Sehr geehrter Herr Bundespräsident
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin
Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident
Sehr geehrte Damen und Herren Ständeräte
Sehr geehrte Damen und Herren Nationalräte
Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin
Sehr geehrte Herren Landammänner
Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsräte
Sehr geehrte Damen und Herren Kantonsräte
Sehr geehrte Herren Parteipräsidenten
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaft, Politik und Kultur
Liebe Verwandte, Freunde und Gäste

Bundespräsident Pascal Couchepin hat das Amt des Bundespräsidenten bis heute während insgesamt 711 Tagen ausgeübt. Sein zweites Präsidialjahr habe ich intensiv miterlebt.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Pascal: Du hast den Bundesrat in einem schwierigen und ereignisreichen Jahr souverän und mit Weitsicht präsidiert. Du hast dem Geschehen im Inland jederzeit und aus nächster Nähe den Puls gefühlt. Du hast zudem auch die Brücken ins Ausland geschlagen, die für ein Exportland wichtig sind. Und Du hast personale Fragen wie meinen unerwarteten Ausfall zur Chefsache gemacht. Für Deine Präsidentschaft danke ich Dir einvernehmlich mit meinen Kolleginnen und Kollegen herzlich. Ich kenne kaum einen schweizerischen Politiker, der das natürliche Kräftespiel dieses so feinnervigen und doch so kraftwurzeligen Landes derart beherrscht wie Du.

Meine Damen und Herren: Bundespräsident Couchepin hat das Präsidialamt in diesem Jahr zum zweiten Mal inne. Soweit werde ich es nicht bringen. Geschweige denn auf ein sechsmaliges Präsidium wie weiland die Herren Bundesräte Emil Welti und Karl Schenk im 19. Jahrhundert. Dazu müsste ich über 100 Jahre alt werden, dabei ununterbrochen dem Bundesrat angehören und in schöner Regelmässigkeit ins Präsidium gewählt werden. Eine solche Häufung von Präsidialfeiern möchte ich niemandem zumuten, obschon ein zünftiges Fest von Zeit zu Zeit nicht schadet.

Die Wahl der Bundespräsidentschaft erfolgt jeweils im tiefsten Winter, ganz nahe am kürzesten Tag. Wäre nicht die von Glitter, von Tannzweigen und mit Kerzen durchflutete Weihnachtszeit, wir hätten es mit der düstersten Phase des Jahres zu tun. Die Optimisten, zu denen ich gehöre, sehen darin aber vor allem eine Chance: Es wird von jetzt an nämlich wieder aufwärts gehen. Die äusseren Bedingungen von Kalender und Meteo werden nämlich von Tag zu Tag freundlicher.

Wir spüren gegenwärtig die Abkühlung des weltwirtschaftlichen Klimas. Machen wir uns also nichts vor: Wir stehen vor einem schwierigen Jahr. Nach einer Reihe von sprudelnd warmen Jahren ist es in der Wirtschaft kälter geworden. Sie ist zwar nicht gerade dem Winterschlaf verfallen, aber jedenfalls frostig umnebelt. Deshalb hoffen wir, die Wirtschaft gehorche - ähnlich den Jahreszeiten - ihrem eigenen konjunkturellen Zyklus. Einem Zyklus, welcher ihr jeden Tag wieder einen Strahl Wachstum beschert. Wir alle wünschen uns, dass es wieder wärmer wird, dass ein neuer Frühling kommt.

Die gestrige Wahl bedeutet in meinem Leben ein markantes Ereignis. Es ist nämlich mein insgesamt zwanzigstes Präsidium in Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport. In diesen vier Welten habe ich Wichtiges gelernt. In der Wirtschaft das Führen von Menschen sowie das Optimieren von Ressourcen. Im Sport die Gesetze von Wettkampf und Fairness mit Einschluss des Bodychecks. In der Kultur die feineren Saiten und im weitesten Sinne die Lebensfreude. Und erst recht in der Politik habe ich seit meinem Wieder-Einstieg vor zwölf Jahren Eindrückliches über unser Land, seine Institutionen und seine Menschen erfahren.

Dieses zwanzigste Mandat hat mit politischer Führung zu tun. Das Wesentliche in der politischen Führung besteht erstens im Bewahren von Übersicht und Ruhe. Die Politik verlangt von uns zweitens Tugenden wie Toleranz, Augenmass und Gemeinsinn. Wir müssen drittens für unsere Überzeugungen einstehen, aber zu Lösungen Hand bieten und dabei kompromissfähig und kompromisswillig sein. Wir müssen schliesslich Ansichten, aber auch Einsichten haben und das eine vom anderen unterscheiden.

