Heute feiern wir das Ende einer ewigen Baustelle. Doch das Bauen an unserem Nationalstrassennetz nimmt kein Ende.

Zwar habe ich in meiner Amtszeit schon über 40 Tunnels eingeweiht. Doch noch nie war ich bei an einer so effizienten Eröffnungsfeier wie heute: vier Tunnel auf einen Streich.

Und nicht genug. Das ganze Land will noch mehr Tunnel, jede Region will ihren Tunnel, jede lärmgeplagte Agglomeration verlangt einen Tunnel, jeder Autofahrer in einem Stau wünscht sich seinen Tunnel und wenn sich der Stau im Tunnel bildet, wünscht er sich eine Verbreiterung des Tunnels, zuerst des Bareggtunnels dann des Gubristtunnels und es werden mehr dazu kommen.

(Ich weiss nicht, ob das stimmt, aber kürzlich habe sogar jemand eine zweite Tunnelröhre beim Gotthard verlangt.)

Tunnel sind teuer, und vielleicht gerade deswegen beliebt. Wenn wir sie eröffnen dürfen, strömen wir alle herbei. Manchmal kommt es gar zu einem Stau der vielen Tunnelväter und -mütter. Wir Politiker haben eben zu grossen Röhren ein besonders nahes Verhältnis.

Das Interesse an der Eröffnung der Westumfahrung ist auch deshalb so gross, weil wir so lange auf diesen Tag warten mussten. Am WestFest erscheint daher einer, der die prähistorischen Anfänge der Westumfahrung mit seinem Namen symbolisiert, er heisst sinnigerweise Ötzi.

Der heutige Tag ist nur die Etappe einer Baustelle, die nie zu Ende sein wird.

Der Aus- und Umbau unseres Strassennetzes ist eine Baustelle,
die stetige Erweiterung unseres Schienennetzes ist eine Baustelle,
eine Stadt, die nicht baut, ist keine Stadt,
ein Land, das nicht baut, entwickelt sich nicht,
Politik, die nicht denkt und nicht umdenkt, ist keine gute Politik.
 Die Welt und das Leben sind eine Baustelle.
Selbst die Finanzwirtschaft ist eine Baustelle. („Unsere Baustelle“ kürzt man ja ab mit UBS).

Statt des Symbols Baustelle pflegte man früher auch Panta Rhei zu sagen: alles fliesst. Doch unter Panta Rhei verstehen wir am  Zürichsee unterdessen etwas anderes: Alles geht bachab.

Eine Baustelle des politischen Umdenkens

Die Westumfahrung ist auch eine Baustelle des politischen Umdenkens. Bevor hier unter dem Uetliberg mit Baggern und Walzen gebaut wurde, wurde auf unserer politischen Baustelle gebaggert und gebohrt.

Ende der 60er Jahre kamen die ersten Umweltbewegungen auf,
1972 wurde der erste Bericht des Club of Rome publiziert,
in den 80ern führten wir die Debatten über das Waldsterben,
in den 90er Jahren wurde die Klimaerwärmung zum dominierenden Umweltthema.

Das Umweltbewusstsein nahm zu, und so wurde der motorisierte Strassenverkehr, den wir zuvor von links bis rechts unbeschwert genossen, zunehmend in Frage gestellt.

Die Geschichte der Westumfahrung ist ein Abbild dieser Entwicklungen.

Die Umweltbewegung kam auf und trotzdem nahm der Strassenverkehr unaufhörlich zu - das Bedürfnis nach Ruhe und gesunder Luft aber auch.

Niemand möchte an einer verkehrsreichen Durchgangsstrasse wohnen,
 niemand möchte Abgase einatmen,
niemand möchte durch Täler spazieren, die von sechsspurigen Autobahnen zerschnitten sind
aber fast alle wollen wir weiter Auto fahren.

Dieses Verhalten ist widersprüchlich - die Geschichte der Westumfahrung ist ein Abbild dieser Widersprüche.

Und so überrascht es nicht, dass die Westumfahrung 30 Jahre lang die Gemüter erhitzte. Die Frage, ob man für oder gegen die Umfahrung war, wurde zur Schicksalsfrage. Die Frage der Linienführung spaltete Familien und Parteien.

