hier in der Region Schaffhausen gehören die gute Nachbarschaft und das gelebte Miteinander zum Alltag. Früher war es vor allem der „Heiratsverkehr" über die Grenze hinweg, heute ist es der Handelsverkehr. Die vielen grenzüberschreitenden Institutionen zeugen von diesem guten Einvernehmen; von der Hochrheinkommission über die Randenkommission bis zur Internationalen Bodenseekonferenz. Das ist für mich der Beweis dafür, dass nicht nur im grossen Export- oder Investitionsverkehr enge und gute Beziehungen gepflegt werden. Auch auf regionaler, grenzüberschreitender Ebene herrscht bestes Einvernehmen.

Meine Damen und Herren, die Schweiz steht nicht mehr oder weniger unter Druck als andere Staaten. Wir sind erfolgreich und das mag den einen oder anderen Neider auf den Plan rufen. Wir stehen in harter Konkurrenz zwischen Staaten und Unternehmen. Wir müssen uns immer schneller nach den neuen Gegebenheiten ausrichten. Die Globalisierung lässt sich nicht aufhalten!

Wer sich diesem Wettbewerb stellt, muss Risiken, das hohe Tempo und den rauen Ton aushalten können. Der internationale Wettbewerb ist, weder in der Wirtschaft noch in der Politik, ein Ort für Harmoniebedürftige. Hier gilt der US-Slogan: „Who can't stand the heat should leave the kitchen."

Tatsache ist, dass uns nur Wettbewerb weiterbringt und zu Wachstum führt. Tatsache ist auch, dass jene stagnieren, die sich aufs bequeme Sofa zurückziehen -- Länder, Völker und Unternehmen.

Ich stelle mich der Konkurrenz, denn ich will den Wettbewerb mit vollen Kräften weiter fördern; mit der Fortsetzung unserer eigenständigen Europa-Politik, mit einer stetigen Verbesserung unserer Stärken als Wirtschaftsstandort und mit einer vorausschauenden Aussenwirtschaftsstrategie.

Mit unseren Bestrebungen unseren Firmen einen möglichst hindernisfreien Zutritt zu anderen Märkten zu sichern, den binnenwirtschaftlichen Reformen und der Stärkung unserer Innovationsfähigkeit sind wir für die Herausforderungen gewappnet. Interne Abschottungsversuche für eine gedeihliche Zukunft der Schweiz sind ebenso wenig hilfreich wie lautstark aus dem Ausland gestellte Forderungen an uns. Ich rufe Brüssel zu: Nicht die Schweiz müsst ihr bekämpfen, sondern euch zusammen mit uns gut auf den aufstrebenden Märkten in Fernost platzieren!

Ich bin überzeugt, dass wir uns gemeinsam in der neuen Welt behaupten können.

Wir wissen wie; wir haben die Kraft und die Kompetenz.

Es gilt das gesprochene Wort !

Der Erfolgreiche, der Neider und der Konkurrent - Die Schweiz im internationalen Wettstreit