Freiwilligkeit als Garantin der Freiheit

Treffe WWF-Vertreter regelmässig, und zwar entweder in Flugzeugen oder in Hotels im Ausland, an Klimakonferenzen.

So im Januar in Nordpolen, in Poznan, wo es heiss ist, weil die Heizungen beweisen: „Wir sind keine Nordlichter!"
So in Abu Dhabi, wo es immer eiskalt ist, weil die Klimaanlagen beweisen: „Wir sind keine Wüstenvölker!"
Diese jeweiligen Klimaautonomien haben doch immerhin eine Gemeinsamkeit:

Sie führen regelmässig zu Erkältungen der Kongressteilnehmer.

Ich danke Ihnen deshalb für den wohltemperierten Empfang. Die Heizung ist wohl nicht vollständig CO2-neutral, aber die Schweiz war ja auch nie vollständig neutral.

Ich bin gerne hierher gekommen. Muss an so manche Veranstaltung, und nicht jeder wohne ich mit gleicher Begeisterung bei. Hier aber bin ich freiwillig und freue mich.

Genau genommen, freue ich mich gerade deshalb umso mehr, hier zu sein, weil es meinem freien Willen entspricht, weil ich mich in meiner Entscheidung frei fühlte.

Das ist wohl der springende Punkt:

Freiwilligkeit ist das Korrelat der Freiheit.

Das heisst einerseits:

So wie wir Menschen nach Freiheit streben, so nutzen wir auch unseren freien Willen, unsere Freiwilligkeit. Was wir freiwillig tun, tun wir gerne.

Wer sich freiwillig engagiert, empfindet Befriedigung oder Erfüllung dabei (egal ob in Verein, Kultur, NGO usw.). Wer alten oder kranken Menschen hilft, tut dies, weil er überzeugt ist, dass es gut ist, anderen zu helfen. Und weil es ihm ganz einfach selbst gut tut, Gutes zu tun.

In dieser Freiwilligkeit liegt eine grosse Kraft. Freiwilligkeit ist seit jeher das Grundwasser gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Freiwilligkeit leistet die Voraussetzungen, damit überhaupt staatliche Rahmenbedingungen erstellt und dass sie dann auch befolgt werden.

z.B. die Sozialwerke: Sie entstanden durch Folgen der Industrialisierung (arbeitsteilige Gesellschaft, Entstehen der Arbeiterklasse), beruhen aber auf der Tradition des freiwilligen Helfens (verankert in Familien, Dorfgemeinschaften, Kirchen etc.).
oder die institutionalisierte Entwicklungshilfe, die auch deshalb abgestützt ist, weil zunächst christlich motivierte Schwestern und Mönche, später viele Bürgerinnen und Bürger privat, also freiwillig auszogen und Armen halfen. Heute unterstützen wir vielleicht Hilfswerke, ermöglichen also Freiwilligkeit in einer professionelleren und systematischeren Weise.
das gilt auch für den Schutz der Umwelt: das freiwillige Engagement von einzelnen Menschen, von NGOs wie dem WWF sensibilisierte andere, sich gegen die Bedrohung einzelner Tierarten einzusetzen, für den Regenwald oder die Meere. In vielen Fällen bildet diese freiwillige Sensibilisierung die Grundlage für die Durchsetzung politischer Massnahmen.

Freiwilligkeit ist das Korrelat zur Freiheit.

Das gilt auch umgekehrt: Freiheit ist das Korrelat zur Freiwilligkeit.

Nutzen wir die Freiheit nicht, stirbt sie. Nutzen wir den freien Willen in der Freiheit nicht, wird er stranguliert durch die Feinde der Freiheit. Unterbleibt freiwilliger Einsatz im Sozialbereich, in Umweltfragen, in Hilfe und Rettung, treten Vorschriften, Diktate und Reglemente in Kraft, welche die Freude der Freiwilligkeit erlahmen lassen. Das gilt auch für die Umweltpolitik:

Die Freiwilligkeit ist Garantin der Freiheit.

Der freiwillige Verzicht

Etwas freiwillig zu tun, ist lustvoll. Weniger leicht fällt es uns, etwas freiwillig nicht zu tun, auf etwas zu verzichten.

Eigentlich müssten wir ja alle wissen, dass der weltweite Fleischkonsum eine der Ursachen ist für den Wasser- und Ernährungsmangel in vielen Gegenden der Welt. Dennoch gelingt der freiwillige Verzicht nur wenigen.

Wer gerne Auto fährt, verzichtet nur ungern darauf. Aber einige wenige tun es dennoch, freiwillig, weil Sie sich der negativen Folgen des motorisierten Individualverkehrs bewusst sind.

Wenn man den PR-Verführern der Autoindustrie glauben würde, verzichten sie damit in schier unvorstellbarer Weise auf ihre persönliche Freiheit. PR hat Auto zu einem Symbol individueller Freiheit gemacht. Doch wer dennoch verzichtet, entdeckt plötzlich neue Freiheiten.

