Ganz herzlich möchte ich den diesjährigen Preisgewinnern gratulieren. Sie haben an einem harten Auswahlverfahren teilgenommen und haben sich darin als effizientes, gut geführtes und leistungsorientiertes Unternehmen ausgezeichnet. Es stimmt mich optimistisch, dass in einer Zeit, in der so oft und so gerne auf den freien Markt und auf den Wettbewerb geschimpft wird, mit einer derart würdigen und gut besuchten Veranstaltung ein offenes Bekenntnis zu Leistung und Wettbewerbsgeist abgelegt wird.
Ihre Tagung haben Sie der Frage gewidmet, ob Geschwindigkeit ein Erfolgsfaktor oder eine Illusion sei. Die Frage ist nicht neu. Der griechische Philosoph Zenon hat sich schon im 5. Jahrhundert vor Christus mit Raum, Zeit und Geschwindigkeit befasst. Von seinen zehn Widerspruchsthesen kennen Sie bestimmt jene von Achilles und der Schildkröte. Zenon rätselt darüber, wie der schnelle Athlet das langsame Tier im Wettlauf besiegen könne:

Die Schildkröte startet mit Vorsprung. Bevor Achilles die Schildkröte überholen kann, muss er das Tier zuerst einholen. In der Zeit, die er dafür benötigt, hat die Schildkröte aber einen neuen, wenn auch kleineren Vorsprung gewonnen. Achilles muss also erst wieder aufholen. Ist ihm auch das gelungen, hat die Schildkröte wiederum einen – noch kleineren – Vorsprung gewonnen, und so weiter. Der Vorsprung, den die Schildkröte zu jedem Zeitpunkt hat, wird gemäss Zenon zwar immer kleiner, bleibe aber dennoch immer ein Vorsprung, sodass sich der schnellere Läufer der Schildkröte zwar immer weiter nähern, sie aber niemals einholen und somit auch nicht überholen könne.

Ist Geschwindigkeit nun ein Erfolgsfaktor oder eine Illusion? Wie Zenon meint, ist sie beides:

Geschwindigkeit ist Erfolgsfaktor und Illusion. Stellt sich die Frage, ob und wie sich die Gedankenspielerei aus der Antike auf unsere Zeit übertragen lässt.

Die Geschwindigkeit als Erfolgsfaktor
Die Geschwindigkeit ist tatsächlich ein Erfolgsfaktor: Wenn man schneller ist als der Konkurrent oder Gegner, dann ist man im Vorteil. In der politischen Kommunikation ebenso wie im Militär oder in der Wirtschaft.
Vergleicht man die Welt von heute mit der Welt vor hundert oder tausend Jahren, so kann man einfach feststellen: Die Geschwindigkeit hat über die Langsamkeit triumphiert. Das heisst doch nichts anderes, als dass die Menschen einen grossen Teil ihrer Innovation und Tatkraft darauf verwendeten, schneller zu werden, Arbeit und Leben zu beschleunigen. Der Mensch erfand Maschinen und technische Hilfsmittel, er verbesserte die Infrastruktur: der Fussweg wurde zum Schienenstrang, zur Autobahn, zum Datenhighway. Eine Nachricht, die früher nur innert Tagen übermittelt werden konnte, benötigt heute vom Absender zum Empfänger den Augenblick eines Mausklicks.
Den Antrieb zu diesem Geschwindigkeits-Effort muss ich Ihnen als Wirtschaftskader nicht erläutern. Er ist ökonomischer Natur: Die Zeit ist ein knappes Gut, also muss es optimal und effizient genutzt werden. Entgegen der Ausdrucksweise kann man Zeit nicht "gewinnen"; aber man kann durch den Einsatz von Maschinen, schnellen Transportsmitteln und zeitverzugsloser Kommunikation ihre Nutzung optimieren.
Man kann es auch so formulieren: Was wir auch immer tun, die Zeit verrinnt, die Zeit läuft uns davon und irgendwann ist unsere Zeit abgelaufen. So makaber es tönt: Die Gewissheit der eigenen Endlichkeit treibt uns an. Deshalb versuchen wir, Zeit zu sparen, Zeit bestmöglich zu investieren, mit den begrenzten Mitteln ein Optimum zu erreichen. Denn der Spardruck durch die Zeit ist total und absolut. Es gibt keine Budgeterhöhung und keinen Nachtragskredit. Aber gerade diese Erbarmungslosigkeit der schwindenden Zeit hat die Menschheit derart innovativ gemacht. Das ist übrigens der beste Beweis, dass Spardruck auch Anreiz und Antrieb schafft - diese Aussage dürfen Sie durchaus politisch verstehen.

