Der Referent behält sich vor, vom Redetext stark abzuweichen!

Die Medien überraschen uns fast tagtäglich mit neuen Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft. Grosse Veränderungen zeichnen sich ab. Und immer klarer erkennen wir: Die Finanzkrise ist auch eine Ideologiekrise. Die Vorstellung, wonach die Welt nichts anderes als ein grosses Dorf und ein universeller Marktplatz sei, muss überdacht werden.

Und sie wird überdacht. Nicht immer so, wie wir das als vernünftig begrüssen. Nicht immer so, wie wir das als massvoll und zweckmässig beurteilen. Aber wir sehen, dass viel Kraft, dass viel Vehemenz in diesem Umdenken liegt.

Etwa in den USA, wo die neue amerikanische Regierung das milliardenschwere Konjunkturprogramm unter das Motto "Kauft amerikanische Produkte" stellt. Etwa in Frankreich, wo der Staat die eigenen Autokonzerne Renault und Peugeot gegen fremde Konkurrenz finanziell aufrüstet. Etwa in Italien, wo der Verkauf volkswirtschaftlich wichtiger Unternehmen an ausländische Investoren durch die Politik verhindert wird. Etwa in Spanien, das seine Energiekonzerne gegen die Übernahme durch ausländische Konkurrenten sichert. Etwa in England, welches die Personenfreizügigkeit der EU nicht vollständig umsetzen will. Etwa in Deutschland, wo der Bundestag soeben ein verschärftes Aussenwirtschaftsgesetz erlassen hat, das der Regierung ein Vetorecht gegen Beteiligungen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen ab einem Anteil von 25 Prozent einräumt. 

Gerade jene Länder, die sich als die Bannerträger der weltumspannenden Marktliberalisierung profilierten und in unzähligen Verhandlungsrunden den Abbau der nationalstaatlichen Grenzen betrieben, führen jetzt Schutzmassnahmen für die eigene Wirtschaft ein. Damit gerät die Freihandelsideologie ins Wanken. Wenn ich die gegenwärtigen Entwicklungen betrachte, frage ich mich, ob der universelle Marktplatz denn überhaupt jemals mehr war als ein Konstrukt kühner Ideen mit einer Fassade gut tönender, aber letztlich leerer Bekenntnisse.

Die grossen Industrienationen profitierten in den letzten Jahren vom Abbau der Handelsschranken. Jetzt, nach dem Finanzkollaps, jetzt, nachdem die führenden westlichen Volkswirtschaften am Rande des Abgrundes taumeln, spüren sie selbst die Nachteile der weltweit liberalisierten Handelsbeziehungen. Deshalb werden die Ideale von gestern bereits heute wieder durch protektionistische Abwehrmassnahmen abgelöst. 

Es bringt uns nicht weiter, den Egoismus anderer Länder zu kritisieren. Und eigentlich ist es doch nur natürlich, dass diese für ihre Wirtschaft und für ihre Bevölkerung eintreten, dass diese für ihre Interessen kämpfen. Deshalb urteile ich nicht - Ich stelle nur fest.

Interessenvertretung ist das Wort der Stunde. Interessenvertretung ist nichts Negatives, nichts Verwerfliches - Solange die Gepflogenheiten zivilisierter Staaten eingehalten werden. Es ist doch klar, dass eine Regierung den Interessen ihres Volkes Priorität einräumt. Es kann doch gar nicht anders sein. Ja, es darf doch gar nicht anders sein - Wessen Interessen sollte sie denn sonst vertreten? Etwa die eigenen, persönlichen und parteiischen? Oder die Interessen anderer Staaten?

Wir können doch nicht erwarten, dass die Amerikaner, die Franzosen, die Italiener, die Spanier, die Engländer, die Deutschen einer Ideologie die Treue halten, die sie noch tiefer in die Krise zu stossen droht.

Landesinteressen betonen
Nur: Auch wir sollten wieder vermehrt unsere Interessen vertreten. Auch die Schweiz muss für ihre Anliegen kämpfen. Es ist naiv zu glauben, andere würden sich für uns einsetzen. Spätestens aber jetzt - jetzt, da wir sehen, dass in einer globalen Wirtschaft auch die Krisen global sind; jetzt, da uns die weltweite Rezession vor Augen führt, wie gefährlich sich Abhängigkeit auswirken kann; jetzt, da uns ein neuer Protektionismus in Amerika und Europa daran erinnert, dass halt doch jeder sich selbst am nächsten ist, jetzt sollte auch bei uns wieder Nüchternheit einkehren. 

