Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Fussballfans!
Liebe Euro-08-Skeptiker!
Liebe Volunteers!

Was - um Himmels Willen - hat Fussball mit Religion zu tun?
Was - um Himmels Willen - hat der Sportminister auf der Kanzel verloren?
Was - um Himmels Willen - haben die Kirchen mit der Euro 08 am Hut?

Vielleicht mehr, als manchen lieb ist? Sicher mehr, als manchen bewusst ist! Ich formuliere die möglichen Antworten provokativer als manche erwarten.

In einer Euro-08-Ausstellung in Wien stehen folgende Sätze:
Für den Fussballfan ist das Stadion die Kathedrale.
Für den Fussballfan ist das Spiel der Gottesdienst.
Für den Fussballfan sind seine Tribünengesänge die Psalmen. Panini-Bildchen sind für ihn, was früheren Generationen die Heiligen-Bildchen waren.

Und weil jedes Spiel Null zu Null beginnt, und weil er irgendwann die Geschichte von David und Goliath gehört hat, lebt der Fan im festen Glauben an ein gütiges Schicksal. Fussball ist dem Fan Glaube, Liebe, Hoffnung.

Was dem Fan recht ist, ist dem Spieler teuer.

Welcher Elfmeterschütze bekreuzigt sich nicht vor der Schussabgabe? Welcher Elfmeterschütze - wenn er denn getroffen hat - schaut nicht dankbar nach oben? Zu IHM.
Hat nicht ER Diego Maradonas Hand gelenkt, an der WM 1986 beim legendären Tor des damals weltbesten Fussballers? Es scheint eine direkte Verbindung zwischen Fussballrasen und Himmel zu geben!

So sind wir Menschen. Wie oft versuchen wir, mit IHM noch schnell ins Reine zu kommen? Von IHM kurzfristig noch Hilfe zu erwirken? Und wie oft werden sie erhört, unsere Stossgebete!

Ob der Fussball eine Ersatzreligion ist?
Ich halte diese These für falsch. Auch die Zahlen sagen anderes: Immerhin versammeln sich in den Kirchen jedes Wochenende 500'000 Menschen, in den Stadien gut 50'000. Aber dass der Fussball ein Massenphänomen geworden ist und die Euro 08 der drittgrösste Sportanlass der Welt, das stimmt doch wohl.

Und auch, dass die Spitzenfussballer zu Stars unserer Zeit geworden sind. Zu einer beinahe vergötterten Elite. Im Gegenzug hat diese Elite Verantwortung zu übernehmen. Ich bin froh, dass die meisten von ihnen sich ihrer Vorbildrolle bewusst sind. Elite hat mit Exzellenz zu tun, und Exzellenz mit Demut und Bescheidenheit.

Die Kirchen tun gut daran, sich der Euro 08 anzunehmen! Die Menschen abzuholen. Uns abzuholen. Umso klüger noch, dass sie es ökumenisch und länderübergreifend tun.

Sie haben die Zeit auf ihrer Seite. Was sind denn 100 Jahre Fussballgeschichte? Was sind denn 50 Jahre Euro-Geschichte? Die Kirche ist - ihr Slogan sagt es augenzwinkernd - schon 2000 und 8 Jahre am Ball! Das gibt ihr die Kraft der Jahrtausende!

Was den Fussball und die Kirchen verbindet, ist das Streben nach positiven Werten. Nach moralischen Werten, nach ethischen Werten. Die Zehn Gebote sind die Leitplanken für das Leben der Gläubigen. Auch die Seligpreisungen. Wer Frieden schafft, wer tolerant ist, wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, dem gehört die Zukunft.

Die gleichen Werte, anders formuliert, gelten auch im Fussball - und überhaupt im Sport, ob Spitzensport, ob Breitensport, ob Behindertensport - : Dem anderen mit Respekt begegnen, fair sein im Kampf um den Ball, Rücksicht nehmen auf die Kameraden im Team, umsichtig sein für sich selbst und die anderen.

