Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrter Herr Direktor,
Sehr geehrte Damen und Herren.

„Die Industrie müsste gefördert werden, aber die blühende Industrie müsste ihrerseits den Staat unterstützen." Die Forderung von Voltaire hat nichts an Aktualität eingebüsst. Gerade in der globalisierten Welt mit dem harten Kampf um Standorte, Firmensitze, Kostenvorteile und Arbeitsplätze steht die Frage nach staatlichen Rahmenbedingungen im Zentrum der Wirtschaftspolitik.

Ich bin mir bewusst, dass wir dabei der Industrie – ganz besonders der Maschinenindustrie – viel zu verdanken haben. Die Maschinenindustrie ist ein wichtiger Schrittmacher der Modernisierung in der Schweiz. Zwischen 1900 und heute ist das produzierte Volumen von Gütern und Dienstleistungen etwa um das 13-fache gestiegen. Der sozialpartnerschaftlich erarbeitete Arbeitsfriede hat sich als Erfolgsmodell etabliert. Die Reallöhne sind stark gewachsen, wir haben alle von steigenden Einkommen profitiert. Unser Vorsprung in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation ist eng verknüpft mit der Industrie. Das Image der Schweiz, Swissness, basiert zu einem wesentlichen Teil auf der industriellen Präzisionsarbeit – von der Wasserturbine bis hin zur neusten Solarzelle. Durch die Optimierung der Prozesse, dank technologischen Entwicklungen und mit der Erschliessung neuer Märkte konnte sich der Sektor trotz Globalisierung und der Verschiebung der Produktions- zur Dienstleistungswirtschaft behaupten. Kurz: Die Industrie hat einen wesentlichen Anteil an der Erfolgsgeschichte Schweiz.

Heute präsentiert sich die Schweiz in einer hervorragenden Verfassung. Die wirtschaftliche Dynamik der einzelnen Staaten spiegelt sich dabei in den bekannten Ranglisten zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit. So ist Irland im Ranking des IMD von Rang 24 im Jahr 1992 auf Rang 5 im Jahr 2000 aufgestiegen, liegt mittlerweile aber wieder auf Rang 12. Anders die Schweiz: In der Rangliste des WEF standen wir in den 80-er Jahren stets auf Rang 2 oder 3 und fielen dann 2001/02 auf Rang 15 bis wir uns 2007/8 wieder den 2. Platz erarbeitet haben.

Im diesjährigen Aussenwirtschaftsbericht, der soeben vom Parlament verabschiedet wurde, haben wir uns intensiv mit der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz auseinandergesetzt. Der Begriff der Wettbewerbsfähigkeit steht dabei für die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, im internationalen Wettbewerb dauerhaft den Erfolg ihrer Unternehmen sichern und den Wohlstand ihrer Bevölkerung steigern zu können. Unsere gute Position verdanken wir der hohen Innovationskraft und hohen Qualitätsorientierung der Schweizer Unternehmen, dem stabilen und transparenten institutionellen Umfeld, der gut ausgebauten und zuverlässigen Infrastruktur, der vergleichsweise attraktiven Steuerpolitik und natürlich dem flexiblen, durch die Einführung der Personenfreizügigkeit durch weniger Engpässe gekennzeichneten Arbeitsmarkt. Die Schweiz bietet heute als Standort Lebensqualität, Wohlstand und eine hohe Beschäftigungsquote. Wir sind attraktiv!

Allerdings dürfen wir uns nicht auf dieser Geschichte ausruhen. Wenn wir die Zukunft erfolgreich gestalten wollen, dann sollten wir uns an Voltaire erinnern.

Nur gemeinsam – Staat und Wirtschaft – können wir im internationalen Wettbewerb bestehen. Nur gemeinsam sind wir in der Lage, Beschäftigung und Lebensqualität in der Schweiz zu fördern. Gefordert sind daher Wirtschaft und Politik in drei Bereichen:

• Erstens müssen wir Antworten auf die Veränderung der Märkte finden.

• Zweitens haben wir uns mit innovativen Ansätzen mit der Ressourcenproblematik – speziell im Bereich Energie – zu befassen.

• Drittens haben wir dafür zu sorgen, dass Gesellschaft und Wirtschaft über genügend qualifizierte und kompetente Mitarbeitende verfügen.

Meine Damen und Herren, Sie alle kennen die politischen Instrumente, mit denen wir den ersten Teil von Voltaire’s Forderung – „die Industrie müsste gefördert werden" – erfüllen können. Es ist die Wachstumspolitik des Bundesrates, mit der wir das hohe Kostenniveau senken, den Unternehmensstandort aufwerten und für eine lohnende Erwerbsbeteiligung sorgen wollen. Es ist die aussenwirtschaftspolitische Strategie, mit der wir ein enges Netzwerk zu bestehenden und zu neuen Märkten knüpfen. Und es sind die Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation, mit denen wir qualitativ hervorragende Fachkräfte heranbilden wollen.

