Allegra

Gentili signore e signori

Werte Anwesende

Eu n'ha grond plaschair da podair tgnair il pled d'avertüra dal di europeic dals monumaints 2009. Siand oriunda da quaista regiun, nempé da Tarasp, ha l'aua per mai üna significaziun fich speciala e unica.

Ich freue mich auch sehr, Sie in der Region Scuol-Tarasp-Vulpera begrüssen zu dürfen.

Zum einen, weil mich mit dieser Gegend seit früher Kindheit her viel verbindet: Von Mai bis Oktober lebte ich jeweils hier in Tarasp mit meiner Familie, im Elternhaus meiner Mutter. „Bonifazius" war unser Tafelgetränk - eu sun dimena creschüda sü cun aua forta - für mich noch heute das beste Mineralwasser. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten. So habe ich mich inzwischen mit den erstaunten Blicken und diplomatischen Kommentaren von Bekannten und Freunden abgefunden, wenn sie das Wasser zum ersten Mal probieren, vor allem, wenn es selbst abgefüllt ist, und der Flaschenboden rostfarbene Sedimente aufweist ... 

Zum anderen freue ich mich, Sie hier willkommen zu heissen, weil der heutige Tag des Denkmals in Graubünden zum Thema „Wasser" nicht ganz zufällig in dieser Region seinen Schwerpunkt hat.

Zwar kann für Scuol-Tarasp-Vulpera - im Gegensatz etwa zu St.Moritz - nicht gerade eine antike Badekultur nachgewiesen werden. Die Mineralquellen von Scuol-Tarasp-Vulpera wurden dennoch sehr früh, nämlich 1369, entdeckt. Und nachdem 1535 bereits Paracelsus Bäder im rätischen Raum besuchte und daraufhin erste medizinische Notizen zu Heilquellen verfasste, wurde Bad Scuol-Tarasp 1553 in der Textsammlung „De balneis - De thermis Rheticis" (von Gulielmus Gratarolus) erstmals auch schriftlich erwähnt. Genauere Studien zu den Heilquellen von Scuol-Tarasp-Vulpera lieferte 1562, nach einem Aufenthalt als Kurgast, ein gewisser Conrad Gessner. Er empfahl, während dreier Tage eine Trinkkur mit Speck und stark gesalzenem Brot abzuhalten. Glücklicherweise überlebte er die Trinkkur, was dem Vernehmen nach nämlich nicht immer der Fall gewesen sein soll, hiess es doch sprichwörtlich: „Halt'er‘s aus, wird er g‘sund, sonst geht er z'Grund".

Das goldene Zeitalter der Bäder begann allerdings erst im 19. Jahrhundert. Dazu trugen wissenschaftliche Analysen der Heilwasser und neue medizinische Erkenntnisse bei. Mit der Gründung der „Tarasp-Schulser AG" 1860 begann der definitive Aufstieg Scuol-Tarasp-Vulperas zum Kurort (Verkauf von Mineralwasser, Bau „Grand Hotel Kurhaus" mit Park, Bau Trinkhalle [Büvetta], Ausbau Kurangebot, Bau der englischen Kirche, des Postgebäudes und des Badehauses). So avancierte das etwas abgelegene Bad des Unterengadins zu einer der bedeutendsten Kuranlagen der Schweiz.

Die Trink- und Bäderkultur war in der Gesellschaft sehr präsent und sichtbar. Davon zeugen sowohl die thermale Architektur als auch diejenige der Kurhotels. Und während die einheimische Bevölkerung noch zu grossen Teilen in der Landwirtschaft tätig war und in mühvoller Handarbeit die steilsten Hänge bewirtschaftete, kaum über fliessendes Wasser, geschweige denn über Bad oder Dusche verfügte, liessen sich die Kurgäste im und mit dem Wasser verwöhnen und flanierten sie in sehr aufwändig gehegten und gepflegten Parks. Während ihrer 21-Tag dauernden Kur hofften sie auf ewige Verjüngung und genossen dabei die Innenräume der Hotels, die Eleganz der Gärten und die musikalische Unterhaltung. Unter den Gästen gab es zahlreiche Leute von Rang und Namen - Industrielle aus dem Ausland, Politiker oder Schriftsteller. Als Einheimische hatte ich nur begrenzten Zugang zu diesem abgeschotteten Mikrokosmos. Aus dem Postauto konnte ich meinem Vater zuwinken, wenn er mich aus der Loge im Hotel Kurhaus Tarasp wahrnahm. Ab und zu durfte ich ihn - diskret - in seinem Reich besuchen. Oder ich durfte, selbstverständlich mit der nötigen Distanz, den Konzerte lauschen, die im Park des Hotels Waldhaus den „Tee-Time" begleiteten.

Eine Vorstellung der besonderen Kuratmosphäre bekommen Sie, wenn Sie heute oder morgen die verschiedenen Örtlichkeiten besuchen. Und vielleicht gelingt es Ihnen sogar, die Stimmung von damals - mit dem Kurorchester, den Aussichtspavillons, den Bibliotheken, Fumoirs und Boutiquen - zu erahnen und einzufangen.

Aber schauen wir nicht nur zurück, sondern auch in die Gegenwart. Sehr erfreulich ist, dass in Scuol-Tarasp-Vulpera noch heute Trink- und Badekuren angeboten und auch rege benutzt werden. Besonders zu betonen ist darüber hinaus, dass Scuol-Tarasp-Vulpera auch in neuester Zeit im Tourismus eine Vorreiterrolle eingenommen hat, denken wir nur etwa an das 1993 neu eröffnete Bad in Scuol, das am Anfang des immer noch andauernden Wellness-Booms steht. Die heilende Kraft des Wassers hat offenbar nichts an Aktualität eingebüsst. Bewährt hat sich insbesondere die Kombination des Elements Wasser mit aktiver, sportlicher Erholung. Die Gäste, die heute zu uns ins Unterengadin kommen, wandern, biken, fahren Ski oder betreiben andere Sportarten. Und heute können - im Gegensatz zu früher - glücklicherweise auch wir Einheimischen das tun.