Diese Fragen und Widersprüche wurden gemahlen in unserer politischen Mühle der direkten Demokratie, und so war denn die Westumfahrung auch

eine Baustelle der direkten Demokratie

Auf dieser Baustelle wurde äusserst gründlich gearbeitet:

in endlosen Beratungen und Kommissionssitzungen,
mit Motionen, Beschwerden und Kleeblattinitiativen, aber
auch mit Protestfesten und -konzerten,
mit Videoclips, Warnfeuern und mit Säuliämter Kühen, die vor dem Zürcher Rathaus weideten.

Die Westumfahrung ist ein Kind unsere politischen Systems und was könnte sie also anderes sein - als ein grosser Kompromiss.

Der Kompromiss war ein Ringen um die Nachhaltigkeit der Westumfahrung, sie ist somit auch

eine Baustelle der Nachhaltigkeit

Ein Kompromiss bedeutet zunächst, dass niemand seine Interessen vollumfänglich durchsetzen kann,

anderseits aber auch, dass niemand völlig übergangen wird.

Rücksicht auf die Umwelt

Wer sich für eine möglichst umweltfreundliche Westumfahrung eingesetzt hat, wird sich heute immerhin über die vielfältigen ökologischen Ersatzmassnahmen freuen:

Flüsse und Bäche wurden renaturiert,
es wurde mehr Wald aufgeforstet als gerodet,
der Lebensraum für Tiere wurde wo immer möglich erhalten, z.B. mit Passagen für Wildtiere oder Rampen für Fische.

Die Umweltmassnahmen zeigen, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Wir loben sie und sind zurecht stolz darauf. Aber ich will auch nicht übertreiben und ins Schwärmen geraten. Vergessen wir bei allem umweltpolitischem Lob nicht: Die Westumfahrung ist kein Naturpark, sondern eine Strasse.

Man sagte mir, auf deutschen Strassenkarten sei die Westumfahrung bereits eingetragen als Wildwest-Umfahrung für Kavallerietruppen.

Sozialverträglichkeit

Zur Nachhaltigkeit gehört auch der soziale Aspekt.

Die Bewohner des Sihltals, von Birmensdorf, des Knonauer Amts sowie einiger Zürcher Stadtquartiere werden durch die Westumfahrung und die A4 durch das Knonauer Amt entlastet: weniger Verkehr, weniger Lärm, weniger schlechte Luft. Die Westumfahrung erhöht die Lebensqualität für viele Menschen.

Wo die Westumfahrung nicht in Tunneln verläuft, dämmen andere Schutzmassnahmen den Lärm ein, und morgen am WestFest wird nun erstmals getestet, ob die Schutzwände wirklich den Lärm abhalten, man hat dafür extra DJ Bobo engagiert.

Sozialverträglichkeit heisst auch: möglichst viel Sicherheit, und so sind denn die Tunnels der Westumfahrung mit modernster Sicherheitstechnik ausgestattet.

Es werden am Westfest auch bereits die Massnahmen von Via Sicura angewendet: Das Formel-1-Auto wird morgen eingezogen und verschrottet.

Ist endlich gut, was lange währte?

Können wir bereits eine Bilanz über die Westumfahrung ziehen? Ist endlich gut, was lange währte?

Sicher ist: Die Westumfahrung ist ein Beispiel dafür, dass wir heute andere, bessere Strassen bauen als früher. Heute beziehen wir die Grundsätze der Nachhaltigkeit mit ein.

Das Werk spiegelt unseren heutigen Wissensstand wider.

Heute befremdet uns die Linienführung von Strassen, die vor 30 oder 50 Jahren gebaut wurden.

Schwamendingen, das Zürcher Y, Roveredo, Bissone nennen wir Sünden der Vergangenheit.

Sind wir so sicher, dass wir heute keine Sünde einweihen?

Man wird in 30 Jahren auch unsere Werke anders beurteilen. Eines Tages werden unsere politischen Nachfolger auch die Westumfahrung bestenfalls belächeln, schlimmstenfalls als Sünde der Vergangenheit bezeichnen. Wir wollen uns darüber nicht grämen, denn die Überzeugungen ändern sich, die Baustelle des Wandels währt ewig.

Zweifellos wird sich in den nächsten 30 Jahren nicht nur die Mobilität, sondern auch die Verkehrs- und Umweltpolitik stark ändern.

Unsere Verkehrspolitik bleibt eine Baustelle

Der Strassenverkehr wird grüner werden. Die Zukunft gehört den Elektroautos.

Das wird den CO2-Ausstoss verringern und die Klimaerwärmung eindämmen. Das wird den Strassenverkehr sauberer, leiser und somit erträglicher machen.

Damit haben wir aber raumplanerisch noch nichts erreicht.