Die guten Rankings dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass wir eine hohe Regulierungsdichte der Produktmärkte und eine vergleichsweise schwache Wettbewerbsintensität im Inland mit letztlich hohen Lebenshaltungskosten ausweisen. Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeiten werden sich in der Schweiz kaum wesentlich steigern lassen, daher liegt der Schlüssel zu wirtschaftlichem Wachstum in weiteren Produktivitätsverbesserungen und einer weiteren Öffnung der Märkte.

Wir profitieren massgeblich von Wachstum und Öffnung von Drittstaaten. Wenn Deutschland und China produktiver werden und wirtschaftlich wachsen, so nützt dies der Schweiz. Deshalb müssen wir uns der globalen Veränderung der Wirtschaftsgeographie stellen. Und das Ziel dieser Wirtschaftspolitik ist klar: Wir wollen unseren Lebensstandard erhalten, unsere sozialen Errungenschaften finanzieren und das Bildungsniveau steigern.

Gleichzeitig sichern wir uns mit dieser grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ab. Zum einen garantieren wir so einen freien Marktzugang für unsere Export-Wirtschaft. Zum anderen können wir uns auf ein international verbindliches Regelwerk abstützen, mit dem wir beispielsweise gemeinsam gegen Fälschungen und Piraterie oder Korruption vorgehen können. Gemeinsame Herausforderungen rufen nach gemeinsamen Antworten.

Eine globale Herausforderung ist auch die sich abzeichnende Ressourcenknappheit in den Bereichen Erdöl, Metall, Agrarrohstoffe und Wasser. Insbesondere der Erdölmarkt bleibt angespannt. Im letzten Jahr belief sich die globale Erdölnachfrage auf 86 Millionen Fass pro Tag. Angeboten wurden jedoch nur 85,5 Millionen Fass. Und auch hier führt nur ein gemeinsames Vorgehen zum Ziel. Wir alle kennen die Faktoren, die zur heutigen Situation geführt haben: die grosse Nachfrage nach Rohstoffen in Schwellenländern wie China und Indien, rückläufige Fördermengen sowie – zu einem kleineren Teil – spekulative Anlage-Strategien.

Dabei besteht wegen der steigenden Preise zumindest aus Schweizer Sicht derzeit noch kein Grund zur Panik, auch wenn der Benzinpreis um 2 Franken pro Liter pendelt. Wie sich die Situation entwickeln würde, wenn der Ölpreis bis 2009 auf 250 Dollar pro Fass steigen würde, wie dies Alexei Miller, Chef des russischen Energiekonzerns Gasprom, erwartet, lässt sich heute schwer abschätzen. Schwarz malen sollten wir nicht, gefordert sind wir aber so oder so! Sonst haben wir morgen, spätestens aber übermorgen, ein grösseres Problem, weil unserer auf Erdöl und Stahl aufgebauten westlichen Gesellschaft plötzlich die Grundlage fehlt. Es ist Zeit und eine gute Gelegenheit für einen Technologieschub.

Wir müssen nach neuen, innovativen Technologien sowie effizienteren Nutzungsmöglichkeiten Ausschau halten. Ford, beispielsweise, hat bereits gehandelt und die Produktion der grossen Benzinfresser reduziert. Und in der Schweiz wurde die Entwicklung neuer Motoren lanciert; als Joint Venture zwischen dem Paul Scherrer Institut (PSI) und der Belenos Clean Power AG. Gehandelt hat auch der Bundesrat und eine energiepolitische Strategie beschlossen, die sich auf vier Säulen stützt: Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke und Energieaussenpolitik. Die wichtigste Massnahme ist dabei der sparsamere, effizientere Umgang mit Energie.

Es geht dabei nicht um einen Verlust an Komfort, aber um intelligentere Nutzung, bessere Prozesse, neue Technologien.

• Jede eingesparte unnötige Kilowattstunde ist billiger und umweltschonender als der Bau neuer Kraftwerke.

• Jeder eingesparte Liter Heizöl oder Benzin verringert die Treibhausgasemissionen und die Auslandabhängigkeit der Schweiz.

• Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde Prozessenergie erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft und fördert die Entwicklung neuer Technologien.

Angesichts des weltweiten Energiehungers und der damit verbundenen Preissteigerungen sollte die Industrie hier ihren Focus setzen. Wer neue Prozesse, effizientere Maschinen und Methoden entwickelt, dem eröffnet sich ein grosser Markt. Für Schweizer Know-how ein Eldorado, das es zu nutzen gilt! Es lohnt sich hier zu investieren. Für den nationalen Konsum von Energie vor allem in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Geräte wird der Bundesrat noch Ende Jahr den Aktionsplan Energie beschliessen. Die eigentlichen Innovationsleistungen aber muss die Privatwirtschaft selber erbringen.

