Die Mauern von Jericho und der Eiserne Vorhang waren offensichtlich leichter herunterzureissen als die Wand aus den Vorurteilen in Gesellschaft und Wirtschaft jenen Frauen gegenüber, die eine berufliche Karriere verfolgen.

Sehr geehrter Herr Regierungschef Hasler,
sehr geehrte Mitglieder der liechtensteinischen Regierung,
sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,
sehr geehrte Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter des Landes Vorarlberg und der Kantone St. Gallen und Graubünden,
sehr geehrte Damen und Herren,

In Jericho fielen die Mauern angeblich nach sieben Tagen. Über 40 Jahre brauchte es, bis der Eiserne Vorhang überwunden war. Wir Frauen kämpfen inzwischen seit über 200 Jahren, seit der Französischen Revolution, auf jeden Fall aber seit Beginn des 20. Jahrhunderts für unser Recht auf Bildung, für unsere Wahlrechte und das Recht auf Erwerbsarbeit.

Zugegeben, in den letzten Jahrzehnten haben wir viel erreicht. Im Fürstentum ist Frau Regierungsrätin Kieber-Beck für Aussenpolitik, Kultur und Familienpolitik verantwortlich. In der Schweiz sind wir seit vergangenem Dezember im Bundesrat zu Dritt und mit der Bundeskanzlerin stellen wir in der Regierung sogar die Zauberquote von 50%. Immer mehr Frauen leiten grosse Konzerne, etwa in der Schweiz die ABB oder die RUAG-Aerospace. Bei mir im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement sind zwei von sechs Amtsdirektoren Frauen und auch in den Führungsetagen der Bundesämter übernehmen immer mehr Frauen Verantwortung.

Auf das Erreichte dürfen wir Frauen stolz zurückblicken. Denn der Weg bis hierher war nicht immer einfach. Aber auch heute sind wir noch lange nicht da angelangt, wo wir hin wollen und wo wir hin gehören. Wir brauchen mehr Frauen in der Politik; wir brauchen mehr Frauen in der Wirtschaft und in der Wissenschaft und wir brauchen mehr Männer in der Kinderbetreuung, am Herd und in der Waschküche.

Dass wir noch nicht weiter sind, haben wir einerseits uns selber zuzuschreiben. Anderseits stehen wir immer wieder vor den klassischen Vorurteilen und mangelhaften Netzwerken. Vom Phänomen der fehlenden Frauensolidarität will ich gar nicht sprechen. Was Männern dank ihren soliden Netzwerken gelingt, setzen wir Frauen selten um. Frauen sollen Frauen anstellen; Frauen sollen Frauen in politische Ämter wählen - dann sind wir auch in der Lage, uns besser zu vernetzen.

Selber mehr machen könnten wir in der Politik. Wir Frauen nehmen leider unser Stimm-Potenzial zu wenig wahr. Das belegt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universitäten Bern, Genf, Lausanne und Zürich.

Gemäss dieser Studie gingen 1971, bei der Einführung des Frauenstimmrechtes, 70% der wahlberechtigten Männer und 46% der Frauen wählen; 1995 waren es 45% der Männer und 39% der Frauen; 2003 bei den eidgenössischen Wahlen 54% der Männer und nur 38% der Frauen. Offenbar nutzen Frauen ihre Wahlrechte weit weniger als Männer.

In der Wirtschaft dagegen werden wir Frauen mit unseren Pensen und Löhnen noch zu oft unterbewertet. Dies hält sogar die OECD in einer Studie über die Schweiz fest.

Zwar stehen 75% der Frauen zwischen 15 und 64 Jahre im Arbeitsprozess. Etwas differenzierter betrachtet zeigt sich jedoch, dass 56,5% dieser erwerbstätigen Frauen einer Teilzeitarbeit nachgehen.

Davon arbeitet wiederum die Hälfte weniger als 50%. Für eine Tätigkeit mit Aufstiegsmöglichkeiten wäre ein Arbeitspensum von mindestens 60% notwendig. So erstaunt es nicht, dass nur rund 15% der Frauen in der Schweiz in Führungspositionen arbeiten. Im Hinblick auf die Demographie ist eine Steigerung der Erwerbsquote der Frauen ebenfalls nötig. Wollen wir dem sich abzeichnenden Mangel an Erwerbstätigen entgegentreten, so ist die bessere Integration der Frauen unumgänglich.

In der Gesellschaft schliesslich wird wieder das Vorurteil herumgeboten, es sei schlecht, wenn Mütter arbeiten und die Kinder in der Krippe betreut würden. Ausgerechnet eine Frau plädiert mit ihrem „Eva-Prinzip" für den Weg zurück an den Herd. Das wird weder einem auf Partnerschaft ausgerichteten Familienmodell gerecht, noch entspricht es dem Recht auf Chancengleichheit.

