Es gilt das gesprochene Wort!

Wer über Telekommunikation spricht, begibt sich an den Rand der bekannten Welt; wie die alten Seefahrer, die Segel in Richtung terra incognita setzten. Er wagt sich an oder über die Grenze des gesicherten Wissens; dorthin, wo jeden Tag die Landkarte wieder neu gezeichnet werden muss.

Die Entwicklung verläuft so rasend und rasant, so ungestüm und ungebremst, dass jeder Kenntnisstand immer schon gerade wieder veraltet ist; jeder Ausblick, alle Annahmen und Prognosen gleich schon überholt sind. Alles bleibt Vermutung, eben terra incognita. Und gerüchteweise vernimmt man von einem Eldorado.

Das begeistert. Das begeistert all jene, die Bewegen vor Bewahren stellen, die an den Nutzen des Neuen glauben, den Mehrwert mannigfacher Möglichkeiten schätzen, deren Herz für Tempo und Technologie schlägt. 

Aber das irritiert auch. Das irritiert all jene, die gerne wie gewohnt ihr Feld bestellen, welche die Stabilität der Dynamik vorziehen, die lieber verwalten als gestalten, die sich am Messbaren und Kontrollierbaren orientieren wollen. Es irritiert in erster Linie – erlauben Sie mir eine gewisse Pauschalisierung – die Gesetzgeber, also Politiker und die Juristen in der Verwaltung.

Tausch und Austausch prägen die Gesellschaft
Diese Irritation ist zuerst einmal verständlich. Ändert sich die Kommunikation, ändert sich auch die Gesellschaft. Das verunsichert. Kommunikation ist entscheidend für die Gestaltung unseres Zusammenlebens.

Denn Kommunikation ist sozialer Kitt. Ohne Austausch ist Gesellschaft nicht denkbar. Und die Art und Weise, die Form dieses Austausches prägt Denken und Empfinden, prägt Handel und Industrie, prägt Recht und Staatsaufbau, prägt die ganze Gesellschaft.

So stehen die griechische Agora und das römisches Forum für den Austausch von Waren und Gedanken, kennzeichnen aber auch ihre Kultur und Epoche.

Oder die Erfindung des Buchdrucks: Mehr noch als technischer Fortschritt bedeutet sie eine gesellschaftliche und politische Revolution. Erstmals ist eine schnelle und grossflächige Verbreitung von Kritik, Meinung und Argumentation möglich. Gewissermassen ein industrielles Ausmass der Kommunikation. Die örtliche Beschränkung auf Agora, Forum oder Marktplatz wird gesprengt. Das hebt die damalige Welt aus den Angeln, findet in Reformation und Humanismus umwälzenden Niederschlag.  

Freie Diskussion bricht Macht
Seither ist die Geschichte der Kommunikation auch die Geschichte der Kommunikationskontrolle, der Zensur. Mittels päpstlicher Bulle wurde 1487 festgelegt, dass ohne bischöfliche Erlaubnis keine Schrift mehr gedruckt werden dürfe. Heute gilt das Augenmerk der Zensoren der virtuellen Welt. Man denke an die systematischen Razzien auf Internetcafés oder an die Sperre von facebook in gewissen Staaten.

Und doch: So kreativ die Zensoren auch sind, sie hinken und humpeln doch immer nur der Entwicklung hinterher. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Kommunikation einfacher, dass die Verbreitung von Meinungen und Ideen leichter geworden ist. Das ist für jeden Demokraten ein erfreulicher Befund.

Denn davon lebt die Demokratie: Dass jede Bürgerin, jeder Bürger sich mit den verschiedensten Standpunkten auseinander setzen kann. Um diese zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Und sich daraus seine eigene Meinungen zu bilden. Informationsmonopole stehen dem entgegen.

Zwischen Gefahren und Chancen
Gewiss: Der Fortschritt ist nicht per se gut. Mit dem Gebrauch geht der Missbrauch einher. Der Volksmund reimt denn auch: "Als Gutenberg den Druck erfand, der Herrgott ihm zur Rechten stand. Jedoch ohn’ allen Zweifel, zur linken Stand der Teufel."

Nicht nur Wahres und Kluges wird verbreitet, auch Lügen und Dummheiten. Und natürlich erweitert jede technologische Neuerung das Repertoire an Tricks und Täuschungen.

Die internationale Telegraphie hat soeben erst richtig Verbreitung gefunden, da ist sie auch schon ein Instrument der Machtpolitik: Die neue Übermittlungsform verlangt Kürze. Auch was Diplomaten, auch was der Kaiser und sein Kanzler langfädig diskutieren und erwägen, muss in jenem Sommer 1870 für die Fernkommunikation zwischen Deutschland und Frankreich undiplomatisch aufs Wesentliche reduziert werden. Noch absichtlich manipuliert und zum Affront zugespitzt, zündet die Depesche von Bad Ems dann den Deutsch-Französischen Krieg.