Gemäss alter Tradition werden Bundespräsidium und Vizepräsidium der Reihe nach allen Mitgliedern des Bundesrates übertragen. Anders gesagt: Ein Bundespräsident muss keinen Lehrgang mit Abschlussprüfung bestehen, nein: Ein Bundesrat kann diesem Amt fast nicht entgehen, wenn er oder sie nur lange genug im Rat gesessen ist. Immerhin zeigt die Geschichte, dass Bundespräsidentenwahlen auch umstritten ausfallen können. Ich danke der Bundesversammlung dafür, dass sie mir diese Art von Turbulenz erspart hat. Ich nehme an und erwarte eigentlich, dass sich in einem Präsidialjahr nicht alle Turbulenzen so einfach vermeiden lassen.

Heute, am Tag nach meiner Wahl, sind zwei Fragen zu beantworten. Die erste lautet: wie werde ich das Amt ausüben? Die zweite lautet: Was habe ich mir für das Jahr 2009 vorgenommen?

Zur ersten Frage, derjenigen nach meinem Verständnis des Bundespräsidentenamtes: Die verfassungsmässige Rolle des Bundespräsidenten brauche ich nicht näher zu umschreiben. Er leitet vor allem die Sitzungen des Bundesrates. Die eigentliche Bedeutung des Bundespräsidenten liegt aber anderswo.

Im Vordergrund steht die Pflege des Kollegiums. Unterschiedliche Meinungen und gute Zusammenarbeit schliessen sich nicht aus. Das gilt erst recht in schwierigen Zeiten. Ich denke nicht einmal so sehr an die Finanzkrise, sondern an die zunehmende Komplexität der Politik in einer globalisierten Welt. Der politische Alltag spielt sich heute nämlich immer mehr auf einem grossen Schauplatz nationaler und internationaler Spielbühnen ab. Bundesräte müssen auf jeder dieser Spielbühnen präsent sein. Der Bundespräsident muss sein Auge auf das Gesamtgeschehen richten. Es ist seine Aufgabe, das Spiel im Fluss zu halten und für den roten Faden zu sorgen. Gleichzeitig ist er aber weiterhin selber Akteur in seinem eigenen Departement, und schliesslich nimmt er eine Reihe von Repräsentationspflichten wahr.

Zur zweiten Frage, derjenigen nach meinen Zielen für das Präsidialjahr: Wenn ich wüsste, wie sich das Jahr ausnimmt, wäre diese Frage leicht zu beantworten. Wir kennen zwar den politischen Kalender, und wir kennen unsere Jahresziele. Aber die prägenden Momente meines Amtsjahres stehen heute noch in den Sternen. Doch bereits jetzt weiss ich: Ich werde allenthalben die Vorzüge unseres Landes, und namentlich die bewährten Schweizer Qualitäten, hervorheben. Diese sind nämlich die Grundlage für unseren Wohlstand und für unseren Erfolg im Ausland. Ich werde als Bundespräsident für unsere schweizerischen Werte einstehen, für unsere Demokratie, unseren Föderalismus, unseren Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft. Und vor allem will ich für die Menschen dieses Landes da sein. Bei all dem werde ich - auch in schwierigen Momenten - den appenzellischen Humor nicht verlieren und hoffentlich im Rückblick auf mein Präsidialjahr dereinst gut appenzellisch sagen können: Ade bin i loschtig gse ond ade bi de Lüüte!

Wie immer das Präsidialjahr auch verlaufen wird, eines ist sicher: Unsere Schweiz hat dank des Behauptungswillens, dank guter Ausbildung ihrer Menschen, dank Erfindungsgabe und Fleiss der Wirtschaftenden, sowie mit Eigenschaften wie Gemeinschaftssinn, Freiheitsliebe und Verantwortungsbewusstsein schon manche Krise überstanden. Unser Land ist sogar stets gestärkt daraus hervorgegangen. Das wird künftig nicht anders sein. Diese Zuversicht will ich Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, schon heute mit auf den Weg geben. Ich freue mich auf das Jahr als Bundespräsident und ganz besonders, dass Sie heute alle nach Herisau gekommen sind, um mit mir diesen Tag zu feiern - herzlichen Dank.

Präsidialansprache