Parallel dazu sind die erneuerbaren Energien zu fördern. Dabei bleibt für uns Wasserkraft die wichtigste einheimische, erneuerbare Energie zur Stromversorgung. Gleichzeitig gilt es neue Energiequellen vermehrt zu nutzen und sie in markfähige Produkte zu verwandeln. Wenn der Ölpreis weiter in dieser Form ansteigt, und das ist nicht unrealistisch, dürfte die Sonnenenergie schon in wenigen Jahren konkurrenzfähig sein. Wir haben in der Schweiz Fachleute mit dem entsprechenden Know-how und wir haben Unternehmen mit der richtigen Technik.

Auf allen drei Ebenen – Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke – ist der Schweizer Technologiestandort dank hohen Forschungs- und Entwicklungs-Investitionen der Unternehmen gut positioniert. Es braucht aber auf allen drei Ebenen noch mehr Investitionen. Sie können dabei von den Budgets von „EnergieSchweiz", dem Nationalfonds und den Hochschulen profitieren. Mit insgesamt 532 Millionen Franken – 130 Millionen mehr als in der Vorperiode – kann die KTI in der laufenden Kreditperiode 2008 bis 2011 KMU’s unterstützen, dass neues Wissen noch schneller aus den Labors in Produkte umgesetzt und auf den Markt gebracht werden kann.

Mit einem offenen Innovationsklima können wir, wie bei der Wasserkraft zum Pionierland für neue Technologien werden, mit Forschung unsere Erdölabhängigkeit reduzieren oder erdölbasierte Materialien sogar ganz substituieren.

Die Herausforderungen durch die Öffnung der Märkte oder durch die Ressourcenverknappung sind für uns eine Chance; eine Chance gescheitere und innovativere Lösungen zu finden. Leider entspricht es der menschlichen Natur, erst unter steigendem Leidensdruck zu handeln.

Wir dürfen den Leidensdruck aber nicht zu gross werden lassen. Wir müssen heute handeln. Es ist unumgänglich, dass wir uns zu neuen Innovationsleistungen empor schwingen, und zwar in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Weil wir weder Rohöl-Reserven noch reiche Goldadern haben, müssen wir uns auf unser Wissen, unsere Bildung und unsere Forschungs- und Entwicklungsleistungen abstützen. Deshalb fasse ich Innovationsförderung auch sehr weit, über den engeren technologischen Bereich hinaus. Innovation beginnt im Kopf, bei der Ausbildung jedes Einzelnen, in den Schulen und Hochschulen und in jedem Unternehmen.

Mit kreativem Freiraum und Leistungsbereitschaft müssen wir den Nachwuchs fördern, und das möglichst früh. Gemeinsam mit den betroffenen Branchen müssen wir neue Schwerpunkte setzen, sensibilisieren und Berufsfelder attraktiver gestalten. Wenn wir unsere Wachstumsziele, unsere Energieziele erreichen wollen, brauchen wir mehr Maschinenbauer, mehr Informatiker, mehr Ingenieure. Indem wir eigenen Talente fördern, können wir dem derzeitigen Mangel an Fachkräften entgegenwirken. Zusammen mit diesen neuen Berufsfeldern und mit der Personenfreizügigkeit verfügen wir über ein hervorragendes Instrumentarium, um die Schweizer Industrie für die Energiewelt 2020 fit zu halten.

Meine Damen und Herren, der Begriff „postindustrielles Zeitalter" ist wie eine Schlagzeile aus der Boulevard-Presse: massiv zugespitzt. Die Industrie und ganz besonders die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie ist in der heutigen Wirtschaft nach wie vor ein sehr starkes Segment. Allein mit Bankern, Versicherern und Anwälten lässt sich keine gesunde Volkswirtschaft bauen. Es braucht eine Vielfalt der Branchen und es braucht eine produzierende Industrie.

Es braucht den technischen Nachwuchs und eine Jugend, die sich für Technik und für Naturwissenschaften begeistern lässt. Es braucht aber auch innovative neue Arbeitsmodelle, die eine optimale Balance von Familie und Arbeit ermöglichen. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, die nicht an den Landesgrenzen halt macht. Es braucht schliesslich Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich mit innovativen Ideen, vorausschauenden Projekten und kalkuliertem Risiko für eine ständige Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft einsetzen.

Ich danke Ihnen – ganz im Sinne Voltaire’s – für Ihre Unterstützung.

Industrie, Energie und Staat im postindustriellen Zeitalter