Auch die jüngsten Entwicklungen der Informationstechnologie bringen neue Gefahren. Sie bringen uns bislang unbekannte Formen der Kriminalität, der Spionage und Kriegsführung. Einiges lässt sich erahnen. Vor allem aber droht das Unbekannte.

Das ist wie im wilden Westen, jenseits der frontier findet sich nebst dem tüchtigen Pionier auch der outlaw. Und da sehe ich als Verantwortlicher für die Sicherheitspolitik durchaus mein neues Arbeitsfeld berührt. Ich plädiere aber für Analyse statt Angst; für Achtsamkeit statt Aktivismus.

Neue Freiheit im virtuellen Raum
Wie sehe ich die Entwicklung insgesamt? Wem neige ich zu? Den Begeisterten oder den Irritierten?

Wenn schon bei der Erfindung des Buchdruckes Gott und Teufel Pate gestanden haben, möchte ich mir bezüglich der heutigen Entwicklung kein abschliessendes Urteil über Segen oder Fluch anmassen.

Und doch: Als freiheitlich gesinnter Bürger glaube ich an den mündigen und selbstverantwortlichen Menschen. Ich bin optimistisch. Denn die vielen neuen Möglichkeiten der schnellen Kommunikation erschweren Kontrolle und Machtkonzentration. 

„Geben Sie Gedankenfreiheit!“ ruft der Marquis von Posa seinem König in Schillers Don Carlos zu. Er muss seine Forderung noch an eine einzelne Person, an einen Herrscher richten. Dieser entscheidet. Nach Laune und Gutdünken.

Das ist heute anders. Selbst Diktatoren fällt dieser Entscheid so nicht mehr zu. Die Kontrolle über Gedanken und Gedankenaustausch ist ihnen entglitten. Der Marquis von Posa wäre heute weniger auf die Gnade des Herrschers als auf seine online-Verbindung angewiesen. Die Kamera im Mobiltelephon und der Netzzugang machen jeden überall und jederzeit zum Berichterstatter, Zeugen oder Ankläger. Und gleichzeitig zum Leser, Hörer, Zuschauer und Richter.

Die neusten technologischen Entwicklungen lassen die Kommunikation schneller und individueller werden. Der Zugang zur Druckerpresse ist noch kontrollierbar. Die Arbeit in den Redaktionen auch. Die virtuelle Vernetzung von Mobiltelephon und Computer ist es kaum mehr. Jeder kann sich überall, unmittelbar online direkt und zeitverzugslos informieren. Wenn eine autokratische Regierung die Unruheprovinz zur Sperrzone erklärt, wird die Weltöffentlichkeit per Mausklick trotzdem zum Beobachter.

Und die Manipulation von Meldungen und Bildern? Nicht alle auf dieser Welt haben den Olympischen Fackellauf gleich übermittelt bekommen. Die einen sahen Proteste, die andern nur Applaus. Die Scheinwelt von Photoshop bedrängt die Realität. Manchmal. Aber bedrängt nicht noch öfters die Realität die Schweinwelt der Propaganda? Jeder Patzer steht per sofort auf youtube. Abrufbar für jedermann. Bilddokumentarisch festgehalten für die Ewigkeit.

Debatten werden demokratischer
Die Kommunikation erhält eine neue Dimension: Jeder ein Reporter. So dicht und umfassend war noch nie ein Korrespondentennetz. Einzelne lassen sich einschüchtern, verführen, bestechen oder wegweisen. Die Bevölkerung nicht. Einzelne verfolgen gezielt Interessen, berichten einseitig, falsch oder polemisch. Das ist auch beim bloggenden Bürger-Publizisten der Fall.

Nur: Im Gegensatz zum herkömmlichen Journalisten berichtet er nicht exklusiv, sondern als einer von vielen. Er bringt immer nur eine Stimme ein. Dieser kann sofort widersprochen werden. Und so wird sie zum Teil der allgemeinen Diskussion.

Wer an das westliche Ideal der Aufklärung glaubt, daran, dass sich bei offener Diskussion kraft der Vernunft der Menschen die jeweils beste Sichtweise durchsetzt, wird deshalb erwartungsfroh.

So kann man berechtigterweise hoffen, dass die Austauschformen der neuen Medien uns einem uralten demokratischem Ideal näher bringen: Der permanent diskutierenden Volksversammlung, die auf dem neuesten Informationsstand über ihre Geschicke bestimmen kann.