Mit dem Verzicht, persönliche Freiheit vollständig in Anspruch zu nehmen, geben wir der Freiheit ihren Gehalt.

Masslosigkeit gefährdet die Freiheit

Viele Menschen verzichten freiwillig darauf, alles, was ihnen Freiraum ermöglichen würde, vollständig in Anspruch zu nehmen. Sie setzen der eigenen Freiheit Grenzen, zum Beispiel dort, wo sie die Freiheit anderer beeinträchtigen würden.

Und würden dies alle tun, lebten wir in einer idealen Welt. In einer solchen Welt

würde das Zivilgesetzbuch genau einen Paragraphen umfassen (Treu und Glauben);
das Strassenverkehrsgesetz wäre noch kürzer, es bestünde aus dem Satz: „Es gilt Rechtsverkehr."  - je nach politischem Zeitgeist.
So bräuchte niemand eine Offroader-Initiative zu lancieren, weil es niemandem einfiele, einen Hummer zu kaufen;
in einer solchen Welt gäbe es keine masslosen Banker mehr, sondern nur noch Banquiers, die mit Augenmass und Nachhaltigkeit wirken, so wie das nach der Reformation auch ein halbes Jahrtausend möglich gewesen ist.

In einer solchen Welt leben wir nicht.

Gerade im Umweltbereich haftete jenen, die freiwillig auf gewisse Dinge verzichteten, zudem lange ein lustfeindliches Verweigerer-Image an.

Das hat sich geändert: Heute stehen gar Lifestyle-Trends für umweltbewusstes Verhalten: Slow Food z.B., oder die so genannten LOHAS („Lifestyle of Health and Sustainability"), die mit bewusstem Konsumverhalten Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern.

(Als ich studierte, war in der Zentralbibliothek Umweltschutz nur unter der Rubrik „Hobby" zu finden.)

Und so hat in der Schweiz für viele Menschen das GA mehr Sexappeal als ein Auto.

Das Ganze hat bloss einen Haken: Diese vielen sind immer noch deutlich in der Minderheit.

Selbst in der privilegierten westlichen Welt verzichtet die Mehrheit der Menschen darauf, für die Umwelt freiwillig auf persönliche Freiheiten zu verzichten.

Wie viel freiwilligen Verzicht können und dürfen wir also von der Bevölkerung eines Schwellenlandes wie Indien erwarten, wo das Billigauto TATA auf den Markt kommen soll, das gleich viel kostet wie ein GA?

Und was wollen wir erwarten vom aufstrebenden China, das seinen rapide steigenden Energiebedarf immer noch zu fast 80 % mit dem Verbrennen von Kohle deckt und wo nach wie vor keine Umweltbewegung existiert?

Deshalb wissen wir: Wenn wir unsere Hoffnung allein auf die Freiwilligkeit abstützen, werden wir der Klimaerwärmung nicht beikommen. 

Massnahmen gewährleisten die Freiheit

Deshalb können wir uns nicht allein auf Freiwilligkeit abstützen, deshalb müssen wir Regeln schaffen, die für alle gelten, deshalb braucht es staatliche Rahmenbedingungen.

Freiwilligkeit und staatliche Rahmenbedingungen bilden kein Gegensatzpaar, sondern ergänzen sich.

Das heisst auch, dass es neben NGOs mit ihrer Freiwilligenarbeit zwingend auch den Staat braucht, der verbindliche Regeln erlässt.

Nicht nur neben NGOs braucht es staatliche Verbindlichkeit, sondern auch gegenüber der freien Wirtschaft. Darüber ist man sich heute wieder einiger als auch schon.

Das heisst nicht, dass die Frage nicht berechtigt ist, welche Lebensbereiche wie stark durch staatliche Rahmenbedingungen geregelt sein sollen. Sie stellt sich auch in der Klimapolitik.

Das CO2-Gesetz bringt das Korrelat zwischen Freiwilligkeit und staatlicher Regelung deutlich zum Ausdruck.

Freiwilligkeit und staatliche Rahmenbedingungen in der Schweizer Klimapolitik

Das CO2-Gesetz räumt freiwilligen Massnahmen Priorität ein (Subsidiarität). Nur wenn diese sich als zu wenig effektiv erweisen, wird eine CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen eingeführt.

