Wer hängt eigentlich von wem ab? Die Post von der Politik oder die Politik von der Post?

Das war die allererste Frage, die ich mir als Bundesrat stellen musste. Und das kam so:

Am 1. November 1995 trat ich meinen neuen Posten als Vorsteher des damaligen EVED an. Dieser Tag begann mit dem Betreten des Bundeshauses Nord (verbunden mit Fototerminen), gefolgt von einer Schlüsselübergabe von Adolf Ogi an mich (verbunden mit Fototermin), von der Präsentation aller Amtsdirektoren (verbunden mit Fototermin). Es folgte eine kleine Ansprache vor den Mitarbeitern des Generalsekretariates (verbunden mit einem Fototermin) und der Tag endete mit einem „point de presse" mit Ausführungen darüber, was ich alles verändern wolle (verbunden mit einem Fototermin).

Die eigentliche Arbeit begann am 2. November, d.h. ganz genau heute vor zwölf Jahren. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und wartete. In einem kleinen Karren wurden mir Aktenmappen mit Dokumenten gebracht, die ich unterzeichnen sollte. Das erste war die Genehmigung von Briefmarken. In diesem Moment realisierte ich, dass die PTT auch zu meinem Departement gehörte, denn im vorherigen Wahlkampf war von ihr nie die Rede gewesen, immer nur von der NEAT und dem Streit zwischen Lötschberg und Gotthard, beziehungsweise zwischen den Bundesräten Stich und Ogi und von einer Arbeitsgruppe Friedli/Gygi, welche schlichten sollte (Friedli kannte ich, Gygi nicht).

Da ich meine Arbeit seriös machen wollte, prüfte ich diese Briefmarken näher, fand ihre Graphik bieder, geschmacklos und hässlich und verweigerte also die Unterschrift. Das gab ein riesiges Theater. Der Generalsekretär erschien und sagte, ich müsse unterzeichnen, ich hätte gar keine andere Wahl. Es folgten heftige Auseinandersetzungen darüber, worin denn nun eigentlich die Kompetenz eines Bundesrates bestünde, wenn er ja ohnehin unterzeichnen müsse, was man ihm vorlege. Der Generalsekretär beendete die Diskussion mit dem Argument: „Gegen die Potenz der PTT haben Sie keine Chance."

Ich musste unterzeichnen. Dafür wechselte ich den Generalsekretär aus. Durch den neuen liess ich die Unterschriftenverordnung ändern und befreite mich von der künftigen Genehmigung von Briefmarken. Das sollte ich bitter bereuen, denn die nächste Briefmarke war diejenige mit dem Globi. Es wurde öffentlich bekannt, dass ich sie nicht unterzeichnete, worauf sich die ganze Nation entrüstete: Sie empfand  die verweigerte Unterschrift als einen Verrat sowohl an der Post als auch an Globi. Briefträger empörten sich bei ihren Gesprächen mit den Kunden (damals hatten sie noch Zeit dazu), Schalterbeamtinnen ereiferten sich derart, dass Warteschlangen entstanden, in denen aus lauter Solidarität zu Globi niemand reklamierte. Ich erhielt zahlreiche Protestbriefe aus der ganzen Schweiz. Da machte ich zum zweiten Mal die Erfahrung: „Gegen die Potenz der PTT habe ich keine Chance."

Dies war der Grund, dass ich dem Parlament eine Vorlage unterbreitete, die PTT in Telekommunikation und Post zu trennen, damit diese ungeheure Potenz gebrochen werde. Die Fortsetzung kennen Sie: Die Telekommunikation wurde zur Swisscom in Form einer AG, die Post wurde selbständig, blieb aber eine Anstalt, erhielt einen kleineren Verwaltungsrat und statt einem Generaldirektor einen CEO, der stets überzeugt war, die Post sei auch eine AG, bis er dann abgelöst wurde durch den heutigen CEO Gygi, der jetzt weiss, dass er in einer Anstalt arbeitet, im Gegensatz zum zuständigen Bundesrat allerdings nicht in einer geschützten.