Dieser Entwicklung müssen wir aktiv entgegenwirken. Der Staat hat vielmehr die Aufgabe, jeder Frau und jedem Mann die Möglichkeit der freien Wahl des jeweiligen Lebensmodells zu ermöglichen. Kein Rollenmodell ist besser oder schlechter. Das jeweils geeignete sollen Paare beziehungsweise Eltern vielmehr freiheitlich und eigenverantwortlich selber bestimmen können. Dabei sind wir auf dem Weg zur Chancengleichheit nicht auf Quotenzauber angewiesen. Wir werden das Problem selber in die Hand nehmen!

In der Schweiz stehen für mich drei Handlungsachsen im Vordergrund:

Bei der Berufswahl.
Bei der Bereitstellung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen.
Bei der Förderung der Unternehmerinnen.

Auch wenn der Erstberuf nur noch selten der Lebensberuf ist und lebenslanges Lernen zum absoluten „must" wird, ist die Berufswahl oftmals die erste Sprosse auf der langen Karriereleiter. Hier fallen oft falsche Entscheide. Deshalb hat sich auch das Rollendenken bei der Berufswahl noch kaum verändert, obwohl wir heute die bestausgebildete Frauengenerationen der Geschichte kennen.

So haben fast 90 % der jungen erwerbstätigen Frauen erfolgreich eine Berufslehre oder die Matura abgeschlossen. Und die Frauen haben im Bereich der universitären Bildung stark aufgeholt. In der Schweiz entschieden sich 2006 aber immer noch fast doppelt so viele junge Frauen wie Männer für den Verkaufsberuf. Rund 90% der Lernenden in der Kranken- oder Körperpflege sind Frauen. Und auch der Beruf der Primarlehrer ist zu einer absoluten Frauendomäne geworden.

Die jungen Männer zieht es dagegen immer noch mehrheitlich in die Informatik, den Maschinen- und Fahrzeugbau oder in die Elektrizitätsbranche.

Für mich stellen sich daher zwei grundsätzliche Fragen: Weshalb werden Frauen in vielen Bauberufen, in der Lokomotive oder als Ingenieurinnen und Informatikerinnen immer noch als Exotinnen betrachtet? Warum schaffen wir es nicht, bei jungen Frauen Begeisterung für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu wecken?

Die Antwort ist naheliegend:

Erstens müssen wir das Vorurteil aus der Welt räumen, wonach Mädchen zum Pflegen geboren seien und Knaben besser rechnen könnten.
Zweitens brauchen wir mehr Vorbilder, die vorleben, dass es nicht Frauen- und Männerberufe gibt.
Drittens, Frauen planen zu wenig und berücksichtigen die Laufbahnmöglichkeiten und ihre Perspektiven in der Wirtschaft kaum. „Modell f", ein vom Staat in der Startphase unterstütztes Projekt, bietet sehr konkrete, flexible Möglichkeiten zur Weiterbildung. Dank „Modell f" werden Unterbrechungen auf dem Berufsweg, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sowie berufliche Neuorientierungen möglich.

Die Gesellschaft muss sich von althergebrachten, starren und überholten Vorstellungen und Ideologien befreien. Es braucht eine Akzeptanz für neue Frauenrollen!

Parallel zu diesem Wandel in den Köpfen muss das Arbeitsumfeld konsequent familienfreundlicher gestaltet werden. Frauen, vor allem Mütter, können oft erst wählen, wenn sie auf Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die bezahlbar sind, zurückgreifen können.

Leider hat sich hier nicht viel bewegt, obwohl wir seit Jahren darüber diskutieren und der Bund eine Anschubfinanzierung bereitgestellt hat.Insgesamt konnte in der Schweiz in den letzten fünf Jahren die Schaffung von mehr als 18'000 neuen Betreuungsplätzen unterstützt werden.

Krippenplätze haben wir aber immer noch zuwenig. Tagesschulen mit fixen Schulzeiten sind noch zu selten. Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle wie Jahresarbeitszeit, Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder Tele-Arbeit sind in der Schweizer Wirtschaft noch zu oft ein Tabu. Und oft entscheiden sich Frauen mit guten Ausbildungen gegen Kinder, da sie neben fehlenden oder teuren Krippenplätzen, schlechten Schulstrukturen und der Doppelbelastung erst noch mehr Steuern bezahlen müssen. Das sind nicht gerade kinderfreundliche Bedingungen.