Beiden, dem Fussball und den Kirchen, ist leider eigen, dass diese Werte auch missachtet werden. Oft missachtet werden. (Das macht diese Werte - in Klammern bemerkt - natürlich nicht weniger glaubwürdig.)

Die Gesellschaft ist nicht perfekt. Die Kirchen sind es nicht. Der Fussball ist es nicht. Der Grat zwischen echtem Engagement und Fanatismus ist schmal. Im Fussball und in den Kirchen und in der Gesellschaft.

Die Gewalt ist von Pfarrer Christoph Sigrist vorhin angesprochen worden. Gewalt, ausgeübt von einer kleinen Minderheit gegenüber der grossen Masse der Fussballbegeisterten.

Wir dürfen diese Gewalt nicht zulassen! Wir haben auch alles unternommen, damit die Euro 08 sicher und friedlich abläuft. Ich hoffe eines: Wer blind um sich schlägt, dem müssen irgendwann die Augen aufgehen. Der muss erkennen, wie sinnlos Gewalt ist. Wie Gewalt zerstört. Wie Gewalt vernichtet - andere und sich selbst. Trunken vor Hass und Alkohol: Nein. Trunken vor Freude: Ja.

Freude haben, Freude zeigen, Feste feiern - auch das gehört zum Christentum.

Die Euro 08 soll ein Fest werden, ein Fest für uns alle! Ein Fest für die Gäste und ein Fest für die Gastgeber, ein Fest für Österreich und ein Fest für die Schweiz.

Ich weiss, dass nicht alle Freude haben an diesem Fest. Ich weiss, dass es ein Leben ausserhalb des Fussballs gibt und ganz sicher eines nach der Euro 08…

Ich weiss, dass es viele Euro-08-Skeptiker gibt, denen der ganze Rummel zu viel, ja zu wider ist. Ihnen sei empfohlen, das Angebot der Kirche anzunehmen. Die Kirchen stehen den Menschen offen, egal wie sie zum Fussball stehen! Sie sind Räume der Stille. Oasen der Ruhe. Nutzen Sie diese Chance. Oder nutzen Sie die Chance, auf unsere Besucherinnen und Besucher aus aller Welt zuzugehen. Sie werden sehen, dass die
Euro 08 viel mehr ist als nur Fussball!

Noch einmal: Die Euro 08 soll ein Fest werden! Einen wesentlichen Anteil daran haben die vielen Tausend Volunteers. Hunderte freiwillige Helferinnen und Helfer sind hier im Grossmünster. Ich grüsse Sie, und ich danke Ihnen!

Unser Land basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.
Die Miliz ist eines unserer Markenzeichen. Das Markenzeichen einer wachen, engagierten Zivilgesellschaft. Sie funktioniert deshalb so gut, weil viele Bürgerinnen und Bürger freiwillig mehr tun als der Durchschnitt. Die Miliz mobilisiert die besten Kräfte aus allen Schichten unserer Gesellschaft. Auch an der
Euro 08.

Sie, meine Damen und Herren Volunteers, Sie geben dem Gastland Schweiz ein Gesicht. Ihre Umsicht, Ihre Fürsorge, Ihre Hilfsbereitschaft, Ihre Freundlichkeit, Ihr Lachen werden dem Fussballfest den letzten Schliff geben. Ihre Präsenz wird dazu beitragen, dass wir ein friedliches Fest feiern können. Deshalb ist die Bezeichnung Botinnen und Boten des Friedens verdient. Eine noblere Aufgabe gibt es nicht.

Ich wünsche Ihnen alles Gute!

Uns allen wünsche ich, dass wir am 29. Juni sagen können:
Wie schön - um Himmels Willen - dass die Euro 08 bei uns war!
Wie schade - um Himmels Willen - dass die Euro 08 schon vorbei ist.
Was immer wir tun - um Himmels Willen - soll allen zum Guten gereichen!

Über die direkte Verbindung zwischen Fussballrasen und Himmel