Die Geschwindigkeit als Illusion
Die Geschwindigkeit ist also tatsächlich ein Erfolgsfaktor. Aber Geschwindigkeit ist - oftmals - auch eine Illusion: Geschwindigkeit beeindruckt, unabhängig von Ziel, Zweck und Resultat. Das kann gefährlich sein. Nehmen wir das Beispiel Schweiz. Häufig ist zu hören, unser Land sei zurückgeblieben, mache die Entwicklungen nicht mit, passe sich nur zögernd an, kurz: es hinke der Zeit hinterher.
Wenn man Geschwindigkeit zum alleinigen Wertmassstab erklärt, stimmt das. Die Schweiz ist langsam. Je demokratischer ein Staatswesen ist, desto langsamer fällt es seine Entscheide. Eine direkte Demokratie ist nie schnell. Eine direkte Demokratie ist immer langsam. Der schnellste Staat ist die zentralistische Diktatur.
Aber die Geschichte zeigt uns, dass die langsame Entscheidfindung der Schweizer Politik uns vor den ganz grossen Irrtümern der Menschheit bewahrt hat. Während andere schnell und unbedacht Bewährtes über Bord warfen, hat die Schweiz zugewartet, die Entwicklung beobachtet, nachgedacht, kontrovers diskutiert und dann abgestimmt.
Möglich, dass wir so die eine oder andere Chance verpasst haben. Gewiss ist aber, dass wir so Katastrophen und Kriegen entgangen sind und als erfolgreicher Kleinstaat überlebt haben.
Ich plädiere deshalb für mehr Mut zur seriösen, durchdachten, wohlüberlegten Langsamkeit in den wichtigen staatspolitischen Entscheiden. Aus historischen Gründen. Aber auch weil ich selbst nur zu oft Geschwindigkeit in der Politik als Illusion erlebt habe.
Die Gesetzesproduktion läuft auf so hohen Touren, dass für eine vertiefte und fundierte Bearbeitung in den Kommissionen und Räten kaum mehr Zeit bleibt. Diese übersetzte Geschwindigkeit wirkt sich in dreifacher Hinsicht folgenschwer aus:

Erstens leidet darunter die Qualität der Gesetzgebung, denn immer wieder werden unausgegorene Vorlagen durchgewinkt.

Zweitens können vermeintliche Zeiteinsparungen langfristig betrachtet erhebliche Zeitverluste verursachen. Denn das Tempo allein darf nicht mit Effizienz gleichgesetzt werden. Im Gegenteil zeigen überstürzt beschlossene Vorlagen - etwa das einstige Grossprojekt Armee 95, die Einführung der Mehrwertsteuer oder das Gesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, mit seiner unklaren Kompetenzregelung -, dass Konfusion, Rechtsunsicherheit, administrativer Leerlauf und volkswirtschaftlicher Schaden entstehen kann. Letztlich mühen sich dann Regierung und Räte jahrelang mit Reparaturarbeiten ab.

Und drittens verlagert sich durch starken Tempodruck die Macht weg von den gewählten Volksvertretern im Parlament hin zur Administration. Die Überlegenheit an personellen Ressourcen erlaubt ihr, den Takt vorzugeben und auf die politische Agenda einzuwirken. Das unterspült die direkte Demokratie und mehrt die Macht der Verwaltung.

Die Geschwindigkeit in Wirtschaft und Politik
Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich mich von der Entwicklungsgeschwindigkeit im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich beeindruckt gezeigt, jetzt übe ich Kritik an der Geschwindigkeit im staatspolitischen Bereich - da mag man fragen, was denn eine solch klare Unterscheidung rechtfertige.

Die Rechtfertigung der Unterscheidung liegt im Wesen unserer freiheitlichen Ordnung begründet:

