„Denn vor dem Spott hat doch selbst jener Angst, der bereits vor nichts mehr auf der Welt Angst hat."

Dieser Satz, meine sehr verehrten Damen und Herren, stammt von Gogol, und er ist immer noch so frisch und wahr wie damals, als er geschrieben wurde. Und wer weiss - vielleicht drückt dieser Satz auch den tieferen Grund dafür aus, dass der Bundesrat zwanzig Jahre brauchte, bis er es wagte, an den Oltner Kabarett-Tagen vertreten zu sein.

Es ist ja in der Tat für Politiker nicht ganz so einfach, sich mitten unter Kabarettisten und Satiriker zu begeben. Das ist, wie wenn man über eine verminte Wiese gehen müsste oder über einen kaum zugefrorenen See, um auf der anderen Seite - ganz aktuell - den Frosch zu küssen.

Die Beziehung zwischen Politik und Satire ist nun einmal nicht einfach. Auf jeden Fall sind die beiden ein Paar, das sich liebhasst oder hassliebt. Aber das liegt nun einmal in ihrem Wesen, also muss es so sein. Und deshalb freue ich mich sehr, mitten im Arsenal der Scharfzüngigkeit an den 21. Oltner Kabarett-Tagen zu Ihnen sprechen zu dürfen und Ihnen die Grüsse und die besten Wünsche des Bundesrates zu überbringen.

Der Bundesrat, das dürfen Sie mir glauben, ist sich sehr wohl bewusst, wie er selbst, wie die Politikerinnen und Politiker und die Mächtigen ganz allgemein, aber auch unser Volk die Satiriker brauchen, und zwar so, wie wir alle immer wieder auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen sind. Denken wir nur an das Wirken des Cabaret-Ensembles, dessen Name mit dem heutigen Anlass verbunden ist, gerade auch an seine wichtige politische Funktion vor Jahrzehnten in Krisen- und Kriegszeiten. Und auch heute und morgen wollen wir die vielen Kabarettisten nicht missen, die nicht nur Unterhaltung bieten, sondern sich an der politischen Auseinandersetzung beteiligen.

Ich will Ihnen auch gerne verraten, wie sehr sich die Mitglieder des Bundesrates über gelungene Nummern amüsieren können, in denen gerade auch sie selber aufs Korn genommen werden. So kommt es vor, dass sie am Rande der wöchentlichen Bundesratssitzung einander von Sketches in Radio oder Fernsehen berichten oder auf besonders gelungene Cartoons in Zeitungen aufmerksam machen.

Satiriker haben einen unbeirrbaren und unbestechlichen Röntgenblick, der alles gnadenlos erkennt, was das geistige Verfallsdatum längst überschritten hat, der alles sieht, was „faul ist im Staate Dänemark", kurz, dem nichts entgeht, was der Gesundheit einer lebendigen Gesellschaft und einer lebendigen Demokratie schadet oder schaden könnte. All dieses Ungesunde ist nicht sichtbar, denn es ist tief eingekapselt in unsere Gewohnheiten; es stinkt nicht, es verunstaltet die Oberfläche nicht und - es stört uns im Moment nicht einmal. Trotzdem schadet es unserer Gesundheit, und deshalb brauchen wir diesen untrüglichen Röntgenblick der Satiriker. Sie sind die Geistchirurgen, und ihr scharfzüngiger Intellekt ist das Skalpell, mit dem sie alles Eingekapselte freilegen, blossstellen und uns von ihm befreien.

Satiriker sind Chirurgen, die ohne Narkose arbeiten. Statt dessen verwenden sie eine Art spirituelles Lachgas und verpacken alles, was weh tut, in Heiterkeit. Sie sind sozusagen Confiseure von Glassplitterpralinen.

Meine Damen und Herren, ich will heute Abend zwei Dinge ganz bewusst nicht:

Ich will Ihnen erstens vor einem ernsthaft-witzigen Programm nicht eine lange Politikerrede halten. Das wäre ja, wie wenn man eine köstliche Schwarzwäldertorte mit einer Militärwolldecke zudeckte. Ausserdem sind Politiker, die lange reden, vor allem Stofflieferanten für Kabarettisten.

Und zweitens will ich nicht den völlig untauglichen Versuch wagen, selbst eine Kabarett-Nummer hinzulegen. Viel lieber zitiere ich da Andreas Thiel, der durchaus im Stande ist, seinem Publikum zu sagen: „Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie heute ausnahmsweise bereit wären, selber lustig zu sein."

Und damit wären wir beim Preisträger des diesjährigen Prix Cornichon, beim Satiriker Andreas Thiel.

Ein Satiriker kann nur dann gut sein, wenn er nicht nur über einen analytischen Sinn, einen Florett-Intellekt und Wortgewalt verfügt. Das alles wird nämlich erst fruchtbar, wenn er den Gegenstand seines Spottes auch liebt. Ohne diese Liebe käme er nie zum Kern der Sache, und ohne sie hätte er nicht diese höchst sensible Verletzlichkeit, die er braucht. Was der Satiriker schreibt, sind im Grunde genommen immer ätzende Liebesbriefe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren - mit der heutigen Preisverleihung zeigt uns die Jury, dass Herr Thiel mit all diesen Gaben und mit dieser Liebe gesegnet ist.

Lieber Herr Thiel: Im Namen aller, die hier unter Ihrem Witz versammelt sind, danke ich Ihnen schon jetzt sehr herzlich für den bevorstehenden Abend und wünsche Ihnen, dass Sie - so, wie heute - auch in Zukunft immer ein Publikum haben werden, das durch sein Interesse und seine Wachheit dazu beiträgt, dass Sie weiterhin grosse Erfolge feiern können.

Ätzende Liebesbriefe