Klar: Da wird nicht immer gesittet und geistreich, fein und feierlich diskutiert. Da wird gestritten und geschrieen. Aber das gehört zur Lebhaftigkeit der Debatte. Wer zu laut schreit, findet bei der Mehrheit kein Gehör und disqualifiziert sich selbst.

Eliten rümpfen die Nase. Aber dieser volksnahe Graswurzeljournalismus ist in Anlehnung an Abraham Lincolns Definition der Demokratie der Journalismus des Volkes durch das Volk und für das Volk.

Machtverschiebung in der Medienlandschaft
Dadurch schwillt der Informationsfluss an. Er tritt über die Wuhr. Das bedauern die, die das Kanalwerk bislang beherrschten. Die grossen Zeitungen, das staatliche Radio, das staatliche Fernsehen.

Denn wir müssen uns bewusst sein: Gewisse Kommunikationsschranken bestanden und bestehen auch in unserer Gesellschaft. Die Medien können Themen lancieren, andere wegblenden. In der öffentlichen Diskussion sind wenige Sprecher, viele nur Hörer. Die veröffentlichte Meinung ist nicht die öffentliche Meinung. Kann und will aber auf diese Einfluss nehmen.

Das alte Ideal der Aufklärung, die Diskussion gleichberechtigter und gleich gut informierter Bürgerinnen und Bürger ist auch bei uns nicht abschliessend verwirklicht.
Das kann sich ändern. Ich hoffe gar: Das wird sich ändern.

Massenkommunikation und Individualkommunikation verschmelzen. Das Internet dient beidem: Ich kann damit telephonieren und e-mail senden, aber auch fernsehen und Radio hören. Umgekehrt kann ich mit dem Mobiltelephon Fernseh-Programme empfangen oder das Internet benutzen.

Da eröffnen sich neue Formen der Diskussion jenseits der engen Leserbriefspalten. Und auch neue Formen der politischen Beteiligung. In blogs und in online-communities. Was uns gerade noch im amerikanischen Wahlkampf verblüffte, hat schon die Schweiz erreicht: Virtuelle Gemeinschaften, die sich einem Anliegen verschreiben. Und plötzlich stehen die Billag-Gebühren unter Druck. Der Preisüberwacher und die Politik müssen sich sputen, um auf die Bewegung aufzuspringen. Eine Bewegung, die aktive Bürgerinnen und Bürger im Internet angestossen haben.

Wir ahnen: Die etablierten Meinungsführer von heute sind die Fortschrittsverlierer von morgen. Unvorstellbar, dass diese Ablösung ohne politischen Kampf erfolgt. Die Positionen sind bezogen. Erste Scharmützel sind im Gange. 

Der freiheitlichen Überzeugung treu bleiben
Eine direkte Beschränkung der neuen Technologien wird von niemandem gefordert. Aber dann doch: Der Strukturwandel hat erst eingesetzt. Da taucht auch schon die Forderung auf: Der Staat müsse ihn bremsen. Die etablierten Medien sollen gestärkt, staatlich gefördert werden. Das Internet raube den Verlagshäusern Werbeeinnahmen. Der Staat solle einspringen.

Selbst Etatisten begegnen den neuen Technologien nicht auf der Verbotsebene. Und gleichwohl: Der Staat steuert. Etwa indem er besteuert. So ist auch für Internet und Handy die Radio- und Fernsehgebühr zu entrichten; neue Technologien werden sofort ins Gebührenkorsett gepresst. 

Ich meine: Die neuen Technologien brauchen Freiraum. Sie sollen sich entwickeln können. Frei von Vorschriften und Belastungen. Ob diese nun technisch, fiskalisch oder sonst wie begründet werden. 
 
Wir betreten Neuland mit der Kommunikationstechnologie, terra incognita. Meine Wünsche und Hoffnungen habe ich dargelegt. Sie richten sich auf die demokratische Diskussion. Eine Diskussion, die nicht auf die Medieneliten in den Redaktionsstuben angewiesen ist. Eine Diskussion zwischen Bürgerinnen und Bürgern. Eine Diskussion, die umfassend, unzensiert, offen, direkt ist.

Zu Beginn habe ich gesagt, dass in diesem dynamischen Gebiet jede Prognose immer gleich schon wieder überholt ist. Ich möchte denn auch keine wagen. Ausser dieser: Wenn wir auf die Herausforderungen der Zukunft mit der Beschränkung der Freiheit reagieren, dann bringen wir uns um die Möglichkeit, diese Zukunft meistern zu können.

Mit neuer Technologie vorwärts zu einem alten Ideal