Diese Krise muss uns Anstoss sein, ganz grundsätzlich über die Schweiz, über ihre Aussenpolitik und ihre Aussenhandelspolitik, über ihre Wirtschaftspolitik und auch über ihre Landwirtschaftspolitik nachzudenken. Ich spreche bewusst von Wirtschaft und Landwirtschaft. Selbstverständlich ist die Landwirtschaft ein wichtiger und gewichtiger Teil der Wirtschaft. Aber sie ist mehr. Weit mehr. Und deshalb ist kurzsichtig, wer sie allein nach den Kriterien der Ökonomie beurteilt.

So ist auch der Auftrag in der Bundesverfassung weit gefasst; Artikel 104 Absatz 1 verlangt von der Landwirtschaft, dass sie einen Beitrag leistet
zur sicheren Versorgung der Bevölkerung;
zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft;
zur dezentralen Besiedlung des Landes.

Ich gehe noch weiter - Ich sehe die Bedeutung unserer Landwirtschaft noch umfassender, noch grundsätzlicher. Unsere Landwirtschaft ist Teil der Kultur, der Tradition und der Werte - Die Landwirtschaft ist Ausdruck unserer schweizerischen Identität. Und erst die Versorgungssicherheit macht uns frei und unabhängig. Darum ist die Landwirtschaft das Fundament unserer Eigenstaatlichkeit.

Heute glauben manche, Gemüse, Milch, Brot und Fleisch kämen aus der Migros oder dem Coop; es sei ein Naturgesetz, dass die Regale und Kühltruhen immer gefüllt seien. Die Ressourcen der Welt stünden uns auf immer und ewig zu Billigstpreisen zur Verfügung.

Daran ist zu zweifeln. Die dramatischen Preisanstiege für Grundnahrungsmittel im letzten Jahr - Mais in Südamerika, Reis in Asien - zeigen uns, dass die Vorratskammern der globalisierten Welt nicht immer prall gefüllt sind.

Lebensmittelskandale - ich denke etwa an die chemisch verseuchte Milch in China - führen uns vor Augen, dass billige Produkte häufig auch mangelhafte Produkte sind.

Und der rabiate Gasstreit in Osteuropa ruft uns in Erinnerung, dass Politik immer Machtpolitik ist. Der, der etwas hat, ist besser dran, als der, der etwas braucht - Wer garantiert uns, dass Importabhängigkeit dereinst nicht auch als Waffe gegen uns eingesetzt werden könnte?

Die Bedeutung der Landwirtschaft erkennen
Blicke ich auf die Landwirtschaftspolitik der letzten Jahre zurück, so zweifle ich, ob man sich der staatspolitischen Wichtigkeit eines intakten, gesunden Nährstandes bewusst ist.

Mehr Dynamik brauche es in der Landwirtschaft, mehr Anpassung an die internationalen Märkte, heisst es. Oder: Ein Entgegenkommen an unsere Handelspartner sei wichtig, es sei immer ein Geben und Nehmen, da müssten eben auch die Bauern Konzessionen machen.

Ich bin der Letzte, der Ineffizienz und ausufernde Verwaltungsbürokratie verteidigt. Aber: Die Lösung darf nicht darin bestehen, dass wir unsere Landwirtschaft schutzlos einer ausländischen Agrar-Grossindustrie ausliefern. Und ich möchte davor warnen, blind dem Zeitgeist zu folgen und eine Entwicklung einzuleiten, die sich kaum mehr rückgängig machen liesse.

Ich fühle mich der Landwirtschaft nicht nur durch meine Herkunft und meinen bisherigen Beruf verbunden, sondern auch durch meine neue Aufgabe verpflichtet: Als Chef des VBS gehört es zu meinem Auftrag, mich mit Sicherheitsfragen im weiten und im grundsätzlichen Sinn auseinanderzusetzen. Und für mich ist die heimische Lebensmittelproduktion sicherheitsrelevant. Ohne einen gesunden Nährstand, ohne prosperierende und produktive Landwirtschaft gefährden wir unsere Souveränität. Unabhängigkeit verträgt sich nicht mit Abhängigkeit - am allerwenigsten wenn es um die Nahrung geht, die wir jeden Tag zum Leben und Überleben brauchen.

In der Landwirtschaftspolitik stehen uns wichtige Weichenstellungen bevor - für unseren Nährstand, aber ebenso für alle, denen eine intakte Natur etwas bedeutet; für alle, die sich mit gesunden Lebensmitteln ernähren wollen und für alle, die vom Wert einer sicheren Versorgung in Krisenzeiten überzeugt sind. Betroffen sind Land und Landwirtschaft!

Ich möchte Sie deshalb ermahnen, politisch auf der Hut zu sein. Beziehen Sie Position, seien Sie politisch engagiert, hinterfragen Sie offizielle Sichtweisen.

Mir liegt ein blühender Bauernstand in einer freien Schweiz am Herzen - Ich nehme an, Ihnen auch!

Weichenstellung in der Agrarpolitik - Damoklesschwert über Land und Landwirtschaft