Entschieden bin ich der Meinung, Sie müssen als Unternehmer oder Manager die Möglichkeit haben, für Ihre wirtschaftliche Tätigkeit die Geschwindigkeit selbst zu bestimmen. Sie kennen Ihr Umfeld, Ihre Konkurrenten, Ihre Stärken und Schwächen, Sie definieren Ihre Ziele. Und Sie tragen die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg.
Ihnen die Geschwindigkeit des Handelns von politischer Seite vorzuschreiben, ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt; nur dann, wenn ein öffentliches Interesse direkt berührt ist. Im Grundsatz muss stets die unternehmerische Freiheit gelten. Das heisst, dass ein schlanker und zurückhaltender Staat die Rahmenbedingungen schafft, die Ihnen die unternehmerische Entfaltung ermöglicht. Eingriffe, Kontrolle und Reglementierungen; aufwendige, teure und langwierige Verfahren binden Sie zurück, drosseln Ihre Geschwindigkeit und nehmen Ihnen damit diesen wichtigen Erfolgsfaktor im Wettbewerb. Nach meinem Dafürhalten geht der Staat heute mit der Begrenzung der unternehmerischen Freiheit weit, sehr weit, zu weit.
Oft zwingt der Staat Privatleuten und Unternehmern Langsamkeit auf: Bei Baueingaben, bei Bewilligungsverfahren aller Art; mit bürokratischen Hürden, mit realitätsfernen Bestimmungen, mit überzogenen Einsprachemöglichkeiten. Das ist falsch und nachteilig; es gefährdet unsere Innovationskraft und damit den Werkplatz Schweiz und den Wohlstand unseres Landes. Die Bürgerinnen und Bürger müssen im privaten und wirtschaftlichen Bereich ihr Lebenstempo selbst bestimmen können.
Ich halte das private und wirtschaftliche Leben der Bürger und die Politik klar auseinander - Geschwindigkeit hat in diesen beiden Bereichen eine ganz unterschiedliche Wirkung und Bedeutung: So sehr ich mich gegen eine Verpolitisierung unternehmerischer Entscheide wehre, so entschieden trete ich für den Erhalt unserer demokratischen Strukturen und Abläufe in den öffentlichen Angelegenheiten ein. Denn: Zu Ihrer unternehmerischen Freiheit gehört das Scheitern. Misserfolg ist ebenso wie Erfolg Ausdruck der freien Marktwirtschaft. Den Untergang von Unternehmen mag man bedauern, er ist letztlich aber nichts anderes als die natürliche Folge des Wettbewerbs. Unser Gemeinwesen Schweiz dagegen darf nicht scheitern.
Die Schweiz ist unser gemeinsames Projekt, das sich auf der Grundlage unserer Tradition, unserer Geschichte, unserer gemeinsamen Werte und Überzeugungen über Jahrhunderte entwickelt hat. Dieses gewachsene Staatswesen ist weder austauschbar noch ersetzbar. Wenn es untergeht, ist es für immer untergegangen. Und denken wir vor allem daran: Die Projektsidee der Schweiz heisst seit über siebenhundert Jahren Freiheit. Welche Ideologie sollte denn an ihre Stelle treten? Sie sehen, jenseits unserer bewährten Eigenstaatlichkeit öffnen sich Abgründe, die sich kaum ausloten lassen. 
Im Gegensatz zu Unternehmen brauchen wir als Land nicht den schnellen und glänzenden Erfolg, sondern das langfristige und solide Weiterbestehen. Ich habe vorhin die eigene Endlichkeit als Motivation für immer höhere Geschwindigkeit genannt. Gerade dieser Antrieb fällt weg, wenn es um unser Staatswesen geht. Wenn wir uns als die Verwalter der Landesgeschicke sehen, denen die Schweiz vorübergehend anvertraut wurde, wird der eigene Zeithorizont relativiert. Es geht um Generationen und Epochen, nicht um Quartalszahlen. Und mit historischen Massstäben gemessen, haben auch unsere direktdemokratischen Prozesse eine durchaus akzeptable Geschwindigkeit. Keinesfalls dürfen wir uns unter einem politisch erzeugten Zeitdruck zu überstürzten und vorschnellen Entscheiden, zu blinder Geschwindigkeit, zu unüberlegtem Aktivismus hinreissen lassen.
Das aktuelle Zeitgeschehen beweist, wie leicht man zu stolpern und zu fallen droht, wenn Grundsatzfragen nicht mit der nötigen Ruhe angegangen werden. Zentrale Prinzipien unseres Staates, wie der Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger - und dazu gehört das Bankkundengeheimnis - dürfen nicht in einer Blitzdebatte diskutiert und in einer Atmosphäre der Hast und Hektik leichtfertig zur Disposition gestellt werden.
Wir haben den freiheitlichen Rechtsstaat und die direkte Demokratie von den Generationen vor uns übernommen und wollen sie den Generationen nach uns weitergeben. Deshalb ist in den zentralen staatspolitischen Fragen Vorsicht und Vortasten geboten, das Abwarten und Abwägen notwendig, das Zaudern und Zögern berechtigt - und der freie, unverfälschte, unbeeinflusste Volksentscheid eine zwingende Notwendigkeit. Wir Bürgerinnen und Bürger stellen die Weichen für die Zukunft unseres Landes nach reiflichem Nachdenken und lebendiger, offener Diskussion gemeinsam an der Urne.
Zenon hat mit dem Zeitbegriff geschickt gespielt. Natürlich kann ihn der Physiker leicht widerlegen. Dem Staatsbürger dagegen sei geraten, Zenon immer dann ernst zu nehmen, wenn es um wichtige Grundsatzfragen unserer Gesellschaft geht. In solchen entscheidenden Angelegenheiten ist Geschwindigkeit eine Illusion.
Und wenn dem einen oder anderen mit Blick auf Entwicklungen im Ausland bange wird, die Schweiz sei vielleicht nicht ganz auf der Höhe der Zeit, dann sei ihm mit einem andern Satz aus der Frühzeit der abendländischen Kultur geantwortet. Im neuen Testament geht Matthäus noch weiter als Zenon und erklärt die hohe Geschwindigkeit gar zum Nachteil und die Langsamkeit zum Erfolgsfaktor, wenn er sagt: "Die Letzten werden die Ersten sein" - Zumindest aus der Schweizergeschichte lässt sich hierzu keine Antithese formulieren.

Geschwindigkeit als Erfolgsfaktor und Illusion