Ich erbringe heute meine Reverenz an Hans Erni.

Meine Reverenz an einen grossen Künstler,

an einen der wichtigsten Künstler der Schweiz, einen Künstler, der Empfinden und Denken mehrerer Generationen innerhalb und ausserhalb unserer Landesgrenzen geprägt hat. Ich will das als Privatmann sagen und nicht in offizieller Funktion als Bundesrat oder Vorsteher des UVEK. Das wäre heikel. Rolf Liebermann sagte:

„Wenn sich die Politik einmischt, ist die Katastrophe schon da."

Die Politik hat sich gegenüber Hans Erni eingemischt und die Katastrophe ist tatsächlich gekommen.

Die Schweiz nahm in den 30er Jahren, als die geistige Landesverteidigung v.a. gegen den Nationalsozialismus gerichtet war, den aufstrebenden Avantgardisten Hans Erni zunächst in ihren Schoss. Er, der schon als junger Künstler mit Picasso bekannt war, mit Kandinsky und Mondrian, erhielt den Auftrag, für die Landesausstellung von 1939 mit einem monumentalen, 100 Meter langen Wandbild die Schweiz darzustellen. Hans Erni war damit gewissermassen zum Staatskünstler geworden.

Bald richtete sich die geistige Landesverteidigung gegen Sozialismus und Kommunismus. Wer die falsche Gesinnung hatte, geriet ins Visier der Politik, auch in der Schweiz. Hans Erni musste erleben, wie kurz der Weg vom Staatskünstler zum Staatsfeind sein kann.

Bei der Mobilmachung, wurde er vom Tarnungsmaler zum Munitionsnachschub umgeteilt (also ins so genannte Todesbataillon). Er erlebte dies als erste politische Abstrafung. (So strafte sich die Schweizer Armee allerdings auch selber ab und verpasste es, nicht nur die beste Armee zu werden, sondern auch die schönste. Wäre Hans Erni Tarnungsmaler geblieben, könnten wir heute bemalte Panzer und Bunker als Kunstwerke verkaufen. Das wäre nicht nur eine pazifistische Botschaft, wir könnten mit dem Erlös auch den Bundeshaushalt und die UBS sanieren.)
Im kalten Krieg setzte sich die Ausgrenzung Hans Ernis fort: 1944 titulierte ihn ein Bundesrat als „Kryptokommunisten". Bürgerliche Zeitungen bezeichneten ihn in grossen Lettern als Staatsfeind.
Von einem Tag auf den andern wurde ihm der Auftrag für die neue Schweizer Banknotenserie entzogen, obwohl er bereits mehrere Jahre daran gearbeitet hatte. Bereits gedruckte Noten wurden eingestampft.
Noch 1950 erklärte der Bundesrat, Hans Erni werde keine staatlichen Aufträge mehr erhalten. Eine Einladung an die Biennale von Sao Paolo wurde verhindert.

Zwei Jahrzehnte wurde Hans Erni von der Schweiz regelrecht geächtet.

Indem die offizielle Politik ihm vorwarf, zu den Idealen des Sozialismus zu stehen, verfiel die Politik selbst einer Ideologie. Sie wollte und konnte nicht unterscheiden zwischen dem Glauben vieler Schweizer Patrioten an eine solidarische Welt und setzte diesen kurzerhand gleich mit dem real existierenden Sozialismus. Wer Kontakte zu kommunistischen Kreisen pflegte und wer an internationalen Friedenskongressen teilnahm, wurde bereits als Bedrohung wahrgenommen. Das war eine ungerechte Verkürzung und sie produzierte viel Unrecht und viele Opfer. Hans Erni war eines von ihnen, obwohl er nie einer Partei angehörte, obwohl gerade er sich auch distanzierte, zum Beispiel von der sowjetischen Intervention in Ungarn.

Erst die Aufdeckung der Fichenaffäre zeigte das wahre Ausmass der Ungerechtigkeiten, denen Hans Erni und andere ausgesetzt waren. (Nein, das ist kein Anlass, mich heute meiner damaligen Rolle als PUK Präsidenten zu rühmen. Die Mauern des kalten Krieges fielen um diese Zeit überall und in ganz Europa wurden ähnliche Absurditäten des kalten Krieges aufgedeckt.)

Die politische Rehabilitation Hans Ernis begann Mitte der 60er Jahre, als an einer Erni-Ausstellung in Schaffhausen zwei Bundesräte sowie die versammelte Armeespitze teilnahmen.