Doch mein eigentliches Ziel, die Potenz der Post und der Swisscom zu brechen, habe ich nicht erreicht. Die Swisscom ging an die Börse (begleitet durch den damaligen Direktor der Finanzverwaltung, Gygi) und die Post entwickelte sich zum potentesten aller Bundesbetriebe mit den meisten Beschäftigten, dem höchsten Jahresgewinn und dem bestbezahlten CEO.

Die Fortsetzung kennen Sie:

Poststellenumbau
Poststellen in Einkaufszentren
Poststellen in Dorf- und Quartierläden, wie auch Apotheken (mit gutem Erfolg, wie ich persönlich weiss: Muss mich nicht mehr ausweisen, ich werde mit Ratschlägen umsorgt)
Neugliederung der Verteilzentren
Aufgabe des Monopols bei Paketen und Briefen bis zu 100 Gramm
Neue Produkte wie Hybridpost, Webstamp, IncMail, PickPost, Abholen von Paketen und Entgegennahme von Einzahlungen durch Pöstler etc etc

Wie geht es weiter?

Im letzten Jahr hat der Bundesrat eine Totalrevision der Postgesetzgebung beschlossen.  Denn er will den Postmarkt weiter öffnen. Und folgt damit einer Entwicklung in Europa.

Das Postgesetz wird revidiert

Der Bundesrat hat nun Ende September 2007 beschlossen, den bisher erfolgreichen, d.h. schrittweisen und geordneten Öffnungsprozess fortzusetzen.

So will er den Postmarkt in zwei Schritten öffnen. Mit der neuen Gesetzgebung, welche voraussichtlich 2011 in Kraft treten dürfte, wird das Briefmonopol auf 50 Gramm gesenkt.

Zwei bis fünf Jahre später erfolgt die vollständige Marktöffnung. Bei beiden Schritten wird das fakultative Referendum möglich sein.

Mit diesem Vorgehen, welches wir vom Stromversorgungsgesetz übernommen haben, wird garantiert, dass Parlament und Volk bei beiden Stufen mitreden können. Gleichzeitig ist der Rückstand auf den EU-Fahrplan nicht allzu gross. Der EU-Ministerrat hat Anfang Oktober 2007 beschlossen, dass die vollständige Marktöffnung bis spätestens Ende 2010 erfolgen soll. (Staaten mit einem wenig entwickelten Postsektor (Osteuropa, Griechenland) und Staaten mit einer geringen Bevölkerungszahl (Luxemburg) wird die Möglichkeit eingeräumt, die Frist um zwei Jahre zu verlängern.)

Flankierende Massnahmen

Unter dieser Marktöffnung darf die Grundversorgung nicht leiden. Daher sollen flankierende Massnahmen getroffen werden:

So sehen wir auch weiterhin eine flächendeckende Grundversorgung mit Post- und Zahlungsverkehrsdienstleistungen vor, und es soll auch weiterhin ein flächendeckendes Netz von Poststellen und Agenturen geben.
Die Finanzierung der Grundversorgung soll durch
das Monopol sichergestellt werden, solange es dieses noch gibt.
Für den Fall, dass die Finanzierung danach von der Post nicht aus eigener Kraft erfolgen könnte, sehen wir einen Fonds, der von allen Marktteilnehmern gespiesen wird, und als "ultima ratio" eine staatliche Abgeltung vor.

Weiter soll die Marktöffnung auch nicht auf dem Buckel der Arbeitnehmer ausgetragen werden. Wir wollen daher allen Postanbietern (also der schweizerischen Post und Privaten) vorschreiben, dass sie die branchenüblichen Arbeitsbedingungen einhalten müssen. Ergänzend zu dieser behördlichen Kontrolle soll zwischen den Gewerkschaften und den Postunternehmen ein Branchen-GAV abgeschlossen werden. Dies ist zwar nicht Sache des Gesetzgebers, sondern der Sozialpartner. Mein Departement unterstützt aber die Sozialpartner bei ihren Gesprächen und Verhandlungen im Hinblick auf einen Branchen-GAV.