Werfen wir einen Blick auf die drei wichtigsten freiwilligen Instrumente:

a) Erfahrung mit freiwilligen Zielvereinbarungen der EnAW

Seit 2001 können sich Unternehmen unter dem Dach der EnAW freiwillig zu Reduktionszielen verpflichten.
Die Bilanz ist positiv. Das Instrument der freiwilligen Zielvereinbarungen ist auf grosses Interesse gestossen (1600 Unternehmen beteiligen sich).
Aber: Der Erfolg ist jedoch vor allem dem Umstand zu verdanken, dass eine staatliche Massnahme drohte (Einführung der CO2-Abgabe).

b) Erfahrungen mit dem Klimarappen auf Treibstoffen

Klimarappen ist freiwillige Massnahme der Wirtschaft: Abgabe von 1,5 Rp. pro Liter auf alle Benzin- und Dieselimporte.
Bilanz insgesamt zwiespältig:
- einerseits: Klimarappen kann Reduktionsziele voraussichtlich einhalten;
- anderseits: Grossteil der Reduktion wird durch Zukauf von Zertifikaten im Ausland erbracht. Qualität der ausländischen Klimaschutzprojekte umstritten. Unsicher, ob diese Zertifikate zu einer effektiven CO2-Reduktion führen.
Und: Auch dieses (zeitlich befristete) Instrument wurde nur aufgrund einer drohenden staatlichen Massnahme eingeführt (CO2-Abgabe auf Treibstoffe).

c) Erfahrungen mit der Zielvereinbarung mit auto-schweiz

Freiwillige Zielvereinbarungen mit auto-schweiz (Absenkung des durchschnittl. Treibstoffverbrauchs von Neuwagen) wurden nicht erreicht (trotz ergänzender Einführung der Energieetikette und der Zunahme von Dieselfahrzeugen).
Bilanz also negativ. Dieses freiwillige Instrument hat also nicht funktioniert: es braucht daher verbindliche Begrenzungsziele oder Emissionsvorschriften, um das Ziel erreichen zu können.

Diese freiwilligen Instrumente haben teilweise also Wirkung entfaltet, teilweise aber nicht. Insgesamt zeigte sich aber bereits 2004, dass die Schweiz ihre CO2 Ziele mit freiwilligen Massnahmen alleine nicht erreichen würde. Deshalb wurde eine CO2-Abgabe auf Brennstoffen per Anfang 2008 eingeführt werden.

(Obwohl es dabei alles andere als logisch war, auf die Einführung einer CO2-Abgabe bei Treibstoffen zugunsten des Klimarappens zu verzichten.)

Es gibt viele Gründe, weshalb mit freiwilligen Massnahmen alleine kein wirksamer Klimaschutz erreicht werden kann. Einen Grund liefert McKinsey, also eine Organisation, die nicht im Verdacht steht, Umweltlobbying zu betreiben:

d) Gebäudesanierungen

McKinsey-Bericht zum Potenzial der CO2-Reduktionen in der Schweiz: Das Potenzial im Gebäudebereich ist am grössten.
Die Studie legt dar, dass die Reduktionspotentiale nicht automatisch / freiwillig realisiert werden, sogar wenn Reduktionen Gewinn abwerfen würden, weil
- Investitionen für Hauseigentümer kurzfristig sehr hoch sind und der Gewinn nur sehr langsam zurückfliesst.
Sogar McKinsey kommt deshalb zum Schluss: Freiwilligkeit und Markt lösen das Problem nicht. Staatliche Rahmenbedingungen sind nötig, also technische Vorschriften, Anreizsysteme.

Post-Kyoto-Ausblick

Deshalb ziehe ich für die Post-Kyoto-Phase ein CO2-Gesetz vor, welches die CO2-Reduktion mit verbindlichen Massnahmen v.a. im Inland erreichen will.

Wie Sie wissen, hat der Bundesrat aber zwei Varianten in Vernehmlassung gegeben. Die so genannte Variante Klimaneutralität will die CO2-Reduktion in erster Linie über den Markt im Ausland erreichen (internationaler Zertifikatehandel).

Welche der beiden Varianten letztlich beschlossen wird, ist noch völlig offen. Gewisse Parteien haben klare Positionen, insbesondere in den Mitteparteien gehen die Meinungen aber noch weit auseinander. Entsprechend intensiv werden Interessenverbände lobbyieren (und wie erfolgreich das sein kann, weiss auch der WWF).

Auch mit dem besten CO2-Gesetz wird die Schweiz aber die Klimaerwärmung nicht stoppen können; sie ist ein globales Problem.

Deshalb wissen wir alle, wie wichtig die Klimakonferenz in Kopenhagen Ende dieses Jahres ist. Es muss der internationalen Staatengemeinschaft gelingen, geschlossen ein Kyoto-Nachfolgeabkommen zu ratifizieren. Wir wissen, wie schwierig es ist, einen solchen globalen Konsens herzustellen, und ich bin nicht der einzige, der hofft, dass der neue Präsident der Vereinigten Staaten einen Beitrag dazu leisten wird.

Hoffen wir also gemeinsam, dass der WWF seinen jährlichen Kyoto-Apéro nächstes Jahr umbenennen kann, hoffen wir, dass Sie nächstes Jahr einladen zum Kopenhagen-Apéro.

Freiwilligkeit, Freiheitlichkeit und staatliche Rahmenbedingungen im Klimaschutz