Ein gutes Beispiel, Vergangenes mit der Gegenwart zu verknüpfen stellt ferner auch das hiesige Kulturzentrum NAIRS dar. Zusammen mit dem Hotel Scuol Palace (ehemals Kurhaus Tarasp) und der Trinkhalle Tarasp (Büvetta) erinnert das 1912 erbaute ehemalige Bäderhaus an die Anfangszeit des Tourismus im Unterengadin. Heute befindet sich in NAIRS ein Kulturzentrum für zeitgenössische Kunst. Hier leben und arbeiten gleichzeitig mehrere Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Sparten und internationaler Herkunft. Daneben ist NAIRS auch ein Veranstaltungsort, Treffpunkt und Ort des Diskurses. Neben zeitgenössischer Kunst stehen auch Aspekte der Vergangenheit und Fragen der Kunst und der kulturellen Identität der Region zur Diskussion. Die aktuelle Sommer-Kunstausstellung thematisiert beispielsweise - welch‘ schöner Zufall - das Wasser.

Diese Beispiele zeigen eindrücklich, dass die Region sich nicht einfach auf früheren Lorbeeren ausruht, indem sie sich einzig auf den klassischen Kurgast konzentrieren würde. Vielmehr probiert die Region mit viel Initiative, Energie und Zuversicht neue Wege aus, findet dabei Nischen und hat damit auch - was letztlich zählt - Erfolg! An uns allen liegt es, diese Bestrebungen zu unterstützen, sei es ganz konkret, finanziell oder ideell.

Eine tragende Rolle spielt dabei auch die öffentliche Hand. Die Bundesbeiträge an die Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege des Bundesamts für Kultur ermöglichen es dem Bundesamt für Kultur beispielsweise, die Restaurierung und Konservierung von Baudenkmälern, die Erhaltung wertvoller Ortsbilder und die Archäologie mit namhaften Beiträgen zu unterstützen. Ähnliche Unterstützung erfahren Heimatschutz und Denkmalpflege durch die Kantone sowie weiteren Beteiligten. Für eine breite Kulturgüter-Erhaltung braucht es aber mehr, nämlich die Unterstützung aller. Und diesbezüglich leistet der „Tag des Denkmals" einen äusserst wertvollen Dienst. Denn er trägt dazu bei, die Bevölkerung für die Denkmäler zu sensibilisieren und zu begeistern. Und nicht nur das: Dank des „Tag des Denkmals" habe ich auch Orte und Einrichtungen anschauen können, zu denen ich sonst keinen Zutritt gehabt hätte - dieser Tag öffnet die Denkmäler somit zu Recht auch der Öffentlichkeit. Den Organisatorinnen und Organisatoren des heutigen Tages möchte ich an dieser Stelle bestens für ihren Einsatz danken und freue mich ausserordentlich, Ihnen bei dieser Gelegenheit die Grüsse der Landesregierung überbringen zu dürfen.

Gestatten Sie mir zu guter Letzt noch einen Hinweis in meiner Funktion als Bundeskanzlerin, habe ich die Rede doch mit meiner persönlichen Beziehung zu Scuol-Tarasp begonnen und möchte ich die Rede nun mit einem Bezug der Bundeskanzlei zur hiesigen Region und zum heutigen Thema - dem Wasser - beenden: Bekanntlich kommt der Bundeskanzlei bei den politischen Rechten eine besondere Rolle zu. So berät sie beispielsweise Initiativ- und Referendumskomitees und organisiert die eidgenössischen Volksabstimmungen und die Nationalratswahlen. Und diesbezüglich durfte sie 1958 erfreulicherweise mitteilen, dass die Volksinitiative „zur Erhaltung des Schweizerischen Nationalparks" zu Stande gekommen war. Zwar kam es in der Folge gar nicht zur Abstimmung, weil das Parlament das Anliegen der Initianten sofort aufnahm und die Rechtsgrundlagen für eine ausreichende rechtliche Absicherung des 1914 geschaffenen Nationalparks schuf. Ohne den Druck der Volksinitiative aber, wäre es nicht so schnell gegangen. Am meisten Unterschriften stammten übrigens aus den Kantonen Zürich, Bern und der Waadt (je 10‘000 bis 24‘000 Unterschriften) - sage und schreibe 646 Unterschriften aus dem Kanton Graubünden - nicht gerade viel, aber immerhin deutlich mehr als die 5 Unterschriften aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden... Die Volksinitiative „zur Erhaltung des Schweizerischen Nationalparks" war im Übrigen eine Reaktion von Naturschutzkreisen auf die Nutzbarmachung der Wasserkräfte des Spöls im Parkgebiet. Die teilweise Nutzbarmachung dieses Wassers konnten sie zwar nicht verhindern, immerhin stellten die damaligen Diskussionen aber den Grundstein dar für die spätere Erweiterung des Nationalpark-Gebiets. „Wasser" bewegte die Gemüter also auch damals und spielte, wie wir gehört haben, für das „Denkmal Nationalpark" eine wichtige Rolle.

Nun wünsche ich Ihnen für die beiden Tage noch viele weitere spannende Ein- und Ausblicke und wünsche Ihnen dabei viel Vergnügen.

Wasser, Speck und Brot