Wir haben zudem entschieden, dass PostFinance nicht zu einer Postbank ausgebaut wird. Der Tätigkeitsbereich von PostFinance wird in der revidierten Gesetzgebung umschrieben werden. Er soll soweit wie möglich ausgebaut werden.

Wenn die Monopol-Grenze auf 50 Gramm gesenkt ist und während den ersten fünf Jahren des vollständig geöffneten Marktes wird die Post beauftragt, flächendeckend den Service public zu erbringen. Ob es danach zu einer Ausschreibung der Grundversorgung kommen wird oder ob der Post weiterhin ein Auftrag für die Grundversorgung erteilt wird, ist noch nicht entschieden.

Die Post soll von einer Anstalt zu einer Aktiengesellschaft werden. Dies ist nicht gleichzusetzen mit einer Privatisierung. Denn im Gesetz wird festgeschrieben, dass der Bund die Mehrheitsbeteiligung an der Post halten muss.

Dem Bundesrat wird oft vorgeworfen, bei der Postmarktöffnung einen langsamen und vorsichtigen Weg zu gehen. Es stimmt: Wir wollen eine behutsame, sozialverträgliche Reform, die politisch mehrheitsfähig ist. Der Bundesrat will damit aber eine nachhaltige Entwicklung zu potenter Selbständigkeit erreichen - eben im Einklang mit der Politik. Die Politik muss sich ihrerseits an den Kunden d.h. an der Vielfalt ihrer Wünsche und an ihrem veränderten Verhalten orientieren. Nicht zu vergessen sind  aber auch die nostalgischen Träume, die das Image der Post zu einem grossen Teil  prägen.

Die Grundversorgung ist die wahre Potenz

Ich höre bei der Post immer mal wieder ein Jammern über den Auftrag, den sie zu erfüllen hat. Das Klagelied tönt so: Es sei einfach nicht machbar, gewinnorientiert zu arbeiten und gleichzeitig das ganze Land mit postalischen Dienstleistungen zu versorgen und ein sozialer Arbeitgeber zu sein.

Ich aber sage ganz im Gegenteil:

Die Grundversorgung ist die Potenz der Post. Es ist eine Ehre, für unser ganzes Land da zu sein, und eine riesige Chance, den Service public erbringen zu dürfen. Das macht die nostalgischen Gefühle aus, welche das ganze Land für unsere Post hegt. Es gibt für die meisten Menschen nur eine Post. Sie kann auch nicht vermehrt werden, das zeigt schon die deutsche Sprache, wo es für die Post keinen Plural gibt. Sie verfügt also über ein natürliches sprachliches Monopol.

Einen Betrieb mit einer derart intensiven corporate identity gibt es ja kaum noch. Die Menschen identifizieren sich:

mit den gelben Briefkasten
mit „ihrer" Poststelle im Dorf oder im Quartier
der Dreiklang des Postautos weckt heimatliche Gefühle
Die Post steht für den Ausgleich zwischen den Landesteilen, für Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit

All dies müssen sich andere Unternehmen teuer erkaufen. Die Bemühungen der Post, das Eishockeystadion von Bern als  PostFinance Arena zu benennen, sind daher vollkommen überflüssig. Die wahre Identität schafft die Grundversorgung. So wie die Menschen die Grundversorgung lieben, sollten auch Sie als Kaderleute die Grundversorgung lieben und auch ein wenig stolz darauf sein, dass Sie diesen Auftrag Tag für Tag tadellos erfüllen.

Und wer gibt den Grundversorgungsauftrag? Die Politik!

Sie ist es, die der Post zu wahrer Potenz verhilft.

Die Post, die Potenz und die Politik