1989 entschuldigte sich Ruth Dreifuss im Namen des Bundesrates für dessen frühere Rolle.

Doch einmal geschaffene Vorurteile halten sich zuweilen hartnäckig. Ich erinnere mich an einen Brief einer Bürgerin an Willi Ritschard: „Wie können Sie ein Bild in Ihrem Büro aufhängen, das von einem Kommunisten gemalt ist, der erst noch einen Porsche fährt?" Willi Ritschard antwortete: „Mir gefällt das Bild."

Aber, und das ist das Versöhnliche und Schöne, trotz Diffamierungen hat sich Hans Erni während all diesen Umwälzungen sein ganzes Leben für den Frieden eingesetzt, den Frieden zwischen den Völkern, den Frieden zwischen den Menschen, den Frieden zwischen Mensch und Natur.

Ich erbringe meine Reverenz an einen Humanisten, der seinen Grundüberzeugungen stets treu blieb, der nie einem Dogma verfiel, nie einer Ideologie.
- Sich treu bleiben kann nur, wer sich verändert. „Alles Lebendige erfüllt sich nur in der steten Überwindung des Bestehenden." Das sind die Worte von Hans Erni.
- Sein Humanismus beruht auf der Überzeugung, dass der einzelne Mensch angewiesen ist auf seine Umwelt. Aus dieser Abhängigkeit leitet sich eine menschliche Verantwortung ab, nämlich der Umwelt etwas zu geben, sie mitzugestalten. Hans Erni hat diese Verantwortung wahrgenommen: Er hat sich für die Natur eingesetzt, für die Menschen, und auch für unseren Staat.
Ich erbringe meine Reverenz an einen Schweizer, der sich für die solidarischen Werte unseres Landes einsetzte und der Schweiz treu geblieben ist.
- Er flüchtete sich nicht in ästhetizistische Beliebigkeit, sondern er mischte sich weiterhin als Bürger ein, mit Kunst als politischem Mittel.
- Mit seinen Bildern, Briefmarken und Plakaten hat sich Hans Erni gegen die atomare Aufrüstung, für das Frauenstimmrecht, gegen die Klimaerwärmung, für Behinderte eingesetzt, immer wieder für Ziele, die wir heute stolz als Errungenschaften betrachten, den öffentlichen Verkehr mit SBB, Postauto und unseren Wanderwegen, den Schutz des Waldes, den Schutz unserer Gewässer und unseren Beitritt in die UNO. Nachhaltigkeit und globale Solidarität also - Hans Erni setzte sich damit auch für die beiden zuständigen Organisationen ein: die UNO und das UVEK ...
- Auf Hans Ernis Plakaten stand die Würde im Vordergrund, die Würde des Menschen, die Würde der Natur. Wir würdigen diese Plakate umso mehr, wenn wir an die Würdelosigkeit mancher politischer Plakate denken, mit denen bei uns in den letzten Jahren Stimmung gegen Menschen gemacht wurde. Solche Plakate beleidigen auch die Politik selbst, denn gute Politik zeichnet sich aus durch Würde und Ästhetik. Es ist ein Unterschied, sich für eigene positive Werte einzusetzen oder die Werte anderer zu zerstören. Es ist ein Unterschied, ob sich ein Plakat mit farbigen Forellen für die Natur einsetzt, oder ob es mit Krähen, die einen Schweizerpass zerhacken, gegen Solidarität kämpft.
Ich erbringe meine Reverenz an einen Rastlosen, der sich immer wieder neu orientierte. Während wir hier eine grosse Retrospektive eröffnen und zurückblicken, schaut Hans Erni unbeirrt nach vorne: Er gestaltet derzeit ein langes Wandbild für die UNO, schlägt so den Bogen von der Landi zur Staatengemeinschaft und weist uns damit einmal mehr den Weg: Nur als Teil der Völkergemeinschaft kann die Schweiz mit dafür sorgen, dass Kriege und Klimakatastrophen verhindert werden.
Und so erbringe ich heute meine Reverenz an einen Bürger, der sich einmischt, der mit seiner Kunst und seiner Menschlichkeit unser Leben mitprägt, der unsere Schweiz stets mitgestaltet hat und sich bis zum heutigen Tag einbringt,
meine Referenz an einen Citoyen, der weiss und uns vorlebt: Nicht Gesetze halten eine Gesellschaft und einen Staat zusammen, sondern die Verbundenheit der Menschen, die Liebe.

Ich verneige mich vor Hans Erni.

Eine Reverenz an Hans Erni