Damit haben wir keinen Stau aufgelöst und die Frage nicht beantwortet, wie wir mit der steten Zunahme des Verkehrs umgehen wollen. Wir werden diese Antworten finden müssen, denn wir stossen an Kapazitätsgrenzen.

Deshalb wollen wir den Verkehr konsequent weiter auf die Schiene verlagern. Allein im Grossraum Zürich sind derzeit folgende Projekte im Bau oder in Planung:

die Durchmesserlinie Zürich (Tiefbahnhof),
die Glattalbahn,
diverse Hochgeschwindigkeits-Anschlüsse im Bahnnetz,
die 4. Teilergänzung der S-Bahn-Zürich.

Aber nur wenn sich Strasse und Schiene optimal ergänzen, können wir die zunehmende Mobilität in den Städten und Agglomerationen bewältigen. Deshalb müssen wir auch die Engpässe auf dem Strassennetz beseitigen.

Dafür stehen im Infrastrukturfonds für die nächsten 20 Jahre 5.5 Mia Fr. zur Verfügung. Um alle Engpässe zu beseitigen, wären allerdings 20 Mia Fr. nötig. Wir stehen also vor einer weiteren Grossbaustelle, nämlich der

Finanzierung unseres Schienen- und Strassennetzes

Mit den Mitteln aus dem Infrastrukturfonds können nur die dringendsten Engpassbeseitigungen finanziert werden, im Grossraum Zürich bei der Nordumfahrung und der Umfahrung Winterthur.

Für zahlreiche andere Projekte fehlt das Geld, z.B. für den Spurausbau am Brüttiseller-Kreuz.

In einzelnen Fällen ist zudem eine Erweiterung des Nationalstrassennetzes unumgänglich.

Am dringendsten sind die Umfahrung Morges/Lausanne und die Glattal-Autobahn. Auch diese sollen möglichst in Tunnels verlaufen, die Kosten sind auf weit über 4 Mia. Fr. veranschlagt. Auch diese Ausbauten sind aber noch nicht finanziert.

Mit den Mitteln, die wir heute zur Verfügung haben, sind wir nicht einmal in der Lage, den Unterhalt unserer Strassen zu finanzieren, denn dieser wird immer teurer.

Ohne zusätzliche Einnahmenquellen können wir aber weder alle Engpässe beseitigen, noch können wir den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sichern, denn auch dieser wird zum Teil aus der Mineralölsteuer finanziert.

Nun wird es ja wohl zum Glück so sein, dass all jene, die betonen, wie wichtig gute Verkehrsinfrastrukturen für unsere Wirtschaft sind, einsehen müssen, dass es nicht ohne Erhöhung der Mineralölsteuer geht.

Aber auch dann gehen uns langfristig die Mittel aus.

Unsere Autos werden immer weniger Benzin und Diesel verbrennen, früher oder später werden sie von Elektroautos abgelöst.

Das freut uns zwar, gleichzeitig versiegt damit die wichtigste Finanzierungsquelle für unsere Verkehrsinfrastruktur, nämlich die Einnahmen aus der Mineralölsteuer.

Es wird wohl gelegentlich eine neue Finanzierung gefunden werden müssen, nämlich eine europaweite Mobilitätsabgabe, die sich nach gefahrenen Kilometern berechnet. Sie wird das heutige System ablösen und die heutige Steuer ersetzen.

Bis das so weit ist, wird allerdings auf den vielen politischen Baustellen noch intensiv gearbeitet werden, auf den Baustellen in Gemeinden, Kantonen und im Bundeshaus, auf der Baustelle des europäischen Kontinentes und vor allem

auf den Baustellen in unseren Köpfen.

Die Verkehrspolitik ist eine ewige Baustelle und das ist gut so.

Wir haben alle diesen Urdrang, uns bewegen zu wollen.

Es ist geradezu der Sinn des Lebens, einen Weg zu suchen, ihn zu gehen und sich zu verändern.

All diejenigen, die heute erleichtert aufatmen und all diejenigen, die sich noch nicht so ganz freuen können, weil sie auf weitere Verbesserungen wie z.B. flankierende Massnahmen hoffen, sollen sich auch darüber freuen, dass wir noch nicht am Ende unserer Erkenntnisse sind.

Wir arbeiten weiter auf einer ewigen Baustelle. Wir haben in dieser Arbeit heute eine wichtige Etappe erreicht und darüber dürfen wir uns freuen.

Die ewige Baustelle