Mein Departement hat dagegen gehandelt. Wir bieten eine breite Palette von Möglichkeiten für Job-Sharing, Telearbeit und Kinderunterstützung an und für Väter die Möglichkeit, das Arbeitspensum um 10% zu reduzieren. Wir haben vor einem Jahr mit dem KMU-Handbuch einen Leitfaden für eine familienfreundliche Unternehmenspolitik erarbeitet; ein Handbuch, das auch im Fürstentum auf Anklang gestossen ist. Anhand von Beispielen aus der Praxis können Betriebe ausloten, wie sie ihren Mitarbeitenden mit mehr Flexibilität entgegenkommen, um Work-Life-Balance zu ermöglichen.

Wenn es der gesamten Schweizer Wirtschaft gelingt, Frauen wie Männern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf so unkompliziert wie möglich zu offerieren, dann lohnt sich dies für Gesellschaft, Unternehmen und Mitarbeitende. Gerade im härteren Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte werden flexible, familienfreundliche Arbeitsbedingungen immer mehr zu einem Faktor, um auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu sein.

Gleichzeitig gilt es, mit den richtigen Anreizen Kaderstellen für Frauen attraktiv zu machen. Auch hier haben wir im EVD gehandelt und bieten Analysen an, um das Potenzial junger Frauen zu erkennen und sie in die für sie richtige Laufbahn zu lenken. Wenn wir damit den Frauenanteil im Kader erhöhen - um so besser. Rund 100 Mitarbeiterinnen in meinem Departement haben sich bisher für eine solche Analyse interessiert. Das Vorurteil: „Die wollen ja gar nicht" ist damit klar widerlegt.

Angesichts der demografischen Entwicklung können wir es uns nicht leisten, das grosse Potenzial der Frauen nicht genügend zu nutzen. Im Bericht „PotentiELLE" vom Dezember 2006 stellen wir Möglichkeiten und Massnahmen vor, damit Frauen ihre unternehmerischen Fähigkeiten verbessern können. Im letzten Herbst konnten wir an einer nationalen Konferenz einen ersten wichtigen Markstein setzen. Unternehmen wie die Post, Denner, CSS oder Adecco haben sich das Ziel gesetzt, Frauen in Kaderpositionen zu unterstützen.

Konkret geht es darum,

die Zutrittschancen von Frauen in Kaderpositionen zu verbessern; heute hat nur jede zehnte Frau die Chance auf einen Kaderposten.
Beschäftigungs- und Lohndiskriminierung auszumerzen; das Eidgenössische Büro für Gleichstellung stellt unter www.logib.ch kostenlos einen Lohngleichheits-Test für Unternehmen zur Verfügung.
die Schulstrukturen zu vereinheitlichen; mit dem Konkordat „HarmoS" haben unsere Kantone einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung von Schuleintritt und Dauer der Schulstufen etc. gemacht.

Meine Damen und Herren, über den Mehrwert der Frauen in der Unternehmensführung müssen wir nicht diskutieren. Den Nachweis, wenn es den noch braucht, hat McKinsey mit der Studie „Women Matter" erbracht. Dort, wo Frauen mit-entscheiden, sind die Gewinnmarge und die Eigenkapitalrendite höher und das Klima änderte sich - von hierarchisch-autoritär zu team- und lösungsorientiert.

Es geht dabei keineswegs darum, dass die Frauen ihre Karriere auf Kosten des Mannes planen und umsetzen.
Es geht auch nicht darum, die Männer und ihren Führungsstil über Bord zu werfen.
Es geht einzig darum, die Erfolg versprechenden Elemente beider Führungsstile zu kombinieren und gemeinsam zum Wohl des Unternehmens und der Mitarbeitenden einzusetzen.

Erst die optimale Mischung aus Frau und Mann, aus Jung und Alt, aus handwerklicher Fertigkeit und intellektuellem Know-how führt zum Unternehmenserfolg.Dabei reicht es jedoch nicht aus, einfach eine Alibi-Frau in den Vorstand oder ins Management zu wählen. Der imperative Wettbewerbsvorteil lässt sich erst dann umsetzen, wenn mehr als eine Frau in der unternehmerischen Verantwortung steht.

„When women sit on an executive committee, the nature of interactions changes ... But one woman there is not enough, you need several of them." Dieser Erkenntnis eines internationalen Bankers in besagter McKinsey-Studie kann ich mich nur anschliessen. Eine Frau im Bundesrat verändert den Stil; mehrere Frauen verändern die Politik.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort !

Zauberquoten statt Quotenzauber Die Frauen auf dem Weg in die Chefetagen